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    Plenarprotokoll 13/170 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 170. Sitzung Bonn, Freitag, den 18. April 1997 Inhalt: Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) (Drucksache 13/7385) 15373 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung hier: Multimedia - Mythen, Chancen und Herausforderungen (Drucksachen 13/2475, 13/5163) 15373 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD:... Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Manfred Such, Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:... Ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft III (Schutz und Entfaltung selbstbestimmter Nutzung) (Drucksachen 13/5197, 13/5777, 13/ 6856) 15373 B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 15373 D Siegmar Mosdorf SPD 15378 A Wolfgang Thierse SPD 15378 D Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU 15382 B, 15387 B Thomas Krüger SPD 15386 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15387 C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. . . 15390 A Wolfgang Bierstedt PDS 15392 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 15393 D Jörg Tauss SPD 15394 A Franz Thönnes SPD 15395 C Hans-Otto Wilhelm (Mainz) CDU/CSU 15397 C Jörg Tauss SPD 15399 C Tagesordnungspunkt 15: Große Anfrage der Abgeordneten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunft der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der EU-Agrarreform, der Osterweiterung und GATT/ WTO (Drucksachen 13/4205, 13/5333) 15402 B Horst Sielaff SPD 15402 B Jochen Borchert, Bundesminister BML 15404 B Horst Sielaff SPD 15404 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15407 B Ulrich Heinrich F.D.P. 15408 D Eva Bulling-Schröter PDS 15410 B Albert Deß CDU/CSU 15411 A Dr. Gerald Thalheim SPD 15412 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . 15414 B Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Detlef Kleinert (Hannover), Norbert Geis und weiterer Abgeordneter: Rechtschreibung in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 13/7028) 15416 A Franz Peter Basten CDU/CSU 15416 B Dr. Liesel Hartenstein SPD 15418 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15420 B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 15421 C Maritta Böttcher PDS 15422 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. (zur GO) . . 15423 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15423 D Ulrich Irmer F.D.P 15424 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. (zur GO) 15424 D Nächste Sitzung 15424 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 15425* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 15425* C 170. Sitzung Bonn, Freitag, den 18. April 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bachmaier, Hermann SPD 18.4. 97 Bläss, Petra PDS 18. 4. 97 Blunck, Lilo SPD 18. 4. 97 Duve, Freimut SPD 18. 4. 97 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 18. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 18. 4. 97 Gansel, Norbert SPD 18. 4. 97 Götz, Peter CDU/CSU 18. 4. 97 Haack (Extertal), SPD 18. 4. 97 Karl Hermann Hempelmann, Rolf SPD 18. 4. 97 Dr. Hendricks, Barbara SPD 18. 4. 97 Homburger, Birgit F.D.P. 18. 4. 97 Horn, Erwin SPD 18. 4. 97 Dr. Jacob, Willibald PDS 18. 4. 97 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 18. 4. 97 Knoche, Monika BÜNDNIS 18. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 18. 4. 97 Koppelin, Jürgen F.D.P. 18. 4. 97 Kröning, Volker SPD 18. 4. 97 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 18. 4. 97 Lehn, Waltraud SPD 18. 4. 97 Löwisch, Sigrun CDU/CSU 18. 4. 97 Dr. Maleuda, Günther PDS 18. 4. 97 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 18. 4. 97 Dr. Pick, Eckhart SPD 18. 4. 97 Purps, Rudolf SPD 18. 4. 