Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Industrieländer müssen im Zeichen der zunehmenden Globalisierung ihre Standortbedingungen auf das 21. Jahrhundert ausrichten. Darin sind sich alle nationalen und internationalen Experten mit uns einig. Gleiches gilt für die führenden Sozialdemokraten in anderen Ländern wie Viktor Klima, Wim Kok, Göran Persson oder Tony Blair. Konsolidierung, Senkung von Steuern und Lohnnebenkosten sowie Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im System der sozialen Sicherheit, das ist das Gebot der Stunde.
Mit ihrer wahltaktischen Weigerung, an einer zügigen Umsetzung der Steuerreform 1998/99 mitzuwirken, ignoriert die SPD die erfolgreichen Beispiele anderer Länder.
In den Niederlanden zum Beispiel hat man sich zusammengesetzt und einen Konsens gefunden - einen Konsens, der von jedem etwas verlangt hat, einen Konsens, zu dem die dort in der Opposition stehenden Christdemokraten das Ihre beigetragen haben, um dem Gemeinwohl ihres Landes zu dienen. Dies erwartet man auch von jedem von uns in Deutschland.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hätten hier ein Ausrufezeichen für die Verantwortung der Opposition setzen können. Statt dessen haben Sie sich Ihrer Verantwortung entzogen.
Die Forschungsinstitute schreiben klipp und klar: Jetzt muß schnell Klarheit über die Steuerreform kommen. Wir brauchen den Stimmungsumschwung. Allein die Signalwirkung der großen Steuerreform wäre immens und würde die Investitionen, aber auch den Verbrauch beflügeln. Nur, Sie wollen blockieren und bremsen. Das bedeutet Unklarheit und Unsicherheit für Investoren und Verbraucher. Unsicherheit bremst den Aufschwung und schwächt das Wachstum. Die Arbeitslosigkeit hält an.
Dieses bedrückende Szenario am Standort Deutschland wollen Sie eiskalt als Wahlkampfmunition gebrauchen - nicht alle von Ihnen, aber jedenfalls scheint dies die Taktik Ihrer Führung zu sein.
Aber ich bin sicher: Die Taktik Ihres Parteivorsitzenden geht nicht auf. Ihre Strategien, ausgetragen auf dem Rücken der Arbeitslosen, der Wirtschaft und aller Arbeitnehmer am Standort Deutschland, werden vom Wähler nicht honoriert.
Wir werden heute das Steuerreformgesetz 1999 in erster Lesung beraten, um uns - wahrscheinlich - im Vermittlungsausschuß wiederzusehen. Wir werden Sie für jeden Monat, in dem Sie den entscheidenden Ruck für den Standort Deutschland und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindern, verantwortlich machen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Trotz völlig veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen setzen Sie auf alte politische Hüte, nämlich auf Nachfragepolitik, auf Steigerung der Kaufkraft, auf Umverteilung und Abschottung im internationalen Wettbewerb. Doch Deutschland hat kein Nachfrage-, sondern ein Kostenproblem.
In einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds vom Sommer des letzten Jahres steht: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist zu 80 Prozent strukturell bedingt. Die Europäische Union und nationale Experten kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Diese strukturelle Arbeitslosigkeit resultiert aus zu hohen Steuern, zu hohen Lohn- und Lohnzusatzkosten, zu starren Tarifverträgen, ausufernden Rechtsnormen mit langen Verfahren, einem mißbräuchlichen Ausbeuten der Sozialsysteme und Schwarzarbeit auf Kosten der Steuerzahler und der wirklich Bedürftigen, Steuervermeidungsstrategien und Steuerhinterziehung wegen drückender Steuersätze bei der Einkommensbesteuerung und einem komplizierten Steuersystem mit vielen Schlupflöchern.
Der Sachverständigenrat schreibt in seinem Jahresgutachten 1996/1997:
Die Investitionstätigkeit kommt nicht in Fahrt. Die deutschen Unternehmen investieren im Ausland. Deutschland konnte aber nicht an den weltweiten Direktinvestitionen anderer Länder partizipieren.
Daraus folgert der Sachverständigenrat:
Die verschärfte Lage am Arbeitsmarkt beruhte vor allem auf der andauernden Investitionsschwäche und der ungünstigen Entwicklung der Arbeitskosten.
