Rede von
Johannes
Singer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wird Sie nicht überraschen, daß ich meine Rede damit einleite, daß ich sage: Ich bin nach wie vor gegen eine Legalisierung und gegen eine Freigabe auch von Cannabis und Cannabis-Produkten.
- Herr Schlauch, ich will versuchen, das noch einmal ganz kurz zu begründen, weil einige Widerlegungsargumente, so glaube ich, zu kurz gekommen sind.
Ich befinde mich insofern in Übereinstimmung mit dem Fachverband „Drogen und Rauschmittel", der am Montag vor einer Woche seinen 20. Bundesdrogenkongreß abgehalten hat. Diesen Verband - das möchte ich hier einmal feststellen - besuche ich als einziger Bundestagsabgeordneter seit vielen Jahren regelmäßig. Ich habe dort noch nie irgendeinen der sogenannten Drogenexperten der anderen Parteien getroffen. Da sind Drogenberater, Praktiker, Psychotherapeuten, also Leute versammelt, die jeden Tag unmittelbar mit Drogenkonsumenten und -abhängigen zu tun haben. Das ist der zentrale Verband, der den gesamten Sachverstand in der Bundesrepublik in dieser Frage bündelt.
Dort ist man mit der Politik der Bundesregierung sehr unzufrieden, zum Beispiel mit der Einschränkung der Therapiezeiten und der schlechten Präventionspolitik. Was die Freigabe- oder die Legalisierungsdiskussion angeht, sagt man jedoch: Macht als Gesetzgeber nichts, was die Verfügbarkeit und den Zugang zu Rauschmitteln verkürzt oder erleichtert! Das heißt nicht, daß man Konsumenten weiterhin bestrafen bzw. kriminalisieren muß.
Ich habe mich oft genug mit Ministern der amtierenden niederländischen Regierung über die Drogenpolitik unterhalten, so daß ich weiß, daß sie heftig widersprechen würden, wenn man den Niederländern vorwerfen würde, sie hätten mit ihren Coffee-Shops eine Entscheidung für die Legalisierung oder Freigabe getroffen. Das ist ganz und gar nicht der Fall.
Frau Bergmann-Pohl hat recht: In den Niederlanden ist alles genauso illegal wie bei uns. Man geht nur - anders als wir - mit Entscheidungen wie dem diesbezüglichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts sachgerechter und vernünftiger um. Man sagt: Der Besitz geringer Mengen muß strafrechtlich nicht verfolgt werden. Um noch einen Schritt weiterzugehen: Das Bundesverfassungsgericht sagt ja, den Besitz geringer Mengen zu bestrafen verstoße gegen das Grundgesetz, sei unverhältnismäßig.
Johannes Singer
Herr Schlauch, an einer Stelle muß ich Sie korrigieren. Um das noch einmal klarzumachen: Der reine Konsum von Rauschmitteln war in Deutschland noch nie strafbar. In den meisten Fällen geht dem Konsum aber natürlich der Besitz voraus. Deswegen fällt diese Tatsache nicht so auf.
- Herr Schlauch, wenn ohne Besitz konsumiert wird, ist dies nicht strafbar. Das wissen Sie ganz genau. Deswegen sprechen Sie nicht vom Konsum.
- Herr Schlauch, hören Sie doch bitte einmal zu. Eben haben Sie sich mit Recht beklagt, daß Herr Hüppe während Ihrer Rede telefoniert hat; jetzt drehen Sie sich zu Ihren besser aussehenden Banknachbarinnen um.
Die Präventionspolitik der Bundesregierung ist nach wie vor suchtstoffspezifisch ausgerichtet. Die Kampagne „Keine Macht den Drogen" wird vom Institut für Therapieforschung in München heftig kritisiert bzw. als millionenschwere Vergeudung bezeichnet. Experten fordern seit langem eine suchtstoffunspezifische Präventionspolitik, also eine Präventionspolitik, die auch die legalen Suchtmittel und Drogen einbezieht.
- Sie machen es eben nicht. Es wird Ihnen doch immer vorgeworfen, daß sich in Sachen Präventionsforschung bisher nichts getan habe und keine wirklichen Fortschritte zu erkennen seien.
