Rede von
Dr.
Klaus
Kinkel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nein, ich möchte jetzt wirklich zu einem anderen Aspekt kommen.
- Herr Kollege Verheugen, wir unterhalten uns nachher darüber. Wir haben da andere Gelegenheiten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Frieden wahren und Menschen eine Lebensperspektive geben, unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen: Das sind die wichtigsten Aufgaben der internationalen Politik. Mit diesem Ziel wurden die Vereinten Nationen vor 52 Jahren gegründet.
Sie sind bei dieser Aufgabe im Interesse der Völkergemeinschaft und aller Staaten nach wie vor absolut unersetzbar. Aus diesem Grund ist und bleibt es die Politik der Bundesregierung, sich in dieser und für diese Organisation weiter zu engagieren. Es wird uns niemand dabei ertappen, daß wir das nicht tun.
Im Gegenteil, ich glaube, daß wir durch mehrfache Mitgliedschaft im Sicherheitsrat als nicht dauerndes Mitglied bewiesen haben, was wir leisten. Ich glaube auch, daß sich die Vereinten Nationen nicht darüber beschweren können. Was den deutschen Beitrag an-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
belangt, haben das weder Boutros-Ghali noch Kofi Annan getan, und dabei wird es bleiben.
Wir haben die Reformanstrengungen der Vereinten Nationen intensiv unterstützt, übrigens auch im Rahmen der G 7 und der EU. Der Druck in Richtung Reform und Engagement für die Vereinten Nationen gehört für uns zusammen. Die Kluft - Sie wissen es - zwischen den ärmsten 20 Prozent der Menschheit und den reichsten 20 Prozent hat sich seit 1960 um mehr als das Doppelte verbreitert. Schon aus diesem Grund braucht die Weltgemeinschaft die UNO mehr denn je.
Kein Land, keine Region und keine Staatengruppe kann allein auf sich gestellt die enormen Herausforderungen unserer Zeit - von der Armutsbekämpfung über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bis zum Erhalt der Tropenwälder - bewältigen. Wer sonst, wenn nicht dieses Forum, sollte darüber wachen, daß nicht gemordet und gefoltert wird, daß Flüchtlinge mit dem Notwendigsten versorgt werden und Kinder Schutz und Fürsorge erhalten? Da darf es kein Wegschauen geben, und darum sind die Vereinten Nationen so wichtig. Die Menschheit braucht nun einmal gemeinsames Handeln, wenn sie künftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten Erde hinterlassen will.
Deshalb richten sich auch an die Sondergeneralversammlung zu Umwelt und Entwicklung im Juli in New York große Erwartungen. Der Bundeskanzler wird dort auf die Reform der mit Umweltfragen befaßten Institutionen der UN drängen; denn wir müssen unsere Zusammenarbeit für die Zukunft unseres Planeten Erde in der Tat deutlich verbessern.
Zur Reform der UNO: Die Notwendigkeit zur Reform besteht in ganzer Breite vom Wirtschafts- und Sozialbereich über die Finanzierung bis zum Sicherheitsrat. Es ist außerordentlich erfreulich - diese Erwartung ist in ihn gesetzt worden -, daß sich Generalsekretär Kofi Annan an die Spitze der Bewegung gesetzt hat. Er hat durchaus beachtliche Teilerfolge errungen. Das wissen wir alle.
Manchmal gibt es unendlich falsche Vorstellungen darüber, was die Anforderungen der UNO anbelangt. Deshalb will ich noch einmal sagen, daß der reguläre UNO-Haushalt zirka 2,25 Milliarden DM beträgt. Um es deutlich und klar zu sagen: Er ist kaum größer als der Haushalt der Stadt Bonn. Nochmals: Der reguläre UNO-Haushalt ist kaum größer als der Haushalt der Stadt Bonn. Wenn man die Relationen sieht und sich vor Augen führt, was wir mit unseren 100 Millionen DM erbringen, dann ist das keine Überdimensionierung, sondern etwas, was für all die Sorgen und Probleme, denen sich die UNO widmet, zu leisten ist.
Die politisch zentrale Reform betrifft den Sicherheitsrat. Er trägt nach der Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Er setzt sich - das ist schon gesagt worden - nach den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zusammen. Er muß reformiert werden.