Zum gleichen Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Dort steht:
Letztendlich sind es weniger vergangene Kostenentwicklungen als vielmehr die Erwartungen über zukünftige Trends, die die internationale Allokation von Risikokapital beeinflussen. Die Tatsache, daß ausländische Investoren Deutschland gemieden und auch inländische Investoren sich verstärkt an anderen Standorten engagiert haben, deutet darauf hin, daß die Perspektiven für den Standort Deutschland relativ ungünstig eingeschätzt werden.
Das International Institute of Management Development in der Schweiz veröffentlicht jedes Jahr einen Wettbewerbsbericht. Hier ist Deutschland jetzt auf Platz 14 abgerutscht. Das Institut schreibt, Deutschland verliere zuviel Zeit beim Umsetzen wichtiger Reformen.
Meine Damen und Herren, dagegen helfen keine Steigerung der Massenkaufkraft
und auch keine Steuerreform, die sich allein auf eine Steigerung des Konsums ausrichtet und die Investitionsbedingungen außen vor läßt.
Professor Peffekoven vom Sachverständigenrat sagte am 18. April dieses Jahres in „Die Woche" auf die Frage, ob die Entlastung der unteren Einkommen über eine Anregung des Konsums Investitionen fördere:
Nein, in den letzten Jahren mußten wir immer wieder feststellen, daß die Entlastung der unteren Einkommen nicht den gewünschten Nachfrageschub bringt. Wer wenig verdient, spart derzeit lieber, aus Angst um den Arbeitsplatz.
Was nützt es, wenn die gestiegene Kaufkraft in ausländische High-Tech-Produkte fließt, die in Deutschland wegen der hohen Kosten nicht mehr konkurrenzfähig produziert werden?
Dabei ist es nicht so, daß wir keine Rücksicht auf die Nachfrage und die Entlastung der unteren Einkommen und der Familien nehmen. Im Gegenteil: Die steuerliche Entlastung der Arbeitskräfte wurde schon 1996 in erheblichem Umfang vollzogen. Ich erinnere an die Erhöhung des Grundfreibetrags und die weiter verbesserten Familienleistungen durch die neue Kindergeldregelung.
Heute gilt: Eine gute Angebotspolitik, die den Märkten Zuversicht und stabile Erwartung gibt, Investitionen nach Deutschland bringt und Arbeitsplätze schafft, ist auch die beste Nachfragepolitik.
Dies ist das Ziel der großen Steuerreform 1998/1999.
Zur Zukunftssicherung gehört aber nicht nur eine große Steuerreform. Wir brauchen auch ein Gesamtkonzept. Dieses Gesamtkonzept ist die symmetrische Finanzpolitik.
Das bedeutet: Abbau der Staatsquote, Konsolidierung, wachstumsfördernde Steuerpolitik und Strukturreformen.
Dazu gehört die Abschaffung der ertragsunabhängigen Steuern: Das steht bei der Gewerbekapitalsteuer noch aus. Das umfaßt die Reform der Renten- und Krankenversicherung. Dazu gehört die Senkung der beschäftigungsfeindlichen hohen Lohnzusatzkosten. Das bedeutet eine beschäftigungsfreundliche Flexibilisierung des Arbeitsrechts und eine Reform unserer Sozialsysteme. Alle Vorhaben greifen ineinander. Keines kann das andere ersetzen.
Wir können über die Umfinanzierung bei den Sozialbeiträgen reden. Es wäre aber ein abwegiger
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Vorschlag, jetzt nur die Senkung der Lohnnebenkosten ohne eine begleitende Strukturreform zu regeln und auf eine wirkliche Steuerreform zu verzichten. Das kann den Durchbruch am Arbeitsmarkt nicht bringen.
Eine Wachstums- und beschäftigungsfreundliche Steuerreform ist jetzt genauso wichtig wie die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge in Verbindung mit kostensenkenden Strukturreformen.
Die SPD hat sich von der für die Gespräche zur Steuerreform vereinbarten Geschäftsgrundlage entfernt. Der Ausgangspunkt war, über eine umfassende wachstumsstärkende Steuerreform zu reden. Die Koalition war in diesem Zusammenhang bereit, auch über eine Reform der sozialen Sicherungssysteme unter Einschluß einer Umfinanzierung zu reden.
