Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, jetzt die eine Stunde zugehört hat, dann war als Hauptbotschaft erkennbar: Eigentlich ist in diesem Land alles in Ordnung. Dann fragen wir uns nur: Warum haben Sie eigentlich keine Lust mehr, Herr Bundesfinanzminister?
Sie wissen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Allein Ihr Nachtragshaushalt für dieses Jahr 1997 zeigt Ihr Dilemma auf; denn wieder zeigen sich die berüchtigten Haushaltslöcher des Theo Waigel: über 18 Milliarden DM. Wie stopfen Sie diese Haushaltslöcher? - So, wie Sie das immer tun: durch neue Schulden in Höhe von 18 Milliarden DM, die zu den 53 Milliarden DM Schulden kommen, die Sie schon vorher hatten.
Dann sagen Leute aus Ihren Reihen, zum Beispiel der Herr Rauen: Im November könnte es sein, daß sogar 20 Milliarden DM fehlen. Das wären dann beim Bund 10 Milliarden DM. - Nein, nein, meint ein anderer; es sind wohl insgesamt nur 10 Milliarden DM. Ich lese in der Zeitung, daß Sie erklärt haben sollen, das wäre gar nicht so schlimm; denn 3 Milliarden DM hätten Sie ja noch versteckt.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ein Hühnerhaufen ist im Vergleich zu dem Durcheinander, das Sie hier produzieren, ein Ort der Ruhe.
Dieser Tage sagte mir der Eigentümer eines mittleren Unternehmens: Statt eines Punktes mehr oder weniger beim Spitzensteuersatz ist für die Wirtschaft viel wichtiger, daß endlich Berechenbarkeit in die
Ingrid Matthäus-Maier
Finanzpolitik dieser Bundesregierung einkehrt. Daran fehlt es eben.
Es gab einmal einen Werbespruch, der hieß: Dieser Name steht für Qualität. Der Name Waigel steht für Schönfärberei, Haushaltslöcher, Staatsschulden, Steuerchaos und zuletzt Aktion Goldfinger bei der Bundesbank.
Deswegen titelt heute die „Leipziger Volkszeitung" so treffend: „Waigels Wursteln löst bei der Wirtschaft helles Entsetzen aus". Oder die „Zeit" schreibt: „Waigel hinterläßt eine derart verheerende Bilanz wie keiner seiner Vorgänger, gleich welcher Partei" . Eine solche Finanzpolitik hat Deutschland nicht verdient. Deswegen muß das ein Ende haben!
Das spürt auch Theo Waigel selber. Deswegen hat er gesagt, er habe keine Lust mehr und könne sich auch etwas anderes vorstellen, etwas Besseres: Außenminister oder Bundespräsident. Hören Sie, das ist eine merkwürdige Logik. Sie reden immer vom Leistungsprinzip. Seit wann begründet denn das Versagen in einem Ministeramt den Leistungsnachweis für ein anderes, besseres Amt?
Viele von uns kennen den Film „Dr. Kimble auf der Flucht". Das Sommertheater in diesem Jahr hieß aber: Theo auf der Flucht, genaugenommen: Theo auf der Flucht vor der Verantwortung.
Denn erst die Karre in den Dreck fahren und sich dann nach einem höheren Amt aus dem Staube machen, das gehört sich nicht. Das wissen auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition.
Nun ist Herr Waigel sicher nicht allein für das Durcheinander verantwortlich. Das ist zum Beispiel auch die F.D.P. mit ihren andauernden unfinanzierbaren Steuersenkungsversprechen. Das ist ebenfalls der Bundeskanzler; denn wenn nicht der Bundeskanzler im Jahre 1990 immer wieder erklärt hätte, es gebe für die deutsche Einheit keine Steuererhöhungen, hätte Theo Waigel diesen Unsinn gar nicht vertreten können. Das Versagen dieses Finanzministers ist zugleich das Versagen dieses Bundeskanzlers.
Das weiß er auch; denn er liest die Kommentare in den Zeitungen über seine Politik und sein Kabinett. Nur ein paar Auszüge: „Verschleiß überall", „Konkursverschlepper", „Lachkabinett", „Letztes Aufgebot", „Bonner Chaos-Combo" , „Abbruchfirma Kohl und Co.".
Das ist nicht von der SPD, das sind alles Zitate aus Zeitungen. Da können Sie im Kloster Andechs dreimal beschließen, feste zusammenzustehen. Es ist offensichtlich: Die Union taumelt hin und her. Mit Kohl und Waigel gibt es nun einmal keinen Neuanfang in diesem Lande.
Deswegen wissen Sie, daß Neuwahlen eigentlich die richtige Lösung gewesen wären.
Aber wir wissen, daß Sie versuchen werden, sich durchzumogeln und alles auszusitzen, und daß Sie Waigel nicht entlassen können. Wie schrieb das „Handelsblatt" so klar:
Dieser Finanzminister wäre von einem Bundeskanzler mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit allerdings längst in die Wüste geschickt worden. Der amtierende Kanzler
- der amtierende! -
mit seiner hauchdünnen Mehrheit kann es sich aber nicht leisten, den Vorsitzenden der Unions-Schwesterpartei auszuwechseln.
Dies mag ja aus Gründen des Machterhalts aus der Sicht des Bundeskanzlers so sein. Aber mit uns sagen viele: Es ist doch nicht länger hinnehmbar, daß ein Finanzminister Narrenfreiheit hat, nur weil er CSU-Vorsitzender ist.
Den Nachtragshaushalt 1997, Herr Waigel, haben Sie nicht freiwillig vorgelegt. Das ganze erste Halbjahr haben Sie sich gewehrt, dem Antrag meiner Freunde aus dem Haushaltsausschuß,
einen Nachtrag vorzulegen und endlich zu erklären, daß die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist, zu entsprechen, noch zuletzt am 26. Juni.
