Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hasselfeldt, Sie sollten nicht an uns appellieren, sondern Sie sollten der SPD endlich ein in der Koalition abgestimmtes, realistisches, finanzpolitisch seriöses, sozial ausgewogenes Konzept als Grundlage für Gespräche vorlegen.
Sie sollten nicht jeden Tag Interviews geben, in denen der eine dieses und der andere jenes sagt, der eine von Aufkommensneutralität in 1998 spricht und die F.D.P. wieder davon, daß man bei 30 Milliarden DM Nettoentlastung bleibt. Bringen Sie einmal Ordnung in Ihren Hühnerhaufen, machen Sie ein vernünftiges Angebot, und dann können Sie mit uns ein vernünftiges Gespräch führen.
Es wird langsam lächerlich, weil Sie sich selbst in der Koalition blockieren. Sie schieben sozusagen der SPD wie früher in dem Lied von Rudi Carrell alles in die Schuhe, einschließlich des Ausbleibens der Sonne. Lächerlich ist doch die Behauptung, daß für die derzeitigen Haushaltsprobleme des Bundes die SPD verantwortlich sein soll - das ist auch in Kommentaren zu finden -, weil sie den Steuerreformplänen der Bundesregierung nicht zugestimmt hat. Dabei geht es um eine Steuerreformvorlage, die die Koalition am 22. April dieses Jahres beschlossen hat.
Wer hat denn die Erosion der Besteuerungsgrundlagen, das jetzt auch in Koalitionskreisen ein modisches Wort geworden ist, also die Aushöhlung, zu verantworten? Sie doch mit Ihrer Steuerpolitik, die Sie über Jahre betrieben haben.
Wesentlich in der Amtszeit dieses Bundesfinanzministers ist das deutsche Steuerrecht verwüstet worden. Jetzt beklagen Sie sich darüber. Das ist doch
Joachim Poß
wirklich wie mit dem Westerwelle-Plakat „Steuerland ist abgebrannt", wo man feststellen muß, daß die Brandstifter nach der Feuerwehr rufen. Das ist Ihre Politik nach dem Motto: Haltet den Dieb!
Das können Sie mit uns nicht machen. Das ist auch intellektuell eine Zumutung, die Sie jeden Tag auf die Öffentlichkeit loslassen.
Daß wir eine Erosion haben und damit den Einbruch bei den Steuereinnahmen, ist zum einen auf die Verwüstung des deutschen Steuerrechts durch Sie zurückzuführen, zum anderen auf die massiven Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen und Privaten im EU-Bereich und im internationalen Rahmen. Über die erwähnten Anstrengungen, die Sie unternommen haben, Herr Bundesfinanzminister, kann ich wirklich nur kichern. Die Anstrengungen waren vor zwei beziehungsweise anderthalb Jahren so weit gediehen, daß Sie im Frühjahr dieses Jahres endlich die persönlichen Beauftragten eingesetzt haben. Sie haben dieses Problem jahrelang negiert, nicht zur Kenntnis nehmen wollen und werden jetzt von diesem Untätigsein eingeholt.
Die heutigen Haushaltsprobleme des Bundes mit der noch nicht verabschiedeten und für 1999 vorgesehenen Steuerreform der Koalitionsregierung zu begründen zeigt ein unvorstellbares Maß an Ignoranz und widerspricht allen Fakten und Zahlen. Wenn der Bundesfinanzminister heute für eine gescheiterte Steuer- und Finanzpolitik steht, so darf wirklich nicht übersehen werden, daß es sich tatsächlich um die gescheiterte Steuer- und Finanzpolitik der Regierung Kohl insgesamt handelt und natürlich auch Herr Waigel versagt hat. Aber die Fehler von Herrn Waigel sind die Fehler der Regierungskoalition,
die Fehler von Herrn Kohl, der im Moment nicht anwesend ist, die Fehler von Herrn Schäuble, die Fehler von Herrn Solms, die Architekten dieser gescheiterten Politik, die nicht in gleichem Maße wie der Bundesfinanzminister verantwortlich gemacht werden.
Wenn dann Frau Hasselfeldt die SPD spalten will, ist ihr entgegenzuhalten: Herr Schleußer ist ein vernünftiger Mann. Er hat letzte Woche im Landtag gesagt, daß Ihre Pläne maßlos und unverantwortlich sind, weil sie die Länderhaushalte ruinieren würden. Es gibt keinen Unterschied in der finanzpolitischen Auffassung zwischen SPD-Bundestagsfraktion und den SPD-Länderfinanzministern.
Sie finden die SPD gänzlich geschlossen vor. Das ist das, was Sie so irritiert. Das verstehe ich auch.
Sie hatten zunächst eine Finanzierungslücke von 57 Milliarden DM; jetzt sind Sie bei 45 Milliarden DM. Ich will Ihnen einmal sagen, worum es dabei eigentlich geht. Bei Ihrem Steuerpaket handelt es sich um eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung.
Sie machen aus der Finanzierung sozusagen ein Staatsgeheimnis, und die Herren Schäuble und Waigel wissen das auch ganz genau. Andere mögen die Zusammenhänge nicht immer erkennen.
Ihnen will ich nicht von vornherein immer böse Absicht unterstellen, wenn Sie von diesen Plänen noch immer nicht abrücken wollen. Damit meine ich nicht nur Menschen, die diesem Hause angehören, sondern auch manche aus der Wirtschaft oder in den Medien, die das Geschehen kommentieren.
