Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vergangenen Wochen standen im Zeichen einer Reihe von wichtigen internationalen Konferenzen. Dabei wurde deutlich, daß das Jahr 1997 ein Schlüsseljahr für die Fortentwicklung der internationalen Beziehungen und für eine neue Partnerschaft zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd ist. Es gilt, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Chancen zu nutzen und gemeinsam eine Welt zu gestalten, in der man versucht, die globalen Probleme im Miteinander zu lösen. Es geht darum, daß sich die Staatengemeinschaft - in Europa und weltweit - auf die enormen Veränderungen einstellt, die sich an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ergeben, daß neue Antworten - und zum Teil auch neue Strukturen - auf die Herausforderungen dieses Jahrhunderts gefunden werden. Fragen wie die Globalisierung der Wirtschaft - und damit die weltweite Arbeitsteilung - oder Probleme wie die weiter wachsende Umweltbelastung stellen sich nicht nur den einzelnen Ländern, sondern überall in der Welt. Sie erfordern notwendigerweise eine immer engere Zusammenarbeit über Grenzen und Kontinente hinweg. Es ist unübersehbar: Die Länder der Erde sind heute mehr denn je zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden.
Für uns Deutsche sind vor allem zwei wichtige Gesichtspunkte auf den Konferenzen der vergangenen Wochen klargeworden:
Erstens: An unser Land, an Deutschland, richten sich hohe Erwartungen. Deutschland genießt - weit über Europa hinaus - Wertschätzung und Vertrauen in einem Maße, wie es wohl noch nie zuvor der Fall gewesen ist. Dies nimmt uns in einer ganz besonderen Weise in die Pflicht. Das heißt, wir tragen nicht nur Verantwortung für unser eigenes Land, sondern eine besondere Verantwortung für die Entwicklung in der Welt.
Zweitens: Im Zeitalter globaler Entwicklungen lassen sich Außen- und Innenpolitik noch weniger trennen als je zuvor. Das heißt, international mitgestalten kann nur der, der auch zu Hause zu Veränderungen bereit ist.
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Deshalb muß die Politik der Reformen in unserem Lande fortgesetzt und auch durchgesetzt werden.
Das Entstehen einer neuen Partnerschaft zwischen Ost und West hat sich insbesondere auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Denver deutlich widergespiegelt. Bei diesem Gipfel war Rußland von Anfang an dabei. Der russische Präsident Boris Jelzin hat auf Einladung von Präsident Clinton das diesjährige Treffen der Staats- und Regierungschefs eröffnet. Ich halte dies für einen Vorgang von großer politischer und psychologischer Bedeutung.
Nachdem Rußland bereits seit dem Gipfel in München 1992 immer stärker in den Entscheidungsprozeß der G 7 eingebunden wurde, haben wir in diesem Jahr den Schritt zum Gipfel der Acht vollzogen. Dies ist ein klares Signal der Ermutigung für die demokratische und wirtschaftliche Reformpolitik Rußlands. Am Gelingen dieser Politik in Rußland - das gleiche gilt für die Entwicklung der Politik in den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten insgesamt - hat Europa, insonderheit Deutschland als Land in der Mitte, ein ganz zentrales Interesse.
In Denver wurden die Anstrengungen Deutschlands, gerade Rußland und den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas insgesamt beim Aufbau und Ausbau von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft zu helfen, von meinen Kollegen ausdrücklich gewürdigt.
Eines der wichtigsten Themen bei den politischen Beratungen der Acht war der Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina. Wir waren uns darin einig, daß die politisch Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina wie auch in Kroatien und in der Bundesrepublik Jugoslawien ihren Verpflichtungen zur Umsetzung des Dayton-Abkommens bisher nicht ausreichend nachgekommen sind. Wir stimmten darin überein, daß wir alles versuchen sollten, den Druck auf alle Parteien weiter zu verstärken, damit das Abkommen vollständig verwirklicht wird.
