Rede von
Eckart
Kuhlwein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist auch in diesem Jahr schwer, das Zahlenwerk des Einzelplans 16 im Plenum des Deutschen Bundestages ausreichend zu würdigen. Das werden wir in der zweiten Lesung machen müssen. Dann werde ich auch klarstellen, mit welchen Zahlentricks Frau Merkel und Herr Kriedner hier heute operiert haben. Aber dazu bedürfte es gründlicherer Auseinandersetzung.
Ich sage nur: Frau Merkel hat neue Aufgaben im Umfang von 10 Millionen DM vom Innenministerium herübergeschoben bekommen, ohne daß Theo Waigel ihr dafür auch nur einen Pfennig mehr gegeben hätte. Wenn man den Stammhaushalt nimmt, dann kommt man zu einer Reduktion von 2,6 Prozent und nicht von 1,2 Prozent, wie sie behauptet hat. Aber das ist alles etwas schwierig in dieser großen Runde im Detail zu vermitteln.
Herr Kollege Kriedner, zu dem, was Sie über die Kernenergieforschungsausgaben gesagt haben: Wir haben es noch einmal nachgesehen. Es trifft nicht ganz zu; mindestens 1,3 Milliarden DM sind für Kernenergieforschung außerhalb des refinanzierten Bereichs des Haushalts des BMU im Bundeshaushalt enthalten. Frau Kollegin Matthäus-Maier mag sich um 100 Millionen DM geirrt haben, aber die Tendenz der Aussage, daß dafür viel mehr ausgegeben wird als für die Bereiche der Erforschung regenerativer Energien, bleibt bestehen, wenn man den Haushalt genau ansieht.
Ich will feststellen, daß in diesem Haushaltseinzelplan wirklich wenig drinsteht und daß sich hinter den immer schlanker werdenden Zahlen - das gilt leider auch für die wenigen innovativen Ansätze wie etwa die Pilotprojekte zur Förderung zukunftsfähiger Umweltschutzinvestitionen; Herr Kriedner, da ist der Schwerpunkt erheblich leichter gemacht worden - eine Ministerin versteckt, die als PR-Agentin das Surfen im Internet der bedeutsamen Konferenzen als Politik ausgibt. Frau Merkel, virtuell sind Sie wirklich prima. In der realen Politik versagen Sie regelmäßig.
Der Umweltschutz gehört seit Jahren zu den großen Verlierern der Politik der Bundesrepublik. Nun
Eckart Kuhlwein
war Frau Merkel noch nicht dabei, als der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung eine „geistig-moralische Erneuerung" versprochen hat.
Sie kann dafür nicht in Anspruch genommen werden. Aber jetzt gehört sie seit mehr als sechs Jahren einer Regierung an, die geistig verarmt, deren Moral brüchig ist und die politisch ins Rückwärts marschiert.
Die Konzentration der Kräfte zur Machterhaltung übersteigt bei weitem die offene konzeptionelle Pionierarbeit, von geistiger Führung zu schweigen.
Das hat Richard von Weizsäcker der Regierung dieser Tage ins Stammbuch geschrieben. Frau Merkel ist mitverantwortlich für Stagnation, Finanzchaos und die tiefe Krise unserer Gesellschaft. Sie hätte auch ohne großen Etat ein Schlüsselressort im Kabinett, wenn sie sich als Motor für das Umsteuern der Politik in Richtung nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung verstehen würde. So ist vieles, was sie sagt, ein Feigenblatt für das „Weiter so" von Helmut Kohl und das meiste, was sie wirklich tut, eine Bestätigung der betonierten Strukturen im Jahr 15 Kohlscher Zeitrechnung. Insofern ist sie eine würdige Nachfolgerin von Herrn Töpfer, der eben auch auf der Regierungsbank Platz genommen hat.
Nur das Marketing ist immer noch ganz gut, auch wenn die Verpackungsministerin dabei schon gelegentlich zu Mogelpackungen greifen muß.
Da gibt es ein Poster aus dem Bundesumweltministerium. - Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, Regierungspropagandamaterial hier im Hohen Haus zu zeigen. - Mit diesem Poster soll der Klimaschutz in den Kommunen angeschoben werden. Das ist ein Bestandteil des auf dem Erdgipfel von Rio verabredeten Agenda-21-Prozesses. Obwohl Bonn für diesen Prozeß noch immer keine Anlaufstelle hat, ermuntert das Ministerium sozusagen postermäßig schon einmal die Gemeinden, in diesem Bereich aktiv zu werden, was sie eigentlich bis 1996 schon hätten tun sollen. Nun gut: Beim Klimaschutz, den viele Gemeinden auch ohne Frau Merkel längst entdeckt haben, muß auf jeden Fall etwas getan werden, selbst wenn es spät, vielleicht schon zu spät sein sollte.
Frau Merkel, es ist schon ein Ausdruck von Chuzpe, angesichts der katastrophalen Finanzlage der meisten Gemeinden „bundesweise" Ratschläge für Klimaschutzinvestitionen zu geben. Ich habe an vielen Veranstaltungen zum Thema „Lokale Agenda 21" teilgenommen. Die Bereitschaft, sich für eine nachhaltige Entwicklung zu engagieren, wächst. Aber nicht alle möglichen Maßnahmen sind ohne Geld zu haben. Die Rahmenbedingungen, mit denen der Bund - genauer: die von Frau Merkel mitverantwortete Politik der Bundesregierung - in die Selbstverwaltung der Gemeinden hineinfunkt, sind für den lokalen Klimaschutz nicht gerade förderlich: steigende Sozialhilfeausgaben wegen einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik, Widerstand gegen eine ökologische Steuerreform, Reduzierung der Förderprogramme und nicht zuletzt ein drohendes Energiewirtschaftsrecht, das die Konzessionsabgabe in Frage stellt und manchen Stadtwerken den Garaus machen könnte.
Die von Ihnen, Frau Merkel, mitverantwortete öffentliche Armut blockiert gerade auch in den Kommunen Umdenken und Umbau.
Sie empfehlen auf diesem Poster Fernwärme und Kraft-Wärme-Koppelung. Seit 1995 gibt es dafür aus dem Bundeshaushalt keinen Pfennig mehr.