Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutigen Beratung liegen im wesentlichen zwei Aspekte der Drogenpolitik zugrunde; es sind keine neuen Gesichtspunkte. Der eine ist die Legalisierung von Cannabis, ein Dauerthema der Drogenpolitik, und der andere ist die rechtliche Absicherung von sogenannten Gesundheitsräumen. Ich begrüße die heutige Debatte, denn - das sage ich ganz deutlich - die Drogenpolitik in Deutschland braucht neue Ansätze und Impulse.
Ein Blick in die Rauschgiftbilanz 1996 macht das deutlich; denn die Zahl der Drogentoten ist erstmals seit 1991 gestiegen; die Zahl der Erstkonsumenten harter Drogen, die von der Polizei aufgegriffen wurden, steigt; und gerade der Konsum von Ecstasy bei
Erstkonsumenten verzeichnet einen Anstieg um 29 Prozent, also zirka ein Drittel.
Diese Rauschgiftbilanz zeigt zweierlei: Die bisher von der Bundesregierung verfolgten Konzepte haben nicht in dem gewünschten Umfang Ergebnisse gezeigt, und eine Säule des Regierungskonzeptes im Kampf gegen die Drogensucht, nämlich die Prävention durch Aufklärung, wirkt bisher nicht ausreichend, wofür nicht nur der Anstieg bei den Erstkonsumenten harter Drogen spricht, sondern gerade der Anstieg bei den Erstkonsumenten weicher Drogen und der besorgniserregende Anstieg des Verbrauchs von Ecstasy.
Deshalb müssen wir auch über Änderungen in der Drogenpolitik reden; denn niemand hier im Haus wird die Auffassung vertreten, daß eine Prävention durch Aufklärung entfallen könnte, im Gegenteil. Wir brauchen deshalb neue Aufklärungskonzepte und mit Sicherheit eine bessere Erforschung der Gründe, warum Jugendliche zunehmend zu Ecstasy, aber auch zu den verschiedensten Amphetaminpräparaten greifen.
Auch ist nicht ausreichend geklärt, ob es sich bei dem Konsumverhalten nur um eine jugendbedingte Erscheinung handelt, die mit zunehmendem Alter kaum oder keine Rolle mehr spielen wird, oder um eine Erscheinung, die Konsumenten möglicherweise auch im Alter begleitet. Auch wenn viele Untersuchungen darauf hindeuten, daß der Konsum weicher Drogen nicht den Charakter eines Einstiegs in den Konsum harter Drogen hat, ist dennoch der Konsum dieser Drogen, aber auch gerade von Ecstasy - das ist unbestritten - gefährlich genug, um alle Anstrengungen zu unternehmen, ihn zu reduzieren.
Wir wollen nicht mehr, sondern wir wollen weniger Drogen. Als stereotype Reaktion reicht es nun nicht aus, immer wieder die Legalisierung von Cannabis zu fordern; denn auch wir wissen um Nachteile und Gefährdungen, die damit verbunden sind.
Das führt immer zu Glaubensbekenntnissen, die es erschweren, über vernünftige drogenpolitische Ansätze nachzudenken und sie zu diskutieren. Natürlich darf es auch keinerlei Dämonisierung geben.
Eine andere Frage ist, ob statt der Legalisierung nicht eine Entpönalisierung eine drogenpolitisch sinnvolle Maßnahme wäre. Zumindest könnte sie der Polizei Spielräume eröffnen, dort konsequent durchzugreifen, wo mit Drogenhandel Geschäfte betrieben
und bisher drogenfreie Jugendliche zum Drogenkonsum angeregt und verleitet werden.
Deshalb müssen sich die Länderjustizminister endlich darauf einigen, wann Drogenbesitz im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von vor mehreren Jahren nicht unbedingt strafrechtlich zu verfol-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
gen ist, da es sich um den Besitz von weichen Drogen zum Eigenkonsum handelt. Nach wie vor besteht hier in den südlichen und den nördlichen Bundesländern eine sehr unterschiedliche Praxis, und damit ist die Unsicherheit der Jugendlichen groß, welche Maßnahmen der Strafverfolgung die Polizei praktiziert. Ich denke nicht, daß man damit gerade den Jugendlichen hilft.
Generell ist die F.D.P. der Auffassung, daß unser Betäubungsmittelgesetz daraufhin überprüft werden sollte, ob als drogenpolitisch sinnvoll angesehene Maßnahmen nicht schon daran scheitern, daß der Besitz und die Abgabe, auch die in bestimmten Projekten kontrollierte Abgabe durch den Staat für die zum Eigenkonsum bestimmten Drogen generell strafbar ist bzw. immer bestraft werden muß. Mit anderen Worten: Wir dürfen uns nicht durch das starre Festhalten am Prinzip des Bestrafens zweckmäßige Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Linderung der Drogenabhängigkeit und ihrer gesundheitlichen und psychischen Folgen verbauen.
Die Einrichtung von sogenannten Hygieneräumen sollte deshalb auch nicht von vornherein und pauschal abgelehnt werden. Wir wissen von der rechtlichen Unsicherheit der derzeitigen Zulässigkeit der Einrichtung solcher Drogenberatungs- und -hilfestellen. Deshalb lohnt es sich sehr wohl, darüber nachzudenken, unter welchen Voraussetzungen man diesem Gedanken nähertreten kann.
Wir müssen die Hilferufe vieler Polizeipräsidenten aus Ballungsräumen ernst nehmen, die mit den geltenden rechtlichen Regelungen in zunehmendem Maße nicht mehr zurecht kommen, um den Problemen in ihrem Zuständigkeitsbereich Rechnung zu tragen.
Ich glaube, das muß uns alle aufrütteln und für uns
ein Anreiz sein, nach vernünftigen Wegen zu suchen.
Das gilt auch für die ärztlich kontrollierte und sozialbetreute Abgabe harter Drogen an Schwerstabhängige, an diejenigen Menschen, die verelenden, an die man mit anderen Programmen nicht herankommt.
Wir sind deshalb der Meinung, daß der Modellversuch, der derzeit in der Schweiz betrieben wird, von uns sehr intensiv begleitet und, wenn die endgültigen Ergebnisse und auch eine Bewertung der Weltgesundheitsorganisation vorliegen, beraten werden muß. Ich könnte mir gut vorstellen - dazu gibt es schon verschiedene Vorschläge -, daß wir dann doch dem Ansatz nähertreten können und solche Modellvorhaben unter strengen Vorgaben und strenger ärztlicher Kontrolle und Sozialbetreuung durchführen werden.
Was wollen wir denn tun, um diese Gruppe von Menschen zu erreichen? Ich verstehe es als einen Grundsatz der Drogenpolitik der Koalition, daß man
überlegt: Wie kann man Schwerstabhängigen Hilfe leisten?
Ich werbe deshalb dafür, auch weil jetzt viel in Bewegung ist, daß wir uns heute nicht davor verschließen, über andere und neue Ansätze in der Drogenpolitik nachzudenken. Ich darf hier für die F.D.P. ankündigen, daß wir uns auf einem drogenpolitischen Kongreß Anfang Juni mit all diesen Fragen, unterstützt durch Experten - aus dem Ausland -, beschäftigen werden. Wir hoffen, damit einen sinnvollen Beitrag zu einer vernünftigen Beratung und zu einer vorsichtigen Weiterentwicklung in der Drogenpolitik leisten zu können.
Vielen Dank.