Frau Kollegin Dr. Babel, ich glaube schon, daß ich das auseinandergehalten habe und daß das noch nicht einmal etwas mit Programmatik zu tun hat, sondern mit dem ersten Semester volkswirtschaftlicher Interdependenz.
- Ja, da können Sie gespannt sein. - Denn Ihre Zwischenbemerkung deutet darauf hin, daß Sie sich diesem Thema offensichtlich noch nicht näher gewidmet haben. Oder sollte Ihnen unbekannt sein, daß das, was in eine private Versicherung eingezahlt wird, faktisch und in the long run den gleichen Weg geht wie das, was Sie in eine Altersversorgung eingezahlt haben?
Das Geld, das Sie heute einzahlen, wird genausowenig auf ein Nummernkonto, Frau Dr. Babel, hinterlegt, damit Sie es 40 Jahre später abrufen, wie das, was ich in die Rentenversicherung einzahle und was im nächsten Monat an die Alten ausgezahlt wird.
Frau Dr. Babel, ich bin noch nicht fertig. Das Geld, das Sie heute einzahlen, muß in dem Moment, in dem Sie es in 30 oder 40 Jahren herausbekommen, von einer nachwachsenden Generation wieder eingezahlt werden, damit Sie es herausbekommen können. Insoweit ist das Prinzip völlig logisch.
- Beruhigen Sie sich doch. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, müßten Sie den doch durch die Gespräche, die Sie mit der privaten Versicherungswirtschaft geführt haben, bekommen haben. Die einfache Frage: Möchten Sie unser Rentensystem übernehmen? - das ist Ihre Philosophie -, wird von denen strikt verneint, weil sie genau wissen, daß sie dann die gleichen Probleme haben, wie wir sie heute in der Rentenversicherung zu lösen haben.
Wenn Ihnen dieser Zusammenhang nicht klar ist - was offensichtlich der Fall ist -, dann wird mir auch klar, daß Sie gar nicht gemerkt haben, welchen Unsinn Sie in Ihren Rentengesetzentwurf hineingeschrieben haben. Darin liegt wohl die eigentliche Begründung.
Der Sozialstaat habe den Standort Deutschland in Not gebracht, höre ich von dieser Regierung und den sie tragenden Fraktionen. Dann höre ich vom Statistischen Bundesamt, daß die Volkswirtschaft am Standort Deutschland im laufenden Jahr einen Rekord-
Rudolf Dreßler
überschuß im Außenhandel von mindestens 110 Milliarden DM erreiche. Meine Damen und Herren, das paßt nicht zusammen.
Dann höre ich von der Bundesregierung, die Steuern und vor allem die Abgaben in Deutschland seien im Vergleich zu unseren Konkurrenten, vor allem in Europa, viel zu hoch. Dann höre ich vom statistischen Amt Eurostat bei der Europäischen Union, daß Deutschland von den erfaßten EU-Ländern in der Steuer- und Abgabenbelastung an drittletzter Stelle liege, deutlich hinter den von Ihnen so viel beschworenen Wunderländern Niederlande und Schweden. Das paßt wohl auch nicht zusammen.
Wir würden gerne mit der Koalition um den bestmöglichen Weg zur Sicherung des Standortes und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit streiten. Aber das geht nun einmal nur auf der Basis von Fakten und nicht auf der Basis von regierungsamtlicher Tatsachenverdrehung. Das ist der Punkt, der uns trennt.
Auch hier hat die von der Koalition und der Regierung geführte Diskussion sehr wenig mit der tatsächlichen sozialen und wirtschaftlichen Lage und den Erfordernissen, Veränderungen herbeizuführen, zu tun. Es geht in Wahrheit um etwas ganz anderes.
Die Sekundanten dieser Diskussion in den Verbandsetagen von Industrie, Handwerk und Handel von Herrn Henkel bis Herrn Stihl lassen kaum einen Zweifel: Es geht ihnen um eine Neuverteilung der gesellschaftspolitischen Gewichte. Es geht ihnen um andere Machtverhältnisse in unserem Land.
Jetzt, wo die marktwirtschaftlich orientierten Systeme nicht mehr beweisen müssen, daß sie nicht nur ökonomisch effektiver, sondern auch sozialer und humaner als die untergegangenen Kommandosysteme sind, sollen deren soziale Attribute beiseite gelegt werden. Jetzt, wo Marktwirtschaft mangels Systemkonkurrenz nicht mehr sozial zu sein braucht, geht es um Markt pur. Das ist das eigentliche Ziel.
Diesem Ziel gilt unser entschlossener Widerstand. Auch nach dem Zusammenbruch der Kommandowirtschaft bleibt die deutsche Sozialdemokratie bei der sozialen Marktwirtschaft.
Dieses scheint den federführenden Minister nicht zu berühren, obwohl er die Zusammenhänge sehr genau kennt. Er fährt mit dem Versuch fort, auch noch dem letzten gesellschaftspolitischen Mist aus der Gruselkammer bestimmter Verbände durch seine politische Zustimmung einen Hauch von Sozialflair zu geben.