Eine Einigung schien durchaus möglich. Dann hat die SPD die für den 8. März geplanten Gespräche unter einem offenkundigen Vorwand abgesagt. Danach hat sie Bedingungen für die Wiederaufnahme gestellt und Forderungen nachgeschoben. Schließlich war sie nur noch bereit, über eine Umfinanzierung bei der Sozialversicherung mit uns zu reden.
Wer diesen Ablauf gemäß der genauen Fakten - an diesen kann es überhaupt keinen Zweifel geben - verfolgt, weiß ganz genau, daß Sie Ihre Taktik entweder geändert haben oder von Anfang an nicht bereit waren, über eine wirkliche Steuerreform zu sprechen.
Die Petersberger Beschlüsse sind ein Durchbruch zu einem neuen Steuersystem. Die Grundprinzipien sind: niedrige Steuersätze, breite Bemessungsgrundlage, weniger Ausnahmen. Unsere Steuersätze werden künftig im Vergleich mit denen aller großen Industrieländer wettbewerbsfähig sein. Die verbliebenen Standortvorteile Deutschlands und die guten wirtschaftlichen Fundamentaldaten, nämlich niedrige Preise, niedrige Zinsen und gute Erträge, können dann endlich ihre volle Wirkung entfalten und zu Investitionen und Arbeitsplätzen führen.
Die Petersberger Beschlüsse beruhen auf den bewährten Grundprinzipien der Besteuerung: die Besteuerung nach dem individuellen Leistungsprinzip; das objektive Nettoprinzip- das heißt: Erwerbsaufwendungen bleiben grundsätzlich absetzbar-; das subjektive Nettoprinzip, die Existenzsicherung ist von der Besteuerung freigestellt; der Verlustausgleich über alle Einkunftsarten bleibt weiter möglich, und der Anknüpfungspunkt für den Einkommensbegriff bleibt das am Markt erzielte Einkommen. Für Unternehmen muß gelten: Rechtsformneutralität und Finanzierungsneutralität.
Das Steuerreformgesetz 1998 mit der Senkung des Solidaritätszuschlages und einer Senkung der Körperschaftsteuersätze und der Einkommensteuersätze für gewerbliche Einkünfte haben wir bereits im Parlament eingebracht. Es soll und kann durch Vorzieheffekte schon kurzfristig wichtige Impulse geben.
Mit dem Steuerreformgesetz 1999 wollen wir das Gesamtkonzept der Petersberger Steuervorschläge auf den Weg der parlamentarischen Beratung bringen. Das gibt den Märkten Sicherheit auf lange Sicht.
In Papieren der SPD zur Steuerreform sucht man leider vergeblich nach Ansätzen und Vorschlägen, wie der Standortkonkurrenz in der Steuerpolitik offensiv begegnet werden soll. Statt dessen wird defensiv auf internationale Absprachen gesetzt.
Wir wenden uns entschieden gegen unfairen Steuerwettbewerb. Dafür ist auf meine Initiative auf EU- Ebene eine Arbeitsgruppe gegründet worden. Es ist aber ein Irrglaube, man könne den Steuerwettbewerb insgesamt ausschalten. Wir wollen das auch nicht. Wettbewerb ist ein Element der wachstumsfördernden Dynamik in Europa, die letztlich allen zugute kommt.
Doch der SPD sind diese Tatsachen egal. Ein Beispiel: Die SPD spricht sich gegen eine Absenkung des Ausschüttungssatzes bei der Körperschaftsteuer aus. Dabei wäre gerade die geplante Absenkung des Satzes der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Gewinne von 30 auf 25 Prozent eines der wichtigen Signale an ausländische Investoren für bessere steuerliche Rahmenbedingungen in Deutschland.
Die SPD springt auch zu kurz, wenn sie sich auf eine Absenkung der Höchststeuersätze für einbehaltene Gewinne beschränken will. Zunächst einmal kann man das nicht auf Kapitalgesellschaften beschränken. Neun von zehn Unternehmen in Deutschland sind Personenunternehmen. Und, meine Damen und Herren, wie kommen wir eigentlich dazu, dem Handwerker, dem mittelständischen Unternehmer, der in seiner Rechtsform mit seinem gesamten Privatvermögen die volle Verantwortung und Haftung trägt, schlechter als Körperschaften und Aktiengesellschaften zu stellen? - Ich halte das nicht für gerecht.
