Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu dieser kurzen Debatte soeben ein kurzer Beitrag von mir: Ich rate zur Vorsicht bei neuen Berufsbildern in der Handwerksordnung. Ich rate aber ebenso zur Vorsicht, den großen Befähigungsnachweis und die Meisterprüfung, obwohl das eine Berufszugangsbeschränkung ist, abschaffen zu wollen, weil das duale Ausbildungssystem ein Wert an sich ist.
Frau Wolf, das kann man nicht damit kritisieren, daß es so etwas in anderen europäischen Ländern nicht gebe. Dort gibt es eben auch nicht die duale Ausbildung, die wirklich ein Vorzug des deutschen berufsbildenden Systems ist.
Ich habe mich gewundert, daß Frau Hermenau nicht die Industriemeister aus ihrer Region und deren spezielle Interessen erwähnt hat. Diese sollten wir allerdings berücksichtigen und ihnen eine Lehrlingsausbildung ermöglichen - wenigstens denjenigen, die schon vor der Wende Industriemeister gewesen sind.
Noch ein paar kurze Bemerkungen zu dem, was hier vorgetragen wurde. Man kann nun beim besten Willen den Bundeswirtschaftsminister und den Haushalt des Ministeriums nicht dafür kritisieren, daß zuviel Subventionen durch dieses Ministerium verteilt werden, und gleichzeitig nach mehr Subventionen in einzelnen Etatposten rufen. Eines geht nur. Mir sind einige der Subventionen wahrlich zuviel, insbesondere - Herr Buwitt hat recht - im Kohlebereich.
Aber die Diskussion darüber und die Kritik daran müssen dann schon in sich stimmig sein.
Ich freue mich darüber, daß die Regulierungsbehörde für die Post beim Bundeswirtschaftsministerium, das dem Wettbewerb verpflichtet ist, angesiedelt wird. Denn daß auch die Deutsche Telekom versuchen wird, ihre Monopolposition aufrechtzuerhalten, liegt völlig in der Natur der Sache. Ich nehme es ihr nicht einmal übel. Aber eine Regulierungsbehörde muß - wie in allen Ländern, die die Post und die Telekommunikation privatisiert haben - auf diesem Gebiet aufpassen und für Wettbewerb sorgen.
Die Konjunkturerholung, so Frau Hermenau, finde nur im Export statt und schaffe keine Arbeitsplätze. - Die jüngsten Zahlen der Internationalen Automobilausstellung und deren Folgen für die Arbeitsmärkte sagen genau das Gegenteil. Ob das ausreicht, um den Trend in der Entwicklung unserer Arbeitslosigkeit umzukehren, weiß ich nicht. Aber die Feststellung, die Sie getroffen haben, ist jedenfalls falsch.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Meine Damen und Herren, es muß ein ganz neues Sommergefühl für die SPD gewesen sein. Die Bühne war besetzt, und Sie saßen im Parkett. Aber haben Sie die Ihnen zugestandene Ruhe eigentlich genutzt?
Immerhin haben sich der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Herr Schröder, und der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine, die Zeit genommen, ihre Männerfreundschaft an der Saarschleife demonstrativ zur Schau zu stellen.
Immerhin hat der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen die Zeit genutzt, eine Sommerreise durch das Land zu unternehmen. Vielerlei populistische Sprüche säumten seinen Weg.
- Wenn Sie schon diese Feststellung kritisieren, verehrte Kollegen, dann will ich Ihnen mit einem Zitat antworten:
Das Problem am Schröderschen Populismus ist, daß er nicht nur moralisch anfechtbar, sondern auch noch taktisch dumm ist.
So ein Mitglied der SPD-Grundwertekommission,
nämlich Herr Johano Strasser in der „Abendzeitung", München. Recht hat er!
Eindeutig besser wäre es gewesen, Herr Schröder und Herr Lafontaine hätten die Stellungnahmen der vielen unabhängigen Institute, Forschungsinstitute und Wissenschaftler gelesen, die Reformen in Deutschland, insbesondere eine große Steuerreform in Deutschland, fordern: der Sachverständigenrat, die Bundesbank, die Forschungsinstitute, OECD, G7 usw.