Unsere Unterstützung für den Wiederaufbau in dieser Region ist klar verbunden mit der Bereitschaft der dort Verantwortlichen zu einer wirklich konstruktiven Mitarbeit. Das Recht der Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr in ihre Heimat muß gewährleistet sein. Daran hat Deutschland ein ganz besonderes Interesse. Mit der Aufnahme von mehr als 300 000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien hat unser Land einen großen humanitären Beitrag geleistet. Es war richtig, daß wir das getan haben. Bund, Länder und Gemeinden zusammen haben seit 1991 für die Betreuung dieser Flüchtlinge mehr als 15 Milliarden DM aufgewendet. Jeder erkennt: Es wäre sehr viel sinnvoller, wir könnten diese Mittel dazu verwenden, die Dörfer und Städte, die Fabrikationsstätten und Arbeitsplätze vor Ort aufzubauen.
Im Vordergrund der Beratungen zu den Wirtschaftsfragen standen vor allem die Strukturreformen in den einzelnen Ländern der G 8, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und zur Alterssicherung. Es ist
offenkundig, daß unter diesen Acht alle voneinander lernen können - auch wir in der Bundesrepublik Deutschland -, etwa von unseren amerikanischen Freunden und Partnern. Es ist auch offenkundig, daß es kein für alle gleichermaßen gültiges Patentrezept gibt; denn jedes Land hat seine eigene Geschichte und Tradition; in jedem Land gibt es mentale Unterschiede und unterschiedliche Strukturen. Daraus ergibt sich, daß die Hauptverantwortung in den einzelnen Ländern liegt - bei den Tarifpartnern wie auch bei der Politik. Vor Ort müssen die notwendigen Entscheidungen für mehr Investitionen getroffen werden, um vorhandene Arbeitsplätze zu sichern und neue aufzubauen.
Wir haben jeweils über das berichtet, was im eigenen Land geschieht und geschehen muß. Die Gipfelteilnehmer haben die Erwartung - das kommt im Schlußkommuniqué deutlich zum Ausdruck -, daß wir in Deutschland die eingeleiteten Reformen vorantreiben. Das heißt - ich will das hier noch einmal betonen -: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir dürfen beispielsweise den zukunftsorientierten Umbau unseres Steuersystems nicht länger verzögern.
Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, zu einem vernünftigen Kompromiß zu finden, zu einem Kompromiß, der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärkt und vor allem auch Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bietet.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, besondere Beachtung haben wir in Denver der Entwicklung in Afrika gewidmet. Trotz bedrückender Krisen und trotz erschreckender Bilder im Fernsehen sollte nicht übersehen werden, daß eine ganze Reihe von afrikanischen Ländern erfreuliche wirtschaftliche und politische Fortschritte erzielt hat. Eine beachtliche Zahl dieser Länder kommt in den Genuß zusätzlicher Schuldenerleichterungen, die wir beim letzten Wirtschaftsgipfel in Lyon vereinbart haben. Allerdings - und das muß betont werden - kann Hilfe von außen nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Ich denke, der wichtigste Beitrag, den die Industrieländer leisten können, ist das Engagement für offene Märkte, für ein liberales Welthandelssystem. Wir müssen unsere Anstrengungen in dieser Richtung in den kommenden Jahren weiter verstärken.
Ein weiteres wichtiges Thema in Denver war die Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität, der Drogenmafia und der Korruption. Hier bestand Einigkeit über die Notwendigkeit eines sehr viel energischeren gemeinsamen Handelns. Ich will dies an den Zahlen deutlich machen, die dort genannt wurden. Es wurde darauf hingewiesen, daß Jahr für Jahr ungefähr 100 Milliarden Dollar aus illegalen Geschäften allein nach Europa eingeschleust werden. Angesichts solcher Zahlen ist für jedermann klar, daß wir handeln müssen. Wir haben vereinbart, daß der britische Premierminister Tony Blair auf dem nächsten Wirtschaftsgipfel, der im Mai 1998 in Birmingham stattfinden wird, den Kampf gegen die Kriminalität zu einem Schwerpunktthema macht und daß wir uns auf diesem Gipfel vor allem mit der Ver-
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besserung der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet beschäftigen.
