Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Waigel und Herr Schäuble haben heute wieder viel versprochen. Nichts werden sie einhalten können. Sie werden insbesondere die Erwartungen der Einkommensteuerpflichtigen nicht erfüllen. Nach Umfragen sind Sie schon jetzt mächtig im Minusbereich. Über die Hälfte der Bevölkerung erwartet nicht mehr, daß sie nach einer Reform mehr
Dr. Barbara Höll
im Portemonnaie haben werden, sondern bedeutend weniger.
Herr Waigel, ich glaube, manchmal tut es ganz gut, wenn man sich ab und zu ein paar Standardwerke zu Gemüte führt. Ich möchte einmal etwas zitieren:
Nach st. Rspr, des BVerfG fordert der im allgemeinen Gleichheitssatz verankerte Grundsatz der Steuergerechtigkeit, daß die Steuerlasten auf die Steuerpflichtigen im Verhältnis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verteilt werden; dies gelte insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt sei.
Nun fragt sich: Haben Sie das überhaupt noch in Ihrem Kopf? Ansonsten hätte ein solches Steuerkonzept, wie Sie es mit Ihrem Gesetz vorlegen, nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen.
So, wie Sie das machen, täuschen Sie auch noch die Öffentlichkeit. Sie verkünden einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und verschweigen wohlweislich, daß bereits ab 18 000 DM der Steuersatz auf 22,5 Prozent springt. Damit haben wir hier keinen linear-progressiven Tarifverlauf.
Auf meine Frage am Mittwoch, warum dies so sei, wurde mir geantwortet: Jeder Prozentpunkt kostet 8 Milliarden DM mehr Geld. - Gut, es kostet mehr Geld. Aber ich habe diese Begründung bei der Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 39 Prozent noch nie gehört.
Noch nie ist hierbei die Frage der Finanzierbarkeit aufgetaucht. Das entlarvt ziemlich eindeutig, wohin Sie marschieren wollen.
Das gleiche gilt für die Tatsache, daß jemand schon ab 90 000 DM Einkommen Spitzenverdiener ist. Es ist egal, ob jemand 1 Million DM, 10 Millionen DM oder 140 000 DM verdient. Das kann es doch wohl nicht sein.
Aus diesem Grunde - das möchte ich hier noch sagen - wird die PDS ein durchgerechnetes Konzept vorlegen, in dem das Entscheidende, nämlich die durchschnittliche Steuerbelastung, klar wird, mit einem Eingangssteuersatz von 19 Prozent, aber einem steuerfreien Existenzminimum von 17 000 DM pro Jahr.
Ich sage Ihnen - Sie werden das kaum glauben -: Selbst bei Beibehaltung des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent haben wir bei unserem Konzept auch bei einem Jahreseinkommen von 150 000 DM noch immer eine Entlastung der direkten Besteuerung um 3000 DM gegenüber dem heutigen Zustand. Es ist also kein Konzept, das nur bei den höheren Einkommen greift. Es hat allerdings den Ansatz einer anderen Verteilung, um die unteren Einkommen zu entlasten; denn da ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geringer.
Herr Schäuble hat die Globalisierung angesprochen. Das möchte ich aufgreifen und auf ein Problem
der Globalisierung, nämlich das der Harmonisierung des Steuerrechtes im europäischen Rahmen, eingehen. Man hätte erwartet - es gibt eine entsprechende EU-Richtlinie von 1988 -, daß die Bundesregierung endlich ein modernes Konzept, ein individualisiertes Steuerrecht, vorstellt. Das hieße, jeder Steuerpflichtige würde einzeln veranlagt. Das würde die Aufhebung einer Privilegierung im deutschen Steuerrecht bedeuten, nämlich die Frage des Ehegattensplittings.
Der Trauschein privilegiert gegenüber Menschen, die ohne Trauschein zusammenleben. Auch Verheiratete mit Kindern werden benachteiligt. Es werden ferner Menschen, die alleine leben, benachteiligt. Es gibt auch eine Reihe von Menschen, die Sie ausschließen, indem Sie ihnen das Heiratsrecht verweigern. Ich will dieses Recht nicht unbedingt. Wenn Schwule und Lesben heiraten wollten, könnten sie dies ja nicht einmal tun.
Eine solche Form des Ehegattensplittings gibt es nur noch in Irland. Dieser Vergleich spricht doch schon für sich, wenn Sie dies wie das aus familienpolitischer Sicht rückständigste Land in Europa regeln.
Wir wollen das ändern. Wir wollen eine Individualisierung. Das heißt natürlich auch, man braucht einen Ausgleich. Bündnis 90/Die Grünen haben eine Unterhaltsvariante vorgeschlagen. Das ist aber keine konsequente Form. Wir sind dafür, mit der Streichung des Ehegattensplittings anzufangen und auch im Sozialrecht endlich zu einer modernen Ausgestaltung zu kommen, in dem jede Person das Recht auf einen eigenen Anspruch hat, das heißt Anspruch auf Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, ohne daß der Ehegatte diese Leistungen wieder zurückerstatten muß.
Damit kann man einerseits tatsächlich Geld einnehmen. Andererseits steht man sich bis zu einem mittleren Familieneinkommen von 75 000 DM nach unserer Variante noch immer besser als bei dem, was heute gilt. Jede Person sollte einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen haben, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig ist oder nicht. Dies ist gegenwärtig aus äußerst verschiedenen Gründen möglich, zum Beispiel auch auf Grund der Massenarbeitslosigkeit, die Herr Waigel am Mittwoch einfach zur Seite geschoben hat.
Wir treten für eine Erhöhung des Kindergeldes, für eine tatsächliche Familienförderung ein. Hier kann der Maßstab für uns im Gegensatz zu den Vorschlägen der anderen Oppositionsparteien nur zumindest der Sozialhilferegelsatz für Kinder sein. Wir dürfen uns nichts vormachen: Solange das Kindergeld nicht mindestens 350 DM beträgt, werden die Kinder und Jugendlichen, die von Sozialhilfe leben müssen - sie können ja nichts dafür -, von jeglicher Kindergelderhöhung nichts haben. Das Geld für eine Kindergelderhöhung ist da. Sie brauchten nur wirklich konsequent zu streichen. Sie könnten Ihr System umgestalten und tatsächlich mit solchen einfachen Dingen wie Kampf gegen Steuerhinterziehung beginnen.
Ich bedanke mich.