Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Blüm, ich kann gut verstehen, daß Sie in Ihrer Situation nichts zur Arbeitslosigkeit gesagt haben. Aber ich muß ehrlich sagen: Politisch ist das für einen Arbeitsminister in diesem Land wirklich ein Skandal.
Ich werde mich auf dieses Thema konzentrieren und dazu zunächst unser aller Bundeskanzler bemühen. Der hat nämlich zum Antritt seiner Amtszeit vor nunmehr 15 Jahren erklärt:
Diese neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte, die bisherige Regierung als unfähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu gewährleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, was damals, 1982, recht war, müßte heute eigentlich billig sein.
Heute, 1997, gibt es in diesem Land mehr Arbeitslose als jemals zuvor. Die soziale Sicherheit ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Die öffentlichen Kassen sind so leer, daß Finanzminister Waigel keinen Bock mehr aufs Regieren hat.
Anders der Bundesarbeitsminister: Der findet noch immer, daß sein Haushalt ein Dokument sozialer Behutsamkeit und Verantwortung ist und führt als Beleg dafür an, daß jede dritte Mark des Bundesetats für Soziales ausgegeben wird.
Frau Dr. Babel hat es hier wiederholt - wie jedes Jahr. Sie verschweigen dabei nur eines, Frau Dr. Babel: daß durch Ihre Sparoperationen seit 1982 100 Milliarden DM weniger in den Sozialkassen sind - und das bei einer ungeheuren Zunahme der zu lösenden sozialen Probleme. Was könnten wir alles an Beschäftigungsprogrammen in diesem Lande auflegen, wenn Sie diese 100 Milliarden DM nicht weggespart hätten!
Keines Ihrer Versprechen zum Abbau der Arbeitslosigkeit konnten Sie bisher einlösen. Wirtschaftsminister Rexrodt hat es in der vorherigen Debatte noch einmal bestätigt: Das 50-Punkte-Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ist komplett umgesetzt worden. Er bekennt gleichzeitig: leider noch ohne Wirkung auf den Arbeitsmarkt. Wenn das nur stimmte! Das Programm hat aber Wirkungen auf den Arbeitsmarkt gehabt, nämlich eine halbe Million Arbeitslose mehr. Das haben Sie verursacht. Das versuchen Sie nun auch noch als Erfolg umzudeuten. Das nehmen Ihnen die Leute aber nicht mehr ab. Die haben doch längst begriffen, daß Ihre Sozialraubgesetze durch die Bank beschäftigungspolitisch Fehlanzeige sind und mit dazu geführt haben, bei den Arbeitslosenzahlen neue Negativrekorde aufzustellen. Das Fazit der „taz" kann man nur unterstreichen: Operation gelungen - Patient arbeitslos.
Dr. Heidi Knake-Werner
Tag für Tag werden die Pleiten Ihrer Politik sichtbar: Die Aufweichung des Kündigungsschutzes und die Einschränkung der Lohnfortzahlung haben keinen neuen Arbeitsplatz gebracht. Die Kürzungen bei Rehabilitation und Prävention haben dazu geführt, daß in diesem Bereich 24 Prozent weniger Menschen eine Arbeit finden. Auf der Strecke bleiben vor allem die Frauen.
Die Veränderung der Ladenöffnungszeiten hat nur eines bewirkt: eine massive Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in Mini-Jobs. Jeder zweite Teilzeitarbeitsplatz im Handel ist inzwischen sozialversicherungsfrei. Das ist aus Ihrer vielgelobten Teilzeitarbeitsoffensive geworden.
Und das gelobte AFRG? - Die volle Orientierung auf die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt hat nahezu fatale Folgen, insbesondere in den neuen Ländern. Tausende von Arbeitsplätzen in Sanierungs- und Beschäftigungsgesellschaften in Ostdeutschland gehen über den Deister. Auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt es dafür überhaupt kein Äquivalent; das wissen Sie auch ganz genau.
Nicht einmal die Rechnung mit Ihrem beschäftigungspolitischen Lieblingskind - Dienstleistung im Haushalt. - ist aufgegangen. Es ist ja vorhin von Herrn Fuchtel schon gesagt worden: Ganze 34 000 Arbeitsplätze - statt der von Ihnen angestrebten halben Million - entstanden in diesem Bereich. Das ist wirklich eine Pleite für sich.