97 Reschke, Otto SPD 18. 4. 97 Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 18. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Rühe, Volker CDU/CSU 18. 4. 97 Schenk, Christa PDS 18. 4. 97 Schloten, Dieter SPD 18. 4. 97 Schmidt-Zadel, Regina SPD 18. 4. 97 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 18. 4. 97 Hans Peter Schütz (Oldenburg), SPD 18. 4. 97 Dietmar Steen, Antje-Marie SPD 18. 4. 97 Such, Manfred BÜNDNIS 18. 4. 97 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Terborg, Margitta SPD 18. 4. 97 Türk, Jürgen F.D.P. 18. 4. 97 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 18.4. 97 Wallow, Hans SPD 18.4. 97 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 18.4. 97 Welt, Jochen SPD 18. 4. 97 Wester, Hildegard SPD 18. 4. 97 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 18. 4. 97 Margareta 90/DIE GRÜNEN Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 18. 4. 97 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Abgeordnete Dr. Wolfgang Wodarg hat mit Schreiben vom 16. April 1997 den Gruppenantrag „Änderung des Bundesseuchengesetzes: Aufnahme der übertragbaren spongiformen Gehirnentzündung" - Drucksache 13/7359 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuß - Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im ersten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1993 - Drucksachen 12/5088, 13/725 Nr. 74 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im zweiten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1993 - Drucksachen 12/5675, 13/725 Nr. 75 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im dritten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1993 - Drucksachen 12/6292, 13/725 Nr. 76 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im vierten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1993 - Drucksachen 12/7065, 13/725 Nr. 78 - Ausschuß für Verkehr - Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht über Schäden an Bauwerken der Bundesverkehrswege - Drucksachen 13/3970, 13/4401 Nr. 4 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/7117 Nr. 1.1 Finanzausschuß Drucksachen 13/6357 Nr. 2.18, 13/6861 Nr. 4 Drucksache 13/6861 Nr. 1.1 Drucksache 13/6861 Nr. 1.2 Drucksache 13/6861 Nr. 2.13 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/6454 Nr. 1.11 Drucksache 13/6766 Nr. 1.4 Drucksache 13/6766 Nr. 1.6 Drucksache 13/6766 Nr. 1.7 Drucksache 13/6766 Nr. 1.12 Drucksache 13/6766 Nr. 1.13 Drucksache 13/6766 Nr. 2.5 Drucksache 13/6766 Nr. 2.12 Drucksache 13/6766 Nr. 2.13 Drucksache 13/6766 Nr. 2.16 Drucksache 13/6766 Nr. 2.18 Drucksache 13/6766 Nr. 2.24 Drucksache 13/6766 Nr. 3.1 Drucksache 13/7017 Nr. 1.12 Drucksache 13/7017 Nr. 2.13 Drucksache 13/7017 Nr. 2.28 Drucksache 13/7017 Nr. 2.35 Drucksache 13/7017 Nr. 2.38 Drucksache 13/7017 Nr. 2.40 Drucksache 13/7017 Nr. 2.42 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/2306 Nr. 2.41 Drucksache 13/3668 Nr. 1.14 Drucksache 13/4137 Nr. 2.16 Drucksache 13/4137 Nr. 2.46 Drucksache 13/5056 Nr. 2.1 Drucksache 13/5687 Nr. 2.10 Drucksache 13/6152 Nr. 2.10 Drucksache 13/6357 Nr. 2.19 Ausschuß für Gesundheit Drucksache 13/6357 Nr. 2.3 Drucksache 13/6593 Nr. 1.11 Drucksache 13/6861 Nr. 2.16 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/6454 Nr. 1.19 Drucksache 13/6861 Nr. 1.3 Drucksache 13/6861 Nr. 2.5 Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Drucksache 13/6357 Nr. 1.5 Drucksache 13/6357 Nr. 1.6 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/6357 Nr. 1.2 Drucksache 13/6357 Nr. 1.3 Drucksache 13/6593 Nr. 1.8 Drucksache 13/6593 Nr. 1.9 Drucksache 13/6766 Nr. 1.1 Drucksache 13/6766 Nr. 2.8 Drucksache 13/6766 Nr. 2.17 Drucksache 13/6861 Nr. 2.14 Drucksache 13/7017 Nr. 1.1
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    Rede von Franz-Peter Basten