- Wenn Sie, Herr Hüppe, auf die Präventionspolitik der Bundesregierung oder die beklagenswerten Zahlen der Alkoholkranken, derjenigen, die Medikamentenmißbrauch betreiben, und der Nikotinraucher
- diese sind noch gar nicht angeführt worden -
- natürlich bin ich ein Beispiel dafür - verweisen und wenn Herr Hirsch hier im Bundestag von 80 000 Nikotintoten und 40 000 Alkoholtoten pro Jahr spricht, dann sollten wir - so beklagenswert jeder der 1712 Drogentoten ist, uns doch einmal bemühen, die Gewichte wieder richtig einzuordnen. Wir sollten nicht nur Kampagnen fahren, die sich ausschließlich gegen illegale Drogen richten. Es wird nichts gegen Tabakwerbung am Nürburgring und JägermeisterWerbung in den deutschen Fußballstadien unternommen.
- „Medikamentenwerbung" wirft Frau SchmidtZadel zu Recht ein. - In dem Bereich der Bekämpfung legaler Drogen ist von der Bundesregierung so gut wie nichts unternommen worden. Zu diesem Punkt können Sie kaum etwas sagen.
Die Vorschläge des Bundesrates befassen sich damit, das Elend und die Not von Suchtkranken zu beseitigen. Das hat überhaupt nichts mit Legalisierung oder Freigabe zu tun. Die Vorschläge wollen vielmehr nur das umsetzen, was auch von der CDU angehörenden Polizeipräsidenten gefordert wird: die Heroinabgabe an Schwerstabhängige und die Einrichtung von Gesundheitsräumen. Dem, was von konservativ regierten Ländern wie der Schweiz praktiziert und erprobt wird - ich sage gar nicht, daß der Versuch unbedingt erfolgreich sein muß -, kann man sich nicht verschließen. Wenn ich erlebe, daß die Vorschläge mit unzutreffenden Bezeichnungen diffamiert werden, dann muß ich feststellen, daß wir noch nicht sehr weit gekommen sind.
Ich appelliere an die Grünen und die, die unsere Position nicht ganz teilen, daß wir uns darauf konzentrieren sollten, eine vernünftige Präventionspolitik zu machen. Insofern sollten wir den Beharrenden in diesem Parlament Beine machen, anstatt mit einer Legalisierungsforderung anzutreten, die tatsächlich von einer überwältigenden Mehrheit in der Bevölkerung abgelehnt wird. Mit dieser Forderung erreichen wir nicht viel und lenken nur von dem wahren Problem ab.
Wir sollten uns darum kümmern, daß Therapiezeiten nicht verkürzt werden. Wir sollten Vorschlägen wie dem von Herrn Lintner über eine zwangsweise Beratung und Therapie entgegentreten. Dieser Vorschlag paßt „prima" mit der Verkürzung der Therapiezeiten zusammen: Die Kliniken für Entgiftung haben weniger Platz und weniger Zeit, um sich um die Suchtkranken zu kümmern. Gleichzeitig wird von der Bundesregierung gefordert: Wir müssen eine zwangsweise Beratung und Therapie haben. Wie das funktionieren kann und zusammenpaßt, begreife ich nicht.
Im übrigen sollten wir aufhören, uns in den Parteien unterschiedliche Positionen in der Drogenpolitik vorzuhalten. Unterschiedliche Positionen gibt es in jeder Partei. Die gibt es auch bei Ihnen, Herr Hüppe. Ich will nicht nur Frau Petra Roth, sondern auch den Oberbürgermeister von Karlsruhe erwähnen. Auf der CDU angehörende Polizeipräsidenten habe ich schon Bezug genommen. Unterschiedliche Positionen werden überall vertreten.
Ich weigere mich, die Freigabe oder Legalisierung als eine besonders linke oder progressive Position darzustellen. Einer der prominentesten Befürworter der Freigabe ist Herr Milton Friedmann. Es paßt zur konservativen Ideologie, wenn man sagt: Laßt diejenigen, die Drogen nehmen, doch kaputtgehen! Wieso hat sich der Staat überhaupt um diese zu kümmern? Was interessiert uns das?