Der Wirtschaftsexperte der SPD hätte dabei auch erfahren, daß die Reformvorschläge seiner Partei - besser: die Nicht-Reformvorschläge - wenig Unterstützung finden. Ausnahmen bilden - auch das will ich zitieren - das DIW, der Altgenosse - mein früherer Kollege - Herbert Ehrenberg und Professor Hickel von der Universität Bremen. Ansonsten läßt sich weit und breit keine Stimme finden, die die steuerpolitischen Gedanken der SPD mitträgt. Das ist auch kein Wunder. Die SPD hat es in ihrer Spitze nicht geschafft, sich aus der Gedankenwelt der 70er Jahre zu befreien. Sie orientiert sich an den Konzepten des Keynesianismus, an der Nachfragepolitik. Die Entwicklung der Wirtschaftspolitik und die Erfahrungen anderer Länder werden ignoriert.
Es gibt Zeichen dafür, daß einige von Ihnen in der SPD durchaus erkannt haben, was an Reformen notwendig ist. Was der Kollege Jens in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" geschrieben und was Herr Mosdorf bei der Ludwig-Erhard-Stiftung gesagt hat, zeigt dies deutlich. Aber die große sozialistische Volkspartei bietet für wirtschaftlichen Sachverstand kein Forum. Die Spitze der SPD ist stur. Aus Taktik? Oder aus Unwissen? Oder gibt es die SPD inzwischen wirtschafts-, steuer- und sozialpolitisch zweimal? Was war das gestern in Dresden? Gibt es jetzt eine Lafontaine-SPD und eine Schröder-SPD?
Tatsache ist - das hätte die Spitze der SPD in der Sommerpause bei den Sachverständigen nachlesen können -, daß Nachfragepolitik, verehrte Frau Fuchs, heute nicht hilft. Sie hat auch in den 70er Jahren nicht geholfen.
Sie hat nur in höhere Staatsdefizite geführt. Wo soll denn die höhere Massenkaufkraft herkommen? Aus höheren Staatsausgaben mit höheren Steuern?
Das ist der indirekte Weg zu mehr Arbeitslosigkeit. Aus höheren Löhnen zur Steigerung der Massenkaufkraft? Das ist der direkte Weg zu mehr Arbeitslosigkeit.
Die F.D.P. bedauert, genauso wie wir alle - denn das ist ja eine volkswirtschaftliche Größe -, daß die Verbraucherausgaben heute schwach sind.
Aber die Wahrheit ist, daß diese Schwäche nicht durch Mittel der Nachfragepolitik erfolgreich bekämpft werden kann.
Die Schwäche der Nachfrage hat ihre Ursache vor allem in der unakzeptabel hohen Arbeitslosigkeit, den hohen Steuern und Abgaben und den Fehlern der Tarifpolitik.
Nur die Mittel der Angebotspolitik, marktwirtschaftliche Reformen,
Steuersenkungen, Reform der Sozialversicherungssysteme, Privatisierung und Deregulierung ermöglichen mehr Investitionen und weniger Arbeitslose. Das finanzielle Ergebnis einer solchen Politik - wenn sie denn nicht blockiert würde - wäre: erstens mehr Geld für Konsum und Sparen für den einzelnen, zweitens eine geringere Belastung der Sozialversicherungssysteme, insbesondere der Arbeitslosenversicherung, und drittens höhere Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen als Folge höherer Beschäftigungszahlen.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Über die heute in der Presse zu lesenden Gedanken der Schröder-SPD kann man übrigens diskutieren. Nachahmen ist die höchste Form des Lobes. Also beklage ich mich nicht, daß die Schröder-SPD die Bürgergeld-Idee der F.D.P. abgeschrieben hat. Das ist schon in Ordnung.
Die Konzepte der Lafontaine-SPD für die Bundesebene sind hingegen trostlos. Man glaubt, die erodierende Steuerbasis zu verteidigen, indem man die Steuerbelastung erhöht. Doch gerade die hohe Steuerbelastung ist die Ursache der Erosion. Die nahezu konfiskatorischen Steuersätze erfordern das Ventil der vielen Ausnahmen, um den Kessel unter dem Druck der hohen Steuerpflicht nicht zum Platzen zu bringen.
Viele Ausnahmen, Frau Fuchs, die die jetzt so häufig zitierten Millionäre in Anspruch nehmen, sind mit den Stimmen der SPD beschlossen worden.