Heute, nach 15 Jahren Kohl-Regierung, fehlen Erwerbsarbeitsplätze für sieben bis acht Millionen Menschen. Das sind Menschen, denen es verwehrt ist, am wirtschaftlichen und sozialen Leben teilzuhaben, Menschen, die sich nutzlos und überflüssig vorkommen, die öfter krank sind als Menschen in Lohn und Brot, Menschen, denen Sie mit Ihrer fatalen Politik die Zukunft verbauen. Dabei ist Erwerbslosigkeit nicht nur für die Betroffenen ein Drama - es ist hier schon 25mal gesagt worden -, die Massenarbeitslosigkeit ist auch die Hauptursache für die immer größer werdenden Löcher im Haushalt.
Weil Sie mit Ihrem Haushalt nicht die bitter notwendige Trendwende auf dem Arbeitsmarkt einleiten, Herr Minister Blüm, ist der Einzelplan 11 kein Dokument sozialer Verantwortung, sondern Ausdruck politischer Verantwortungslosigkeit.
Am Dienstag, bei der Verkündung der Arbeitslosenzahlen für August, hat auch der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, festgestellt, daß der weitere Anstieg der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr im Zusammenhang mit der Kürzung der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik zu sehen ist.
Das ist das unrühmliche Ergebnis Ihrer falschen Weichenstellung, und genau die wird im Einzelplan 11 fortgesetzt. Daß der Nachtragshaushalt noch immer auf sich warten läßt und die Arbeitsämter vor Ort noch immer nicht wissen, welche Gelder ihnen für das nächste Vierteljahr zur Verfügung stehen, ist schlicht verantwortungslos.
Im August waren - das ist hier gerade schon gesagt worden - 300 000 Menschen weniger in Beschäftigungsförderungsmaßnahmen als voriges Jahr. Der größte Brocken ging zu Lasten der Menschen in Ostdeutschland: Dort waren 220 000 Menschen weniger in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Wieder einmal sind es vor allen Dingen die Frauen, auf deren Kosten diese Entwicklung geht. Das will ich Ihnen hier einmal ganz genau vorrechnen: Nach Veröffentlichungen des IAB - der Kollege Krüger hat es ja vorhin als Gazette bezeichnet; ich wünschte, Sie würden Ihre eigenen Institute etwas ernster nehmen - waren im Mai 1997 in Ostdeutschland 72 000 Frauen weniger in beschäftigungspolitischen Maßnahmen. Im gleichen Zeitraum ging die Anzahl der Fördermaßnahmen für Frauen um 63 000 zurück.
Um ein kurzes - und schlechtes - Fazit zu ziehen: 90 Prozent der Anzahl derjenigen Frauen in Ostdeutschland, die zusätzlich arbeitslos geworden sind, gehen auf die Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik zurück. Das muß man sich wirklich einmal durch den Kopf gehen lassen. Für viele Menschen klingt es inzwischen mehr als Bedrohung denn als Versprechen, wenn Sie verkünden, die Arbeitsförderung konsequent fortsetzen zu wollen.
Von dem Bekenntnis, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende halbieren zu wollen, sind Sie nun schon selber abgerückt. Ihre arbeitsmarktpolitischen Eckdaten weisen ja auch für das Jahr 2000 noch 3,8 Millionen Arbeitslose aus. Wieso Sie den Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit trotzdem gänzlich streichen wollen, das müssen Sie einmal den Menschen erklären.
Im kommenden Jahr wollen Sie 100 000 Arbeitslose weniger haben, davon 10 000 weniger in Ostdeutschland. Ich frage Sie: Wo bleibt die Einlösung des Versprechens des Bundeskanzlers, allein in Ostdeutschland 100 000 Arbeitsplätze für 1998 zu schaffen? Einmal mehr hat sich das als Sprechblase erwiesen.
Sie stehen zudem mit Ihren Prognosen gänzlich allein. Das DIW, der DGB, selbst das IAB gehen für 1998 nicht von weniger, sondern von mehr Arbeitslosen aus. Deshalb wird auch der bis jetzt als einigermaßen realistisch beurteilte Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 14,1 Milliarden DM nicht ausreichen, wenn es wirklich um eine beschäftigungspolitische Trendwende mit einer wirksamen Arbeitsmarktpolitik gehen soll.
Auch die 25,5 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe sind ausgesprochen fragwürdig, wenn man Ihre eigenen Zahlenangaben und Berechnungen zugrunde legt. Ihr Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose, das 750 Millionen DM in 1998 umfaßt, ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ist Ihnen denn entgangen, was das IAB berechnet hat, daß inzwischen -