Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müller, wir stimmen vollkommen überein, daß diese Debatte über das Naturschutzgesetz Gelegenheit bietet, über unser Verständnis von Natur zu sprechen und damit auch über unser Verständnis von Fortschritt, von menschlichem Arbeiten, Leben und Wirken. Diese Chance sollten wir auch nutzen.
Ich muß Ihnen sagen, daß wir bei der Erstellung und Novellierung dieses Bundesnaturschutzgesetzes eigentlich eine ganze Zeit lang ein sehr gutes Gesprächsklima hatten. Ich möchte mich zu Beginn gerade für meine Fraktion bedanken für viele sehr, sehr gute Diskussionen mit den Landwirten, mit den Forstwirten, mit denen, die wir gemeinhin als Nutzer bezeichnen. Danken möchte ich ausdrücklich auch denen, die an der Verbesserung des Regierungsentwurfes in den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben.
Diese Diskussion hatte eine lange Strecke auch die Naturschutzverbände eingeschlossen. Auch da bin ich für viele Gespräche dankbar. Aber sie sind an einem bestimmten Punkt wieder in das klassische Muster des Ja oder Nein, von schwarz oder weiß und auf Formeln wie „Rückschritt" und „auseinandergeflogen" verfallen. Ich bedaure dies sehr, weil ich nach wie vor meine, daß dieser Gesetzentwurf - wenn es abgestimmte Alternativen gibt, soll es mir recht sein - eine Grundlage dafür bietet, diese Diskussion im Bundesrat fortzusetzen.
Ich habe die dringende Bitte: Benutzen Sie dieses Bundesnaturschutzgesetz nicht als eine Form der gesamtpolitischen Auseinandersetzung, sondern führen Sie diese Debatte über die Frage des Fortschritts und des Verständnisses, von Natur und begrenzten Ressourcen weiter. Das wäre mein erster Wunsch.
Wir haben in der Tat am Beispiel der Natur gelernt, daß unsere Ressourcen endlich sind, knapp sind und sich zum Teil in ganz anderen Zeitläuften entwickeln, als wir es von der Industriegesellschaft gewohnt sind. Genau an dieses in einer sehr stark urbanisierten Gesellschaft verlorengegangene Verständnis müssen wir anknüpfen. Das müssen wir - da sind wir im allgemeinen nicht auseinander - ganz bestimmt zusam-
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men mit denen tun, die die meiste Naturfläche bewirtschaften, die die Zeitläufte dort sehr gut kennen: Das sind die Land- und Forstwirte. Auch in diesem Punkt sind wir im generellen immer noch auf derselben Seite.
Nun geht es aber um die Frage, welche Rolle die Natur bei der Rechtsetzung spielt. Es ist doch gar keine Frage, daß die Natur auch um ihrer selbst willen geschützt werden muß. Ein Verfassungsgrundsatz besagt, daß wir die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen, aber auch aus sich selbst heraus bewahren müssen. Sie wissen ganz genau, daß es einen Riesenunterschied zwischen einer philosophischen Aussage und einer Rechtsetzung gibt, bei der sich natürlich die Frage ergibt: Wenn die Natur um ihrer selbst willen geschützt werden soll, wer ist dann eigentlich die menschliche Instanz, die festlegt, was Naturschutz um seiner selbst willen ist und was nicht? Das ist so einfach nicht zu klären.
Es geht um die Frage: Wer vertritt eigentlich die Natur vor Gericht? Was ist das Leitbild dieses Verständnisses? Um welche Art von Natur geht es denn? Natur ist immer vom Menschen beeinflußt. Was ist unser Leitbild? Das 11. Jahrhundert, das 12. Jahrhundert? Wir müssen akzeptieren, daß sich die Natur mit dem Menschen geändert hat, daß es eine Evolution gibt, daß es auch eine Regenerationsfähigkeit gibt. Mit diesen Fakten müssen wir sorgsam umgehen. Es darf nicht dazu kommen, daß es in der Gesellschaft eine Gruppe gibt, die die Natur vertreten und um ihrer selbst willen schützen darf, und alle anderen sind dann sozusagen die Bösen, die alles kaputtmachen. Diese Aufteilung klappt nicht.
