Rede von
Gisela
Altmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissmann, bei dem, was ich zur Verteidigung Ihres Haushalts gerade gehört habe, hatte ich den Eindruck, daß Sie eine dunkelrosarote Brille aufgehabt haben müssen; denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser Haushalt als ganz banaler Trick, als eine einzige Vernebelungsstrategie. Er ist durch und durch unsolide finanziert. Das Image vom erfolgreichen Verkehrsminister erkaufen Sie sich mit einer Politik der verbrannten Erde, um sich noch gerade bis zur Wahl durchzuhangeln.
Ihren gepriesenen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erkaufen Sie sich mit neuen Schuldenbergen. Da sind zunächst die Altschulden aus dem Bundeseisenbahnvermögen mit 77 Milliarden DM. Mit 2,8 Milliarden DM wollen Sie 1998 diese Altschulden tilgen. Entgegen Ihren vollmundigen Versprechungen setzen Sie diese Tilgung jetzt aber schlicht und einfach aus und verfrühstücken sie, um vor der Betonlobby als Strahlemann dazustehen. Allein diese Verschiebung um drei Jahre bedeutet 1 Milliarde DM zusätzlicher Zinsen.
Zweiter Punkt ist die DB AG. Von einst 10 Milliarden DM werden die Investitionen auf nur noch 6,7 Milliarden DM gekürzt. Die letzte Kürzung um eine halbe Milliarde DM begründen Sie mit der Umstellung von der bisherigen Darlehenspraxis auf Baukostenzuschüsse und tun so, als ob die DB AG nun 500 Millionen DM Eigenmittel mehr einsetzen könnte. Das stimmt aber nicht. Nach Aussage Ihres eigenen Hauses bringt das nämlich nur 180 Millionen DM. Das bedeutet, daß die Bahn zusehen muß, wo sie die fehlenden 320 Millionen DM herbekommt - voraussichtlich durch Schuldenmachen.
Wirklich dick kommt es dann aber bei Ihrem Lieblingsspielzeug, dem Transrapid. Nachdem die Seifenblase von der Wirtschaftlichkeit geplatzt ist und die Industrie das gerade noch rechtzeitig gemerkt hat, haben Sie nun alle Risiken der Bahn aufs Auge gedrückt; denn sie hat ja keine Wahl, sie hängt ja am Tropf des Verkehrsministers. Wissen Sie, wie ich das nenne? - Unzucht mit Abhängigen.
Allein die fällig werdenden Ersatzinvestitionen summieren sich bis 2035 auf 16 Milliarden DM. Hinzu kommen voraussichtlich Betriebsverluste von zirka 5 Milliarden DM. Die Bahnreform fahren Sie damit vollends gegen die Wand. Für das „Unternehmen Zukunft" ist dieselbe beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat - bei jetzt schon über 20 Milliarden DM neuen Schulden.
Durch Ihre Politik, Herr Wissmann, wird die Bahn im nächsten Jahrtausend schlicht pleite sein. Die Zeche bezahlen die Enkel. Trotz chronischen Geldmangels und sinkender Steuereinnahmen halten Sie mit Hinweis auf goldende Zeiten weiter an Großprojek-
Gila Altmann
ten fest. Die Highlights, derer Sie sich brüsten, verblassen aber bei näherem Hinsehen zur müden Funzel.
Da sind zum Beispiel die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Nehmen wir einmal Nummer 1, die Schienenverbindung Lübeck-Stralsund: Diese wird der A 20 geopfert und auf den Sankt-NimmerleinsTag weit ins nächste Jahrtausend verschoben. Da muß die Bahnstrecke Uelzen-Salzwedel-Stendal dran glauben, weil Sie den Transrapid nicht gefährden wollen. Zu der Ankündigung, daß alle diese Projekte vor der Jahrtausendwende fertig sein sollten, sagen Sie aber nichts. Da hat dann der politische Alzheimer wieder zugeschlagen.
Da werden Milliarden für überteuerte Hochgeschwindigkeitsstrecken wie die ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt verpulvert, die selbst bei der DB AG umstritten ist. Obwohl zirka. 90 Prozent der Fahrgäste im Nahverkehr unterwegs sind, werden dort die Milliarden verbuddelt. An anderer Stelle fehlen sie dann dringend. Für die Modernisierung von Nebenstrekken ist kein Geld da; und für die Förderung dezentraler Umschlagsysteme wie Kombiverkehr - das haben Sie vorhin ja ausgeführt - gibt es höchstens einen Leertitel.
An Ihren Flußausbauplänen halten Sie trotz des Oder-Hochwassers unverdrossen fest - nach dem Motto: Augen zu und durch! Allein 4 Milliarden DM sollen im Projekt 17 unter anderem in Spree und Havel versenkt werden. Einen Zusammenhang zwischen Hochwasser und Flußausbauten gibt es nach Ansicht des Bundesverkehrsministeriums nicht. Wenn sich schon beim Bundeskanzler die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß Flüsse ihren Raum brauchen, dann sollte er seinen Kanalarbeiter Wissmann davon überzeugen, daß er endlich seine Finger aus dem öffentlichen Portemonnaie nimmt.
Ihre Straßenbauplanung ist noch abstruser: Gigantismus anstelle eines sinnvollen Einsatzes der knappen Mittel! Über die A 20 haben wir schon gesprochen. Dazu kommen dann die Thüringer Waldautobahn, die A 38, der privat vorfinanzierte Wahnwitz der A 60 - die Liste ließe sich beliebig verlängern. Alle diese Projekte sind bei einem gezielten Bundesstraßenausbau verzichtbar. Aber es werden Mittel verpulvert und so dringend notwendige Investitionen in den Sand gesetzt. Wissen Sie, Herr Wissmann, woran mich das erinnert? - An Suchtverhalten. Wenn den „Betonjunkies" nämlich das Geld ausgeht, gleiten sie in die Beschaffungskriminalität ab.
Das nennt sich dann private Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen.
Diese Form von haushaltspolitischer Wegelagerei hat der Bundesrechnungshof bereits als unwirtschaftlich disqualifiziert. Denn bislang verschweigen Sie, wem Sie eigentlich in die Taschen greifen: zum einen den Ländern, denn künftige Straßenbauzuweisungen werden beschnitten, und zum anderen den Bürgern über Mautgebühren. Mit dem Betreibermodell, das Sie kreiert haben, wird die Verkehrsplanung zu einem Wirtschaftsfaktor, der darauf ausgelegt ist, Gewinne zu erwirtschaften. Das heißt: noch mehr Verkehr auf die Straßen - Konzepte zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung ade! Die können wir ad acta legen.
Diese Politik geht an den wirklichen Notwendigkeiten vorbei. Investitionen alleine schützen vor Torheit nicht. Sie müssen auch richtig eingesetzt werden, zum Beispiel im öffentlichen Personennahverkehr oder im kombinierten Güterverkehr. Darin liegen die wirklichen Potentiale für mehr Arbeitsplätze. Man muß eben auch den Mut haben, umzusteuern und Innovationsanreize zum Beispiel durch die Einführung der Ökosteuer zu schaffen.
Da Herr Waigel sich heute morgen über den Produktionszuwachs von 15 Prozent bei der Automobilindustrie ausgelassen hat, sollte er auch die Frage beantworten, warum gerade die Automobilindustrie bis zum Jahr 2000 noch einmal 100 000 Arbeitsplätze abbauen will. Die schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer würde nicht nur der Bahn nützen, sondern auch die Automobilindustrie endlich auf Trab bringen, neue Konzepte und echte Sparmodelle zu entwickeln.