Natürlich ist es so, daß vor allem die großen Länder der Dritten Welt einen ganz besonderen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben. Uns geht es um eine echte umfassende Reform des Sicherheitsrates mit dem Ziel einer größeren Legitimität, Effizienz und Transparenz. Deshalb haben wir immer betont, daß in erster Linie die großen Länder der Dritten Welt einen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben, vor allem aber die drei großen Kontinente Afrika, Lateinamerika und Asien.
Leider haben sie untereinander Probleme. Das ist etwas, wobei wir nur sehr schwierig helfen und etwas tun können. Damit müssen sie selber fertig werden. Wir in Deutschland sind - auch das muß man einmal deutlich sagen - praktisch bei jedem Konflikt, mit dem sich der Sicherheitsrat befaßt, entweder direkt oder indirekt betroffen: als Geber internationaler Hilfe in unserer Sorge um die Wahrung der Menschenrechte, als Ziel von Asylsuchenden und als Truppensteller für Friedensmissionen.
Unsere Bürger fühlen sich betroffen, auch durch das, was wir finanziell zu leisten haben. Ich vertrete ganz einfach die Auffassung - ich merke auch bei allen Diskussionen, die wir dazu haben, daß das sehr wohl verstanden wird -: Wenn von uns verlangt wird, daß wir als drittgrößter Beitragszahler womöglich noch mehr Beiträge erbringen, uns noch mehr engagieren oder noch mehr Mitverantwortung übernehmen, dann muß auch mehr Mitsprache gegeben sein.
Deshalb ist die ganze Diskussion über die Erweiterung des Sicherheitsrates etwas künstlich. Ich will das sagen, Herr Kollege, weil Sie das vorhin angesprochen haben: Wir stehen nicht mit Schaum vor dem Mund vor der Tür des Sicherheitsrates, um Ständiges Mitglied zu werden. Dieser Sitz kommt mehr oder weniger automatisch auf uns zu. Eine Verlagerung unserer Aktivitäten hin zu einem Werben für unseren Sitz im Sicherheitsrat, ist - das muß ich Ihnen deutlich und klar sagen - gar nicht notwendig. Wir tun das auch nicht. Sie werden, genauso wie übrigens bei dem Einsatz der Bundeswehr out of area, sehen, daß diese Sache mehr oder weniger automatisch auf uns zukommt.
Zur Zeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts über Auslandseinsätze der Bundeswehr 1994 - das ist schon angesprochen worden - befanden sich die Friedensmissionen der UN mit rund 78 000 Teilnehmern und einem Budget von 4 Milliarden US-Dollar auf ihrem Höhepunkt. Heute sind es - SFOR nicht mitgerechnet - 25 000 Teilnehmer und 1,3 Milliarden US-Dollar. Aber die Anzahl und Intensität der weltweiten Konflikte haben sich nicht in gleichem Umfang verringert, wenn überhaupt.
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Deshalb läuft vor diesem Hintergrund eine intensive Diskussion über die heutigen Möglichkeiten friedenserhaltender Maßnahmen. Es reicht nicht aus, daß der Sicherheitsrat zu Friedensmissionen mandatiert. Wir brauchen Verfahren, mit denen schnell reagiert werden kann, und Mitgliedstaaten, die militärische Einheiten zur Verfügung stellen. Dazu muß die Konzeption und die Planung der zahlreichen zivilen Aktivitäten von Friedensmissionen, von der Konfliktprävention bis hin zur Friedenskonsolidierung, kommen. All das wirft natürlich für das UN-Sekretariat gewaltige Probleme auf. Die Mitgliedstaaten haben schwierige politische, organisatorische und finanzielle Fragen zu bewältigen.
