Rede von
Dr.
Liesel
Hartenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Ihr gutes Recht, Frau Minister Merkel, bei Einbringung des neuen Haushalts eine Art Erfolgsbilanz vorzulegen.
Aber abgesehen davon, daß die vielgerühmte Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland so glänzend nicht ist, wie der Bundeskanzler es auf internationalen Konferenzen ständig darstellt
und wie Sie es auch hier wieder angesprochen haben, abgesehen davon, daß die vermeintlichen, gesetzgeberischen Großtaten des letzten Jahres - Beispiel Bundesnaturschutzgesetz, Beispiel Bodenschutzgesetz - zumindest in unseren Augen leider keine sind, muß doch die Frage gestellt werden: Reicht das alles aus? Ist es erlaubt, Frau Minister
Merkel, gleichzeitig mit leichtem Schritt über die eigentlichen Zukunftsfragen hinwegzuhuschen? Wir meinen: Nein.
Der große Imperativ von Rio lautet: Nachhaltigkeit. Dies muß das Ziel allen Wirtschaftens in der Zukunft sein, wenn die Menschheit überleben will. Sie haben, Frau Minister Merkel, vor diesem Imperativ pflichtgemäß Ihre Verbeugung gemacht und natürlich auch auf den entsprechenden Bericht Ihres Hauses hingewiesen. So weit, so gut. In Ihren Darlegungen sind Sie, meine ich, aber gar nicht zum Kernpunkt dessen vorgedrungen, was hier eigentlich diskutiert werden müßte. Das Zukunftskonzept einer umweltgerechten, nachhaltigen Entwicklung für unser Land ist - jedenfalls habe ich es so verstanden - noch nicht einmal in Umrissen in Erscheinung getreten. Aber das müßte doch unser gemeinsames großes Thema sein.
Die Beschlüsse von Rio sind - darüber sind wir uns, glaube ich, einig - eine Chance für einen globalen und nationalen Reformprozeß, eine Chance nicht nur für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch für die Bekämpfung der Armut weltweit, für technischen Fortschritt und für neue Arbeitsplätze.
Die SPD-Fraktion - lassen Sie mich daran erinnern - hat ihre Konzepte und Programme dafür längst auf den Tisch gelegt. Lassen Sie uns doch über diese debattieren, wenn Sie schon kein eigenes Konzept auf die Beine stellen.
Schon in den vergangenen Jahren hat die Umweltindustrie zu den Branchen gehört, die trotz Krise erhebliche Arbeitsplatzzuwächse zu verzeichnen haben. Heute arbeiten in unserem Land fast 3 Prozent aller Beschäftigten in diesem Bereich. Schon das allein müßte uns doch aufrütteln und die Phantasie beflügeln.
Kein Zweifel aus unserer Sicht: Wir müssen diese Chancen ergreifen. Wir müssen national beginnen, und wir müssen jetzt beginnen. Jedes Jahr der Untätigkeit ist ein verlorenes Jahr für den ökologischen und sozialen Strukturwandel. Es vergrößert nur die Hypotheken für die zukünftigen Generationen.
Der erste Schritt muß sein: die Integration der ökologischen Erfordernisse in die anderen Politikbereiche, also in die Energiepolitik, die Wirtschafts- und die Verkehrspolitik, die Agrar- und die Forschungspolitik. Hier läßt die Bundesregierung unbegreiflicherweise ein großes Vakuum entstehen - und dies, obwohl die Integrationsförderung auch im Maastricht-Vertrag und im Fünften Umweltaktionsprogramm der Europäischen Union steht. Hier ließe sich, Frau Minister Merkel, wirklich eine neue Vorreiter-
Dr. Liesel Hartenstein
rolle gewinnen. Die alte gehört eigentlich nur noch zu den gut gepflegten Illusionen.
Was ist zu tun? Nehmen wir das Beispiel Mobilität. Wie es da aussieht, haben wir in der Verkehrsdebatte soeben verfolgen können. Sie haben das neue KfzSteuer-Gesetz angesprochen. Sie haben gesagt: Das Auto-Recycling ist im Kommen; warten wir mal ab. Die Industrie hat versprochen, den Benzinverbrauch um 25 Prozent zu verringern. Gut und schön. Natürlich ist keine dieser Maßnahmen für sich genommen überflüssig oder falsch. Aber mit der Forderung nach einem nachhaltigen, umweltschonenden, zukunftsfähigen Verkehrssystem hat dies alles noch herzlich wenig zu tun. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch in die Moderne - nicht nur im Verkehrsbereich, aber auch im Verkehrsbereich.
Modern im Sinne des 21. Jahrhunderts wäre es, wenn der Schwerlastverkehr endlich von der Straße auf die Schiene verlagert würde - immer wieder versprochen, nicht realisiert -,
wenn zügig eine Kette von Güterumschlagsterminals gebaut würde und dafür vorrangig die nötigen Gelder bereitgestellt würden - immer wieder versprochen, nicht realisiert -,
wenn man sich darauf konzentrieren würde, mit einem europäischen Schnellbahnnetz die Hauptstädte und die großen Wirtschaftszentren so schnell wie möglich miteinander zu verbinden,
wenn wir endlich aufhören würden, die Landschaft durch weitere Betontrassen zu zerschneiden, und wenn nicht zuletzt jeder Verkehrsträger endlich mit den Kosten belastet würde, die er tatsächlich verursacht.