Meine Damen und Herren, bei unseren Erörterungen in Denver hat der globale Umweltschutz eine Schlüsselrolle gespielt. Sie wissen, dieser Frage widmete sich auch die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in dieser Woche. Die Schicksalsfrage lautet: Wie können wir für eine wachsende Weltbevölkerung langfristig die natürlichen Lebensgrundlagen sichern? Für die Antwort auf diese Frage war die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 von entscheidender Bedeutung. Manches wurde seither erreicht. Wahr ist aber auch, daß wir bis heute noch keine wirkliche Umkehr der globalen Umweltbelastungen erreichen konnten.
Wir brauchen ein international abgestimmtes Vorgehen, wenn wir drohende Gefahren für das Weltklima abwenden und die lebenswichtigen Wälder für zukünftige Generationen erhalten wollen. Wir brauchen - das ist deutlich geworden - als Brücke zwischen Nord und Süd eine umfassende Partnerschaft für Umwelt und Entwicklung. In Denver wie auch in der UN-Vollversammlung in New York ging es darum, bestehende Blockaden in der internationalen Umweltpolitik aufzubrechen, die notwendigen Prioritäten zu setzen und so den globalen Umweltschutz ein Stück voranzubringen.
In Amsterdam haben wir in der letzten Woche beim Europäischen Rat eine Reduktion der Treibhausgase in den Industrieländern bis zum Jahre 2010 um 15 Prozent gegenüber 1990 beschlossen. Gemeinsam mit meinen europäischen Kollegen bin ich deshalb in Denver dafür eingetreten, daß sich auch alle Staaten der G 8 hierzu verpflichten. Ich bedaure, daß es uns - jedenfalls in diesem Jahr - nicht gelungen ist, auch die Vereinigten Staaten und Japan hierfür zu gewinnen. Es besteht zwar Einigkeit über dieses Ziel und die Notwendigkeit von Maßnahmen. Aber in Denver war es nicht möglich, zu einer entsprechenden Beschlußfassung zu kommen. Wir dürfen jedoch in diesem Punkt nicht nachlassen. Die Bundesregierung wird gemeinsam mit ihren europäischen Partnern alles tun, um auf der Klimakonferenz in Kyoto Ende dieses Jahres die Vereinbarung zu treffen, bis zum Jahre 2010 eine deutliche Verminderung der Treibhausgase zu erreichen.
Mit der in Deutschland bereits erreichten Verminderung der CO2-Emissionen sind wir auf einem guten Weg.
Kein anderes großes Industrieland hat bisher vergleichbare Anstrengungen unternommen. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen.
Meine Damen und Herren, in Denver haben die Acht die Notwendigkeit betont, auf der Grundlage hoher Standards ein internationales Abkommen zum Schutz und zur schonenden Nutzung der Wälder zu
verabschieden. - In dieser Frage sind wir zu einem Ergebnis gekommen, das zumindest für mich befriedigend ist. - Wir haben viel Zeit verloren. Wenn man sich vor Augen hält, daß Jahr für Jahr 11 Millionen Hektar Wald abgeholzt werden - das entspricht ungefähr der Waldfläche der Bundesrepublik Deutschland -, dann hat man eine Vorstellung davon, wie uns die Zeit davonläuft. Ein Großteil dieser Wälder ist nicht mehr regenerierbar; das wissen wir. Deswegen ist es von größter Bedeutung, daß wir so rasch wie möglich zu einer verbindlichen Vereinbarung kommen.
Entscheidend für den Erfolg einer globalen Strategie zum Schutz der Umwelt ist die Einbeziehung der Entwicklungs- und Schwellenländer. Die fehlende Anwendung moderner Technik führt dort zu hohen Umweltbelastungen. Mit Recht wurde deshalb auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in New York der Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung bekräftigt.
Im Rahmen der Entwicklungshilfe hat Deutschland in den letzten sechs Jahren 5,3 Milliarden DM für Umweltschutzprojekte ausgegeben. Wir tragen zu 60 Prozent die Kosten für das Internationale Programm zum Schutz des brasilianischen Tropenwaldes. Kein anderes Land hat vergleichbare Leistungen erbracht.
In der Vergangenheit hat häufig der Gegensatz zwischen Nord und Süd konkrete Fortschritte im globalen Umweltschutz behindert. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung habe ich die Initiative ergriffen und gemeinsam mit Brasiliens Staatspräsident Cardoso, dem südafrikanischen Vizepräsidenten Mbeki und dem Premierminister von Singapur konkrete Vorschläge zur Überwindung der Gegensätze unterbreitet.