Schließlich haben aber zwei Dinge Sie doch dazu gezwungen. Grund Nummer eins ist die Tatsache, daß Ihnen im laufenden Jahr das Geld ausgeht. Sie stehen unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit.
Grund Nummer zwei ist die Verfassungsklage der SPD gegen Ihren Haushalt 1996 und die Drohung, daß wir eine ebensolche Klage gegen Ihren Haushalt 1997 einreichen würden. Denn Ihr Haushalt 1996 verstößt gegen die Verfassung. Nach Art. 115 des Grundgesetzes darf die Höhe der Neuverschuldung die Höhe der Investitionen nicht überschreiten. Es gibt eine Ausnahmeregelung: Es ist zulässig „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts".
Ingrid Matthäus-Maier
Sie hatten also zwei Möglichkeiten: entweder die Verschuldung unter die Investitionssumme zu drükken, oder aber die Störung des Gleichgewichtes festzustellen. Das eine konnten Sie nicht. Die Nettokreditaufnahme war mit 78 Milliarden DM sehr viel höher als die Investitionssumme. Das andere wollten Sie nicht; denn die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, das fürchteten Sie nach Ihrem Aufschwunggerede wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen war Ihr Haushalt 1996 eindeutig verfassungswidrig.
Sie sagen, nein, nein, das hätten Sie bei der Aufstellung nicht gewußt; auf dem Papier sei es in Ordnung gewesen. Das ist richtig. Das ist leider Ihre Politik: Auf dem Papier ist bei Ihnen immer alles in Ordnung, nur nicht in der Wirklichkeit.
Denken Sie an den berühmten Waigel-Wisch. Sie haben auf einer DIN-A4-Seite über Nacht 20 Milliarden DM herbeigeschafft, die natürlich nie Wirklichkeit wurden. Mondzahlen jeden Tag!
Da hat Otto Graf Lambsdorff recht, der gesagt hat: Das ist unsere Aufforderung an Herrn Waigel und an das Finanzministerium, Haushaltsentwürfe vorzulegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt: Das kann nicht stimmen. •
Seltsam ist nur, daß Graf Lambsdorff zwar immer mit dabei, aber nie mit verantwortlich war. Aber dies haken wir unter F.D.P. ab.
Wir haben Ihnen die Zahlen immer vorhergesagt. Herr Waigel, eines möchte ich Ihnen auch ganz persönlich sagen: Wenn ich mir Sie so anschaue, eingeklemmt zwischen einer F.D.P., die dauernd unfinanzierbare Steuersenkungsversprechungen macht, um ihre Klientel zu bedienen, und einer CSU, die Sie beim Euro in die Mangel nimmt, tun Sie mir - das will ich nicht verhehlen - manchmal leid.
Sie wissen, daß ich es Ihnen hoch anrechne und es als Pluspunkt in Ihrer Politik ansehe, daß Sie trotz Gauweiler und Stoiber im Nacken so für die Europäische Währungsunion eintreten.
Aber ich denke umgekehrt auch daran, wie Sie hier immer wieder gegen die Opposition herumgeholzt haben: „Kassandra" und „Horrorzahlen" waren das Minimum. Die Wirklichkeit Ihrer Zahlen war immer ein viel schlimmerer Horror als unsere vorhergesagten Zahlen.
Wenn ich daran denke, mit welcher Eiseskälte Sie im Spätsommer 1990 den damaligen SPD-Finanzminister Walter Romberg aus dem Kabinett de Maizière geekelt haben, nur weil er es gewagt hat, zu sagen, die deutsche Einheit wird doch etwas teurer, hält sich mein Mitgefühl mit Ihnen allerdings in Grenzen. Denn in Deutschland ist niemand gezwungen, Finanzminister zu sein.
1997 haben Sie jetzt endlich, weil Sie die Schulden beim besten Willen nicht in den Griff bekommen, eingestehen müssen, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist.
Herr Bundeskanzler, was für ein Canossagang für Sie, welch ein Debakel für Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik: dauerndes Gerede, alles sei in Ordnung, und dann Schuldenrekord, Abgabenrekord, Pleitenrekord, Arbeitslosenrekord! Dieses Land braucht endlich eine Aufbruchstimmung. Daß Sie dazu nicht mehr in der Lage sind, wissen wir alle genau.
Wer nun meint, Sie würden angesichts der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bei über 4,3 Millionen Arbeitslosen in Ihren Haushalten die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt stellen, der sieht sich getäuscht. Ihre Haushalte sind durch vier Merkmale gekennzeichnet: erstens die Explosion der Schulden trotz Bilanzkosmetik, zweitens die Ausplünderung des Bundesvermögens, drittens die dramatische Lastenverschiebung in die Zukunft und viertens die Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit.
Merkmal Nummer eins sind die Schulden; das ist offensichtlich. In nur drei Jahren -1996, 1997 und 1998 - erhöhen Sie allein den Schuldenberg des Bundes um zusätzliche neue Schulden in Höhe von 200 Milliarden DM, und alle in der Regierung machen das mit. Dazu gehört auch die F.D.P., die in ihrem letzten Grundsatzprogramm sogar beschlossen hat, die Neuverschuldung solle per Grundgesetz verboten werden. Aber dies kennen wir von der F.D.P. In Bonn gilt der Spruch: Mit flotten Sprüchen schnell zur Stelle ist der Guido Westerwelle. Nur: Wenn es konkret wird, sind Sie nicht da, meine Damen und Herren von der F.D.P.
Diese eine Billion DM an Schulden, die Sie seit dem Sturz von Helmut Schmidt allein beim Bund oben draufgepackt haben, haben Sie gebraucht, obwohl Sie in der gleichen Zeit sage und schreibe 158 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen einkassiert haben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Sie hier gesagt haben, nie und nimmer würden Sie Bundesbankgewinne einkassieren.