Generell gilt: Das wäre ein Hemmnis für den Produktivitätsfortschritt und den Strukturwandel, denn Kapitalbewegungen zwischen den Unternehmen und damit der Kapitalfluß zu rentableren Investitionen würden behindert. Außerdem würde die Unterscheidung zwischen nicht entnommenen und entnommenen Gewinnen komplizierte Regelungen zur Mißbrauchsverhütung und zusätzliche behördliche Kontrollen erfordern.
Wir wollen den Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte von 47 Prozent auf 35 Prozent senken. Das
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
stärkt die Eigenkapital- und damit die Ertragsbasis aller Unternehmen, insbesondere derjenigen des Mittelstandes. Es stärkt die Liquiditätsbasis der Betriebe und erhöht damit die Investitions- und Innovationskraft.
Der Zukunftstarif 1999 ist wachstumsfördernd und im Standortwettbewerb konkurrenzfähig. Er entlastet nahezu alle Steuerzahler. Der Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer in Höhe von künftig 15 Prozent findet ungeteilte Zustimmung.
Der Durchschnittssteuersatz beträgt bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 30 000 DM nach der Splittingtabelle 1999 nur noch 1,9 Prozent. Bei einem Bruttojahreslohn von 40000 DM beträgt die Entlastung einschließlich des Solidaritätszuschlags bei einem Alleinstehenden 1617 DM oder 20,4 Prozent, bei einem Verheirateten sogar 51,1 Prozent.
- Lesen Sie es doch nach, bedienen Sie sich des Internets, dann kommen Sie selbst darauf.
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 DM würde der Durchschnittssteuersatz bei Anwendung der Splittingtabelle mit 9,5 Prozent immer noch unter der 10-Prozent-Marke liegen. Ein alleinstehender Facharbeiter mit einem Bruttojahresverdienst von 70 000 DM wird um 2537 DM oder 14,9 Prozent entlastet.
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM erhalten Verheiratete eine Entlastung von 12,9 Prozent, und trotzdem zahlt diese Familie immer noch 53 532 DM an Steuern. Hat diese Familie aber bisher alle möglichen Steuerschlupflöcher genutzt, dann kann auch eine Mehrbelastung daraus resultieren, und genau das wollen wir.
Derjenige, der bisher nur die Schlupflöcher und die Vergünstigungen ausgenutzt hat, soll künftig mehr Steuern zahlen.
Es ist bei allen Experten völlig unstrittig: Die hohen Spitzensteuersätze sind leistungsfeindlich und abschreckend für Investoren. Das gilt für alle Einkunftsarten. Wir wollen daher nicht nur den Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte weiter senken; wir wollen und wir müssen auch den Höchststeuersatz für alle Einkunftsarten herabsetzen, nämlich von 53 auf 39 Prozent.
Bei den Beratungen zum Standortsicherungsgesetz vor einigen Jahren haben die Herren Poß und Schleußer auf die rechtliche Problematik einer zu großen Spreizung der Steuersätze für einzelne Einkunftsarten hingewiesen.
Nachdem die Chefideologen und Strategen der SPD
das heute nicht mehr für opportun halten, gilt dies offenbar als nie gesagt. Ich erinnere mich noch an den Satz, einer solchen Spreizung sei die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben. Das ist damals von der Linken gekommen, und heute will man davon nichts mehr wissen.
Wir bleiben dabei: Allein wegen der zusätzlichen Gewerbesteuerbelastung ist eine gewisse Spreizung für längere Zeit ökonomisch und verfassungsrechtlich vertretbar.
Die SPD ist bezüglich ihrer Stellungnahmen zu den Spitzensteuersätzen völlig unglaubwürdig. Einerseits kritisiert sie die Steuerentlastung höherer Einkommen; andererseits vermutet Herr Voscherau seit langem, daß Einkommensmillionäre wegen der Schlupflöcher keinen Pfennig Steuern zahlen. Meine Damen und Herren, nur eines von beidem kann richtig sein.
Das von Ihnen gern benutzte Argument, ein Ingenieur mit 90000 DM Einkommen zahle gleich viel Steuern wie ein Rechtsanwalt mit 250 000 DM Einkommen, ist Unsinn. Statt brutto und netto verwechseln Sie jetzt Grenz- und Durchschnittsbesteuerung.
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DM beträgt die Durchschnittsbelastung rund 25 Prozent, bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 250000 DM fast 39 Prozent. Das ist der Unterschied.