Wir wollen damit deutlich machen, daß Länder aus Nord und Süd sehr wohl in der Lage sind, sich in den zentralen Fragen des globalen Umweltschutzes auf gemeinsames Handeln zu verständigen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang halte ich es für ganz wichtig, daß wir die Zusammenarbeit zwischen den Umweltorganisationen der Vereinten Nationen effektiver gestalten. Ich gehe davon aus, daß es zu diesem Zweck möglich ist - es gibt allein in diesem Bereich elf Sekretariate -, eine Art Dachorganisation für Umweltfragen zu schaffen.
Mit dem erfolgreichen Abschluß des Europäischen Rates von Amsterdam sind wir beim Bau des Hauses Europa ein ganz wichtiges Stück vorangekommen. Der Vertrag von Amsterdam bildet eine gute Grundlage für eine handlungsfähige, bürgernahe und demokratisch verankerte Europäische Union. Er öffnet vor allem die Tür - dies ist für mich ein entscheidender Gesichtspunkt - für die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und Süden. Entsprechend unserer Absprache beim Europäischen Rat 1995 in Madrid werden sechs Monate nach dem Abschluß des Vertrags von Amsterdam die Erweiterungsgespräche mit unseren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa beginnen. Wir werden im Dezember
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beim Europäischen Rat in Luxemburg die notwendigen Entscheidungen auf den Weg bringen.
Von Amsterdam geht ein weiteres wichtiges Signal aus. Es heißt: Der Euro wird kommen. Der Stabilitäts-
und Wachstumspakt ist ohne jede Abstriche verabschiedet worden.
Ich bin sicher, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, gemeinsam mit anderen den Euro planmäßig einführen werden.
Wir wollen dies pünktlich zum 1. Januar 1999 und unter voller Einhaltung der Kriterien von Maastricht tun.
- Ich weiß gar nicht, warum Sie dabei in Unruhe geraten. Haben Sie in der SPD mit diesem Thema Probleme?
Ich habe damit keine Probleme.
In der CDU Deutschlands gibt es keine Probleme, und auch in der Koalition gibt es keine Probleme.
Ich würde mich an Ihrer Stelle darum kümmern, daß Sie am Ende mit einem Kandidaten an die Öffentlichkeit treten, der ein klares Ja dazu sagt. Das scheint mir wichtig zu sein.
Für uns ist klar: Der Euro ergänzt den Binnenmarkt und sichert so Arbeitsplätze. Wenn wir wollen, daß Europa - und vor allem auch Deutschland - im Wettbewerb der Märkte auch künftig seine gute Stellung behauptet, dann müssen wir gemäß unserer Verantwortung dafür sorgen, daß der Euro, wie verabredet, kommt.
Die einheitliche europäische Währung ist sowohl wirtschaftlich wie politisch von größter Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Europäische Union als Friedens- und Freiheitsordnung noch enger und unauflöslich zusammenzuschließen. Wer die Einführung des Euro verschieben will, muß wissen, daß dies möglicherweise eine Verschiebung für immer werden könnte. Dies können und wollen wir uns nicht leisten.
Eine Aufgabe der Wirtschafts- und Währungsunion würde bedeuten, daß Europa in einem entscheidenden Augenblick seiner Entwicklung vor der großen Aufgabe kapitulierte - mit allen negativen Konsequenzen für Exporte, für Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland ebenso wie für den Fortgang der europäischen Integration. Wir alle müßten ein Scheitern des Euro teuer bezahlen. Das wäre ein Verschleudern der Zukunftschancen der künftigen Generation.