Konfliktprävention - das ist auch hier im Deutschen Bundestag immer wieder angemahnt worden - ist von uns durchaus schon seit Jahren zum Schwerpunktthema gemacht worden. Wir haben deshalb dem Generalsekretär Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt, die sich dabei engagieren. Ich erinnere nur an Norbert Holl als UN-Vermittler in Afghanistan. Dazu kann ich nur sagen - ich höre es jedenfalls von allen Seiten -, daß seine Arbeit hoch geschätzt wird. Ich will ihm übrigens für einen nicht ungefährlichen Einsatz bei der Gelegenheit einmal sehr herzlich danken.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die UNO nicht überfordern. Deshalb ist der Ausbau der regionalen Fähigkeiten sehr wichtig. Sie wissen, daß es seit langer Zeit mein Kredo ist: Nicht immer gleich zur UNO laufen und sie überfordern, sondern mehr auf die regionalen Organisationen verlagern. Das ist bei uns die OSZE, das ist im afrikanischen Raum natürlich vor allem die OAE, der man helfen muß, weil sie allein die Probleme nicht lösen kann.
Um es noch einmal zu sagen: Genauso wichtig wie die Vorbeugung von Konflikten ist natürlich auch die Sicherung des Übergangs vom Zeitpunkt einer Waffenruhe bis zum Wiederbeginn des normalen zivilen Lebens. Dabei geht es um die Entwaffnung und Reintegration von Kombattanten, um Abrüstung, Minenräumen und Flüchtlingsrückkehr. Sie wissen, daß wir uns ganz besonders - auch ich persönlich - bei der Minenräumung engagieren. Ich bitte, auch im Deutschen Bundestag nicht zu vergessen: In 65 Ländern sind noch immer 100 Millionen Personenminen verlegt, die jährlich 20 000 Menschen töten oder verstümmeln. Dieses Teufelszeug muß weg.
Zum Wirtschafts- und Sozialbereich. Hier besteht die Notwendigkeit zu Umorganisation, Verschlankung und Straffung. Ich meine, daß es jetzt am Ende der Debatten darum gehen muß, daß wir vorankommen. Eine Reihe von Reformen und Sparmaßnahmen sind bereits durchgeführt. Die Reduktion des Haushalts, Streichung von 1000 Stellen bei der UNO, Zusammenlegung von Abteilungen verdienen Respekt.
Ich möchte ganz besonders den AA-Angehörigen Paschke hervorheben und loben. Er ist im UN-Sekretariat eine Art Bundesrechnungshof geworden und leistet weltweit anerkannte, hervorragende Arbeit.
Wir unterstützen den Vorschlag von G 7 und EU, die sogenannten Reformersparnisse in Entwicklungsprogramme zu reinvestieren. Ich muß allerdings sagen, daß man nicht immer nur auf das Sekretariat und die Organisation der UNO deuten darf. Die UNO sind wir. Wir müssen uns bemühen, diese Reformmaßnahmen mitzutragen, uns engagiert einzubringen, damit sie zustande kommen.
Zum Schluß: Finanziell steht die UNO leider nach wie vor mit dem Rücken an der Wand. Die Bundesregierung und die EU setzen sich dafür ein, daß alle Schuldner - auch die USA ihre Schulden begleichen. Es muß der Beitragsschlüssel insgesamt geändert werden, weil er der heutigen Wirklichkeit nicht mehr entspricht. Wir sind jedenfalls bereit, unseren Beitrag nach wie vor engagiert und zuverlässig zu erbringen.
Meine Damen und Herren, es geht darum, die UNO so zu reformieren, daß sie ihr Wächteramt für Frieden und Achtung der Rechte von Menschen und Natur auch im kommenden Jahrhundert wirksam ausüben kann. Dazu brauchen die Vereinten Nationen nicht nur wohlfeile Kritik von der Zuschauertribüne herunter, sondern sie brauchen konstruktive Kritik. Sie brauchen vor allem konstruktive Mitarbeit. Ich finde, das tun wir in der Bundesrepublik Deutschland. Das werden wir auch weiterhin tun.
Der Präsident der laufenden Generalversammlung hat uns die Mahnung mit auf den Weg gegeben: Wir müssen über den Horizont unserer nationalen Grenzen hinaus denken und handeln, wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben wollen. Wir werden das auch beherzigen, als ein berechenbarer, zuverlässiger und konstruktiver Partner. Es darf uns die Vision, mit der die Vereinten Nationen vor 52 Jahren gegründet worden sind, nicht verlorengehen, nämlich die Vision einer friedlicheren und gerechten Welt.
Vielen Dank.