Ich erinnere nur daran: Die sozialliberale Koalition hatte in 13 Jahren 13 Milliarden DM kassiert, Sie dagegen haben in 15 Jahren 158 Milliarden DM nach dem Motto kassiert „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern" .
Ingrid Matthäus-Maier
Das volle Ausmaß Ihrer dramatischen Verschuldenspolitik zeigt sich nicht an der sogenannten Nettoneuverschuldung oder Nettokreditaufnahme, sondern an der sogenannten Bruttokreditaufnahme. Die haben Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung aufgeschrieben. Das ist nun Haushaltschinesisch, aber man muß es verstehen, um zu sehen, welches Schuldenrad diese Regierung dreht.
Da steht für 1997: Bruttokreditaufnahme 257 Milharden DM, Anschlußfinanzierung 186 Milliarden DM, Neuverschuldung 71 Milliarden DM. Was heißt das auf deutsch? Waigel nimmt allein 1997 257 Milliarden DM Schulden auf und benutzt davon 186 Milliarden DM, um frühere Schulden zu bezahlen. Dann braucht er noch 71 Milliarden DM, weil er mit seinen Haushaltslöchern nicht zurechtkommt.
Meine Damen und Herren, das Risiko bei dieser enormen Schuldenaufnahme, wenn die Bundesbank einmal wieder die Zinsen erhöhen sollte, ist dramatisch. Wenn die Bundesbank die Zinsen nur um einen Prozentpunkt erhöhen sollte, bedeutete das schon im nächsten Jahr eine zusätzliche Zinsbelastung des Bundes - nur Zinsen! - von etwa 2,4 Milliarden DM. Zum Vergleich: Der Umwelthaushalt beträgt 1,2 Milliarden DM. Mit einem Rutsch wäre zweimal der Umwelthaushalt futsch, nur durch Zinsen auf Ihre Schulden.
Ich sage Ihnen: Diese Zinsfalle ist verheerend. Wer das Land so in eine Schulden- und Zinsfalle treibt, der verspielt die Zukunft unserer Kinder.
Zweites Merkmal Ihrer Haushalte: Ausplünderung des Bundesvermögens. Der Griff in die Goldreserven der Bundesbank wurde Gott sei Dank gerade noch einmal abgewehrt. Privatisierung in einer sinnvollen Größenordnung ist durchaus etwas, worüber man reden kann. Aber nachdem Sie in den vorherigen 15 Jahren in Höhe von 27 Milliarden DM privatisiert haben, privatisieren Sie jetzt in zwei Jahren Bundesvermögen in Höhe von 40 Milliarden DM.
Außerdem muß man sich einmal anschauen, was bei dieser Privatisierung denn passiert. Da ist zum Beispiel die Telekom: Die restliche Telekom, so hatten Sie bei deren Börsengang versprochen, würden Sie in den nächsten Jahren nicht verkaufen; das dürften Sie überhaupt nicht.
Jetzt brauchen Sie aber dringend das Geld. Sie wollen ja in zwei Jahren allein 25 Milliarden DM von der Telekom bekommen. Was machen Sie? Sie parken - das ist etwas ganz Neues - die Telekomanteile des Bundes bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die nun wiederum eine öffentliche Bank ist. Die Kreditanstalt überweist Ihnen dann die 25 Milliarden DM. Aber die Kreditanstalt hat die 25 Milliarden DM nicht, die muß sie als Schulden aufnehmen. Deswegen ist das, was Sie hier vornehmen, eine indirekte,
eine getarnte Schuldenaufnahme des Bundes. Das werden wir Ihnen auch nachweisen.
Damit nicht genug der Notverkäufe. Sie erwähnten es selber: Nicht einmal die Bundesrohölreserve ist vor Ihnen sicher. Wie sehr müssen Sie haushaltspolitisch am Ende sein, wenn Sie sogar diese, von der sozialliberalen Koalition aufgebaute, Zukunftsvorsorge verscherbeln, nur um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen!
Drittes Merkmal Ihrer Haushalte: Sie verschieben Lasten in die Zukunft, nach dem Motto „Nach uns die Sintflut! ". Beispiel Nummer 1: Wegen der gigantischen Verschuldung sitzen wir in der Zinsfalle. Allein 25 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes gehen in Zinsen; man nennt das Zinssteuerquote. Das hat nicht nur zur Folge, daß die öffentlichen Haushalte immer weiter stranguliert werden, weil diese 25 Prozent natürlich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für mehr Bildungsausgaben und anderes fehlen. Vielmehr ist das auch eine dramatische Umverteilung von unten nach oben; denn es sind ja nicht in erster Linie die Verdiener der kleinen Einkommen, die dem Staat das Geld leihen, sondern die der großen und größten Einkommen sowie die gewerblichen Anleger. Deswegen sage ich Ihnen: Die Umverteilung, die Sie allein über Ihre Schulden betreiben, ist fast so schlimm wie die Abschaffung der privaten Vermögensteuer.
Beispiel Nummer 2 für die Lastenverschiebungen: der Telekom-Verkauf. Da die Erlöse aus dem Telekom-Verkauf für die Erfüllung der gesetzlichen Pensionsverpflichtungen des Bundes gegenüber den Postbediensteten vorgesehen waren, werden sich schon in wenigen Jahren weitere dicke Löcher im Bundeshaushalt auftun. Denn § 16 des Postpersonalrechtsgesetzes schreibt nun einmal vor,
daß der Bund die Zahlungsfähigkeit der Postpensionskassen gewährleistet. Wenn aber dann die Erlöse aus dem Telekom-Verkauf schon verfrühstückt sind, meine Damen und Herren, dann rollen diese Lasten in Zukunft auf den Bundeshaushalt zu.