Deshalb steht für die Bundesregierung fest: Auf der Basis der Vereinbarung von Amsterdam werden wir auf dem Wege zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion weiter vorangehen. An dem vereinbarten Zeitplan und an den festgelegten Kriterien wird nicht gerüttelt werden. Der Euro wird kommen - als stabile Währung, als sichere Grundlage für eine gute wirtschaftliche Zukunft Europas.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte diese heutige Gelegenheit gerne nutzen, unseren Partnern und Freunden in der EU für ihren Einsatz zu danken, der den Erfolg von Amsterdam erst möglich gemacht hat. Mein erster und besonderer Dank geht an unsere Freunde und Partner in den Niederlanden. Es ist ein Glücksfall für Europa, daß in dieser Zeit wichtiger Weichenstellungen die Niederlande mit ihrem Ministerpräsidenten Wim Kok den Vorsitz führten.
Für die deutsche Seite will ich ganz besonders herzlich den Kollegen Kinkel und Waigel sowie dem Beauftragten für die Regierungskonferenz, Staatsminister Hoyer, danken, die alle mit enormem persönlichen Einsatz die Verhandlungen für die Bundesregierung geführt haben. In diesen Dank schließe ich auch alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesregierung ein, die in diesen Wochen ein gewaltiges Arbeitspensum leisten mußten.
Der Vertrag von Amsterdam ist ein erneuter Beweis dafür, daß die Europäische Union auch in schwierigen Phasen Kurs hält und die Herausforderungen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts mit Zuversicht und mit Augenmaß angeht. Ich hätte mir gewiß in einer Reihe von Punkten weitreichendere Ergebnisse gewünscht. Aber niemand von uns konnte glauben, daß in Amsterdam alle Probleme hätten gelöst werden können. Niemand kann in einer solchen historischen Situation seine Idealvorstellungen durchsetzen. Ohne Kompromisse kann es in einer Union mit 15 Mitgliedstaaten nicht gehen. Entscheidend bleibt aber, daß wir substantielle Fortschritte erzielt haben.
Lassen Sie mich kurz auf einige wichtige Punkte des Vertrages eingehen.
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Erstens: Union und Bürger: Wir alle waren uns einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unsere derzeit dringendste Aufgabe ist. Dies haben wir auch dadurch unterstrichen, daß wir in den EU-Vertrag ein neues Beschäftigungskapitel aufgenommen und zusätzlich eine eigenständige Entschließung zu Wachstum und Beschäftigung in Amsterdam verabschiedet haben. Alle waren sich jedoch auch darüber einig, daß zuallererst auf nationaler Ebene die Weichen richtig gestellt werden müssen. Im Zentrum gemeinsamer europäischer Anstrengungen werden deshalb die Koordinierung des nationalen Handelns, der gegenseitige Informationsaustausch und „Pilotprojekte" im Rahmen bestehender Fonds stehen. Neue Gemeinschaftskompetenzen und neue Mittelübertragungen an die EU und damit europäische Ausgabenprogramme auf Kosten des Steuerzahlers wird es nicht geben.
Der Europäischen Investitionsbank kommt die Aufgabe zu, vorhandene Mittel verstärkt für beschäftigungsintensive Projekte zu nutzen.
Wichtig war für uns die konsequente Fortführung und Weiterentwicklung der Strategie des Europäischen Rates von Essen 1994: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen führt vorrangig über Strukturreformen, vor allem durch mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten. Die Konferenz in Amsterdam hat auch klargemacht: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Stabilität und Beschäftigung. Wir sind uns mit unseren Partnern in der britischen und in der neuen französischen Regierung - mit allen EU-Partnern - einig: Preis- und Haushaltsstabilität sind gemeinsam unabdingbare Grundlage für dauerhaftes Wachstum und damit für mehr Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, die Probleme sind dort anzugehen, wo sie mit größter Aussicht auf Erfolg gelöst werden können. Dies entspricht zutiefst dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzips. Es war ein Mares Ziel der deutschen Politik in Amsterdam, diesen fundamentalen Grundsatz in der Europäischen Union besser zu verankern und klarer zu definieren. So werden künftig Regelungen auf regionaler oder nationaler Ebene unbedingten Vorrang haben. Die Gemeinschaft darf und soll nur dann tätig werden, wenn ein Problembereich auf unterer Ebene nicht ausreichend geregelt werden kann und wenn er - das ist entscheidend - zugleich besser auf europäischer Ebene zu lösen wäre.
Daneben konnten wir eine Reihe weiterer für uns wichtiger Anliegen durchsetzen.