- Das sehen einige in Ihrer Partei anders.
Das Mitglied des Sachverständigenrates Professor Peffekoven legt im „Handelsblatt" vom 16. April 1997 korrekt und überzeugend dar: Bei der Progression der Einkommensteuer sieht niemand ein Problem darin, Beziehern hoher Einkommen eine höhere Steuerlast zuzumuten. Bei der Absenkung des Tarifs muß dann logischerweise das gleiche gelten. Die absoluten Entlastungen sind bei hohen Einkommen zwangsläufig höher als bei niedrigen Einkommen. Das Fazit von Professor Peffekoven ist richtig:
Wer das nicht akzeptieren will, müßte eigentlich gegen die Progression in der Einkommensteuer votieren.
Übrigens vermutet Professor Peffekoven, daß die Millionäre die eigentlichen Verlierer der Reform sein werden. Wer also die Reform verhindert, ist im Grunde der Protektionist der Millionäre. Das sind Sie von der SPD.
- Das hat gesessen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Das mußte einmal gesagt werden. Aber Sie haben gleich wieder die Möglichkeit, sich lärmend zu betätigen, wenn ich den Finanzminister von NordrheinWestfalen zitiere.
Im Sommer 1996 äußerte Schleußer - -
- Das ist schon lange her, ruft da drüben einer.
Kurzzeitgedächtnis in Lafontaineschen Formeln: in immer kürzeren Abständen die Strategie ändern.
Also, Schleußer, Sommer 1996:
Eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, muß mit einer deutlichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des Spitzensteuersatzes verbunden sein.
- Moment noch, es kommt noch besser. Alles wörtlich:
Steuersätze wie derzeit diskutiert von 20 Prozent und 40 Prozent sind dabei anstrebenswert.
Hat der Mann recht oder nicht? Versteht er etwas von seinem Fach oder nicht? Kann die SPD noch zu dem Finanzminister stehen oder nicht? Wenn das nicht mehr stimmt und die Kritik stimmt, dann müssen Sie ihm sagen, er solle seinen Hut nehmen, dann kann er doch nicht mehr als Finanzminister des bevölkerungsreichsten Landes in Deutschland agieren. Das müssen Sie sich einmal fragen lassen.
Aber es kommt noch besser. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Scharping, im Deutschlandfunk am 24. Januar 1997:
Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig.
Und dann der wichtige Satz:
Es ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 oder bei 40 Prozent liegt.
Jetzt nehmen wir mal die für Sie bessere Version: 40 Prozent. Ja, meine Damen und Herren, auf der Basis hätten wir eine Lösung finden können. Warum haben Sie sich dann von den Verhandlungen verabschiedet?
Und ganz neu: Ihr und mein Freund - wenn ich das so sagen darf - Hans Apel in der „Wirtschaftswoche" vom 21. April 1997,
also ganz aktuell:
Voraussetzung für Steuergerechtigkeit sind niedrigere Steuersätze.
Und nochmals wörtlich:
Diese Forderungen erfüllen Theo Waigels Vorschläge.
Meine Damen und Herren, warum hat nicht auch Hans Apel recht, wenn er so etwas zum Ausdruck bringt?
Und der Vizepräsident des Bundestages Hans-Ulrich Klose am 17. April 1997:
Aus psychologischen Gründen ist dazu auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes erforderlich. Wenn das dazu führt, daß Großverdiener auch wirklich Steuern zahlen und nicht ihr Einkommen durch Abschreibungen auf null herunterbringen, bringt das mehr Steuern in die Kasse, als es Einnahmeausfälle bringt.
Wann endlich, meine Damen und Herren von der SPD, folgen Sie denen, die hier, wie ich meine, das Richtige und Notwendige sachkundig zum Ausdruck gebracht haben? Hier zeigt sich Ihre Zerrissenheit. Sie folgen nicht dem Sachverstand, sondern wollen die ideologische populistische Auseinandersetzung gegen das Gemeinwohl Deutschlands!
Meine Damen und Herren, niedrige Tarife und eine breite Bemessungsgrundlage gehören zusammen. Bei allen Diskussionen im einzelnen, das eine ist ohne das andere nicht zu bekommen. Deshalb ist es ganz wichtig, immer wieder auf die Wirkung des Gesamtpaketes zu schauen. Es ist nicht zu bestreiten, die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind sauer verdientes Geld.
