Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich einmal einen Moment lang die Ausgangssituation dieser Debatte vorzustellen. Es gibt Menschen, die jetzt am Fernseher oder vor einem Rundfunkgerät sitzen und darauf achten: Was sagt diese Regierung, was sagt dieses Parlament zur Überwindung der Probleme? 4,4 Millionen Menschen arbeitslos, 150 000 junge Menschen suchen einen Ausbildungsplatz. Es gibt Unternehmer, die darauf warten, ein Signal, eine Aufbruchstimmung vermittelt zu bekommen.
Man muß die Reden der Regierung und der Regierungskoalition einmal an diesem Anspruch messen. Wo ist ein Stückchen Hoffnung vermittelt worden? - Nirgendwo. Herr Krüger sagt in der Kontinuität seines Dankes an alle Regierenden: Die Regierung hat alles richtig gemacht. Herr Rexrodt sagt: Wir haben mit dem, was wir eingeleitet haben, schon große Erfolge erzielt.
Dies alles ist doch nicht das, was die Menschen erwarten. Die Menschen erwarten von uns, daß wir die Reformen benennen, daß wir Fehler benennen und daß wir sie überwinden. Dazu werde ich Ihnen einige Beispiele nennen.
Lassen Sie mich rückwärtsgewandt doch noch einmal die Frage stellen, Herr Rexrodt, was denn aus Ihrem 50-Punkte-Programm geworden ist. Ich habe Herrn Henkel und Herrn Franzen angeschrieben, also die Vertreter der großen Spitzenverbände, und sie gefragt, wie viele Arbeitsplätze denn durch die sozialpolitischen Kürzungsvorhaben und die Verlängerung der Arbeitszeit entstanden sind. Sie haben versprochen, mit der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten würden Sie 20 Milliarden DM zusätzlicher Kaufkraft aktivieren. Zur Zeit klagt der ganze Handel darüber, daß die Kaufkraft zurückgegangen ist und die Umsätze stagnieren. Gar nichts ist erfolgt.
Alle Spitzenverbände schrieben mir - ich stelle Ihnen das gerne zur Verfügung; Sie können ganz sicher sein, daß ich es in den nächsten Monaten in schöner Regelmäßigkeit immer wieder abfragen werde -: Es hat keine Effekte gegeben. Das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, sagt: Alle diese Einzelmaßnahmen haben bisher keinerlei Effekt erzielt.
Sie rühmen sich, Sie hätten Ihr 50-Punkte-Programm umgesetzt und es gelte, nur an einem Punkt noch Veränderungen vorzunehmen; dann breche das Paradies auf dem Arbeitsmarkt aus. Was wollen Sie den Leuten, die Angst um die Zukunft ihrer Kinder und um ihren eigenen Arbeitsplatz haben, und den Unternehmern, die Angst um ihr eingesetztes Kapital haben, weil noch in keinem Monat die Zahl der Pleiten so hoch gewesen ist wie im vergangenen Monat, eigentlich noch zumuten? Was wollen Sie denen noch zumuten?
Diese Debatte wird um den Haushalt geführt. Der Haushalt ist Beleg dafür, welche Kraft Sie aufwenden, um die Schwierigkeiten zu überwinden. Schauen Sie sich doch einmal die Investitionsquote des Haushalts von 1991 bis 1996 an. Sie ist von 16,1 Prozent auf 13,5 Prozent zurückgegangen. Das scheint relativ wenig zu sein, aber wirkt sich in bezug auf Beträge und Arbeitsplätze erheblich aus. Sie sorgen dadurch, daß Sie nicht die Kraft finden, die Investitionen in diesem Haushalt zu stärken, für zusätzliche Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Welcher Unternehmer soll denn investieren, wenn noch nicht einmal ein Signal aus dem Bundeshaushalt kommt?
Damit wir uns nichts vormachen: Das verhält sich nicht nur prozentual so, sondern auch in absoluten Zahlen. Es kommt ja auch noch die Preissteigerungsrate hinzu. Nichts haben Sie in dieser Richtung zuwege gebracht. Herr Rexrodt, es wäre Ihre Aufgabe gewesen zu sagen: Ich habe mich bei der Debatte um den Haushalt nicht durchsetzen können, weil die Sparapostel Oberhand bekommen haben. Aber es ist doch nicht Ihre Aufgabe zu sagen: Ich lege einen Haushalt vor, der konjuktur- und arbeitsmarktgerecht ist. Es handelt sich um einen in der augenblicklichen Situation beschämenden Haushalt. Sie reichen Ihre Hand dazu, daß weiterhin der falsche Weg beschritten wird.