Dabei hat er erkennbar - das ist die eigentliche Tragik dieser Debatte - nichts mehr zu sagen. Die politische Mitgestaltung und die Durchsetzungsfähigkeit von Herrn Blüm sind Null. Was in der Sozialpolitik dieser Koalition zu geschehen hat, bestimmt nicht er, das bestimmt Herr Schäuble. Die aktuelle Rentengesetzgebung beweist dies eindrucksvoll.
Wie sehr sich Herr Blüm dabei mittlerweile verhaspelt hat, ist nachweisbar. Da beschließt die Koalition gegen seinen Rat das Vorziehen der Rentengesetzgebung um ein Jahr auf 1998 und in Konsequenz dessen auch eine Nullrunde für Westdeutschland im nächsten Jahr. Herr Blüm macht deutlich, er trage das mit und läßt zwischen den Zeilen erkennen, eigentlich sei er wie die SPD dagegen.
Herr Blüm, gegen eine Nullrunde zu sein, stellt man nicht durch halböffentliche Proklamationen auf Verbandsveranstaltungen unter Beweis, wie Sie es vorige Woche beim VdK und beim Reichsbund getan haben, sondern durch Handaufheben in den Gremien, in denen man Sitz und Stimme hat, also in Kabinett und Fraktion. Genau das, Herr Blüm, haben Sie nicht getan.
Die neueste Variante des Sozialministers lautet, daß die Rentengesetzgebung nur dann auf 1998 vorgezogen werden könne, wenn die SPD in Bundesrat und Vermittlungsausschuß der Mehrwertsteuererhöhung und der von der Union gewünschten Form ihrer Verwendung zustimmt. Was auf gut deutsch nichts anderes heißt, als daß Sie nur dann für eine Nullrunde bei den Westrenten sind, wenn auch die SPD dafür ist. Herr Blüm, ich muß schon sagen, das ist ein echtes Angebot aus dem politischen Panoptikum. Sollten Sie es immer noch nicht begriffen haben: Sie können sich auf den Kopf stellen und jodeln, aber ein Ja der SPD zu einer Nullrunde bei den Renten ist nicht zu haben. Ende der Fahnenstange, meine Damen und Herren!
Wir werden, Herr Blüm, um in Ihrer Sprache zu bleiben, nicht Schmiere stehen, wenn Sie den Rentnern ans Leder wollen. Die Folgen Ihrer katastrophalen Rentenpolitik auszubaden ist Ihre Sache, nicht die Sache der parlamentarischen Opposition.
Wir sind bereit, abermals über eine Senkung der Lohnnebenkosten durch Rückführung sowohl des Renten- wie auch des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um je einen Prozentpunkt zu reden. Wir sind bereit, die dazu notwendige Gegenfinanzierung in Form einer maßvollen Anhebung der Mineralölsteuer und einer Anhebung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt mitzutragen. Sollten Sie es überlesen oder überhört haben, führe ich zum wiederholten Male an: in der von mir genannten Reihenfolge.
Mit Ihrer Rentenpolitik, Herr Blüm, Ihrem sogenannten Rentenreformgesetz 1999 oder 1998 oder vielleicht doch 1999, wahrscheinlich vielleicht doch unter Umständen allenthalben 1998, haben wir nichts, aber auch gar nichts zu tun. Es gibt mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und mit der Sozialdemokratischen Partei - wenn Sie glauben, Sie könnten hier eine Lücke erkennen - keinen Rentenkonsens auf der Basis von Nullrunden, Niveaukür-
Rudolf Dreßler
zungen, der Verlängerung der Lebensarbeitszeit von Schwerbehinderten oder der Abschaffung von Erwerbsunfähigkeitsrenten.
Herr Blüm, wenn Debatten einen Sinn haben sollen und das, was Sie hier zum Schluß geäußert haben: „Laßt uns doch zusammenarbeiten!", ernsthaft gemeint ist, fordere ich Sie zum wiederholten Male auf. Stehen Sie auf, kommen Sie hierhin und sagen Sie uns, wo diese Koalition in den von mir genannten Essentials endlich kompromißwillig und -fähig ist! Bis zu dieser Stunde haben Sie immer nur gesagt: „Laßt uns!" und haben Ihren Rentengesetzgebungsvorschlag nicht in einem Punkt zur Verhandlung gestellt. Solange Sie die Bevölkerung weiter so um die Fichte führen, gibt es bei uns ein klares Nein, ob in Unterkommissionen, in Hauptkommissionen, im Vermittlungsausschuß oder hier. Kommen Sie hierhin und sagen Sie, in welchen Punkten Sie verhandlungsfähig sind, Herr Blüm! Hören Sie endlich auf, Ihre feuilletonistischen Ausflüge zu machen.