Rede von
Heidemarie
Lüth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein besonders skandalöser Teil bei dieser Reform der Regierungskoalition ist für mich die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente. Hier geht es wirklich nicht um Wünsche und auch nicht darum, was von der PDS vorgeschlagen wird, sondern hier geht es für die Betroffenen um ihre Existenz und um ihre Würde.
Schon der derzeitige Zustand ist unbefriedigend, weil gesundheitlich Benachteiligte angesichts der Arbeitsmarktsituation nur die Alternative haben, entweder auf Kosten ihrer Gesundheit vollbeschäftigt zu sein oder die Arbeit in der Hoffnung aufzugeben, daß sie volle Rentenleistungen erhalten. Wenn immer mehr Leistungsgeminderte volle Rentenleistungen bekommen, ist das für die Rentenkassen sicherlich eine einseitige Belastung.
Wenn Sie aber nun in Ihrer Reform vorschlagen, daß künftig ausschließlich gestaffelt Erwerbsminderheitsrenten gezahlt werden, bei denen nur noch gezählt wird, wieviel Stunden jemand noch zu arbeiten vermag, egal was und wo, dann heben Sie nicht nur den Berufsschutz völlig auf, sondern verlagern das Risiko vollständig auf die Betroffenen.
Das ist eine Konstruktion, die voraussetzt, daß es entsprechend strukturierte Teilzeitarbeitsplätze gibt. Sie setzen dies illusorisch genauso wie bei der Altersteilzeit in einem Arbeitsmarkt einfach voraus, der so überhaupt nicht vorhanden ist. Sie wissen ganz genau, daß diejenigen, die mit dieser Erwerbsunfähigkeitsrente und der Notwendigkeit einer Teilzeitarbeit in Rente gehen, bei diesen Summen sehr schnell bei der Sozialhilfe landen.
Eine sachgerechte Verteilung der Risiken liegt für uns nicht im Bereich der Zuständigkeiten, sondern vor allem in der Finanzierungssystematik. Reformbedarf sehen wir für aufeinander abgestimmte und flexible Formen von gesundheitlicher Rehabilitation, Selbstverwirklichung in der Arbeitswelt und ergänzende Rentenleistungen bei Verteilung des finanziellen Risikos zwischen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie Unternehmen und Zuständigkeit in einer Hand. Sicherlich wäre die Rentenversicherung dafür am besten geeignet.
Menschen mit Behinderung, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, lassen Sie in Ihrem Reformkonzept - dies ist auch jetzt schon der Fall - völlig im Regen stehen.
Sie erhalten überhaupt keinen existenzsichernden Nachteilsausgleich. Das, Kolleginnen und Kollegen, hat nichts mehr mit einer solidarischen Sicherung zu tun. Dabei ist der Schutz bei Invalidität doch eigentlich der Gründungsbaustein der Bismarckschen Rentenversicherung gewesen.
Daß nun auch noch die ohnehin nicht üppige Erwerbsminderungsrente über deren fiktiven Berechnungsmodus bis 60 Jahre als vorzeitig in Anspruch genommene Rente mit einem Abschlag belegt wird, schlägt dem Faß fast den Boden aus. Aber der Schlag wird ja wohl nicht so groß werden; denn die Kollegin Babel hat vorhin gesagt, daß über diesen Punkt noch geredet werden muß.
Besonders riskant ist - die verheerenden Auswirkungen zeichnen sich jetzt schon ab - die völlige Umwandlung der konkreten in die abstrakte Betrachtungsweise, wie es bei den erwerbsgeminderten Vollzeiteinsatzfähigen bereits geschehen ist. Die Regelung kann nämlich zur Folge haben, daß ein Erwerbsunfähiger nach einer nochmaligen Untersuchung von heute auf morgen ohne eine Erwerbsunfähigkeitsrente dasteht, weil er eigentlich einige Stunden arbeiten könnte, ohne daß - wie früher geprüft wurde - wirklich ein konkreter Arbeitsplatz für die jeweilige Person vorhanden ist.
Wer im Zuge dieser Rentenreform - es ist mehrfach gesagt worden, daß es hier zu wirklichen Einsparungen kommt; die F.D.P. hat betont, daß sie sparen will - zu Lasten Erwerbsgeminderter sparen will, handelt inhuman; anders kann man es wohl nicht nennen.
Danke.