Dabei bin ich weit davon entfernt zu meinen, die Probleme ließen sich nur über öffentliche Ausgaben lösen. Wir werden uns andere Dinge noch einmal sehr genau anschauen; ich werde auch ein paar Worte dazu sagen. Wenn man sich aber die Ansätze in den Einzelhaushalten anschaut, findet man folgende Zahlen: Existenzgründungen 165 Millionen DM minus; GA Ost 112 Millionen DM minus; GA West 145 Millionen DM minus; Absatz Ost 10 Millionen DM minus, das entspricht 33 Prozent. Währenddessen ißt der Bundeskanzler Bratwürste aus Thüringen und sagt, die Leute sollten sie auch essen. Diese Inititiative finde ich richtig und gut. Daß sich Sozialdemokraten daran beteiligt haben, finde ich auch gut. Nur, das ist nicht das Problem. Die produzierende Industrie muß Marktzugang finden. Man muß sie dabei unterstützen, daß sie sich, insbesondere auch der Mittelstand, auf den Weltmärkten bewähren kann.
Noch viel schlimmer ist das Minus von 55 Millionen DM bei Forschung und Entwicklung; das sind
Ernst Schwanhold
10,5 Prozent. Es geht also nicht nur daum, daß dieser Haushalt keine Zukunftsimpulse setzt, sondern auch darum, daß Sie dabei sind, mit diesem Haushalt schon Zukunftschancen der nächsten Jahre zu verspielen, weil Sie die Haushaltsansätze in Forschung und Entwicklung ständig kürzen und damit keine Qualifikation und Ausbildung von Arbeitskräften ermöglichen.
Darunter fallen auch solche Forschungsinstitute der AIF, die in ihrer Existenz bedroht sind und vorzügliche Arbeit geleistet haben. Ich könnte Ihnen erneut die Kürzungen der Mittel für die mittelständische Wirtschaft vorhalten: 140 Millionen DM; das sind „nur" 9 Prozent.
Ihr Haushalt, Herr Wirtschaftsminister, wird überproportional gekürzt. Man muß sich dies einmal vorstellen: In einer Situation, in, der 4,4 Millionen Menschen arbeitslos sind und die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Impulse erwarten, wird dieser Haushalt gekürzt.
Das ist ein Stück aus dem Tollhaus, und der Finanzminister hört sich dies nicht einmal an.
Lassen Sie mich auf ein paar Punkte eingehen, wo bei uns ein Reformstau besteht.
Herr Minister, wir fördern zur Zeit noch immer Beton
mehr als Menschen, die bereit sind, ihr Kapital in schnellwachsenden Technologieunternehmen
als Risikokapital anzulegen.
- Herr Schauerte, stellen Sie sich ins Ruhrgebiet und an die Saar,
reden Sie mit den Kolleginnen und Kollegen und erfahren Sie, welche Vorleistungen sie gebracht haben, wenn der Abbau dort vorgenommen wird, um eine sanfte Landung zu erreichen. Auch das hat etwas mit sozialer Sicherheit und mit Verläßlichkeit von Rahmenbedingungen zu tun.
Zweitens. Sie haben den Kohlepfennig kappen lassen, haben keinen Ausgleich dafür herbeigeführt und beschweren sich darüber, daß es plötzlich zum Aufwuchs im Haushalt kommt - weil Sie nicht Vorsorge getroffen haben. Sie hätten Vorsorge treffen können.
Lassen Sie es sein, Arbeitsplätze gegeneinander auszuspielen. Wir haben nämlich nicht die Situation, in der man leichtfertig sagen könnte: Diese oder andere Arbeitsplätze können wir opfern. Es gibt in diesem Land zuwenig Arbeitsplätze. Lassen Sie uns froh sein, wenn wir Arbeitsplätze am Markt erhalten und eine sanfte Landung erreichen können. Denn sonst landen alle bei Blüm, und am Ende des Jahres müssen Sie den Zuschuß an Blüm noch erhöhen. Dann wundern Sie sich, daß Sie mit den grundgesetzlichen Vorgaben nicht mehr zurechtkommen, wie in der Vergangenheit. Die Investitionsrate liegt nämlich auf Grund dieser falschen Entwicklung und Ihrer mangelnden Vorsorgepolitik längst unterhalb der Kreditaufnahme.