Hat die SPD etwa gegen die Sonderabschreibung in den neuen Bundesländern gestimmt? - Das ist der Hauptfaktor für die Erosion bei den Steuereinnahmen.
Die Quittung bekommen wir - nicht nur die Koalition, sondern auch die Opposition und die Bundesländer - durch den geringeren Anstieg der Steuereinnahmen als erwartet. Die Steuerschätzung im Mai war herb enttäuschend, und auch die im November wird vermutlich keinen Hoffnungsschimmer bieten. Wir sind an einem Punkt, an dem wir die Steuerschraube nicht weiter anziehen können.
Die Steuerergiebigkeit sinkt ständig. Der Bürger lebt nach der Devise: Rette sich, wer kann! Es gibt zur Angebotspolitik keine vernünftige Alternative. Unvernünftige Alternativen gibt es natürlich zu allem und jedem.
Die Senkung der Steuersätze beim Abbau der zahlreichen steuerlichen Ausnahmen wird zu mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen führen. Entgegen vielen Behauptungen hat der Grundsatz der Laffer-Kurve in den USA, aber auch in Westdeutschland, in den 80er Jahren doch funktioniert. Angebotsorientierte Steuerpolitik ist die einzige Lösung, um mehr Investitionen, mehr Beschäftigung und mehr Steuern auf Dauer zu sichern. Wer statt dessen, wie die SPD, die Steuersätze nicht senken, aber die Ausnahmen abschaffen will, treibt Exportförderung für Arbeitsplätze, Umverteilung statt Effizienz.
Das ist der eine Unterschied zwischen Ihnen und
uns. Der andere ist: Die SPD will das Geld soweit wie
möglich beim Staat behalten. Wir wollen es soweit wie möglich in den Taschen unserer Bürger lassen.
Eine Steuer- und Abgabenquote von fast 50 Prozent konfisziert ein Stück Freiheit der Menschen in unserem Lande.
Völlig verblüfft kann man nur auf die Vorschläge von Herrn Lafontaine zur Einführung eines Mindeststeuersatzes von 20 bis 25 Prozent reagieren. Will er damit eine Kopfsteuer einführen? Das hat Margaret Thatcher in Großbritannien 1989 mit der Poll Tax versucht. Sie mußte sie nach heftigen Protesten zurückziehen. Tritt Herr Lafontaine dort in die Fußstapfen von Frau Thatcher, wo sie in die Irre ging? Die Koalition will den Grundfreibetrag auf etwas über 13 000 DM pro Person anheben. Der Eingangssteuersatz soll dann 15 Prozent betragen. Bedeutet der Vorschlag Oskar Lafontaines, daß er statt dessen - ohne Berücksichtigung des Existenzminimums - dem Bürger ein Viertel aus der Tasche ziehen will? Was macht er mit Familien mit Kindern? Was macht er mit dem selbständigen Einzelhändler, der in diesem Jahr froh ist, plus/minus Null über die Runden zu kommen? Was macht er mit dem Arzt in den neuen Bundesländern, der für den Kauf seiner Praxis die steuerlichen Möglichkeiten in Anspruch genommen hat? Das sind Fragen, die Sie freundlicherweise einmal beantworten müssen.
Was sagt dazu eigentlich Gerhard Schröder, Ihr Wirtschaftsexperte?
Ich höre eine Menge kesser Sprüche, auch gestern in Dresden.
- Ich kann ja lesen, lieber Herr Schwanhold. - Wieweit steht die SPD dahinter? Warum fordert die Schröder-SPD eine Senkung der Unternehmenssteuern, die die Lafontaine-SPD ablehnt?
Warum berühmt sich Herr Schröder, er habe die Vermögensteuer abgeschafft, während Oskar Lafontaine diesen Vorgang eine unsoziale Bereicherung von Millionären schimpft?
Wenn man sieht, wie flink die SPD ihre Positionen zum Thema Bürgerrechte im Spannungsfeld der
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Ausländerkriminalität räumt, wird man den Genossen keine mangelnde Flexibilität vorwerfen können. Herr Schröder hat vorgeschlagen, die Strafmündigkeit mit zwölf Jahren beginnen zu lassen, ist es dann noch verwunderlich, daß man den Namen Haider in diesem Zusammenhang erwähnt? Gibt es in der Rechtsstaatpartei SPD überhaupt niemanden, der offen dagegen aufsteht? - Niemanden?