Aber davon sind wir noch weit entfernt. Geschähe dies, dann wäre es nämlich höchst unwirtschaftlich, den berühmten Erdbeerjoghurt mit allen seinen Zutaten, samt Verpackung und Deckel, im Schnitt 8000 Kilometer weit zu transportieren, bevor er beim Verbraucher ankommt - wahrlich ein abstruses System, das wir uns da leisten.
Würden die klimaschädlichen Emissionen, die Landschaftszerstörung durch Straßenbau, der Artenverlust, die Lärmschäden auf den Preis aufgeschlagen, dann wären solche Transportorgien ökonomisch überhaupt nicht mehr interessant.
Unser Fazit lautet: Das ökologisch Schädliche muß teurer, das ökologisch Verträgliche muß dagegen billiger, also auch ökonomisch vorteilhafter werden. Im Klartext heißt das: Umweltverschmutzung darf sich nicht mehr rechnen. Dazu brauchen wir eine ökologische Steuerreform.
Erst wenn wir so weit sind, daß Verstöße gegen das Nachhaltigkeitsprinzip gleichzeitig auch wirtschaftliche Nachteile bringen, ist der Durchbruch geschafft, erst dann.
Ich habe von einem Aufbruch in die Moderne gesprochen. Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Innovationsoffensive zur Ökologisierung von Produkten und Verfahren.
Modern und zukunftsweisend sind Produktionsformen, die die gleiche Leistung mit weniger Ressourcenverbrauch erbringen. Wenn zum Beispiel die gleiche Menge Papier mit nur einem Drittel des bisher benötigten Frischwassers hergestellt werden kann und damit auch das Abwasseraufkommen vermindert wird, dann ist dies ein echter Fortschritt. Modern ist ebenso, wenn sich Bauweisen durchsetzen, die nur noch 50 bis 60 Prozent der üblichen Heizenergie brauchen,
oder Haushaltsgeräte, die mit einem Viertel des bisherigen Stromverbrauchs auskommen. Die Beispiele ließen sich vervielfachen.
Ressourcenproduktivität und Energieproduktivität lassen sich erheblich steigern; das ist heute unbestritten. Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" hat dafür eine Fülle vorzüglicher Angebote geliefert. Warum lassen Sie dieses Kapital brachliegen?
Meine Damen und Herren, fortschrittliche Umweltpolitik und Innovationsfreudigkeit gehen Hand in Hand. Das hat sich auch schon in der Vergangenheit gezeigt. Aber die Politik hat die Vorgaben zu liefern und hat die Ziele abzustecken. Deswegen meine Forderung nach einem zweiten notwendigen Schritt: Heute gilt es, die Rahmenbedingungen neu zu setzen. Die Bausteine für die ökologische Modernisierung liegen praktisch auf der Straße. Aber die Bundesregierung ist entweder nicht fähig oder nicht willens
- vermutlich beides -, sie aufzunehmen und daraus einen neuen Ordnungsrahmen zu zimmern.
Dr. Liesel Hartenstein
Ökologische Modernisierung ist dringend geboten. Aber wir wissen alle - lassen Sie mich das hinzufügen -, daß es nicht um eine schockartige Kehrtwende gehen kann. Vielmehr ist ein behutsamer, schrittweiser, dennoch zielgerichteter und konsequenter Umbau nötig, flankiert von Forschungsanstrengungen und einem Anreizsystem, das die technische und ökonomische Kreativität in eine neue Richtung lockt.
Meine Damen und Herren, alles hängt von der Beantwortung der Frage ab: Wohin wollen wir? Genau hier zeichnet sich die Bundesregierung durch eine erschreckende Sprachlosigkeit aus, oder zumindest herrscht völlige Uneinigkeit innerhalb der Ressorts. Die Minister Rexrodt, Wissmann und Borchert wollen mit Sicherheit etwas anderes als die Umweltministerin, stelle ich mir vor.
Deshalb müssen zum Beispiel Fragen wie folgende gestellt werden: Wo bleibt der Einspruch der Umweltministerin gegen das Energiewirtschaftsgesetz der Bundesregierung, das dem Klimaschutz brutal in den Rücken fällt?
Was hat Frau Merkel unternommen - Sie sagen vielleicht: olle Kamellen -, als die Deutsche Post AG in einem Hauruckverfahren 33 Frachtpostzentren ohne jede Anbindung an die Schiene auf die grüne Wiese gesetzt hat? Da hätte es durchaus noch Einflußmöglichkeiten gegeben.
Meine dritte und letzte Forderung: Es ist unerläßlich, Umweltziele festzulegen, das heißt, verbindlich und deutlich festzulegen, was wir wollen, zum Beispiel in einem nationalen Umweltplan, den andere Länder längst haben: etwa eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien in einem bestimmten Zeitraum, die Erhöhung der Stoffproduktivität, eine Rückführung des Flächenverbrauchs usw. Damit würde der technische Erfindergeist herausgefordert und zu neuen ökologisch sinnvollen Entwicklungen veranlaßt. Aber: Wer das Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht finden. Das ist eine alte Erfahrung.
Mein dringender Appell: Schlagen Sie endlich einen Pflock ein, der das Ziel markiert. Dann werden sich viele Akteure bereitfinden mitzumarschieren, nicht zuletzt die Städte und Gemeinden; denn Hunderte von Kommunen haben bereits aus eigenen Kräften begonnen, die Lokale Agenda 21 umzusetzen. Sie brauchen Hilfe, sie könnten Motor des ökologischen Umbaus werden.
Warum verbinden Sie sich nicht mit den Kommunen? Ich möchte Sie dazu auffordern, -