Natürlich wird jede Debatte der Rechtsetzung dann ganz schwierig. Ich denke schon - ich glaube, der Kollege Heiner Geißler ist nicht mehr anwesend -, daß es Aufgaben, auch die des Schutzes der Natur, gibt, die von einigen Verbänden mehr und von anderen weniger wahrgenommen werden, und daß man deshalb nicht sagen kann, daß jeder, der schon einmal einen Schritt in die Natur gesetzt hat, nun auch das gleiche Mitspracherecht in diesem Verfahren hat. Darüber gab es bei uns sehr wohl auch kritische Auseinandersetzungen.
Aber ich sage auch: Die Naturschutzverbände haben natürlich die große Angst, daß sie sich nun in einem Bereich, in dem sie lange Zeit allein sein konnten und durch den Gesetzgeber auch nicht besonders protegiert wurden, mit anderen auseinandersetzen müssen und daß ihre monopolartige Rolle ins Wanken gerät. Ein Stück weit soll ihre Rolle aufrechterhalten bleiben. Aber man darf sich dem Dialog nicht verschließen und sagen: Wir bestimmen, wer am Naturschutz beteiligt wird.
Schauen Sie sich einmal die Praxis in den Ländern an. So einheitlich, wie man denkt, ist das schon lange nicht mehr. Verschiedene Verbände sind längst anerkannt - das ist hier auch diskutiert worden -, und so wird es auch weitergehen.
Herr Müller und auch Frau Mehl, wir haben uns im übrigen in der Debatte, ob wir „Leistungsfähigkeit" oder, wie jetzt im Entwurf des Parlamentes, „Funktionsfähigkeit" des Naturhaushaltes schreiben, sehr wohl mit dem Eigenwert der Natur auseinandergesetzt. Ich bin sehr dankbar - darüber gab es längere Diskussionen -, daß wir jetzt „Funktionsfähigkeit" sagen, weil es eben nicht nur um die Leistung geht. Das ist etwas, was doch auch Sie begrüßen. Das sollte man, trotz all der Schwierigkeiten, die Sie mit uns noch haben, auch einmal sagen.
Es stellt sich die Frage: Was kann ein Rahmengesetz leisten? Sie sagen nun, wir sollen festlegen, 10 Prozent der Fläche müßten oder sollten unter Schutz gestellt werden. Das kann nichts weiter als eine Empfehlung sein. Es gibt Länder, wie zum Beispiel mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, die das erfüllt haben, und es gibt Länder, die das bei weitem nicht erfüllt haben. Es ist jedem unbenommen, dies umzusetzen. Mir wäre es wirklich viel lieber, alle Länder hätten das in Angriff genommen, als daß wir in einem Rahmengesetz etwas niederlegen, von dem ich fachlich überzeugt bin. Wir haben in verschiedenen Stellungnahmen gesagt, daß wir genau dies brauchen; aber wir brauchen das nicht als eine unverbindliche Festlegung in einem Rahmengesetz, die keinem etwas nutzt. Sollen das doch die Länder machen, die uns kritisieren! Nichts wie ran und fröhlich zugeschritten!
In den letzten Jahren sind - das wissen Sie wie ich - die Debatten über den Naturschutz lokal eher schwieriger als leichter geworden. Woran liegt das denn? Das kann allein an der bösen Bundesregierung wohl nicht liegen, sondern das muß doch etwas mit der Akzeptanz des Naturschutzes vor Ort und mit der Art und Weise der Umsetzung zu tun haben.
Da muß man ganz selbstkritisch sagen: Diejenigen, die sich für Naturschutz interessieren, sind an vielen Stellen an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden und damit zum Teil Fundamentalisten geworden. Deshalb müssen wir politisch versuchen, sie wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Das heißt dann aber, daß es genau das geben muß, was heute hier schon vielfach besprochen wurde: Ausgleich, Gespräch und praktikable Lösungen suchen.
Sie werden mit einer Gruppe in der Gesellschaft keine praktikablen Lösungen finden, nämlich mit denen, die Landwirtschaft und Forstwirtschaft betreiben, wenn Sie sagen: Uns ist das ungeheuer wichtig; wir schreiben in ein Rahmengesetz etwas von 10 Prozent oder 15 Prozent zu schützende Fläche, aber wenn es auch nur einen Pfennig kostet, sind wir nicht bereit, denjenigen, die aus guten Gründen Nut-
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zungsbeschränkungen auferlegt bekommen, dafür
einen Ausgleich zu zahlen. Das ist doch nicht ehrlich.
- Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Manche sind für den Ausgleich, manche sind gegen den Ausgleich. Sie sagen gerade, Sie sind für einen Ausgleich, aber gleichzeitig erklären Sie, die Länder könnten nicht zahlen. Die Länder sind zwar verantwortlich und haben auch in der Verfassungskommission darum gebeten, mehr Verantwortung zu bekommen, und Sie alle sind der Meinung, daß wir unbedingt auch regional und verbrauchernah wirtschaften müssen. Aber dann sagen Sie, der Bund müsse es bezahlen; für solche Probleme gebe es den BundLänder-Finanzausgleich, in dem das geregelt sei.
Dazu sage ich Ihnen nur, was Sie doch selbst wissen: Die Beträge, über die wir an dieser Stelle sprechen, sind geringer als diejenigen, die der Bund ohnehin jedes Jahr in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für Bundesnaturschutzprojekte ausgibt
und die die Länder dankend annehmen, weil sie selber oft nicht einmal die Mittel zur Verfügung haben, die wir ihnen geben.
Hier kommt dann an den Tag, ob man redlich ist oder nicht.
Der Landwirtschaftsklausel, wie sie im geltenden Naturschutzgesetz steht, ging seinerzeit eine nicht immer einfache Diskussion mit den Landwirten voraus. Sie gewährleistet nicht mehr in jedem Fall, daß die ordnungsgemäße Landwirtschaft den Anliegen des Naturschutzes dient. Es war für die Landwirte ein weiter Weg, sich diesem Gedanken anzunähern.
Wir haben jetzt gesagt: Die landwirtschaftliche Tätigkeit stellt in der Regel keinen Eingriff in den Naturhaushalt dar, wenn sie sich am Leitbild der guten fachlichen Praxis orientiert. Das ist nicht die Aufrechterhaltung der Landwirtschaftsklausel, sondern ein Schritt hin zur Realität. Nun können Sie aber nicht sagen, daß die Landwirte in Deutschland, die sich nach Recht und Gesetz verhalten, in einer Art und Weise in den Naturhaushalt eingreifen, die nicht akzeptabel ist. Das wäre doch wirklich widersinnig, und die Bauern wären die einzige Berufsgruppe, der man so etwas vorwirft.
Jetzt geht es um die Fragen, worin die gute fachliche Praxis besteht und wo wir diese beschreiben. Frau Mehl, auch Sie wissen, daß es schwierig ist, in einem Rahmengesetz des Bundes über Naturschutz genau aufzuschlüsseln, was an welcher Stelle gute fachliche Praxis bedeutet, die ja im übrigen noch weiterentwickelt werden soll. Deshalb bin ich dankbar, daß wir uns in der parlamentarischen Debatte darauf verständigt haben, den Begriff der guten fachlichen Praxis durch Aufzählung der Fachgesetze zu konkretisieren. Sie wissen, daß nicht nur im - noch nicht beschlossenen - Bundes-Bodenschutzgesetz Grundlagen für die gute fachliche Praxis verankert sein werden, sondern daß zum Beispiel auch in der Düngeverordnung bereits ganz klar geregelt ist, was die gute fachliche Praxis ist. In diese und andere Fachgesetze und -verordnungen gehören Festlegungen bezüglich der guten fachlichen Praxis, weil diese wichtig, ja wesentlich ist.
Nun sagen Sie, es müßten allgemeine Betreiberpflichten aufgeschrieben werden. Wir glauben, daß wir dem durch die Aufzählung der Gesetze nachgekommen sind. Sie fordern, diese Pflichten explizit aufzuführen. Darüber kann man streiten, aber tun Sie doch bitte nicht so, als ob zwischen Ihrem Verständnis, was man über Landwirtschaft sagen muß, und dem unseren Welten liegen.
Jetzt kommt allerdings ein wichtiger Punkt: Wenn Anforderungen an die Nutzer - aus wohlverstandenen Gründen des Naturschutzes - über das Maß der guten fachlichen Praxis hinausgehen, dann hat der Landwirt, wenn diese Anforderungen über die Sozialpflichtigkeit seines Eigentums hinausgehen, ein Recht darauf - das übrigens jeder in unserer Gesellschaft hat -, dafür einen Ausgleich zu bekommen.