Beispiel Nummer 3: Der Bund setzt gesetzlich zugesagte Tilgungszahlungen an das Bundeseisenbahnvermögen in Höhe von fast 8 Milliarden DM in den Jahren 1998, 1999 und 2000 aus. Auch das klingt schon wieder so haushaltstechnisch, meine Damen
Ingrid Matthäus-Maier
und Herren. Ich werde Ihnen einmal beschreiben, was das heißt.
Der Bund verhält sich so wie jemand, der zur Schuldnerberatung gehen muß. Er müßte eigentlich beim Bundeseisenbahnvermögen 1998, 1999 und 2000 fast 8 Milliarden DM Schulden tilgen. Jetzt kann er aber nicht. Wie ist das bei einer ordentlichen Schuldnerberatung? Sie ruft dann die Gläubiger an und sagt: Hören Sie mal, kann ich mit Ihnen vereinbaren, daß der Schuldner Aufschub bekommt? Genauso haben Sie es gemacht. Sie müssen sogar ein Gesetz ändern, um die Tilgung dieser Schulden auszusetzen. Daß Waigel zu einer Aktion greift, die man bisher nur von Ländern, die kurz vor dem Staatsbankrott standen, kennt, zeigt, wie sehr Ihnen das Wasser bis zum Halse steht.
Beispiel Nummer 4 für die Lastenverschiebungen in die Zukunft - Sie sprachen es selber an -: der Eurofighter. Ich sage lieber: Jäger 90. Warum? 1992 war es Verteidigungsminister Rühe, der gesagt hat, der Jäger 90 sei tot; er werde ein neues Flugzeug entwikkeln, das heiße dann Eurofighter; es werde pro Stück höchstens 90 Millionen DM kosten. Nun haben wir den Eurofighter wieder auf dem Tisch. Er soll pro Stück 125 Millionen DM kosten;
ein einziges Flugzeug soll 125 Millionen DM kosten.
In Ihrem Haushaltsentwurf stehen für die Beschaffung allein im nächsten Jahr 847 Millionen DM.
Das verschleiert aber die eigentliche Belastung; denn über die gesamte Laufzeit wird dieses Flugzeug mit Bewaffnung und unter Berücksichtigung von Kostensteigerungen 25 Milliarden DM kosten.
Da fragen wir Sie, Herr Finanzminister: Warum steht denn diese Folgebelastung nicht in Ihrem Haushalt? Es ist das einzige Beschaffungsvorhaben, bei dem Sie nicht für die Folgejahre die Zahlen ausweisen. Warum? - Weil es Ihnen wohl unangenehm ist, die unzähligen Milliarden für dieses neue Jagdflugzeug auszuweisen. Das ist übrigens ja wohl auch der Grund dafür, daß Sie bis heute weder im Kabinett noch im Deutschen Bundestag eine Beschaffungsvorlage vorgelegt haben.
Sie wissen, wir haben dieses Geld nicht. Übrigens hat nicht nur der Bundeshaushalt das Geld nicht, sondern auch die Bundeswehr nicht. Wie schreibt das „Handelsblatt" so schön: „Der Eurofighter läßt Heer und Marine zittern. " Das ist doch klar; denn wenn man dieses Beschaffungsvorhaben auf die Schiene schiebt, dann ist für die anderen Teilstreitkräfte praktisch kein Geld mehr da. Wir können es uns einfach nicht leisten, mit einem neuen, glänzenden Jagdflugzeug herumzufliegen, während das Heer auf abgefahrenen Reifen daherfährt.
Das fünfte Beispiel für Lastenverschiebungen: die private Vorfinanzierung öffentlicher Bauvorhaben. Ich gebe gerne zu, diese private Vorfinanzierung greift nicht nur beim Bund um sich; wir finden sie vielmehr auch bei Ländern und Gemeinden. Ich halte sie für sehr gefährlich; denn sie verschleiert, daß unsere eigene Zùkunft, aber gerade auch die unserer Kinder durch enorme Vorbelastungen zugeschoben wird. In Ihrer mittelfristigen Finanzplanung haben Sie dafür Beispiele. So soll zum Beispiel das Schienenprojekt Nürnberg-Ingolstadt-München an Baukosten etwa 3,5 Milliarden DM kosten. Aber wir zahlen dafür 9,1 Milliarden DM, weil wir es ja später mit Zins und Zinseszins zurückkaufen müssen. Die Zahlung beginnt erst ab dem Jahr 2002, so daß man das Gefühl hat, es sei alles paletti; in späteren Jahren kommen dann aber die enormen Belastungen auf uns zu.
Nein, meine Damen und Herren, jede dieser Verschiebungen in die Zukunft ist schon für sich alleine genommen fragwürdig. In der Summe sind aber die zukünftigen Haushalte in geradezu erschreckendem Ausmaße vorbelastet,
denn später wird das Geld fehlen, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.
Viertes Merkmal: die Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit. Das Ziel, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, hat die Regierung Kohl längst aufgegeben. Schaut man in ihre Finanzplanung, stellt man fest, daß sie noch für das Jahr 2001 von 3,7 Millionen Arbeitslosen ausgeht. Es ist doch wirklich unglaubwürdig, wenn Sie hier immer etwas anderes erzählen. Obwohl wir im Moment 4,37 Millionen Arbeitslose haben, stellte der famose Herr Rexrodt vorige Woche fest, das 50-Punkte-Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung sei weitgehend verwirklicht. Da fragen wir uns alle, wo denn die vielen Arbeitslosen herkommen, wenn Sie alles verwirklicht haben.
Im übrigen zeigt sich am Namen des Programms
„Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung"
Ingrid Matthäus-Maier
etwas, was mir bei Ihnen dauernd auffällt: In der Semantik, im Schöpfen von angenehmen Wörtern sind Sie wirklich Weltmeister. Was verbirgt sich aber hinter diesem schön klingenden Programm? - Kürzung der Lohnfortzahlung, Verlängerung der Lebensarbeitszeit für ältere Frauen, Einschränkung des Kündigungsschutzes.
