Herr Solms, ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen. Mir liegen aufgeschlüsselte Zahlen für 1995 vor. Wenn Sie die Gewerbesteuer, die Körperschaftsteuer, die nicht veranlagte Steuer vom Ertrag und die veranlagte Einkommensteuer zusammenzählen, dann kommen Sie auf die Größenordnung, die ich hier genannt habe.
Die OECD zählt andere Dinge dazu, wie zum Beispiel die Grunderwerbsteuer. All die Häuslebauer und die Käufer, die Grunderwerbsteuer zahlen müssen, werden aber verstehen, daß wir die nicht zu den Unternehmensteuern hinzuaddieren. Die Zahlen sind so, wie ich sie genannt habe.
- Ja, das will ich gleich sagen.
Ich darf übrigens noch hinzufügen: In den Zahlen für das Jahr 1995, die ich hier vorliegen habe, war immerhin noch die betriebliche Vermögensteuer mit einbezogen, die Sie abgeschafft haben.
Das heißt, diese Zahl wird in diesem Jahr sogar noch abgezogen werden müssen.
Selbst wenn aber die Zahlen so wären, wie Sie sie vorgetragen haben - das ist aber nicht der Fall-, bleibt doch festzuhalten, daß die menschliche Arbeit und das Einstellen von Menschen dadurch belastet wird, daß die Lohnnebenkosten in diesem Lande viel zu hoch sind und daß Sie vorgestern die Chance verpaßt haben, zusammen mit uns hier eine Senkung herbeizuführen.
Nun komme ich zu der Steuerreform im engeren Sinne, also zu den „reinen" Steuern. Bis jetzt ging es in erster Linie um die Sozialabgaben. Sie sagen, Sie hätten ein Konzept. Das liegt hier auf dem Tisch: ein Gesetzentwurf mit einem Haushaltsloch von fast 57 Milliarden DM. Das Geschrei hätte ich hören mögen, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister gewagt hätte, ein Papier mit einem Loch von 57 Milliarden DM als Konzept zu bezeichnen.
Sie haben bis heute in diesem Land Schulden aufeinander gehäuft, die unvorstellbar hoch sind: über 2 Billionen DM, davon 1,4 Billionen DM beim Bund. Allein im Bundeshaushalt dieses Jahres zahlen wir 92 Milliarden DM Zinsen, also siebzigmal mehr, als Sie in Ihrem Umweltetat haben. Und jetzt sollen solche neuen Löcher dazukommen?
Was sagen Sie zu den Steuerausfällen bei Ländern und Gemeinden?
Alle Länder wären doch pleite, wenn Sie Ihre Steuerreform durchsetzen könnten.
Ingrid Matthäus-Maier
Jeder weiß doch, daß Herr Stoiber und Herr Teufel anderer Ansicht sind als Sie.
Wie ist die Situation bei den Gemeinden? 85 Prozent aller öffentlichen Investitionen werden von den Gemeinden getätigt. Die Handwerksbetriebe sind doch jetzt schon zu recht sauer, weil wegen der knappen Kassen die öffentlichen Körperschaften ihre Rechnungen nicht rechtzeitig bezahlen können. Das ist wirklich eine Sauerei. Aber den Gemeinden jetzt noch zusätzlich Geld wegzunehmen, die dann den Handwerksbetrieben erst recht keine Aufträge mehr erteilen können, ist auch ökonomisch, nicht nur finanzpolitisch dummes Zeug.
Wir brauchen eine Erhöhung des Grundfreibetrages. Das steuerliche Existenzminimum liegt heute bei 12 000 DM im Jahr. Jedes Kind weiß doch, daß man mit 12 000 DM im Jahr nicht sein Existenzminimum bestreiten kann. Auch der Grundfreibetrag von 13 000 DM, den wir schon vereinbart haben, reicht auf Dauer nicht. Wir sind der Ansicht, daß wir einen Grundfreibetrag von 14 000 DM bzw. von 28 000 DM bei Verheirateten brauchen, was immer noch außerordentlich wenig ist.
Wir halten diese Erhöhung nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch wegen der Wahrung des Lohnabstandsgebots für geboten. Sie sind es doch, die dauernd jammern, daß der Unterschied zwischen geringen Löhnen einerseits und der Sozialhilfe - insbesondere bei Vorhandensein mehrerer Kinder - andererseits zu gering sei. Das liegt aber doch nicht daran, daß in diesem Lande die Sozialhilfe zu üppig wäre. Das liegt daran, daß Sie die Menschen so mit Steuern und Abgaben belasten, daß danach die niedrigen Einkommen in die Nähe der Sozialhilfe rutschen. Das müssen wir ändern.
Wir brauchen eine Erhöhung des Kindergeldes. Sie sagen, das hätte Sie überrascht, das wäre ein Draufsatteln. Dazu sage ich: Mit unserer Forderung von 250 DM Kindergeld sind wir schon in den Bundestagswahlkampf gegangen. Überraschend und neu kann das ja für Sie nicht sein.
