Rede von
Rudolf
Dreßler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fühlte mich soeben auf den 2. Februar 1996 zurückversetzt. An diesem Tag debattierte das Haus auf Antrag der SPD-Fraktion - später in Form einer Regierungserklärung - über die Lage der Rentenversicherung. Damals haben wir versucht, Ihnen von der CDU/CSU- und von der F.D.P.-Fraktion die Daten näherzubringen, die Ihr Sozialminister Ihnen bis dato offensichtlich verschwiegen hatte. Sie haben einer büttenredenartigen Darstellung von Blüm lebhaft applaudiert und haben in den folgenden 14 Monaten bis heute die Katastrophe seiner schon am 2. Februar 1996 eingeleiteten Politik feststellen müssen. Heute haben Sie das gleiche getan. Ich darf Norbert Blüm zitieren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Wie hat er sich hier hingestellt? Welche Zeugen hat der Sozialminister für seine Position aufgerufen? Dr. Erich Standfest, Deutscher Gewerkschaftsbund, plötzlich eine Adresse für Herrn Blüm. Ich zitiere Ihnen einmal aus einem Aufsatz von Dr. Erich Standfest zu Blüms Gesetzentwurf „Senkung des Rentenniveaus" vom Mai 1997:
Die Formel zur Anpassung der Renten soll um einen Faktor korrigiert werden, der die steigende Lebenserwartung berücksichtigt.
Dieser Vorschlag ist weder akzeptabel noch notwendig.
Dann zitiert Norbert Blüm Lutz Freitag, Deutsche Angestelltengewerkschaft. Ich zitiere Ihnen Lutz
Freitag von Ende April 1997: Nach Auffassung von Freitag, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist, wird die Durchschnittsrente als Folge der von der Koalition geplanten Reform bis zum Jahre 2030 auf knapp 50 Prozent und nicht, wie von Blüm berechnet, auf 64 Prozent des Nettoeinkommens sinken. - Diesen Mann, der Sie mit seinen Berechnungen gnadenlos vorführt, führen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen als Kronzeugen an. Herr Blüm, Sie müssen Ihrer eigenen Fraktion, den Koalitionsfraktionen mal die Wahrheit sagen über das, was sich hier abspielt.
Dr. Franz Ruland, Vorsitzender des Verbandes der Rentenversicherungsträger, ist in einem Interview des „Tagesspiegel" - wann war es denn? irgendwann in den letzten Tagen und Wochen; es spielt auch gar keine Rolle - befragt worden:
Nach Ihrer Darstellung überzeichnet die aktuelle Entwicklung die langfristige Problematik.
Herr Ruland antwortet:
Ja. Die jetzige Debatte ist durch drei Faktoren gekennzeichnet. Der Beitragssatz für 1996 ist mit 19,2 Prozent deutlich zu niedrig festgesetzt worden... Die Politik ist ihrem Optimismus über die wirtschaftliche Entwicklung erlegen. Allein deshalb hat der Beitragssatz 1997 die 20 Prozent überschritten.
Obwohl der oberste Rentenhüter Ihnen also vorwirft, in den letzten beiden Jahren solche hausgemachten Fehler gemacht zu haben, die allein für diese Beitragshöhe verantwortlich sind, erdreisten Sie sich, diesen Mann hier als Ihren Entlastungszeugen zu benennen. Das ist Ihr Belastungszeuge, Herr Blüm, aber kein Entlastungszeuge.
Gerhard Schröder hat gesagt: Was Blüm verschwiegen hat: Das SPD-Konzept bis 2015 ist völlig außerhalb der Diskussion.
Für die Zeit nach 2015 habe er Bedenken. - Frau Babel, Sie dürfen sich nicht immer so früh freuen. Auch Sie müssen mal Tageszeitungen lesen und dürfen nicht immer auf das hören, was Herr Blüm Ihnen aufschreibt.
Ja, was glauben Sie, wie viele Leute Bedenken haben? Ich selbst habe ebenfalls Bedenken, weil ich mir nicht anmaße, Frau Babel, mich, wie Sie es tun, kaltlächelnd hier hinzustellen und zu sagen: Ich weiß genau, was in 20 Jahren auf der Tagesordnung steht.