Ein anderes Beispiel, mit dem wir im letzten Jahr ehrlich gesagt zu kämpfen hatten: Sie haben immer von einem Sparpaket gesprochen, aber in dem Sparpaket stand ein Steuerausfall von 9 Milliarden DM durch den Wegfall der Vermögensteuer. Da frage ich mich, was das denn mit Sparen zu tun hat. Das mußten wir erst aufbrechen.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich von Herrn Seehofer, das mir besonders auffiel: Hinter einer wunderbar klingenden Überschrift stand knochenharter Sozialabbau. Er sagte nämlich - und das ist geltendes Recht -: Jugendliche unter 18 Jahren erhalten ab 1. Januar 1997 keinen Zahnersatz mehr finanziert, denn sie können sich ja die Zähne putzen. Klingt eigentlich mit der Einschränkung „bis 18 Jahre" ganz gut. Dabei bleibt den meisten Menschen verborgen, daß ab dem 1. Januar 1997 gilt: Alle nach 1978 Geborenen bekommen nie mehr im Leben Zahnersatz, ob sie einmal 38 oder 64 Jahre alt sind. Da irgendwann alle Menschen nach 1978 geboren sind, bekommt irgendwann überhaupt niemand mehr in diesem Lande Zahnersatz. Das verstecken Sie hinter der harmlos klingenden Überschrift „kein Zahnersatz für junge Leute unter 18 Jahren". Wenn Sie schon so etwas machen, klären Sie die Bevölkerung über die Wirklichkeit und das, was Sie dahinter verstecken, auf!
Nachdem Sie also mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht zurechtkommen und keine Erfolge vorweisen können, sagen Sie: Jetzt wird es die Steuerreform richten. Sie tun so, als sei sie der Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, wir sind für eine große Steuer- und Abgabenreform. Aber wir warnen Sie davor, die Illusion zu erwecken, als würden damit die Probleme dieses Landes gelöst. Sie arbeiten immer mit solchen Illusionen, die sich nachher als Flop erweisen. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie uns gesagt haben, wenn wir das sogenannte Dienstmädchenprivileg, den Hausgehilfinnenfreibetrag, verbesserten, bringe das Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Letzte Woche hat die Bundesanstalt für Arbeit von einigen wenigen hundert gesprochen.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir brauchen diese Steuer- und Abgabenreform, aber hüten Sie sich davor, nur weil Sie auf dem übrigen Feld der Beschäftigungspolitik nichts zustande bringen, die Hoffnungen der Menschen so hochzujubeln, daß sie meinen, die Steuer- und Abgabenreform würde alle Probleme lösen.
Sie haben heute, Herr Finanzminister, das Wort Blockade vermieden, wie ich in Ihrer Rede bemerkt habe.
- Was hilft das denn? Hier macht man auf vornehm, aber im Lande rennt man herum und sagt knochenhart: Die SPD blockiert! Ich möchte Ihnen einmal die neuesten Zahlen aus dem Vermittlungsausschuß nennen. In der 13. Legislaturperiode wurden bisher 282 Gesetzesbeschlüsse des Bundestages im Bundesrat beraten. 143 Gesetzesbeschlüssen wurde die Zustimmung erteilt, zu 89 Einspruchsgesetzen wurde der Vermittlungsausschuß nicht angerufen. Das heißt: Glatt durch den Bundesrat gingen rund 82 Prozent aller Gesetze. In 49 Fällen wurde der Vermittlungsausschuß angerufen, übrigens dabei in 35 Fällen mit den Stimmen der CDU/CSU-regierten Länder. - Daß die auch immer so blockieren, Herr Waigel, muß nun bald ein Ende haben. - Nach den Vermittlungsverfahren blieben nur noch rund 8 Prozent der Gesetzesinitiativen übrig, bei denen der Vermittlungsausschuß gesagt hat: Das wollen wir so nicht.
Daß wir uns dauernd einigen können, sehen Sie zum Beispiel an der steuerlichen Ostförderung. Wir haben die Ostförderung Anfang Juni einvernehmlich hier im Deutschen Bundestag beschlossen. Allerdings will ich gerne hinzufügen: Daß die Bundesregierung diese Einigung benutzt hat, um das erfolgreiche Instrument der Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung-Ost umgehend zu kürzen, das hatten wir nicht erwartet und ist unvernünftig.
Wir haben die Gewerbekapitalsteuer in diesen Tagen gemeinsam abgeschafft. Wir haben gemeinsam eine Reform der Hochschulen im Hochschulrahmengesetz auf den Weg gebracht. Wir haben gemeinsam ein Gesetz gegen die organisierte Kriminalität auf die Schiene gesetzt.
Wir haben zum Beispiel parteiübergreifend eine Kampagne zur Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte gemacht, was ich ausdrücklich begrüße. Aber, Herr Bundeskanzler, daß Sie praktisch in der gleichen Woche den Titel „Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte" in Ihrem Haushalt von 30 Millionen DM auf 20 Millionen DM herunterfahren, finden wir nicht in Ordnung. Das ist widersprüchlich, das können wir nicht verstehen.
Und von wegen, wir würden alles nicht so machen, wie Sie es wollen: Für die Rentenreform, die Sie sich vorstellen, brauchen Sie uns überhaupt nicht. Machen Sie sie doch! Dazu brauchen Sie den Bundesrat nicht. Sie wissen doch ganz genau, warum Sie sie 1998 nicht machen wollen: weil dann der Renter
Ingrid Matthäus-Maier
merkt, daß er 1998 eine Nullrunde hat. Da ziehen Sie uns nicht mit ins Boot.