Über eine Übergangsregelung kann man reden.
- Das haben wir im ersten Sondierungsgespräch zwischen uns bereits zum Ausdruck gebracht, im ersten Sondierungsgespräch!
Doch viele Steuerzahler, alle Selbständigen zum Beispiel, erhalten trotz Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit keine Zuschläge. Es wird allen Steuerzahlern eine Last aufgebürdet, die eigentlich Sache der Tarifvertragsparteien ist, nämlich für Arbeit unter erschwerten Bedingungen einen fairen Lohn zu zahlen.
In jedem Falle gilt: Trotz der geplanten Einschränkung wird beispielsweise eine Krankenschwester mit einem Einkommen von etwa 53 000 DM inklusive bisher steuerfreier Zuschläge von ca. 2 500 DM 1999 noch um etwa 500 DM entlastet.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Und auch für die Einführung einer Entfernungspauschale von 40 Pfennig pro Kilometer ab dem 16. Kilometer zusätzlich zur Werbungskostenpauschale gilt: Ein Feinmechaniker, verheiratet, Jahresbruttolohn 63 000 DM, der 50 Kilometer Anfahrt zur Arbeitsstelle hat, würde noch immer 1 164 DM mehr im Portemonnaie haben.
Die hälftige Einbeziehung der Lohnersatzleistungen in die steuerliche Bemessungsgrundlage bei Wegfall des Progressionsvorbehalts bringt oft eine Entlastung. Die vorgesehene Besteuerung der Lohnersatzleistungen bringt insgesamt Steuermindereinnahmen von rund 250 Millionen DM.
Ein Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von 60 000 DM, der sechs Monate arbeitslos war, würde bei der vorgesehenen Besteuerung der Lohnersatzleistungen trotzdem um 753 DM entlastet.
Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich ändert nichts an der deutlichen Entlastungswirkung unter dem Strich. Ein kleiner Familienbetrieb mit einem Gewinn von 150 000 DM würde um etwa 2 300 DM entlastet. Ein mittelständisches Einzelunternehmen mit einem Gewinn von 450 000 DM würde auch bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 50 000 DM um etwa 19 000 DM real entlastet. Eine Aktiengesellschaft mit einem Gewinn von 2 Millionen DM würde bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 250 000 DM zum Beispiel wegen der Absenkung der degressiven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter um rund 42000 DM entlastet.
Auch die heute ungleichäßige Besteuerung von Renten, Pensionen und Erwerbseinkommen bedarf dringend einer Klärung. Im Standardfall - Ertragsanteil in Höhe von 27 Prozent- sind Renten bei Alleinstehenden heute bis zu 65 000 DM steuerfrei. Ein Arbeitnehmer mit vergleichbarem Einkommen zahlt nach geltendem Recht in diesem Fall bereits etwa 14 800 DM Steuern im Jahr. Diese Zahlen sprechen für sich. Daher sollen die Renten künftig mit 30 bzw. 50 Prozent in die steuerliche Bemessungsgrundlage eingehen, unabhängig davon, ob Rentenansprüche allein aus eigenen Beiträgen stammen oder auch aus steuerfreien Arbeitgeberanteilen.
Im ersten Fall soll von je 1 000 DM ein Betrag von 300 DM und im zweiten Fall von je 1 000 DM ein Betrag von 500 DM in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Dennoch bleibt die Rente eines Alleinstehenden ab 1999 bis zu 31 511 DM - das sind 2 600 DM im Monat - steuerfrei, wenn er kein weiteres steuerpflichtiges Einkommen erzielt. Bei Verheirateten bleiben Jahresrenten bis zu 62 549 DM - das sind 5 200 DM monatlich - steuerfrei. Im Ergebnis erreicht die Besteuerung der Renten das Niveau, das es vor der Erhöhung der Grundfreibeträge durch das Jahressteuergesetz 1996 im Jahr 1995 hatte.
Als ich diese ganze Systematik in verfassungsrechtlicher und steuerrechtlicher Hinsicht und in ihrer Auswirkung einem sachkundigen Sozialdemokraten erklärt habe, hat er gesagt: Alles, was Sie sagen, ist richtig; aber dagegen stehen Parteibeschlüsse.
