Rede von
Michael
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nach der etwas provinziellen und auch unangemessenen Aufgeregtheit lassen Sie uns wieder zu den Fakten kommen. Fakt ist, daß wir über den Zustand der Welt und die Rolle der Bundesrepublik reden. Da wäre es wichtiger, einmal ein paar Punkte zur Kenntnis zu nehmen.
Es ist jetzt zehn Jahre her, da haben die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft vor der weltweiten Klimakatastrophe gewarnt. Das war im Herbst 1987. Damals hatten wir auf der Erde etwa 21 Milliarden Tonnen Kohlendioxid Emission, die Menschen verursacht haben. Ich weise darauf hin, daß wir übereinstimmend der Auffassung sind, daß die kritische Grenze bei etwa 14 bis 15 Milliarden Tonnen liegt. Alles, was darüber liegt, wird als ein kritischer Zusatz zu den Kreislaufsystemen der Erde gesehen.
Zehn Jahre später liegt der Ausstoß weltweit bei 23,5 Milliarden Tonnen. Das heißt, die letzten zehn Jahre haben in keinster Weise eine Umkehr erbracht. Das ist der eigentliche Punkt, über den wir reden müssen: ob wir unsere Verantwortung, die wir in dieser Frage haben, wahrnehmen.
Bei der Klimaproblematik geht es nicht nur um Veränderungen in der Natur. Sie ist vielmehr zentral für das zukünftige friedliche Zusammenleben der Menschheit und dafür, ob wir Wohlstand, Frieden und Demokratie auf der Erde bewahren können. Da ist nicht kleinliche Rechthaberei angebracht, sondern das Bemühen um wahre Problemlösung. Das ist der eigentliche Maßstab, an dem wir Sie messen müssen - nicht an Ihren Reden.
Wir stellen fest, daß sich die Klimaproblematik vor allem in folgenden Punkten konzentriert: Erstens. Die Zerstörung der Natur entwickelt sich nach wie vor exponentiell. Wir müssen wissen, daß heute ungefähr nur ein Viertel der Menschheit - nämlich der Teil der Menschheit, der unter industriellen Bedingungen lebt - für drei Viertel der Umweltzerstörung verantwortlich ist. Dazu muß man wissen: 2 Milliarden Menschen auf der Erde haben noch nicht einmal Zugang zu hygienisch sauberem Wasser. 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Elektrizität. Vor diesem Hintergrund liegt die eigentliche Dramatik darin, daß ein Viertel der Menschheit die Erde schon an den Rand des ökologischen Bankrotts gebracht hat. Für einen großen Teil, nämlich für drei Viertel der Menschheit, gibt es keinen Entwicklungsraum, wenn wir uns nicht verändern.
Zweitens. Ökologische Veränderungen haben einen Vorlauf von 40 bis 50 Jahren. Sind wir uns eigentlich darüber im klaren, daß die Emissionen, die wir in den letzten 40 Jahren freigesetzt haben, beispielsweise an Kohlendioxid oder an Methan, erst in der Zukunft die menschlichen Lebensbedingungen beeinflussen werden? Ist uns eigentlich klar, welche Verantwortung sich daraus für heute ergibt? Die Di-
Michael Müller
mension Zeit berücksichtigen wir bei unserer Handlungsweise überhaupt nicht.
Drittens. Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen Tätern und Opfern. Wir, die Länder im Norden, richten die Schäden an, aber die Hauptbetroffenen sind die Menschen im Süden. Wenn wir die Hauptbetroffenen wären, wenn die Klimaänderungen uns jucken würden, wäre die Tatenlosigkeit schon lange vorbei. So bleibt es beim folgenlosen Gerede.