„Die Zeit" hat vor etwa zwei Wochen sehr schön geschrieben: „Unterm Strich ist der Vermittlungsausschuß eher 01 als Sand im Bonner Getriebe. " - Deswegen können Sie sicher sein: Wir wollen eine große Steuer- und Abgabenreform. Warum wollen wir aber nicht Ihre? - Weil sie zu 45 Milliarden DM Steuerausfall führt.
-45 Milliarden DM.
- Das steht im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ich muß mich im Vermittlungsausschuß wie meine Kollegen mit einem Papier beschäftigen, in dem steht: 45 Milliarden DM Steuerausfall. Das ist doch lächerlich, meine Damen und Herren! Das wären allein beim Bund über 20 Milliarden DM und bei den Gemeinden nach Schätzungen zwischen 4 und 8 Milliarden DM.
Wir lesen in der Zeitung gerade vom Pleitenrekord. Einer der Gründe dafür ist, daß die öffentlichen Auftraggeber den Handwerkern nicht schnell genug ihre Rechnungen bezahlen. Und da wollen Sie die Gemeinden noch weiter ausbluten lassen. Nein!
Im übrigen ist Ihre Steuerreform überhaupt nicht in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Sonst würden Ihnen die Zahlen nur so um die Ohren fliegen. Aber von uns erwarten Sie, daß wir einer Reform zustimmen, die Bund, Länder und Gemeinden in den finanziellen Ruin führt. Nein, das werden wir nicht tun. Falls wir das mit Ihnen machen würden und Sie die Bundestagswahl gewinnen würden - wie Sie hoffen, weil es eine schöne Steuerreform gibt -, dann käme es zu dem, was wir schon kennen: Nach den Wahlen bitte zahlen! Dann würden Steuern erhöht, um diese Ausfälle auszugleichen, oder es würde Sozialabbau betrieben, weil Sie sagen: Wir haben das Geld nicht.
Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge für eine große Steuer- und Abgabenreform liegen auf dem Tisch.
- Daß manche von Ihnen des Lesens leider nicht mächtig sind, habe ich schon gemerkt. Aber hören Sie wenigstens zu!
Unsere Steuerreform hat fünf Elemente:
Erstens Senkung der Lohnnebenkosten, zweitens Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Lohn-und Einkommensteuer, drittens Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums für Erwachsene und Kinder,
viertens Senkung der gewerblichen Steuersätze, fünftens solide Gegenfinanzierung durch das Schließen von Schlupflöchern, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und Kampf gegen die Steuerhinterziehung.
Dieses wünschen wir schon zum 1. Januar 1998 durchgesetzt. Dies würde eine Entlastung von 2000 bis 2500 DM im Jahr für Durchschnittsverdiener mit Kindern bedeuten.
Element Nr. 1: Senkung der Lohnnebenkosten. Selbst die Bundesbank schreibt in ihrem Bericht vom August: Das Problem in Deutschland ist nicht die Höhe der Steuerbelastung. Die Steuerquote ist so gering wie nie. - Übrigens ist der Anteil der Unternehmenssteuer geringer als je zuvor. Der Kern des Problems ist die Belastung mit zu hohen Sozialversicherungsbeiträgen, wofür in erster Linie Sie verantwortlich sind, weil Sie die Kosten der deutschen Einheit statt über die Allgemeinheit über die Sozialversicherungsbeiträge finanziert haben.
Wir sagen seit Wochen sehr konkret immer das gleiche - auch in den Spitzengesprächen, Herr Bundeskanzler -: Nehmen Sie die versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung heraus! So werden zum Beispiel die Aussiedlerrenten in Höhe von über 10 Milliarden DM nur von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern mit ihren Beiträgen bezahlt, nicht aber von den übrigen 20 Prozent der Erwerbstätigen. Jetzt frage ich Sie: Können Sie uns einmal erklären, warum zum Beispiel die Aussiedlerrenten heute nur von den Beitragszahlern bezahlt werden, nicht aber von dem Herrn Bundeskanzler, von dem Herrn Finanzminister, von der Frau Matthäus, von Beamten, von Landwirten und Selbständigen - nur weil sie nicht Mitglied der Rentenversicherung sind?
Da bietet sich doch an, diese Leistung aus der Rentenversicherung herauszunehmen und über eine ökologische Steuerreform zu finanzieren.
Ingrid Matthäus-Maier
Weil Sie diesbezüglich immer so empört sind: Der stellvertretende Generalsekretär der CSU, Joachim Herrmann, sagte im Juli dieses Jahres in München:
Ich halte es ... für richtig, die Lohnnebenkosten zu senken und den Verbrauch unserer Ressourcen höher zu besteuern.
Das ist eine etwas vornehmere Ausdrucksweise für eine ökologische Steuerreform. Wenn wir außerdem noch einen Prozentpunkt beim Beitrag zur Arbeitslosenversicherung heruntergehen, wären wir - aber nur für diesen Zweck, nämlich die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen - bereit, die Mehrwertsteuer anzuheben. Das könnten wir nächste Woche zusammen vereinbaren. Warum ist das so schwer?
Element Nr. 2: Senkung des Eingangssteuersatzes auf 22 Prozent. - Da könnten wir wohl zusammenkommen.
Element Nr. 3: Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums für Erwachsene und Kinder. Wir wissen doch alle, daß wir von der Verfassung gezwungen sind, das Existenzminimum der Menschen steuerfrei zu stellen. Ich halte das, was wir gemeinsam vereinbart haben, doch für mittlerweile recht zweifelhaft. 12 300 DM im Jahr - da fragen sich die Menschen zu Recht, wie sie damit auskommen sollen.