Ich frage Sie: Müssen wir das tun, was richtig ist, oder sind wir an Parteibeschlüsse gebunden, die der Realität nicht ins Auge sehen?
Bei der vorgesehenen Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen gilt: Versicherungsrenten werden in der Ansparphase wie Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung behandelt: Die Beiträge werden steuerlich nicht erfaßt. Bei den Kapitallebensversicherungen steht der Gedanke der Alters- und Hinterbliebenenversorgung dagegen in vielen Fällen nicht im Vordergrund. Wir halten eine Abgeltungssteuer von 10 Prozent auf die jährlich gutgeschriebenen Zinsen für angemessen. Alternativ kann die Besteuerung mit dem individuellen Steuersatz beim Zufluß der angesammelten Zinserträge gewählt werden. Eine echte Rückwirkung ist nicht vorgesehen. Es sollen nur Zinserträge erfaßt werden, die nach dem Jahr 2001 gutgeschrieben werden. Der Sonderausgabenabzug der Beiträge zur Kapitallebensversicherung wird auch künftig möglich sein. Die besondere Rolle der Lebensversicherungen als Alters- und Hinterbliebenenvorsorge wird nicht in Frage gestellt.
Meine Damen und Herren, wie hält es die SPD mit der Bemessungsgrundlage? Von dieser Stelle aus bin ich in den letzen beiden Jahren von Herrn Scharping und vor allen Dingen von Herrn Lafontaine immer wieder aufgefordert worden, ich solle endlich die Vorschläge von Professor Bareis aus der Schublade nehmen und sie aufgreifen und umsetzen.
Wir haben Sie immer wieder gefragt: Sind Sie bereit, die Dinge mitzutragen? Jetzt haben wir das getan. Professor Bareis sagt: Jawohl, das ist ein großer Wurf. Und genau jetzt drehen Sie sich, genau jetzt wenden Sie sich von dem Gesagten und Geforderten aus opportunistischen Gründen wieder ab. Das, meine Damen und Herren, nenne ich politische Verlogenheit.
Ein wichtiger Punkt der Reform ist die Höhe des Finanzvolumens. Das Gesamtvolumen der Tarifentlastung beträgt rund 84 Milliarden DM im Entstehungsjahr. Der wesentliche Teil der Gegenfinanzierung sind die Mehreinnahmen aus der Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Sie betragen rund 45 Milliarden DM im Entstehungsjahr.
Ein weiterer Finanzierungsbeitrag muß durch Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern kommen. Wir halten eine Nettoentlastung von rund 30 Milliarden DM für notwendig und fiskalisch vertretbar, wenn man sie entsprechend auf die Ebenen aufteilt.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Die kassenmäßigen Auswirkungen der Steuerreform einschließlich der Rückführung des Solidaritätszuschlags betragen 1999 etwa 56 Milliarden DM. Für den Wegfall des allein den Bund betreffenden Solidaritätszuschlags haben wir in der Finanzplanung Vorsorge getroffen.
Danach belaufen sich die kassenmäßigen Ausfälle 1999 auf rund 49 Milliarden DM. Von den 49 Milliarden DM ist nun die gewollte, noch nicht konkret festgelegte Umschichtung - das wird im Laufe der Beratungen noch erfolgen - von den direkten zu den indirekten Steuern abzuziehen.
Zusätzlich ist ein Selbstfinanzierungseffekt der Reform durch Wachstumseffekte zu erwarten. Das RWI in Essen erwartet eine Wachstumssteigerung um reichlich ein halbes Prozent im Jahr 1999 - eine Selbstfinanzierung von knapp 30 Prozent. Und eine aktuelle Studie der OECD kommt zu dem Ergebnis: Länder mit niedrigen Grenzsteuersätzen haben ein höheres Wirtschaftswachstum als Länder mit höheren Grenzsteuersätzen.
Erfahrungen in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien bestätigen: Die Reformen führten zu Mehreinnahmen. Der niedrigere Steuerdruck führte dazu, daß weniger in Steuersparmodelle als in Zukunftsprojekte investiert wurde. Länder wie die USA oder Großbritannien haben heute trotz niedrigerer Tarife einen etwa gleich großen Anteil des Einkommensteueraufkommens am BIP wie Deutschland.