Viertens. Durch Armut wird die Umweltzerstörung weiter beschleunigt. Auf der Erde leben 3 Milliarden Menschen, die eine Kaufkraft von weniger als 2 Dollar pro Tag haben. Ist uns eigentlich klar, was das für die Prinzipien der Gerechtigkeit bedeutet? Ist uns eigentlich klar, daß wir mit unserem ökonomischen Egoismus überhaupt nicht in der Lage sind, Gerechtigkeit in der Zukunft zu üben? Das ist nicht nur ein Problem von sozialer Verantwortung; es ist auch eine ökonomische Frage. Denn wenn die Erde zunehmend ihr Gleichgewicht verliert, dann wird es vielleicht zwar einige Gewinner geben, aber auch immer mehr Verlierer und damit eine immer größere Destabilität.
Meine Damen und Herren, Rio war das große Zeichen der Hoffnung, weil es einen anderen Weg aufgezeigt hat als den der Anpassung an die globalen Märkte. Vorhin wurde gesagt, es sei Illusion, zu glauben, wir könnten die Welt neu regulieren und anderen Staaten sagen, wie sie sich sozial und ökologisch verhalten müssen. Wer so etwas behauptet, hat nicht begriffen, daß als zentrale Botschaft von Rio das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung für alle Länder ausgehen sollte. Nachhaltigkeit bedeutet, sich an sozialen, an ökologischen Kriterien auszurichten, und zwar nicht an einigen, sondern an allen. Es ist die Chance für eine neue Weltinnenpolitik, es ist ein Koordinatensystem gegen Sozial- und Umweltdumping. Wer dies nicht begreift, hat die historische Chance von Rio verkannt.
Das ist unzweifelhaft auch ein Vorwurf an die USA. Wir haben kein Verständnis für den eklatanten Widerspruch zwischen den Reden von Al Gore und den Taten der amerikanischen Regierung.
Es ist nicht hinzunehmen, daß die USA für ungefähr ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich sind. Da gibt es überhaupt kein Vertun.
Wir müssen aber auch folgendes zur Kenntnis nehmen: In den USA entfallen pro Jahr CO2-Emissionen in Höhe von etwa 19,8 Tonnen auf einen Menschen. Es ist richtig, daß dies in der Europäischen Union nur 6,6 Tonnen pro Person und Jahr sind. Aber jetzt lassen Sie uns das bitte ein wenig in bezug auf die Europäische Union auflisten, und wir stellen fest, daß die
Bundesrepublik mit knapp 11 Tonnen pro Jahr hierbei einsamer Spitzenreiter ist.
Wer wirklich Vorreiter sein will, der kann doch bei den Emissionen zu Lasten der Umwelt nicht so weit von dem Durchschnitt der Europäischen Union entfernt sein. Hier stimmt doch etwas nicht, und genau dies ist auch die Aussage aller Umweltminister. Sie sagen: Nach der Konferenz von Rio de Janeiro hat es in der Europäischen Union keine deutsche Umweltpolitik mehr gegeben. - Das ist die Aussage von Regierungsvertretern mit uns befreundeter Länder.
Meine Damen und Herren, Sie haben 1990 versprochen, die CO2-Emissionen in der alten Bundesrepublik bis zum Jahr 2005 um mindestens 25 Prozent zu senken. Wir stellen fest: Dieses Versprechen war Täuschung. Tatsächlich liegen wir heute in den alten Bundesländern um 3,4 Prozent über dem Wert von 1990; gesunken ist diese Emission nirgendwo.
Sie haben im Grunde genommen nur die Einigungsdividende durch den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft als umweltpolitischen Erfolg ausgegeben. Das ist Täuschung, das ist keine Politik; dabei machen wir auch nicht mit.
Meine Damen und Herren, nutzen wir die Chance einer Politik der Nachhaltigkeit! Nachhaltigkeit ist eine Chance, die Politik weltweit auf eine neue Basis zu stellen, auf der wir Frieden, Demokratie und Freiheit sichern können. Aber das wird nur klappen, wenn wir bei uns anfangen und nicht das Gegenteil von dem machen, was wir hier predigen.