Rede von
Arne
Fuhrmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Lippold, Sie haben recht: Vorverurteilung ist etwas Schlimmes. Im Grunde genommen sollte man das im politischen Geschehen grundsätzlich ad acta legen. Aber was mich bei der gesamten Diskussion in dieser von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde so nachdenklich macht, ist die Tatsache, daß wir im politischen Geschäft - da will ich mich als Mitglied der SPD gar nicht ausschließen - sehr schnell und sehr leicht Wege gehen, die eigentlich einfach sind. Das heißt: Wenn wir keinen Beweis in der Hand haben, wenn wir nur von einer Vermutung ausgehen, die nicht von vornherein ganz abstrakt zu sein scheint, dann machen wir es uns leicht und sagen: Das ist nur eine Vermutung; Beweise haben wir nicht in der Hand. Greenpeace hat da etwas festgestellt, und dann gibt es noch ein ominöses Gutachten, nach dem die Leukämiefälle in der Gegend erhöht sind. Also müssen wir im Grunde genommen nichts tun.
Wir verhalten uns hier im Parlament im Regelfalle genau so, wie ich gerade geschildert habe: Wir kneifen. Wir kneifen vor der Tatsache, daß die Situation in La Hague im Grunde genommen in einer Entwicklungskette steht, die uns seit vielen Jahren verfolgt
und bei der wir uns immer wieder geschickt und auch ein Stückchen politisch raffiniert rausgezogen haben, weil die einzelnen kleinen Punkte immer irgendwo zu entkräften waren. Ich erinnere Sie zum Beispiel an die Diskussion Elbmarsch, Kernkraftwerk Krümmel, wo es eine kaum zu verstehende Anhäufung von Leukämiefällen gab. Wir diskutieren darüber, es gibt Gutachten und Gegengutachten. Wissenschaftler äußern sich, andere äußern sich wieder anders. Das hilft aber weder den Kindern noch den Familien.
Wir diskutieren jetzt über die Möglichkeit, es könnte in La Hague so sein, wie von Greenpeace festgestellt, und es könnte in La Hague so sein, wie von der Wissenschaft dort hinsichtlich der Anhäufung von Blutkrebserkrankungen festgestellt. Dann sagen wir trotzdem: Vorverurteilungen machen wir nicht; wir brauchen eine vernünftige Entsorgungskette. Ich frage mich, wie die Zusammenhänge den Menschen zu verdeutlichen sind, die, anders als wir, nicht immer aufgebracht miteinander diskutieren, sondern die Angst haben und fragen: Wo, bitte schön, steckt eigentlich das, was uns dieses Parlament an Sicherheit vermitteln könnte? Auch ich als vehementer Atomkraftgegner - Sie alle wissen, daß ich ein solcher bin - frage mich in der Zwischenzeit: Wo vermitteln wir Parlamentarier nach außen hin Sicherheit?
Ein Riesenfortschritt wäre, wenn wir endlich dahin kämen, diese Debatte - wie sie heute geführt wird - nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Beschimpfungen, sondern ernsthaft zu führen und vielleicht nach dem Ergebnis, das uns Greenpeace geliefert hat, zu sagen: Es wird allerhöchste Zeit, daß wir uns sehr intensiv mit der tatsächlichen Situation in La Hague auseinandersetzen und auch respektieren, daß Wiederaufarbeitung - soweit das von uns und von der Wissenschaft heute beurteilt werden kann - offensichtlich nicht der richtige Weg zu sein scheint, um den Dreck loszuwerden, den wir damit potenzieren. Ganz offensichtlich muß es andere Wege geben.
Ich möchte verhindern, daß die Diskussion um Kernkraft, um Atomstrom so weit ausartet, daß sie zur Geißel dieses Parlaments wird. Ich habe nach den letzten Diskussionen, auch im Zusammenhang mit den Castor-Transporten, ernsthafte Sorgen, daß wir derartig tiefe Furchen zwischen die Fraktionen und Gruppen ziehen, daß wir nicht in der Lage sind, wirkliche Konsensgespräche und damit auch tatsächliche Chancen für einen rechtzeitigen Ausstieg aus dieser unseligen Energie zu erreichen.
- Frau Hellwig, ich wäre froh, wenn Sie diese Bemerkung jetzt nicht gemacht hätten. Ich habe Ihnen ein Angebot gemacht, ein sehr ernsthaftes Angebot. Wenn Sie das nicht annehmen können, dann sollten Sie an einer solchen Aktuellen Stunde besser nicht teilnehmen.
Den anderen danke ich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.