Die Verbesserung des Existenzminimums erfolgt - technisch - in diesem Lande dadurch, daß ich den Grundfreibetrag für Erwachsene und das Kindergeld anhebe. Dann sagen Sie, das sei Umverteilung; für Transferleistungen sei kein Geld da. - Nein, die Anhebung des Kindergeldes ist nur der technische Weg für die Steuersenkung für Familien mit Kindern. Da Sie uns immer so freundlich auffordern, wir sollten einmal ins Ausland gucken, fordere ich auch Sie freundlich auf, einmal in die USA zu gucken. Die haben vor kurzem eine große Steuerreform gemacht. Was war einer der beiden Kerne der Steuerreform?
Die steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern. Genau das wollen wir!
Denn das würde auch die Massenkaufkraft stärken.
Nun kenne ich ja Ihren Vorwurf, wir setzten nur auf Nachfragepolitik - während Sie auf Angebotspolitik setzen. Gute Politik ist in Deutschland immer nur gemacht worden, wenn man eine Mischung aus beidem verfolgt:
Angebotspolitik zum Beispiel durch die Senkung der Lohnnebenkosten, Nachfragepolitik dadurch, daß man beispielsweise den Grundfreibetrag und das Kindergeld verbessert. Denn wir haben doch eine gespaltene Nachfrage. Der Export boomt, aber die Binnenkaufkraft liegt am Boden. Auch in diesem Bereich gibt es übrigens einen gespaltenen Markt, etwa beim zweigeteilten Automarkt. - Recht anschaulich hat das ein Betriebsrat vom BMW beschrieben. Er hat gesagt: „Viel Geld ist genug da, nur wenig Geld ist knapp." - Der Verband der Automobilindustrie beschreibt dies so:
Gutverdienende Privatleute und Unternehmen sehen keinen Grund, ihre geplanten Autokäufe aufzuschieben - das kommt den gehobenen Modellen zugute. Die verunsicherten Arbeitnehmer hingegen halten sich noch zurück. Das bremst den Absatz kleiner und mittlerer Fahrzeuge.
Meine Damen und Herren, wenn in Ihrem Steuerkonzept steht, daß der Bundeskanzler im Jahr eine Entlastung von 30 000 DM und die Ministerpräsidenten - ich betone: jedes Jahr - eine Entlastung von 26 000 DM erhalten, dann ist das nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch unvernünftig. Denn diese Leute schaffen doch keine Arbeitsplätze. Wenn ich aber der Masse der Menschen Geld in die Hand gebe, dann steigt die Kaufkraft.
Sie erklären, daß man, wenn Voscherau sagt, ein erheblicher Teil der Spitzensteuersatzzahler zahle gar keine Steuern, den Spitzensteuersatz doch ohne weiteres von 53 auf 39 Prozent senken könne. Denn dann würden sie ja Steuern zahlen.
Darauf antworte ich Ihnen folgendes: Der baden-württembergische Rechnungshof hat unlängst dargelegt, wie erodiert die Steuerbemessungsgrundlage ist - übrigens nach acht Jahren Waigel. Im „Handelsblatt" vom 19. August 1997 heißt es dazu, gestützt auf eine Studie des Rechnungshofes Baden-Württemberg:
Ein Steuerzahler, der 1994 4,3 Mill. DM verdiente, investierte 13,6 Mill. DM in eine Mietwohnanlage in den neuen Bundesländern. Der daraus zugerechnete Verlust von 6,1 Mill. DM senkte seine Einkommensteuer für dieses Jahr auf Null. Zudem erhielt er infolge eines Verlustrücktrags die für 1992 und 1993 bereits gezahlten Steuern in vollem Umfang zurück. Da der Mann im Veranlagungsjahr 1994 auch noch negative Einkünfte aus einer Schiffahrtsbeteiligung und von einer Verlustzuweisungsgesellschaft von insgesamt 1,5 Mill. DM erzielte, kann er für die Folgejahre noch einen Verlustvortrag geltend machen, der seine Steuer „entscheidend mindern wird".
Jetzt meine Frage an Sie: Warum können wir nicht zusammen diese Schlupflöcher schließen?
- Ihr habt leider zu früh geklatscht.
Warum soll ein Steuerzahler, der den Spitzensteuersatz zu zahlen hat, nach der Steuerreform nur 39 statt 53 Prozent bezahlen? Schließen wir doch die
Ingrid Matthäus-Maier
Löcher und lassen ihn das zahlen, was er in den Jahren davor gespart hat!
Meine Damen und Herren, Sie sagen immer, für eine Kindergelderhöhung hätten Sie kein Geld. Ich nenne Ihnen hierzu zwei Zahlen: Die Anhebung des Kindergeldes um 10 DM kostet 1,5 Milliarden DM.
Die Absenkung des Spitzensteuersatzes um einen Prozentpunkt kostet 2 Milliarden DM. Wir sind der Ansicht: Sowohl unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit als auch unter dem der notwendigen Stärkung der Binnenkaufkraft ist eine Entlastung der Familien mit Kindern eher angebracht als eine Entlastung der Spitzensteuersatzzahler,
zumal die Höhe der Spitzensteuersätze für nichtgewerbliches Einkommen - man nennt sie schon einmal kurz: private Einkommen - im international üblichen Bereich liegt.
Da auch der Bundeskanzler in seinem Sommerinterview im Fernsehen, wie ich gesehen habe, gesagt hat, die Niederländer hätten einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent, habe ich mir gedacht: Herr Bundeskanzler, es ist vielleicht besser - ich habe es hier zwar schon oft gesagt, aber ich denke, durch Nachlesen kann man es sich besser merken als durch Zuhören -, daß ich Ihnen dieses Papier von Theo Waigel überreiche. Dort sind alle privaten Spitzen- steuersätze Europas angeführt, auch der in Höhe von 60 Prozent in den Niederlanden.
- Ja. Beim nächsten Interview wird es besser.