Ich nenne als Beispiel nur die Sicherung der Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie können sich vorstellen, wie sehr ich - der ich jeden Tag in den vollen Genuß der Arbeit dieser Rundfunkanstalten komme, - mich gefreut habe, auf diesem Gebiet einen besonderen Erfolg erreichen zu können.
Wir haben einen zweiten Punkt in einer langen Diskussion durchsetzen können. Das bewährte deutsche Sparkassensystem wird durch eine Erklärung zur Schlußakte geschützt. Ich füge hinzu, dazu waren extrem schwierige Verhandlungen notwendig.
Dabei konnte ich erkennen - das finde ich gut und will es hier wiedergeben -, daß das deutsche Sparkassensystem bei den Kollegen in Europa hohes Ansehen und sehr viel Sympathie genießt. Ich muß allerdings hinzufügen: Dies gilt nicht in gleichem Maße für das Geschäftsgebaren der einen oder anderen Landesbank.
Unsere Verhandlungsposition in Amsterdam ist dadurch nicht gerade erleichtert worden.
Da wir häufig hier im Deutschen Bundestag über das Verhältnis von Bund und Ländern diskutieren, gehört es dazu, hierzu einmal einen Satz zu sagen -mit dem Wunsch verbunden, daß sich auch die Landesregierungen die Vorbehalte, die in den Gesprächen in Amsterdam deutlich wurden, gelegentlich überlegen sollten. Ich glaube, das wird zur inneren Entwicklung in der Europäischen Union beitragen.
Zweitens ging es um die Schaffung eines „europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts." Auch im Bereich der Innen- und Justizpolitik, einem Schlüsselkapitel des neuen Vertrags, sind wir zu guten Ergebnissen gekommen. Sie gehen über das hinaus, was wir zu Beginn der Verhandlungen erwarten konnten. Damit haben wir aus unserer Sicht ein zentrales Ziel der Regierungskonferenz mindestens zum Teil erreicht.
Es war allen klar: Der europaweit zunehmenden Bedrohung durch international organisierte Kriminalität, durch Drogenmafia und Terrorismus können wir nur gemeinsam begegnen. Die Kompetenzen von Europol sind gestärkt worden. Wir haben darüber hinaus die Überführung der Schengen-Zusammenarbeit in den institutionellen Rahmen der EU vereinbart.
In den Bereichen Asyl- und Visapolitik, Einwanderung und bei der Zusammenarbeit von Justiz- und Zollbehörden hat die Konferenz von Amsterdam die Grundlagen für ein gemeinsames effektiveres Handeln gelegt. Dabei konnten und mußten wir zur Wahrung unserer Interessen sicherstellen, daß in Fragen der Einwanderung und des Asyls auch künftig das Prinzip der Einstimmigkeit gilt.
Ich weiß sehr wohl, daß diese Diskussion auch für meine Kollegen aus den anderen europäischen Ländern nicht einfach war. Es gibt in Brüssel Behauptungen wonach wir, die Deutschen, eine Renationalisierung der EU-Politik betreiben würden. - Davon kann überhaupt keine Rede sein.
Ich will das Beispiel anführen, das ich auch in Amsterdam genannt habe. Wir hatten im Jahr 1996 in Deutschland 117 000 Asylbewerber. Das waren
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52 Prozent der Asylbewerber in der gesamten EU. Das heißt, die Mehrheit der Asylbewerber, die nach Europa kommen, geht nach Deutschland.
Das sind übrigens - diese Zahl ist auch recht interessant - auch mehr Asylbewerber, als im gleichen Jahr in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen wurden, einem Land, das immerhin - bezogen auf die Bevölkerungszahl - dreimal so groß ist.
Wir sind nicht europamüde, aber wir haben hier wohlverstandene eigene Interessen zu vertreten.
Ich glaube auch nicht, daß in den nächsten Jahren eine Veränderung unseres Standpunktes möglich ist.
In der Frage der Aufenthaltsvoraussetzungen für legal in der EU lebende Angehörige von Drittstaaten haben wir klare Regelungen vereinbaren können, die auch einen unkontrollierten Zugang zum deutschen Sozialsystem oder zum deutschen Arbeitsmarkt verhindern.