- Lassen Sie mich, Graf Lambsdorff, mit zwei Sätzen zu Ihrer Rede kommen. Ich ' komme gleich auf die Beispiele zurück.
Ich kann mich nicht erinnern - ich bin nicht so lange hier, sieben Jahre; ich habe mir aber auch früher schon Reden von Politikern angehört -, Graf Lambsdorff, daß Sie jemals zum Bundeshaushalt des Wirtschaftsministers so eine erbärmliche Rede gehalten hätten,
in der Sie nur dargelegt haben, wie Differenzen in der SPD zu beurteilen seien, anstatt einen eigenen konstruktiven Vorschlag zu machen, wie man aus dieser Situation herauskommt, und darauf hinzuweisen, welcher Stau bei Ihnen in bestimmten Bereichen vorhanden ist, wo Sie sich bei Veränderungen gegenseitig blockieren.
Kein einziger Vorschlag! Es war erbärmlich, und es war insbesondere Ihrer nicht würdig. Wir haben hier schon andere Debatten gehabt.
Ich will an das Thema Existenzgründungen anknüpfen. Natürlich freue ich mich, daß wir eine leichte Belebung des Wachstums haben; gar keine Frage. Wir müssen sie verstärken. Sie ist zur Zeit darauf zurückzuführen, daß der Export läuft, weil wir eine schwache D-Mark haben. Das ist ein wesentlicher Teil. Aber es ist auch darauf zurückzuführen, daß Gewerkschaften, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort und die Kolleginnen und Kollegen mit den Betriebsleitungen zusammen ein hohes Maß an Flexibilität an den Tag gelegt haben, um den Herausforderungen des Weltmarktes gerecht zu werden. Ich finde, Sie sollten nicht die Gewerkschaften beschimpfen, sondern sich ausdrücklich dafür bedanken, daß sie konjunkturgerechte Lohnpolitik gemacht haben und daß sie insbesondere dafür gesorgt haben, daß die Flexibilität ermöglicht wird und inner-
Ernst Schwanhold
halb der Betriebe Arbeitsplätze gesichert werden und Zukunft gewonnen wird. Das ist ein wichtiger Punkt.
Lassen Sie mich auf das Risikokapital zurückkommen. Privat läuft hier kaum etwas. Junge Menschen gehen heute lieber nach Belgien, nach Holland oder in andere Länder, um sich die Finanzierung ihres Wachstumsunternehmens in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern. Das liegt daran, daß Sie nicht den Mut aufbringen, Risikokapital steuerlich so zu stellen, daß es sich für die Menschen lohnt, darin zu investieren, um zunächst einmal eine Kultur des Wagniskapitals entstehen lassen.
Dazu ist von Ihrer Seite nichts gekommen. Sie reden darüber. Im März 1995 haben wir Ihnen einen Antrag dazu vorgelegt, den Sie abgelehnt haben, dem Sie nicht zugestimmt haben; Sie sind diesen Weg nicht mitgegangen.
Der zweite Punkt ist - da, finde ich, kann man in Amerika viel lernen -: Natürlich gibt es in den schnell wachsenden Industrien, in den Zukunftstechnologien die Notwendigkeit der Neuansiedlung. Natürlich ist es notwendig, Ausgründungen aus dem Hochschulbereich vorzunehmen. Was haben Sie dafür getan, daß wir Kapital und das Wissen der jungen Leute zusammenbringen, um daraus Arbeitsplätze und Produkte und Angebote für den Markt der Zukunft zu machen? Ich kann nicht erkennen, daß Sie irgendwo eine Initiative gestartet hätten. Ich kann nicht erkennen, daß in diesem Haushalt eine Initiative enthalten wäre.
Auch den Bereich der Mittelstandspolitik muß man sich einmal sehr genau anschauen. Sie reden von Steuersenkungen. Graf Lambsdorff, mir kann jede Steuerdebatte und jede Veränderung gestohlen bleiben, die am Ende nicht zu dem Erfolg führt, daß wir die mittelständische Wirtschaft in die Lage versetzen, ihr eigenes Wachstum zu finanzieren, und daß das, was sie hier produzieren will, auch von den Menschen in diesem Land gekauft werden kann oder auf den Weltmärkten angeboten werden kann.