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will der Versuchung widerstehen, mich in den Streit darüber einzumischen, ob die neue Rechtschreibung schöner, logischer, gebildeter, zeitgemäßer oder gescheiter ist als das, was bisher gilt. Ob sie allerdings einer von der Sache her gebotenen, unausweichlichen Notwendigkeit entspricht - dafür fehlen mir bis zur Stunde überzeugende Beweise. Sie kommt mir eher schlicht überflüssig vor. Und ich stehe mit diesem Urteil weiß Gott nicht allein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ob man Kuß in Zukunft mit „ss" oder, wie bisher, mit „ß" schreibt, ist vielleicht eher eine Temperamentsfrage, die mit vorrückendem Alter anders entschieden wird als in jungen Jahren.

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Hauptsache, machen!)

    Wenn man allerdings Kommuniqué zukünftig „Kommunikee" schreibt, ist damit nach meinem Geschmack ein Verlust an Eleganz verbunden. Die neue Schreibweise kommt mir eher platt und ungebildet vor.
    Bei einigen Worttrennungen aber schüttelt es mich, zum Beispiel wenn es statt Extrakt Extrakt, statt Infiltration Infiltration, statt Konzentration Konzentration oder statt Sakrament Sak-rament heißen soll.

    (Heiterkeit bei der F.D.P.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Geist Gottes weht, wo er will - jedenfalls nicht unbedingt und zu allen Zeiten bei den deutschen Kultusministern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Reform wurde Anfang Dezember 1995 von den Kultusministern beschlossen und Mitte Dezember 1995 von den Ministerpräsidenten abgesegnet. Bis zur Einspruchsfrist am 5. März 1996 hat kein deutsches Parlament widersprochen, keines der 16 Länderparlamente und auch nicht der Deutsche Bundestag. Die Bundesregierung soll zustimmend genickt haben. Auch das muß um der Wahrheit willen am heutigen Tage deutlich festgestellt werden.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Weiß man, welches Mitglied der Bundesregierung?)

    Nach einer Phase des Tiefschlafs von fast einem Jahr kam dann der Aufstand der deutschen Dichter. Noch länger hat der Bundestag gebraucht bis zu seinem Gruppenantrag vom Februar 1997. Die Länderparlamente ruhen noch immer in Frieden.
    Kultusminister Zehetmair hat zu Recht festgestellt, daß der Konferenzbeschluß vom Dezember 1995 regele, „wie das deutsche Volk schreibt" . Wie das deutsche Volk schreibt, hat etwas damit zu tun, daß die Sprache, auch die geschriebene, „ein grundlegendes Identitätsmerkmal des gesamten deutschen Volkes" ist, wie Rupert Scholz es zutreffend formuliert. Menschliche Sprache markiert äußerlich den alles entscheidenden qualitativen Sprung von der übrigen Schöpfung zum Menschen. Sprache ist für die Persönlichkeit des Menschen, für sein Wesen, für sein Menschsein schlechthin konstitutiv.
    Deshalb sind, ob nun zu spät gekommen oder nicht, Verfassungsfragen aufgerufen, die sich mit dem Hinweis auf die Uhr nicht beiseite schieben lassen. Grundrechte sind betroffen. Fragen nach dem Gesetzesvorbehalt für wesentliche Grundentscheidungen, welche die Bevölkerung betreffen, sind aufgeworfen. Dies gilt freilich auch dann, wenn man die Reform für überflüssig hält. Sie entfaltet schließlich wesentliche Wirkungen.
    Die Verfassung kommt im übrigen nie zu spät. Entweder werden Fehlentscheidungen rechtzeitig durch

    Franz Peter Basten
    den Gesetzgeber korrigiert, oder Verfassungs- und Verwaltungsgerichte korrigieren selbst.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn in dem Zusammenhang Kultusministerien davon sprechen, die verbindliche Regel gelte nur für die Schule, außerhalb der Schule könne jeder schreiben, wie er wolle, also alt oder neu,

    (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Unerhört!)

    dann ist das eine Lachnummer.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Denn vor dem Hintergrund der von zahllosen Lehrergenerationen mit Inbrunst gepredigten Schulweisheit, daß wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, stellt sich die Frage nach dem Sinn - oder besser: nach dem Unsinn - dieser Reform nur noch um so schärfer.

    (Zustimmung bei der F.D.P.)

    Goethe, der nach Meinung eines renommierten deutschen Germanistikprofessors die Rechtschreibreform ebenfalls für überflüssig halten würde,

    (Heiterkeit)