Es ist ganz klar, daß die Realisierung dieser Steuerpläne den Ruin der Länderhaushalte bedeuten würde und für die Kommunen nicht mehr zu verkraften wäre. Es ist schon so: Die Union hat sich in die strategische Falle begeben. Die Union hat sich von der F.D.P. durch deren ständiges Gesäusel einer Nettoentlastung von 30 Milliarden DM im Jahr tief in den dunklen Wald der unfinanzierbaren Steuergeschenke locken lassen
und beschwert sich jetzt lautstark, daß die SPD nicht bereit ist, der Koalition mit Finanzierungsvorschlägen für diese einseitigen Steuergeschenke den Weg zurück ins Licht zu weisen.
Wie absurd diese Vorstellungen sind, sehen Sie allein daran, daß Sie auf der einen Seite 30 Milliarden DM Nettoentlastung wollen, sich aber auf der anderen Seite bis heute nicht darüber einigen können, wie die Rückführung des Solidaritätszuschlages zu finanzieren ist.
Dieser Unterschied zwischen großen Worten und Taten, zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist das Kennzeichen Ihrer Politik. Sie betreiben eine unseriöse, großsprecherische Finanz- und Steuerpolitik. Das müßte langsam dem Dümmsten in unserem Lande aufgehen.
Eine Nettoentlastung ist möglich. Aber die Nettoentlastung ist nicht für alle möglich. Das ist der unterschiedliche Ansatz in unseren Konzepten. Auch unser Steuerkonzept führt zu einer Nettoentlastung. Bei uns werden diejenigen Bürgerinnen und Bürger entlastet, die in den letzten Jahren mit Steuern und Abgaben immer stärker belastet worden sind und die nicht die Möglichkeit hatten, steuerliche Subventionen und Steuersparmodelle zu nutzen. Das ist die große Mehrheit der Arbeitnehmerfamilien. Das sind die Leistungsträger dieses Volkes, die Frauen und Männer, die jeden Tag in die Fabriken und in die Büros gehen.
Joachim Poß
Diese wollen wir entlasten, weil sie mit Steuern und Abgaben in den letzten Jahren nachweislich am meisten belastet wurden - im Gegensatz zu der Klientel, die speziell die F.D.P. schonen will. Wenn wir Schlupflöcher schließen, wird diese Klientel tatsächlich mehr zahlen müssen. Weil das so ist, muß man den Spitzensteuersatz unbedingt auf 39 Prozent absenken, damit diese Leute unter dem Strich nicht mehr zu zahlen haben. Das, was hinter Ihrer Vorlage steckt, ist Klientelschutz, mehr nicht.
Worum es eigentlich geht, ist doch, daß der Steuerehrliche nicht mehr der Dumme sein darf, daß der Steuertarif wieder die Wahrheit über die tatsächliche Steuerbelastung sagen muß. Es geht also, Frau Kollegin Frick, um die gleichmäßigere Verteilung der Abgaben.
Dann können die Steuersätze sinken. Es geht darum, die Gruppen bei der Steuer heranzuziehen, die sich, wie das in der „Zeit" richtig beschrieben wurde, in den vergangenen Jahren selber entlastet haben. Diese stehen Ihnen politisch näher als uns. Wir wissen, welche Gruppen sich in den letzten Jahren auf Grund der gegebenen Rechtslage oder auch widerrechtlich - je nachdem - selber entlastet haben.
Es ist das Hauptübel des heutigen Steuerrechts, es ist der gesellschaftspolitische Sprengstoff, daß wir ein Zweiklassensteuersystem haben. Das wollen wir verändern, und das werden wir auch verändern. Wenn das mit Ihnen zusammen nicht geht, dann müssen wir das auf einem anderen Wege tun. Darüber können wir im nächsten Jahr, wenn das mit Ihnen jetzt nicht möglich ist, streiten. Denn Fakt ist, daß Steuern hauptsächlich nur noch von Arbeitnehmern, Verbrauchern und Teilen der mittelständischen Wirtschaft gezahlt werden. Frau Matthäus-Maier hat dazu ein Beispiel genannt. Es geht um die elementare Frage der Steuergerechtigkeit.
Sie wollen aus dem von mir beschriebenen Klientelschutz heraus unbedingt bei der Nettoentlastung von 30 Milliarden DM bleiben, die Sie zudem noch mit illusionären ökonomischen Erwartungen befrachten.
Dabei haben doch alle Sachverständigen gesagt - auch Professor Eekhoff, der von Ihnen benannt wurde, und Professor Walter -, daß zumindest kurzfristig keine nachhaltigen Beschäftigungseffekte zu erwarten sind.
- Ihr Westerwelle und andere sagen doch jeden Tag in Interviews: Die Steuerreform ist der Schlüssel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Hier wird der Eindruck erweckt, als würde damit die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 halbiert werden können. Das ist Volksverdummung, meine Damen und Herren, und mehr nicht.
Selbst der von Ihnen benannte Professor Eekhoff sagt, daß es nach einer beschlossenen Reform noch drei bis vier Jahre dauert, bevor sie sich auf dem Arbeitsmarkt auswirkt.
Sie sind mit Ihrer Politik am Ende. Ihre Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Jetzt suchen Sie krankhaft nach etwas, was Sie noch verkaufen können. Die Steuerreform ist sozusagen der letzte Schuß, den Sie noch im Colt haben. Aber auch dies ist nur eine Platzpatrone.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.