Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es bei den Spitzengesprächen nicht zu einer grundsätzlichen Einigung gekommen ist, bedauern wir außerordentlich. Wir bleiben bis heute der Ansicht, wir hätten uns über mindestens fünf Punkte einigen können - fünf Punkte, die ganz sicher der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedient hätten: erstens die dringend notwendige Senkung der Lohnnebenkosten schon zum 1. Juli dieses Jahres,
zweitens die Absenkung des Eingangssteuersatzes bei der Lohn- und Einkommensteuer zum 1. Januar 1998, drittens die Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums durch Erhöhung des Grundfreibetrages, viertens die Senkung der Steuersätze für die Betriebe und fünftens das Stopfen von Steuerschlupflöchern und den Abbau von Steuervergünstigungen.
Mit diesen Maßnahmen hätten wir sowohl die Unternehmen von Kosten entlastet - also: Angebotsseite - als auch eine Verbesserung der Massenkaufkraft - also: Nachfrageseite - herbeigeführt. Es wäre gut gewesen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Wir bedauern, daß der Bundeskanzler die Sitzung dieses letzten Spitzengesprächs sinngemäß mit dem Satz eröffnete: „Festzustellen ist, daß ich nach dem jetzigen Stand keine Möglichkeit einer Einigung sehe."
Deswegen ginge man in das normale Verfahren und träfe sich im Vermittlungsausschuß wieder.
Sowohl in dieser Sitzung - wir erinnern uns gut - als auch später haben Sie nicht den Versuch unternommen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, sondern waren nur bestrebt, Sozialdemokraten zu entzweien.
Wenn Sie nur einen Teil der Energie, mit der Sie uns Sozialdemokraten zu entzweien versuchen, darauf verwenden würden, mit uns gemeinsam zu einer schnellen Lösung dieser Probleme und insbesondere
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu kommen, dann ginge es in diesem Lande besser voran.
Landauf, landab hören wir von Ihnen das Lied von der Blockade. Wissen Sie, ich habe in der Finanzpolitik hier im Bundestag über die Jahre hinweg gelernt: Wenn wir bereit sind, mit Ihnen über die Probleme zu sprechen, dann stimmen Sie sofort zu. Aber wenn wir dann unsere eigenen Vorstellungen einbringen, wenn wir nicht alles übernehmen wollen, was Sie sagen, dann ist das „Blockade".
Sie haben die Mehrheit im Bundestag, wir haben die Mehrheit im Bundesrat. Deswegen muß es Kompromisse auf allen Seiten geben. Das haben Sie bei dem Gipfelgespräch vertan, meine Damen und Herren.
Herr Schäuble - jetzt spreche ich Sie ganz persönlich an -,
wollen Sie denn bestreiten, daß wir in diesem Gespräch alle gemeinsam der Ansicht waren, die Sozialversicherungen müßten von den versicherungsfremden Leistungen entlastet werden? Wir haben konkret vorgeschlagen - Herr Scharping hat das getan, Herr Poß ist darauf eingegangen -, wie das aussehen könnte. Sie haben das gar nicht bestritten. Denn alle sind wir der Ansicht: Versicherungsfremde Leistungen müssen aus der Sozialversicherung raus!
Die Arbeit in Deutschland ist nicht deshalb zu teuer, weil die Nettolöhne zu hoch sind, sondern weil Sie Kosten der deutschen Einheit systemwidrig in die Sozialversicherungssysteme hineingeschoben haben. Als wir vorgeschlagen haben, sie herauszunehmen - gegenfinanziert über eine Ökosteuer -, haben Sie dem nicht widersprochen, aber erwidert, erst müßten wir Sozialdemokraten bei Ihrer Rentenstrukturreform mitmachen. Jetzt frage ich Sie: Wenn man weiß, die Finanzierungsseite bedarf einer Neuregelung genauso wie die Leistungsseite, warum kann man dann nicht mit dem ersten Schritt anfangen? Sie wollten uns Sozialdemokraten zu Ihrer Reform bezüglich der Absenkung des Rentenniveaus auf 64 Prozent zwingen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß Sie unsere Zustimmung dazu erhalten, das Rentenniveau auf 64 Prozent zu senken, nur damit Sie dann sagen können: Die Sozialdemokraten saßen mit im Boot.
Daß die Senkung der Lohnnebenkosten, also die Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen und die Verbilligung der Arbeit, finanziert durch eine ökologische Steuerreform, der Kern der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, bestreitet doch niemand.
Nehmen Sie einmal das Beispiel einer ledigen Angestellten: Angenommen, sie hat ein Bruttoeinkommen von 5 400 DM. Sie bekommt 2 900 DM netto. Ihr Arbeitgeber hat Aufwendungen in Höhe von
Ingrid Matthäus-Maier
6 550 DM. Dabei beträgt in diesem Fall die Lohnsteuer 1 360 DM, was schon zuviel ist. Aber die Sozialabgaben, die beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zahlen, betragen 2 300 DM.
Auch die Wirtschaft weiß doch längst, daß die Senkung der Lohnnebenkosten viel wichtiger für sie ist etwa als die Senkung der Unternehmensteuern.
Die neuesten Zahlen der letzten Jahre, die wir heute morgen beim Statistischen Bundesamt noch einmal abgefragt haben, über einen Vergleich, wie hoch ungefähr auf der einen Seite die gezahlten Unternehmensteuern und wie hoch auf der anderen Seite die geleisteten Sozialabgaben waren, lauten: In den Jahren 1994 bis 1996 pendelten sich die Unternehmensteuern etwa in einer Höhe von 80 bis 90 Milliarden DM pro Jahr ein. Wissen Sie, wie hoch die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlten Sozialversicherungsbeiträge - nur die gesetzlichen - waren? In 1 994 509 Milliarden DM, in 1 995 533 Milliarden DM und in 1 996 552 Milliarden DM.
Da sage ich Ihnen: Wer die Situation in den Betrieben einigermaßen kennt, der weiß: Der erste wichtige Schritt ist die Senkung der Lohnnebenkosten. Diese Gelegenheit haben Sie verpaßt.