Wir haben - das war eine erfreuliche Erfahrung - diese Position in einer sehr engen und sehr sachorientierten Zusammenarbeit mit den Bundesländern gestalten können.
Drittens ging es um eine effiziente und kohärente Außenpolitik. Es ging damm, den in Maastricht eingeleiteten Prozeß fortzuführen und aus den bisherigen praktischen Erfahrungen die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Die neuen Vertragsbestimmungen werden, auch wenn sie in diesem Fall nicht allen unseren Zielen entsprechen, bei konsequenter Umsetzung in der Praxis bewirken können, daß Europa zunehmend mit einer Stimme spricht und daß diese Stimme auch entsprechendes Gewicht in der Welt hat.
Wichtige Elemente auf diesem Weg sind die Betrauung des Generalsekretärs des Rates mit der Funktion eines Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Schaffung einer entsprechenden Arbeitseinheit im Ratssekretariat, der verstärkte Rückgriff auf Mehrheitsentscheidungen im Rahmen von gemeinsamen Strategien sowie die weitere Annäherung von Europäischer Union und Westeuropäischer Union.
Dabei konnten wir erreichen, daß neben der Verankerung der Petersberg-Aufgaben der WEU und der Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auch die Perspektive der Integration der WEU in die EU erstmals in den Vertrag aufgenommen wurde.
Viertens: Im Bereich der institutionellen Reformen hätten wir uns zweifellos mehr gewünscht. Trotzdem haben . wir auf diesem Gebiet Fortschritte erzielen können. Ich nenne hier die Stärkung der Stellung des Kommissionspräsidenten. Mit der nächsten Kommission wird ein Kommissionspräsident berufen, der sehr viel mehr Möglichkeiten hat, seine Führungskompetenz in die Kommission einzubringen.
Eine deutliche Ausweitung der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments war möglich, ebenso die Vereinfachung der Entscheidungsverfahren, die bessere Einbeziehung der nationalen Parlamente sowie die Stärkung des Ausschusses der Regionen.
In den wenigen Bereichen, in denen deutliche Verbesserungen noch nicht möglich waren, haben wir einen klaren Rahmen für spätere Überprüfungen festgelegt. Nach einer erneuten Erweiterung um drei bis fünf Staaten soll die Zahl von 20 Kommissaren nicht überschritten werden. Das heißt aber, meine Damen und Herren - das muß man hier klar aussprechen -, daß die größeren Mitgliedstaaten - das gilt auch für Deutschland - im Zuge dieser Entwicklung auf einen ihrer bisher zwei Kommissare verzichten werden.
Im Gegenzug - das gehört zusammen - erwarten wir allerdings - dazu gibt es auch einen entsprechenden Auftrag -, daß im Sinne der Wahrung eines repräsentativen Gleichgewichts gleichzeitig die Stimmgewichtung im Rat angepaßt wird.
Der Übergang zu verstärkter Anwendung von Mehrheitsentscheidungen hat sich schwierig gestaltet. Weitergehende Fortschritte waren auf Grund der konkreten Interessen fast aller Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn, darum herumzureden: Diese Interessen erwachsen aus dem täglichen Leben der europäischen Völker. Europa wird eben nicht an einem Reißbrett entworfen, sondern muß sich aus den Gegebenheiten der einzelnen Länder entwikkeln.
Auch wir, die Bundesregierung, haben uns in einer Reihe von Fragen aus guten Gründen gegen die Einführung von Mehrheitsentscheidungen gewandt, weil wir unsere wohlverstandenen nationalen Interessen auch in einer europäischen Überzeugung wahren wollen. Ich nenne hier eine ganze Reihe von Beispielen aus der Industriepolitik, aus dem Bereich des Handwerks. Da geht es zum Beispiel um die Frage der Freizügigkeit für Wanderarbeitnehmer.
Ich will dabei klarstellen, daß es kein Mißtrauen gegen ausländische Arbeitnehmer gibt, die bei uns tätig sind. Aber, es kann nicht angehen, daß solche Arbeitnehmer Deutschland nach relativ kurzer Zeit verlassen und dabei Ansprüche an unser weitergehendes soziales Versorgungssystem mitnehmen wie beispielsweise an die Kranken-, Arbeitslosen- oder Pflegeversicherung. Sie kennen dieses Problem.