Das dritte Beispiel: Walter Hirrlinger. Herr Blüm, warum verschweigen Sie dem Hohen Hause, daß Walter Hirrlinger Ihnen gesagt hat, daß er, wenn Sie das Niveau, wie beabsichtigt, vor 2015 senken, mit seinem VdK nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht geht und Sie verklagt? Einen Mann, der
Rudolf Dreßler
Sie in Karlsruhe verklagen will, hier als Entlastungszeugen einzuführen, das ist doch in höchstem Maße unredlich gegenüber Walter Hirrlinger. Sie sollten sich schämen, Herr Blüm!
Was hat denn Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, gesagt? Er hat gesagt, er glaube, daß man für die Zeit nach 2015 über Niveaukürzungen reden müsse, aber bis 2015 auf gar keinen Fall. - Sie wollen bis 2015 kürzen, wir nicht. Beck steht auf unserer Seite. Auch diesen Kronzeugen haben Sie wider besseres Wissen in diese Debatte eingeführt. Haben Sie eigentlich keine eigenen Berechnungen und Fakten, die Sie hier einführen können? Müssen Sie sich auf solche Argumente stützen, die bei einer Prüfung in sich zusammenfallen? Herr Blüm, wie weit sind Sie in den letzten Monaten eigentlich gesunken? Ist Ihnen die Rentenversicherung über den Kopf gewachsen, oder wie darf ich das verstehen?
Ich möchte von Ihnen hier Fakten hören und nicht Sozialdemokraten als Kronzeugen benannt bekommen, die überhaupt keine sind. Sie sollten sich wirklich schämen! Schade, daß Ihr Bundeskanzler gegangen ist. Er hat sich ja bei Ihrer Rede amüsiert. Wenn er das nachliest, wird er sich für Sie schämen.
Meine Damen und Herren, der Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz hat der Bundesregierung ein bestürzend niedriges Rentenniveau vorgeworfen. Ich zitiere:
Die wahre Lage der Rentner wird bei einem Vergleich mit den Leistungen der Sozialhilfe klar ... Berücksichtigt man ... die sonstigen Leistungen der Sozialhilfe, steht sich ein Ehepaar, das nie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat und deshalb Sozialhilfe empfängt, heute schon besser als das Ehepaar, das 40 Jahre lang Durchschnittsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat.
Dieses Argument trifft den Kern der Sache bei der Beurteilung der Höhe des Rentenniveaus. Es stammt jedoch - ich bin versucht zu sagen: leider - nicht vom heutigen Sozialminister in Mainz; Autor des Zitats ist vielmehr der frühere Staatsminister Dr. Heiner Geißler, geschrieben am 2. November 1973.
Das damalige Rentenniveau lag bei 63,4 Prozent. Es ist danach innerhalb von nur vier Jahren auf seinen Rekordwert von 73,8 Prozent gestiegen, also um über 10 Prozent. - Das zur ständig wiederholten Litanei, auch bei einer SPD-geführten Bundesregierung sei das Rentenniveau schon einmal niedrig gewesen. - Kollege Geißler hat seine damalige Kritik bei einem Niveau von etwa 64 Prozent geäußert, also bei dem Zielwert, der nach politischer Vorgabe der Kohl-Regierung jetzt zügig erreicht werden soll.
Wenden wir sein damaliges Beispiel auf die heutige Situation an, so sind die im Prinzip richtigen Kriterien Geißlers sogar beim heutigen Rentenniveau von etwa 70 Prozent nicht mehr erfüllt. Hinzu kommt: Diese 70 Prozent beziehen sich auf einen Eckrentner mit 45 Beitragsjahren. Dieser aber, Herr Blüm, ist schiere Fiktion; den gibt es nicht. Der Durchschnitt der Beitragsjahre liegt in Wahrheit bei 39 Jahren. Warum sagen Sie den rentennahen Jahrgängen nicht, daß Ihre Rechnung mit 70 Prozent nach 45 Versicherungsjahren die Mehrheit nicht mehr betrifft, sondern nur noch eine Minderheit? Auch da, Herr Blüm, reden Sie wider besseres Wissen.
Jeder kann die Rechnung aufmachen. 40 Jahre Beiträge vom jeweiligen Durchschnittseinkommen - das sind heute immerhin 53 800 DM brutto im Jahr - ergeben eine verfügbare Rente von 1726 DM. Der Sozialhilfebedarf eines Rentnerehepaares in einer Großstadt liegt einschließlich einer Miete von 800 DM, die als Sachleistung eingerechnet wird, im Schnitt bei etwa 1900 DM. Ich wiederhole: 40 Jahre Beiträge ergeben 1726 DM Rente; die Sozialhilfe aber liegt bei 1900 DM. Die Vorgabe, daß die Rente nach 40 Durchschnittsbeitragsjahren bei einem Ehepaar höher sein muß als der Sozialhilfesatz, ist also bereits heute nicht mehr erfüllt.