Meine Damen und Herren, zum Thema Ausbildungsplatzabgabe mit den sehr verschiedenen Positionen brauche ich hier nichts mehr auszuführen. Das Doppelspiel, das der staunenden Öffentlichkeit vorgeführt wird, ist nicht glaubwürdig. Oskar mit der roten Ballonmütze und dem schwarzen DouglasHemd, Gerhard im wirtschaftsnahen Nadelstreifen - das ist das Bild, das die SPD zur Zeit bietet.
Was ist denn nun die Position des Herrn Schröder in der Steuerpolitik? Wie verhielt sich denn das Land Niedersachsen im Bundesrat? Ist mein Eindruck richtig, daß Herr Schröder in der Sommerpause in Sachen Steuern wie ein Hase mit angelegten Löffeln in der Ackerfurche gelegen hat, um den Wind aus Saarbrücken über sich hinwegwehen zu lassen?
Was denkt denn der Notar Voscherau, wenn er den privaten Spitzensteuersatz beibehalten will? Weiß er nicht, daß der private Spitzensteuersatz auch für Freiberufler gilt? Weiß er nicht, daß in einem Notariat - auch in seinem - Arbeitsplätze geschaffen werden? Was soll eigentlich die Feindseligkeit der SPD gegen Freiberufler und Selbständige?
Es ist unsere feste Überzeugung, daß durch die Blockadehaltung der SPD im Bundesrat niemand gewinnt, auch nicht die SPD. Auch auf sie schlägt der Unmut der Bürger zurück. Wir sind erstarrt in Taktik vor der nächsten Wahl. Nicht gewinnen werden Bund und Länder, deren Wirtschaft auf die nächste Konjunktur hofft. Nicht gewinnen können die Arbeitslosen. Ihre. Hoffnung auf neue Arbeitsplätze durch mehr Wachstum und mehr Investition wird enttäuscht.
Wir sollten versuchen, in der zweiten Runde des Vermittlungsausschusses zur Steuerreform zu Lösungen zu kommen, die den Bürger überzeugen. Herr Schröder kann dann im Vermittlungsausschuß zeigen, ob seine gestrigen Reden Schall und Rauch waren oder ob sie ernst gemeint sind.
Meine Damen und Herren, ich würde mir gerne noch die Zeit nehmen, Ihnen einiges zu sagen; aber ich habe sie nicht. Ich habe die SPD-Positionen seit 1949 verfolgt.
Neid und Blockade haben in keiner Situation Ihrer Partei jemals zum Erfolg geführt. Als Herbert Wehner 1982 sagte - Herr Scharping, Sie sitzen auf dem Stuhl eines bedeutenden Vorgängers; er war höchst umstritten, aber ein bedeutender Mann war er -, es dauere 15 Jahre, hat er damit nicht gemeint, daß Sie 15 Jahre verschlafen sollten, sondern daß Sie die Erneuerung vornehmen sollten, die er seinerzeit der SPD verordnet hat.
Nichts davon ist zu sehen, gar nichts.
Aber zur Zeit machen wir doch mit dem Stillstand, den wir uns leisten, allesamt den Wahlkampf für die fast größte Partei: für die Nichtwähler.
Herr Waigel hat ja recht - und ich danke ihm, daß er meine Bemerkung in der „Süddeutschen Zeitung" aufgenommen hat -, daß unsere Institutionen Ihnen das Recht geben zu blockieren. Aber ob das politisch auf Dauer für unser Gemeinwesen erträglich ist, das bleibt eine ganz große Frage. Ich glaube, daß hier Änderungen notwendig sind.
Alle demokratischen Parteien sollten ihr Interesse an der demokratischen Legitimation haben. Reformen für Deutschland statt Taktik im vermeintlichen Interesse einer Partei - das sollte unsere Devise sein.
Wenn wir uns dazu aufraffen könnten, dann könnten wir wenigstens in einen Wahlkampf gehen, in dem sich die Auseinandersetzung lohnt und in dem wir unsere Positionen darstellen können.
So wie es hier in diesen Tagen gelaufen ist, wird es die Bürger im Lande nicht überzeugen. Wir werden Mühe haben, sie dazu zu bringen, überhaupt ihre Stimme abzugeben.