Ihre Debatte über die Steuerreform ist eine ganz andere.
Ihre Debatte zielt darauf, die großmäuligen Erklärungen einiger Verbandsvertreter von Unternehmen, die längst mit ihren Steuerzahlungen unterhalb derer eines jeden Mittelständlers sind, mit der Aussage nachzuahmen: Wir müssen die Spitzensteuersätze nach unten anpassen. - Die Unternehmen, die weltweit operieren, zahlen hier kaum noch Steuern oder sehr wenig Steuern. Wenn wir. eine Steuerreform wollen, dann heißt das: Diese Unternehmen müssen mehr Steuern bezahlen und die mittelständische Wirtschaft muß entlastet werden. Dies ist ein wichtiger Punkt.
Der zweite Punkt. Die mittelständische Wirtschaft ist in aller Regel beschäftigungsintensiver. Sie hätten mit uns längst haben können, daß die Lohnnebenkosten, die in der Bilanz der Unternehmen genauso wirken wie andere Abgaben und Steuern, gesenkt werden können.
Das hätte zur Folge gehabt: Sie würden den Druck zur kurzfristigen Rationalisierung, um sich auf den Weltmärkten zu behaupten, von den Unternehmen und den Zeitdruck aus dieser gegenwärtigen Debatte nehmen. Wir würden dadurch ein Stückchen Zeit gewinnen. Das ist die erste Bemerkung.
Die zweite Bemerkung. 50 Prozent von dem, was wir an Lohnnebenkosten einsparen, würden bei den Unternehmen landen, um ihre eigene Zukunft zu finanzieren, und 50 Prozent würden bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern landen, so daß endlich die Kaufkraft in dieser Bevölkerungsgruppe gesteigert wird, weil die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn geringer wird. Diese Botschaft hätte man haben können; das hätte man machen können. Daran wirken Sie aber nicht mit.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt zum Bereich des Mittelstandes sagen, von dem ich glaube, daß er Ihnen überhaupt nicht bewußt ist. Sie haben keine Initiative unternommen, aus dem Förderwirrwarr mit Anlaufstellen für viele Förderprogramme wenige Programme mit einer Anlaufstelle zu machen, so daß ein mittelständischer Unternehmer, der sich Sorgen um die Zukunft seines Unternehmens macht und der Wachstum finanzieren will, den Überblick über die Fördermaßnahmen behält.
Nach wie vor fahren Sie mit Ihrem alten Kurs fort: hier ein kleines Programm, dort ein kleines Programm. Seit Monaten haben wir Ihnen eine Konzeption vorgelegt. Wir sagen: Der Staat und die Wirtschaftspolitik muß sich auch als Dienstleister für die mittelständische Wirtschaft verstehen. Dazu gehört eben eine Anlaufstelle. Nein, Sie gehen Ihren Weg weiter. Sie machen weiterhin Staatssekretärsprogramme mit zweifelhafter Wirkung. In den Kernbereichen, in denen es darauf ankäme, kürzen Sie und setzen nicht die Zeichen der Zeit, die notwendig wären, damit die Unternehmen Hoffnung schöpfen.
Minister Rexrodt, ich möchte Ihnen zum Abschluß zwei Dinge sagen, von denen ich glaube, daß Sie sehr ernsthaft darüber nachdenken sollten. Die Aufgabe des Wirtschaftsministers in diesem Land ist es nicht, eine falsche Politikrichtung zu verfolgen und zu verteidigen. Die Aufgabe des Wirtschaftsministers in diesem Land ist es, den Unternehmen den Boden zu bereiten, daß sie expandieren und Arbeitsplätze anbieten können. Das haben Sie bisher in Ihrer Amtszeit versäumt. Für entsprechende Bemühungen haben Sie bisher keinen Beleg geliefert. Die Zahlen sprechen insgesamt gegen Sie: 2,9 Prozent Wachstum im letzten Vierteljahr sind erreicht worden, ob-
Ernst Schwanhold
wohl Sie Minister sind - obwohl und nicht weil. Das ist die erste Bemerkung.
- Nein, das ist überhaupt keine Polemik, sondern der Hinweis darauf, daß Sie sich mit den Zahlen und den Ergebnissen Ihrer Politik auseinandersetzen sollten und nicht den Versuch unternehmen sollten, Ihre eigene Unfähigkeit dem deutschen Volk als Unfähigkeit der Opposition zu verkaufen.