    hatte es viel einfacher. Dem jungen Frankfurter Goethe hat dessen Schreiblehrer die für Frankfurt geltende südwestdeutsche Norm beigebracht. Später, in Weimar, hat Goethe geschrieben, wie in Leipzig und Dresden geschrieben wurde. Das Meißenische galt in jener Zeit als vorbildlich.
    Die Kultusminister können allerdings nicht so tun, als würden sie in Goethes Zeiten leben. Heute ist das Bedürfnis nach einheitlichen Regeln und Verbindlichkeiten unbestritten. Das entspricht den gewandelten Anschauungen, aber auch den völlig veränderten Anforderungen an Funktionen von Sprache, insbesondere der geschriebenen Sprache. Aber das alles entfaltet Rechtswirkungen. Da muß an Grundrechten sowie Rechtsstaats- und Demokratieprinzipien Maß genommen werden.
    Diese Hürden können auch durch exekutive Omnipotenzgefühle von 16 Kultusministern nicht überwunden werden. Wenn das Bundesverfassungsgericht den Gesetzesvorbehalt bereits für die Einführung des Sexualkundeunterrichts reklamiert hat und wenn das Bundesverwaltungsgericht sogar für die Einführung einer Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe eine gesetzliche Grundlage verlangt,, dann muß die Frage, wie das Volk schreibt, im Hinblick auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zumindest einer ernsthaften Prüfung unterzogen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Diese Frage aufgeworfen zu haben ist die verdienstvolle Initiative des Kollegen Kleinert zum Gruppenantrag, dem sich namhafte Kolleginnen und Kollegen angeschlossen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Damit ist die parlamentarische Debatte eröffnet.

    Nicht abschließend beantwortet ist allerdings die Frage, ob die Gesetzgebungskompetenz der Länder oder sogar des Bundes gegeben ist. Professor Rupert Scholz vertritt mit beachtlichen Hinweisen die Auffassung, die Frage, wie das Volk schreibe, und die Angelegenheit der mit Sprache verbundenen Identität des Volkes könnten nur von dem für das ganze Volk zuständigen Gesetzgebungsorgan entschieden werden. Das ist der Deutsche Bundestag.
    Ich habe in diesem Punkte keine abschließende Meinung. Ich bin im Hinblick auf das Vorliegen einer Bundeskompetenz für die gesamte Rechtschreibreform eher skeptisch. Aber ich stelle folgende Überlegung an: Wenn eine Länderkompetenz für die Rechtschreibreform gegeben ist, dann kann sie sich nur aus einer allgemeinen Länderkompetenz für die Sprache ableiten. Besteht aber eine solche, dann können 16 Länderparlamente souverän über Sprache entscheiden. Sie könnten dann -wie sie Sexualkundeunterricht einführen oder nicht - auch unterschiedliche Regelungen für das finden, was an der Sprache richtig oder falsch zu sein hat.
    Es gibt aber nur eine deutsche Sprache und keine Ländersprachen. Daraus könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß kraft Natur der Sache nur der Bund für die Regeln der deutschen Sprache in Deutschland Gesetzgebungskompetenz besitzt. Die Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache ist zwar in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch als Verfassungsgrundsatz durch das Bundesverfassungsgericht längst anerkannt.
    Ich nenne einen anderen Ansatzpunkt, der zumindest in einem speziellen Zusammenhang Bundeskompetenz im Hinblick auf deutsche Sprache offenkundig macht. Der Bund besitzt über Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über die Gerichtsverfassung. Von dieser Kompetenz ist durch das Gerichtsverfassungsgesetz Gebrauch gemacht. § 184 GVG lautet: „Die Gerichtssprache ist deutsch."

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Interessanter Gesichtspunkt!)

    Wenn also der Bundesgesetzgeber über die Kompetenz verfügt, die deutsche Sprache als Gerichtssprache anzuordnen, dann schließt das denknotwendig auch die Entscheidungskompetenz darüber mit ein, in welcher Schreibweise und äußerer Darstellungsform die Gerichtssprache Deutsch zuzulassen ist.

    (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Wenn es Thüringisch wäre!)

    - Warten Sie ab. - Läge die Entscheidungskompetenz über die Gerichtssprache nicht beim Bund, sondern bei den Ländern, so könnte niemand den Sächsischen Landtag daran hindern, zu bestimmen, daß zum Beispiel alle Entscheidungen des sächsischen Verfassungsgerichtshofes in Sächsisch abzufassen seien. Ich könnte mir durchaus Leute vorstellen, die das mit einer konsequenten Fortentwicklung der föderalen Struktur Deutschlands begründen würden. In Rheinland-Pfalz, meinem Heimatland, müßte das

