Rede von
Rudolf
Dreßler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Geißler, ich muß Ihnen gerade in dieser Minute mein vollstes Verständnis zum Ausdruck bringen; denn diese Regierung hat nur noch diese Möglichkeit, beim Herrgott um Hilfe zu rufen.
Ich hatte an und für sich vor, heute den Chef der Planungsfirma CDU/CSU und F.D.P., Herrn Kohl, einmal zu fragen, was denn jetzt gilt, vor allen Dingen wessen Wort gilt. Das ist nun wichtig für die kommenden Stunden - so muß man es einmal sagen -, wenn heute nachmittag wieder der Vermittlungsausschuß tagt. Gilt nun das Wort des Bundeskanzlers, die Rentenreform kommt 1999? Gilt das Schäuble-Wort, die Rentenreform kommt 1998? Vom federführenden Sozialminister haben wir dazu soeben nicht ein einziges Wort gehört.
Daraus folgt: Wie immer die Verhältnisse in dieser Koalition nun liegen mögen, finde ich: Es muß mit diesem unsäglichen Geschwätz, mit den Spekulationen und mit diesen Haken und Ösen Schluß sein. Herr Blüm, unser Land braucht Klarheit und Berechenbarkeit. Diese wollen wir hier von Ihnen referiert bekommen.
Sozialpolitik - so sagt die eben zitierte Definition - sei dazu da, die sozialen Verhältnisse zu verbessern. Die Politik dieser Koalition - das ist die Bestandsaufnahme für einen Haushalt von über 140 Milliarden DM - hat durch drastische Anhebung der Selbstbeteiligung kranker Menschen, durch Leistungsausgrenzungen und -kürzungen die gesundheitliche Versorgung nachhaltig verschlechtert, hat Hunderttausende von Rehabilitationsmaßnahmen gestrichen und damit sogar die Lage kranker Kinder verschlechtert.
Sie hat durch arbeitsmarktpolitische Abstinenz und durch Zerstörung der Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes die Lage am Arbeitsmarkt dramatisch verschlechtert. Die Politik dieser Koalition will zukünftig - das geht aus diesen Zahlen hervor - die Lebensarbeitszeit der Menschen abermals verlängern, und zwar unabhängig von der bedrohlichen Arbeitsmarktlage. Noch nicht einmal vor den Schwerbehinderten macht diese Regierung dabei halt. Sie will durch manipulative Eingriffe in die Rentenformel das Rentenniveau kürzen. Sie will die Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsunfähigkeit in der Rentenversicherung weitgehend beseitigen und so privatisieren.
Ich frage: Sozialpolitik als Verbesserung der Verhältnisse der Menschen? Schon die wenigen hier angeführten Beispiele belegen: Diese Regierung betreibt das Gegenteil von Sozialpolitik. Sie betreibt eine Politik der systematischen Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse. Wenn ich dann in diesem Zusammenhang höre, die Notwendigkeit einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit müsse zu einer Bereinigung der sozialstaatlichen Sicherungssysteme, zu einer Entschlackung genutzt werden, mehr Eigenverantwortung sei geboten, dann muß ich fragen: Wer bestreitet denn die Notwendigkeit von Eigenverantwortung? Wer regiert eigentlich seit 15 Jahren und ist verantwortlich dafür? Man kann dieses Land, Herr Blüm, nicht 15 Jahre regiert haben und sich im 16. Jahr vor das Plenum des Bundestages hinstellen und den Eindruck erwekken, als habe man mit diesem Zustand überhaupt nichts zu tun.
Er ist durch Ihre Regierungstätigkeit entstanden. Sie waren doch von der ersten Minute bis jetzt dabei.
Mehr Eigenverantwortung? Dazu sage ich: Richtig. - Aber Eigenverantwortung meinen CDU/CSU und F.D.P. doch gar nicht. Sie wollen mit diesem Begriff doch nicht etwa etwas beschreiben, sondern sie wol-
Rudolf Dreßler
len etwas denunzieren. Sie wollen unsere solidarischen Sicherungssysteme als bürokratische Umverteilungs- und Entmündigungsmaschinerie darstellen. Das ist der eigentliche Zweck. Denn wer hätte allen Ernstes etwas gegen Eigenverantwortung?
Vor allem erwecken die F.D.P. und der CDU/CSU- Wirtschaftsrat den Eindruck: Wenn Herr X im Monat 800 DM in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, um die Ansprüche für seine Altersvorsorge zu sichern, sei das kollektive Entmündigung. Wenn aber Frau Y den gleichen Betrag Monat für Monat in der privaten Versicherungswirtschaft zum gleichen Zweck anlegt, dann sei das individuelle Eigenverantwortung. Das ist doch ideologischer Dünnpfiff, Frau Dr. Babel. Und das wissen Sie ganz genau.
Denn, Frau Dr. Babel, wenn Herr X und Frau Y in gleichem Maße handeln, nämlich eigenverantwortlich, dann sorgen sie beide für ihr Alter vor. Wieso das eine für den Wettbewerb schädlich und das andere förderlich sein soll, das können Sie niemandem erklären, Frau Dr. Babel.
- Das ist das, Herr Louven, was Sie zur Zeit ablassen.