Die Erhöhung des Kindesgeldes gehört auch in ein Steuerpaket, denn in Deutschland ist das Kindergeld als Abzug von der Steuerschuld Teil der Steuerpolitik. Um es einmal zugespitzt zu sagen: Die Verbesserung des Existenzminimums für Kinder wird in Deutschland technisch über die Erhöhung des Kindergeldes gemacht.
-Herr Repnik, stellen Sie ruhig eine Zwischenfrage, wenn Ihnen das nicht paßt.
Sie wissen genau - die Kirchen und die Familienverbände sagen das ebenfalls -: Wer nicht nur das Existenzminimum der Erwachsenen steuerfrei stellen will, sondern auch das Existenzminimum der Kinder, kommt an einer deutlichen Erhöhung des Kindergeldes nicht vorbei.
Aber heute morgen sagen Sie, wichtiger als ein höheres Kindergeld sei, daß Vater und Mutter Arbeit hätten. Mir kommt das so vor, jemand würde sagen, donnerstags ist es kälter als draußen.
Die beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun. Wenn die Fabrik, in der Vater oder Mutter arbeiten, ihre Produkte nicht mehr absetzen kann, weil die Bezieher niedriger Einkommen in Deutschland zuwenig Geld in der Tasche haben, um diese Produkte zu kaufen, dann brauchen wir sowohl die Senkung der Steuern als auch die Verbesserung des Kindergeldes, weil es ökonomisch gut ist und Vater und Mutter hilft, ihren Arbeitsplatz zumindest zu behalten.
Dann sagen Sie, das könnten wir nicht bezahlen;
es würde etwa 4,5 Milliarden DM kosten.
Wir könnten es sogar locker bezahlen, wenn Sie nicht die private Vermögensteuer abgeschafft hätten.
Sie hoffen immer auf die Vergeßlichkeit der Menschen. Im letzten Dezember wurde die Vermögensteuer abgeschafft; heute spricht keiner mehr darüber.
Dies war ein verteilungspolitischer Skandal, und wer heute sagt, er habe nicht das Geld für die Verbesserung der Situation der Familien, während er das Geld zur Abschaffung der Vermögensteuer hatte, der soll besser den Mund halten.
Haben Sie denn nicht, wenn Sie uns schon nicht glauben, das Sozialpapier der beiden großen Kirchen gelesen? - Darin steht viel über Reichtum und Armut in Deutschland. Der Reichtum nimmt zu, und die Armut nimmt zu. Dort steht unter anderem:
Der zutreffende Grundsatz, daß Leistung sich im
wirtschaftlichen Bereich lohnen muß, darf nicht
Ingrid Matthäus-Maier
dazu führen, daß die Bezieher hoher Einkommen einseitig von ihren Beiträgen zum sozialen Ausgleich entlastet werden. Leistungsfähigkeit für die solidarische Finanzierung des sozialen Ausgleichs bestimmt sich im übrigen nicht nur nach dem laufenden Einkommen, sondern auch nach dem Vermögen. Wird im Blick auf das Vermögen die Substanz- und Besitzstandswahrung für unantastbar erklärt, dann ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in einer wichtigen Beziehung drastisch eingeschränkt oder sogar aufgehoben.
Das ist nicht nur ein klares Wort hinsichtlich Ihrer wirtschafts- und sozialpolitisch falschen Entscheidung zur Abschaffung der Vermögensteuer, sondern daraus kann man auch bezüglich der Höhe der Steuersätze, die Sie jetzt drastisch senken wollen, etwas ableiten.
Meine Partei ist im Bundestag und im Bundesrat bereit, bei den betrieblichen Steuersätzen deutlich herunterzugehen.
Da Sie immer auf das Ausland verweisen, darf ich einmal darauf aufmerksam machen, wie es sich mit den Spitzensteuersätzen auf private Einkünfte im Ausland verhält. In Belgien beträgt dieser Steuersatz 55 Prozent, in Frankreich 54 Prozent, in Italien 51 Prozent, in den hier dauernd zitierten Niederlanden 60 Prozent - diese Zahlen habe ich aus den Mitteilungen Ihres Bundesfinanzministers -, in Österreich beträgt er 50 Prozent, in Schweden 56 Prozent, in Japan 65 Prozent usw.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wissen, daß man dieses System einer solch enormen Spaltung zwischen Körperschaftsteuersatz und Spitzensteuersatz in Deutschland nicht einfach übernehmen könnte, weil - -
- Ja, das sagen Sie doch überall. Meinen Sie, wir haben weniger Ahnung von Steuern als Sie? - Sie benutzen aber die Unkenntnis der Menschen über diese Zahlen, um den Spitzensteuersatz auf private Einkünfte drastisch zu senken.