Wer diesen Ausgleich nicht gewähren will, der zeigt von vornherein, daß ihm Naturschutz nicht so viel wert ist, wie er immer behauptet.
Eines wissen wir auch: Nur mit dem Herzen und der Liebe zur Natur bringen wir den Naturschutz nicht voran. Das gilt hier genauso wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft.
Hinsichtlich der vielen Unterstützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft bin ich mit Ihnen gänzlich einer Meinung: Ich würde manches Geld auch lieber bei den Bauern als bei der Verwaltung des Butterberges oder sonstwo sehen. An dieser Stelle sind wir auch mit den Landwirten völlig einig.
Wir sollten gemeinsam zu Herrn Fischler gehen und schauen, was wir EU-rechtlich bewerkstelligen können. Darüber können wir hier in diesem Parlament leider nicht entscheiden; daran müssen wir auf europäischer Ebene noch arbeiten.
- Ja, da drücken wir. Frau Fuchs, machen Sie mit, dann werden wir bestimmt ganz schnell Erfolg haben.
Ich will jetzt noch kurz auf die Umsetzung der FFH-Richtlinie eingehen. Frau Mehl, die Länder haben einen Entwurf vorgelegt, der im Grunde genom-
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men besagt, die FFH-Richtlinie sei umzusetzen, ohne dies konkret im einzelnen zu regeln.
Nun werfen Sie uns an dieser Stelle Kompliziertheit vor. - Wir haben versucht, die Umsetzung der FFH-Richtlinie - unter Berücksichtigung aller Instrumente des Naturschutzes - so zu integrieren, als handele es sich um eine deutsche, in unser Rechtssystem eingepaßte Ausweisung von Schutzgebieten, damit auch jeder weiß, was er entsprechend dem deutschen Recht zu tun hat. Das ist kompliziert, richtig; aber das muß erlernt werden. Hinzukommen müssen Landschaftsplanung, Landschaftsbeobachtung und vieles andere mehr. Meiner Meinung nach gehen wir damit einen Weg, der uns insgesamt mehr Rechtssicherheit, mehr Einheitlichkeit und mehr Klarheit in dieser Angelegenheit bringt, auch wenn es auf den ersten Blick etwas komplizierter aussieht.
Abschließend möchte ich sagen: Es hat viele Diskussionen über die Frage gegeben: Baurecht/Naturschutzrecht. Es ist nicht richtig - es wird auch dadurch nicht richtiger, daß Sie immer wieder den Eindruck zu erwecken versuchen, es sei so -, daß das Mitspracherecht und die Benehmensregelungen in bezug auf die Naturschutzbehörden entfallen sollen. Wir haben viele Dinge verfahrensmäßig in das Baurecht hineingenommen. Darüber kann man lange diskutieren, wie man das macht. Praktiker haben immer wieder gesagt: Macht nicht dauernd Querverweise. Nun haben wir die betreffende Regelung in das Baurecht hineingeschrieben. Das bedeutet aber keine Änderung der Regelung, daß weiterhin - so wie es auch heute gilt - das Benehmen mit den Naturschutzbehörden zu suchen ist, und es bedeutet auch keine Schwächung der Stellung der Naturschutzbehörden. Man muß einfach einmal klar sagen, was im Gesetz steht, weil manch einer etwas behauptet, was nicht stimmt.
- Das sehen Sie anders; das kann schon sein. Aber ich meine, wir müssen uns an Gesetzestexte halten. Nach übereinstimmender Meinung aller unserer Fachleute verhält es sich so, wie ich es eben gesagt habe.
Meine Damen und Herren, jede Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wird Fragen, Wünsche und vieles andere offenlassen; jede Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gibt uns die Gelegenheit, über solche grundsätzlichen Fragen zu sprechen. Dieses Gesetz wird heute hier verabschiedet und dann im Bundesrat behandelt werden. Ich sage Ihnen: Greifen Sie die Diskussion auf! Lassen Sie sie uns weiterführen, weil es wichtig ist, daß wir in diesem Bereich insgesamt vorankommen. Ich habe Ihnen gezeigt, daß das an vielen Stellen gelungen ist.
Ich bedanke mich bei all denen, die mitgewirkt haben, insbesondere bei meinen Kollegen im Parlament.