Dennoch will die Koalition mit ihrem sogenannten Reformgesetz die realen Leistungen der Rentenversicherung weiter absenken. Noch mehr Versicherte, vor allem Frauen, werden selbst bei langjähriger Beitragszahlung nicht mehr erhalten, als sie ohne Beitragszahlung von der Sozialhilfe erhalten würden. Das - dies ist unser zentraler Vorwurf an Sie - beschädigt das Vertrauen in eine Alterssicherung, die auf Pflichtbeiträgen beruht, im Kern.
Wenn der Deutsche Bundestag heute vor die Notwendigkeit gestellt ist, binnen weniger Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes von 1992 abermals eine Reform in Angriff zu nehmen, so ist das kein Zeichen von politischer Verläßlichkeit. Im Gegenteil: Wer im Zuge der Rentenreform 1992, einvernehmlich zwischen Koalition und Opposition, Gesetze beschließt, die die Rentenversicherung für 20 oder gar 25 Jahre stabilisieren, und anschließend als Regierung im Alleingang eine Rentenpolitik betreibt, die die eigentlich erreichbare Stabilisierung wieder zerstört, der ist nicht nur ein politisch unzuverlässiger Patron, sondern ist der eigentliche Verursacher der erneuten Finanzkrise in der Rentenversicherung.
Damit es klar ist: Die Notwendigkeit einer abermaligen Stabilisierungsaktion bei der Rentenversicherung ist eine direkte Folge der falschen Politik von CDU/CSU und F.D.P. Unsere Rentenversicherung ist in sich stabil. Es gibt nur einen destabilisierenden Faktor, der immer wieder für Unordnung sorgt: Das ist die Bundesregierung, an ihrer Spitze Norbert Blüm.
Rudolf Dreßler
Eines möchte ich ganz klar feststellen: Politische Vorgabe der Blümschen Rentenkommission war es, das Rentenniveau zu senken. Das ist dann auch geschehen. Da kann Herr Blüm reden wie ein Weltmeister: Kürzung bleibt Kürzung.
Zur Rechtfertigung wurde eine scheinwissenschaftliche Begründung gesucht. In der angeblichen Berücksichtigung einer längeren Lebenserwartung wurde sie dann - oh Wunder - prompt gefunden. Schon die Bezeichnung „demographischer Faktor" ist zweifelhaft, weil zur Demographie nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Geburtenhäufigkeit und die Zuwanderung gehören. Die Bundesregierung berücksichtigt aber nur die längere Lebenserwartung, weil nur das zum politisch gewünschten Effekt führt.
An diesem zusätzlichen Faktor wurde dann so lange herumgebastelt, bis das Ziel, Niveausenkung möglichst schnell - bis 2010 auf 65 Prozent -, erreicht wurde. Das erklärt auch die große Zufriedenheit der F.D.P.-Fraktion.
Herr Blüm, Sie haben hier wiederholt versucht, uns klarzumachen, daß 70 weniger 6 zwar 64 sind, daß das aber trotzdem keine Kürzung ist.
Nun weiß ich, daß man jemandem nicht erklären kann, was er nicht wissen will. Dazu zählen zweifellos auch Sie. Aber für alle außer denen, die es nicht erklärt haben wollen, will ich sagen: Wenn auf der Grundlage bestehender Gesetze einem Rentner für das Jahr 2010 eine Rente von 1800 DM in Aussicht gestellt wird, er aber dann auf Grund der Niveauabsenkung von 70 auf 64 Prozent, die der heute vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, tatsächlich nur 1645 DM erhält, so ist das eine Kürzung um 155 DM; da beißt die Maus keinen Faden ab. Und nun, Herr Blüm, können Sie der Bevölkerung weiter erklären, daß Ihre Kürzung keine Kürzung ist.
Sie haben hier Ihr eigenes Dilemma vor dem Deutschen Bundestag soeben ausgebreitet. Sie haben soeben erklärt, daß Sie auf Steuerzahlerkosten - interessant! - einen Gesetzentwurf, der noch nicht einmal das Parlament erreicht hatte, in einer Telefonschaltaktion rechtfertigen wollten. Sie haben hier soeben gesagt, daß Tausende von Rentnern über Sie hergefallen seien und gesagt hätten, die SPD hätte sie aufgehetzt. Nein, Herr Blüm, die Rentnerinnen und Rentner haben gemerkt, daß sie von Ihnen um die Fichte geführt werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Halten Sie die Rentner und die rentennahen Jahrgänge nicht für so dumm, daß sie nicht erkennen, was Sie da mit ihnen treiben!