Auch in Skandinavien hat man den Mut zu Reformmaßnahmen, wie wir sie nun planen, gehabt. Diese Länder haben nach den Steuerreformen in den 90er Jahren eine deutlich sinkende Arbeitslosigkeit zu verzeichnen.
Vor diesem Hintergrund ist die Nettoentlastung für die Gebietskörperschaften vertretbar. Wenn wir den Konsolidierungskurs unvermindert fortsetzen, kann dieses Reformwerk in die Finanzplanungen eingepaßt werden.
Wer jetzt allerdings nur kurzfristig denkt und, wie die SPD, keine oder fast keine Nettoentlastung will und damit die Initialzündung für Wachstum und Beschäftigung kaputtmacht, schneidet sich schon bald ins eigene Fleisch.
Die öffentlichen Kassen sind nur die Kostgänger einer florierenden Wirtschaft und gut verdienender Steuerzahler. Die Steuerreform sichert gerade mit ihrer Nettoentlastung die öffentlichen Kassen auf längere Sicht.
Wir dürfen nicht statisch denken. Wenn wir nichts tun, wird die Steuerstruktur zu einem immer größeren Wachstumshemmnis.
Die Ergiebigkeit des Steuersystems wird noch zurückgehen. Andere Länder schaffen attraktive steuerliche Rahmenbedingungen, die Global players auf den Weltmärkten werden immer findiger, ihre globale Steuerlast zu optimieren.
Meine Damen und Herren, die SPD macht sich hier wieder einmal unglaubwürdig, wenn sie gleichzeitig wichtige Elemente der notwendigen Gegenfinanzierung ablehnt, zum Beispiel eine Einschränkung der degressiven AfA, die Streichung der Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, die Einführung der geplanten Entfernungspauschale sowie die gleichmäßigere Belastung von Löhnen, Lohnersatzleistungen und Renten.
Zusätzlich allerdings fordert sie, den Grundfreibetrag schon 1998 auf 14 000 DM zu erhöhen und das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 30 DM anzuheben. Allein die Zusatzforderungen der SPD addieren sich auf etwa 20 Milliarden DM. Eine angebliche Lücke bei uns zu beklagen und 20 Milliarden DM draufzusetzen, um den Familien und anderen vorzugaukeln, man könne ihnen mehr geben, ist eine unglaubwürdige Politik.
Das steuerfreie Existenzminimum und der Familienleistungsausgleich sind durch das Jahressteuergesetz 1996 bis einschließlich 1999 auf eine gute und solide Basis gestellt. Meine Damen und Herren, es wäre zwar schön, wünschenswert und ich würde es jedem von Herzen gönnen, wenn man jetzt einer Familie für jedes Kind 30 DM mehr geben könnte. Nur: Der Arbeitsplatz für den Vater und die Mutter und künftig für das Kind ist im Moment wichtiger als die Erhöhung des Kindergeldes.
1997 erreicht die Entlastung der Familien voraussichtlich ein Volumen von 74,5 Milliarden DM; im Jahr 1982 waren es 27,5 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, das Steuerreformgesetz 1999 ist der entscheidende Auslöser für Investitionen und Arbeitsplätze am Standort Deutschland. Mit der großen Steuerreform geben wir die wichtigen Signale für die Märkte. Wir geben das Signal, daß wir für das 21. Jahrhundert gerüstet sind. Jetzt müssen wir unsere Reformfähigkeit in Deutschland beweisen und die großen Reformen verabschieden. Das bringt Zuversicht, Optimismus und Aufbruchstimmung.
Im Interesse Deutschlands fordere ich die SPD auf, endlich aus dem Bremserhäuschen des Standortzuges herauszukommen. Nehmen Sie die Verantwortung für das Gemeinwohl wahr. Lassen Sie es nicht zu, daß Sie auch noch bei der Steuerpolitik von den Grünen überholt werden.
Richtig ist, was gestern oder vorgestern einige Zeitungen schrieben: Die Bürger sind die taktischen Mätzchen längst leid.
Verhandeln Sie ernsthaft mit uns, konstruktiv, offen und ohne ideologische oder wahltaktische Scheuklappen. Die Menschen in Deutschland erwarten, daß wir uns zusammensetzen und endlich gemeinsam unsere Pflicht tun. Unsere Einladung an Sie
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
bleibt bestehen. Unser Entwurf steht, unsere Konzeption ist richtig, und sie wird sich durchsetzen.
Vielen Dank.