Es ging uns darum, daß wir in dieser Frage nicht überstimmt werden können. Das ist kein Mißtrauen gegen andere. Ich habe den Kollegen immer wieder gesagt: So, wie sich die Dinge entwickeln, kommt die Mehrheit ausländischer Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union hierher in die Bundesre-
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publik Deutschland. Wie in der Asylfrage sind wir auch hier die Hauptbetroffenen.
Fünftens: Flexibilität und engere Zusammenarbeit. Wir haben uns in Amsterdam schließlich auf klare Regeln zu mehr Flexibilität in der Europäischen Union geeinigt. Dieses Handlungsprinzip sichert auch für eine erweiterte Union mit 20 oder mehr Mitgliedern die Möglichkeit, die Integration weiter voranzubringen. Dabei gilt: Die Einleitung einer engeren Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten muß von der qualifizierten Mehrheit im Rat gebilligt werden. Die Zusammenarbeit mehrerer Mitgliedstaaten kann von einem einzelnen Mitglied nur bei Gefährdung vitaler nationaler Interessen in Frage gestellt werden.
Meine Damen und Herren, was sich so einfach sagt, ist natürlich ein Punkt von größter politischer Bedeutung. Das heißt nämlich, daß eine Fortentwicklung der Union auch von einzelnen Gruppen in der Union vorangebracht werden kann. Ein Verhalten, wie wir es in der Vergangenheit gelegentlich erlebt haben - ein Verhalten mit Bremswirkung, die das Ganze zum Stillstand bringt -, wird künftig nur in äußersten Ausnahmefällen möglich sein.
Die Bundesregierung hat sich stets für die europäische Sache eingesetzt. Das haben alle meine Amtsvorgänger und alle Bundesregierungen in diesen Jahrzehnten getan. Ich darf hier auch sagen: Das galt und gilt über Parteigrenzen hinweg, für Regierung und Opposition, für Bund und Länder. Am europäischen Engagement Deutschlands gibt es keinen Zweifel. Lassen Sie uns deshalb jetzt bitte gemeinsam alles tun, um den Vertrag von Amsterdam möglichst rasch und mit überzeugenden Mehrheiten zu ratifizieren. Er wird ein tragfähiger Pfeiler unserer weiteren Arbeit am gemeinsamen europäischen Haus sein.
So unterschiedlich die Themen auf den Tagungen von Amsterdam, Denver und New York auch gewesen sein mögen, sie stehen, wie ich denke, doch in einem engen Zusammenhang. Im Kern geht es bei all diesen Begegnungen und Konferenzen - das gilt auch für den NATO-Gipfel in Madrid in der übernächsten Woche - um eine große Aufgabe: ein neues Miteinander zwischen den Staaten und Völkern der Welt zu schaffen. Das liegt vor allem auch im deutschen Interesse; für Deutschland als ein Land der Mitte ist das existentiell.
In diesen Monaten werden maßgebliche Weichen für die Ordnung Europas an der Schwelle zum 21. Jahrhundert gestellt. In der öffentlichen Diskussion unseres Landes - wir wissen das; aber das ist nicht nur bei uns so, sondern auch anderswo - wird oft zuwenig zur Kenntnis genommen, wie sehr gerade die außenpolitischen Entscheidungen unsere Zukunft bestimmen. Von diesen Entscheidungen hängt ganz wesentlich ab, ob künftige Generationen in Deutschland und in Europa dauerhaft in Frieden, in Freiheit, in Wohlstand und sozialer Stabilität leben können. Es geht jetzt - bei all unseren Sorgen im eigenen Haus - darum, daß wir als Deutsche an diesen Entscheidungen mitwirken und daß wir den Beitrag leisten, den andere von uns erwarten. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Ich darf Sie alle sehr herzlich einladen, in diesem Sinne, ungeachtet unserer vielen anderen Kontroversen, ein Stück jener Gemeinsamkeit zu entwickeln, die für die Zukunft unseres Landes und Europas entscheidend ist.