Wenn Sie um 6 Niveaupunkte reduzieren wollen, kürzen Sie die von uns gemeinsam zugesagte Rente. Wenn Sie wenigstens den Mut hätten, Ihre Kürzungsabsicht auch vor dem Deutschen Bundestag zu bestätigen! Aber Sie haben noch nicht einmal den Mut, für Ihre eigenen schriftlichen Schandtaten geradezustehen. Das ist der eigentliche Skandal, den ich Ihnen vorwerfe.
Die SPD lehnt eine Senkung des 1989 mit 70 Prozent langfristig zugesagten Rentenniveaus entschieden ab. Ihre Rentenpolitik ist eine Politik nach der Formel: 15 Jahre Rente reichen. - Wenn das Prinzip aber einmal eingeführt ist, meine Damen und Herren, warum soll dann die Absenkung bei 64 Prozent gestoppt werden, obwohl die Leute möglicherweise länger leben? Warum soll bei 64 Prozent Rentenniveau Schluß sein mit der Absenkung? Wer soll Ihnen, Herr Blüm, das nach so vielen gebrochenen Zusagen eigentlich noch glauben? Wir wissen doch, daß in Ihrer eigenen Partei, der christdemokratischen Partei, und in der F.D.P. die Debatte darum ging, das Niveau in Wahrheit auf 60 Punkte zu senken. Aber vor den Bundestagswahlen hatten Sie den Mut dazu nicht. Ich prophezeie Ihnen: Ließe die Bevölkerung Sie noch einmal, Sie würden es nach der Wahl eiskalt tun. Deshalb wird man die Bevölkerung vor Ihren Taten, die Sie danach - entgegen Ihren Versprechungen - wieder einfließen lassen wollen, warnen müssen, meine Damen und Herren.
Unser entschiedener Widerstand gegen die Niveausenkung entspricht nicht nur den Interessen der heutigen Rentner, die entgegen der Propaganda des Herrn Blüm bis 2010 den größten Teil der realen Rentenminderung selbst am eigenen Leib erleben werden. Wir vertreten damit genauso die Belange der jungen Generation; denn die sind die eigentlich Betrogenen bei den Rentenplänen der Koalition. Sie werden nämlich diejenigen sein, die für die relativ höchsten Beiträge in aktiver Zeit die relativ niedrigste Rente im Alter erhalten werden.
Wir sagen hingegen: Leistung und Gegenleistung. Auch nach unserem Konzept sind erhebliche Beiträge zu leisten, wenngleich deutlich niedrigere als nach heutigem Recht. Jedoch bietet unser Konzept dafür auch eine vernünftige Gegenleistung, ein langfristig bei etwa 70 Prozent liegendes Rentenniveau und einen Schutz bei Invalidität, der diesen Namen verdient.
Zu einem vernünftigen Generationenvertrag, meine Damen und Herren, gehört auch, daß seit über 100 Jahren in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Systemen funktionierende Sozialversicherungssysteme nicht von einer Politikergeneration ruiniert werden. Der Bundessozialminister ist mit seiner Gesetzgebung innerhalb von nur zwei Jahren dabei, dies zu tun, indem zentrale Leistungsversprechen gebrochen werden.
Seit der Amtsübernahme der Regierung Kohl gab es 14 Änderungen im Rentenrecht, die erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Rente haben, und zwar Kürzungswirkungen. Zu behaupten, die Rentner müßten jetzt endlich auch ihren Beitrag leisten, ist eine bösartige Verdrehung der politischen Sachverhalte.
Rudolf Dreßler
Damit sich der Bundestag an die vergangenen Entscheidungen erinnert, darf ich darauf hinweisen, daß von 1975 bis 1997 durch Rechtsänderungen eine Minderung der Rente in Höhe von 38,8 Prozent eingetreten ist. Allein die Rentenbescheide für Zigtausende Anfang dieses Jahres zeigen Kürzungen bis zu 40 Prozent - in Einzelfällen noch höhere - gegenüber den Zusagen im Jahre 1996. Wie sich ein Bundessozialminister bei dieser Ausgangslage vor Fernsehkameras stellen und behaupten kann: „Wir kürzen nicht", bleibt christdemokratisches Geheimnis.
