Rede von
Rudolf
Dreßler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat gerade eine zentrale Frage gestellt. Er hat das in der ihm eigenen Art formuliert. Die Frage lautete: Wollen Sie oder wollen Sie nicht?
Da ich weiß, daß die Prognosen des Sozialministers mittlerweile nicht mehr in Tagen, Wochen oder Monaten gemessen werden, sondern in Stunden,
muß ich heute feststellen, daß offenbar auch sein Gedächtnis nur noch in Stunden zählt.
Vor zwei Wochen hat die SPD-Bundestagsfraktion mit den SPD-regierten Ländern einen Gesetzentwurf in dieses Haus eingebracht, der die parlamentarische Opposition befähigte, Ihnen anzubieten, die Zusatzkosten, die auf dem Faktor Arbeit liegen, um 29 Milliarden DM zu senken. Wir waren bereit, unsere Stimme für 29 Milliarden DM Gegenfinanzierung zu geben. Sie haben das niedergestimmt. Ich sage Ihnen, Herr Blüm: Wollen Sie oder wollen Sie nicht? Der Gesetzentwurf steht zur Abstimmung.
Was ist das für eine Debatte? Wie weit ist diese Regierung verkommen, daß sie einen Gesetzentwurf, der vor 14 Tagen eine Senkung der Lohnnebenkosten um 29 Milliarden DM ermöglichte, hier kalt ablehnen läßt und sich heute hinstellt und uns fragt: Wollen Sie oder wollen Sie nicht?
Herr Blüm, fragen Sie doch Ihren eigenen Laden, ob er endlich will, aber nicht uns. Wo sind wir denn?
- Reden Sie doch nicht so einen Stuß. Dieser Vorschlag kommt doch von Ihrer Regierung. Himmelherrgott nochmal! Sie haben doch vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Kosten zu senken. Das ist doch lächerlich! Wenn wir dem zustimmen, kommen Sie heute an und sagen, dies sei nicht logisch. Orientieren Sie sich doch einmal an Ihren eigenen Vorschlägen! Sie blicken wohl nicht mehr durch.
Wenn man sich auf Debatten vorbereitet, kann es hin und wieder von Nutzen sein, sich die Bedeutung von Wörtern, die die Regierung ständig im Munde führt, bewußt zu machen. Wenn die sozialpolitisch relevanten Teile des Bundeshaushalts für das kommende Jahr auf ihre Substanz und Wirksamkeit geprüft werden, so kann schon ein Blick ins Taschenlexikon helfen, um zu einer sachgerechten Würdigung der Politik der Bundesregierung zu kommen.
Dort steht unter dem Stichwort „Sozialpolitik" folgendes: „Sozialpolitik ist die Planung" - ich wiederhole: die Planung - „und Durchführung staatlicher Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Bevölkerung".
Wenden wir diese Beschreibung auf die tatsächlichen Ergebnisse regierungsamtlicher Politik an, so
Rudolf Dreßler
kann es nur ein Urteil geben: Sozialpolitik findet nicht statt.