Unser viertes Element: Wir sind zur Senkung der gewerblichen Steuersätze bereit. Wir wissen: Im internationalen Bereich sind vielerorts die gewerblichen Spitzensteuersätze geringer als in Deutschland. Wir glauben jedoch nicht, daß die Belastung der Unternehmen in Deutschland zu hoch ist. Denn wenn man ihre Schlupflöcher und ihre Abschreibungsmöglichkeiten gegenrechnet, ist die Durchschnittsbelastung nicht höher als im internationalen Bereich. Aber aus psychologischen Gründen kann man den gewerblichen Spitzensteuersatz sehr wohl senken: im Rahmen der Körperschaftsteuer und in Verbindung mit einem Optionsrecht für Handwerker und Selbständige, die der Einkommensteuer unterliegen.
Fünftes Element: Wir sind bereit, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und Schlupflöcher zu schließen. Aber eines muß ich hier doch noch sagen - weil mir das auffällt -: Wissen Sie, was in Ihrem langen Katalog zum Schließen von Schlupflöchern fehlt? Die Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Ausland.
Wir mußten Sie dazu drängen, im Jahressteuergesetz die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzuschaffen. Es ist die OECD, es sind die Amerikaner und Franzosen, die uns auffordern, endlich den Unsinn abzuschaffen, daß Korruption, daß Schmiergelder von deutschen Firmen im Ausland auch noch von der Steuer abgesetzt werden können. Deswegen sagen wir: Das ist das Minimum, das auch in diesen Katalog gehört.
Daß die Erosion der Steuerbemessungsgrundlage
- auch jedes Jahr ein neues Steuergesetz führt zu Unsicherheit - dazu führt, daß in Deutschland die sogenannten deutschen Global Players, also die Firmen, die international tätig sind, einen enormen Vorteil haben, sehen Sie an den Kreditinstituten. Ich habe noch nie erlebt, daß sich die Kreditinstitute untereinander kritisiert haben. Aber wenn uns der Sparkassenverband und die Genossenschaftsbanken foldende Zahlen auf den Tisch legen, dann heißt das, daß das Dach überm Haus brennt: 1995 haben - bei etwa gleichem Bilanzvolumen - die Großbanken in Deutschland nur 0,8 Milliarden DM Steuern gezahlt
- weil sie international tätig sind -, die Sparkassen dagegen 8,1 Milliarden DM - zehnmal soviel - und die Kreditgenossenschaften 4,4 Milliarden DM.
Dies alles können wir ändern. Wir könnten das in den nächsten Wochen tun: beim Eingangssteuersatz, bei den Lohnzusatzkosten, bei den gewerblichen Spitzensteuersätzen und beim Schließen von Schlupflöchern. Dazu sind wir kompromiß- und gesprächsbereit. Aber eines werden Sie mit uns nicht bekommen: eine Reform, die zum Ruin der Staatsfinanzen führt, und zwar auch nicht in einer Stufenlösung. Was hilft es mir denn, wenn ich die öffentlichen Finanzen nicht in einem Jahr, sondern in drei Jahresstufen zerrütte? Nein, meine Damen und Herren!
Und es muß in der Koalition abgestimmt sein. Im Zurufverfahren - Herr Sohns sagt: 30 Milliarden Steuerentlastung; Herr Schäuble sagt im Fernsehen: Könnte auch weniger sein; Herr Waigel sagt: Wir sind ja kompromißbereit - funktioniert das nicht. Nein, wir wollen ein neues Konzept: solide finanziert, sozial gerecht und ökonomisch vernünftig.
Wir bieten Ihnen noch mehr an als die Steuer- und Abgabenreform; die können wir zusammen machen, wenn Sie einsichtig sind. - Wir sind der Ansicht, es gibt eine Menge mehr Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Reduzierung der Schul-
Ingrid Matthäus-Maier
den; denn die hohe Arbeitslosigkeit ist doch der Grund für die hohen Schulden.
Hunderttausend Arbeitslose kosten 4 Milliarden DM. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit. Wir fordern Sie auf, mit uns zusammen mehr gegen die hohe Überstundenzahl in Deutschland zu tun, notfalls durch ein modernes Arbeitszeitgesetz.
Wir fordern Sie zweitens zu einer großen Teilzeitinitiative auf, wie sie die Niederländer eingeführt haben.
Wir fordern Sie drittens auf - Sie haben gesagt, wir sollten uns das in den Niederlanden anschauen; das haben wir getan -, endlich die Geringfügigkeitsgrenze bis auf eine Bagatellgrenze runterzufahren.
Als wir in den Niederlanden sagten, Teilzeitarbeit bis zu 610 DM sei in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig, da fiel denen der Unterkiefer runter; das können die sich gar nicht vorstellen. Wer mehr Teilzeitarbeit will, muß dafür sorgen, daß sie sozialrechtlich abgesichert ist.
Wir wollen viertens, daß Sie mehr gegen Scheinselbständigkeit tun. Was ist denn das für ein Zustand: Der Fahrer eines Paketdienstes arbeitet nur für eine Firma, wird von ihr hingeschickt, wohin sie es will, und gilt als Selbständiger, nur damit die Firma für ihn keine Sozialbeiträge zahlen muß.
Wir brauchen fünftens endlich wirksame Maßnahmen gegen die Lehrstellenlücke. 150000 junge Leute haben in diesem Moment noch immer keine Lehrstelle. Was haben Sie denn eigentlich gegen unseren Vorschlag einer solidarischen Umlage einzuwenden? Die Betriebe, die nicht ausbilden, zahlen, damit die, die ausbilden, eine Entlastung bekommen.
Wir danken dem deutschen Handwerk, das noch immer am meisten ausbildet. Deswegen sollen diese Betriebe belohnt werden, indem die, die nicht ausbilden, oft die großen Betriebe, etwas für sie tun.