Wenn diese „Abteilung" noch nicht einmal Leuten vom Fach glaubt, dann müßte sie doch Herrn Blüm selbst, dem sie soeben Beifall geklatscht hat, glauben; denn er hat am 10. März dieses Jahres an die lieben Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen dicke Papiere verschickt. In einem dieser Papiere ist zu lesen, daß die Kürzungs- oder, wie er es nennt, Sparbeiträge in der Rentenversicherung seit 1982 knapp 60 Milliarden DM betragen: Im Haushaltsbegleitgesetz 1983/84 machten sie 3 Milliarden DM, im Rentenreformgesetz 1992 17,2 Milliarden DM aus.
- Wer hat das denn bestritten? Nur, was wir damals versprochen haben, Herr Louven, wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands halten. Sie wird gegenüber denen, denen sie es gegeben hat, nicht wie Sie nur wenige Jahre danach ihr Wort brechen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Dann lese ich noch, daß Herr Blüm seinen Kolleginnen und Kollegen ankündigt, daß auf der Grundlage des Gesetzes vom letzten Jahr von 1998 bis 2000 weitere 19 Milliarden DM in der Rentenversicherung eingespart würden. Ferner prognostiziert er, daß, wenn sein Gesetz, das hier zur Beratung ansteht, Wirklichkeit wird, die Rentenversicherung erneut 20,2 Milliarden DM weniger auszahlt als nach heutigem Recht.
Herr Blüm, Sie müssen sich einmal entscheiden. 20 Milliarden DM weniger als heute sind eine Kürzung. Das muß doch in Ihren Kopf gehen. Seien Sie doch wenigstens so mutig, sich hier hinzustellen und zu sagen: Gut, ich will kürzen. Das wäre zumindest ein Einstieg in eine ehrliche Debatte gewesen.
Das, was Sie tun, Herr Blüm, ist nichts anderes, als den Leuten etwas vorzumachen.
Nun hat uns Herr Blüm heute wieder aufgefordert, uns an der Verwüstung der Rentenversicherung zu beteiligen. Bis Anfang 1996 gab es zwischen den großen Parteien und in unserer Gesellschaft insgesamt einen Rentenkonsens. Wir haben gemeinsam gesagt: Die Renten sind auf mittlere Sicht, also für die nächsten 15 bis 20 Jahre, durch die Rentenreform 1992 gesichert. Langfristig, nach 2015, machen die bereits 1989 diskutierten demographischen Probleme eine weitere Anpassung erforderlich.
Herr Blüm hat am 2. Februar 1996 von diesem Pult aus wörtlich zu Protokoll gegeben: Eingriffe in die Rentenformel wird es mit mir nicht geben. - Herr Blüm, ist die Mißgeburt des sogenannten Demographiefaktors kein Eingriff in die Rentenformel? Sie haben mich soeben als Fuhrmeister der Betonmischmaschine charakterisiert. Ich darf Sie als Vorsitzenden des Vereins „Tarnen und Täuschen in Deutschland e. V." herzlich begrüßen. Das kann keiner besser als Sie.
Meine Damen und Herren, wir haben in zwei Sondierungsrunden ausgelotet, ob sich Verhandlungen lohnen. In diesen Sondierungsgesprächen hat die Koalition erklärt, die Niveauabsenkung und die Defacto-Privatisierung bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten seien ein Paket und nicht verhandelbar. Danach war für uns klar, daß hier im Parlament zwei unterschiedliche Konzepte beraten werden müssen. Das Ergebnis dieser Beratung wird mit Mehrheit gefunden werden. Das von der Mehrheit durchgesetzte Ergebnis und das Konzept der Opposition sind anschließend vor den Bürgerinnen und Bürgern zu verantworten. Sie werden 1998 die Wahl haben. Wenn sich zwei, wie wir heute morgen gehört haben, nicht zusammenzubringende Konzepte in diesem Parlament gegenüberstehen, bei denen kein Kompromiß möglich ist, dann ist es das Logischste, was ein Parlamentarismus reklamieren kann, daß man diese beiden unterschiedlichen Konzepte den Wählerinnen und Wählern vorträgt und daß sie entscheiden, ob sie Ihren Weg, Herr Blüm, der Kürzung gehen wollen oder unseren Weg der Strukturveränderung in der Rentenversicherung.