    Franz Peter Basten
    Ganze wohl dreisprachig erfolgen: in Moselfränkisch, in Rheinhessisch und in Pfälzisch.
    Aber Spaß beiseite. Alles, was sich der karikierenden Versuchung so aufdrängt wie diese Rechtschreibereform, sollte eher dreimal gründlich hinterfragt werden. Ich wage keine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung. Eines jedoch wird offenbar: Landesregierungen, Länderparlamente, Bundesregierung und Bundestag sind in ihrem Kompetenzbereich betroffen und müssen zusammenwirken. Denn so, wie sich die Kultusminister in exekutiver Ausschließlichkeit die Regelung vorgestellt haben, kann sie sich wohl nicht vollziehen.
    Ich rate daher den Landesregierungen dazu, von der Durchsetzung der Beschlüsse einstweilen abzulassen und sich mit der Bundesregierung zusammenzusetzen. Der Bundesregierung gilt mein Rat, auf die Landesregierungen zuzugehen. Die Parlamente müssen sich unterdessen mit der Sache auseinandersetzen. Der Umgang mit der deutschen Sprache gelingt nur im Konsens. Ich bin sicher, daß sich die Ausschußberatungen im Deutschen Bundestag an dieser Leitlinie orientieren werden.
    Vielen herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Liesel Hartenstein.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Liesel Hartenstein


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte nicht zu den juristischen und schon gar nicht zu den verfassungsrechtlichen Fragen Stellung nehmen. Das werden andere Kollegen tun, die dies besser können. Mein Vorredner hat ja schon einige Bemerkungen dazu gemacht. Ich denke jedoch, daß der interfraktionelle Antrag zur Rechtschreibreform und die heutige Debatte ihren Sinn verfehlen würden, wenn nicht auch zur Sache selbst einiges gesagt werden könnte.
    Deshalb gleich meine erste Feststellung. Die Bedeutung und die Dimension dieser Reform sind in der Politik und auch in der Öffentlichkeit lange Zeit weit unterschätzt worden.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Nur so ist es zu erklären, daß sich erst nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten der Länder und zum Teil erst in jüngster Zeit der Protest eine Stimme verschafft hat - der Protest zahlreicher namhafter Schriftsteller, darunter Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, der Widerspruch bekannter Verlage und Printmedien und vor allen Dingen der Protest, der darin seinen Niederschlag findet, daß wir auf unseren Schreibtischen Hunderte von Elternbriefen vorfinden, daß Bürgerinitiativen entstehen und sogar Volksbegehren gefordert werden.
    Nur so, nämlich aus dieser Unterschätzung heraus, ist es auch zu erklären, daß sich die Kultusministerkonferenz auf den Standpunkt stellen konnte, bei der Neufassung der Rechtschreibung sei eine Regelung durch Verwaltungsvorschriften ausreichend, ähnlich wie bei Richtlinien oder Lehrplänen. Hierin, so meine ich, steckt eine erhebliche Verkennung dessen, was mit dieser Reform geschieht, und sogar

    (Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

    - ich will noch einen Schritt weitergehen - eine grundsätzliche Verkennung dessen, was Sprache, auch geschriebene Sprache, für unsere Gesellschaft bedeutet.
    Die Erklärung der KMK vom 27. Februar dieses Jahres bleibt noch ganz auf dieser Linie. Es handle sich, so wird gesagt, nur um eine „maßvolle Anpassung einer Konvention mit dem Ziel einer Bereinigung und der Herstellung einer neuen Übersichtlichkeit". Die Neuregelung berühre nicht die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Der Befassung durch die Parlamente bedürfe es nicht. Ich widerspreche dem nachdrücklich.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

    Wenn die Debatte heute eines bewirken kann, dann dies, das Vorhaben der Rechtschreibreform aus dem Klima der Unerheblichkeit herauszuführen, in das es durch das bisherige Verfahren hineinmanövriert worden ist. Wir müssen uns wieder an eine Grundwahrheit erinnern, die lautet: Sprache ist nicht nur das zentrale Kommunikationsmittel zwischen den Menschen, sondern Sprache ist Ausdrucksmittel für Lebensgehalte. Sie ist das Ausdrucksmittel schlechthin, mit dem der Mensch die Welt einzufangen versucht und mit dessen Hilfe er sich mit ihr auseinandersetzt.
    Von der Sprache als eigenem, lebendigem, historisch gewachsenem Organismus ist in der Erklärung der KMK aber viel zuwenig, fast gar nicht die Rede. Ich bedauere das. In der Sprache, auch im Schriftbild spiegelt sich die Fülle der geographischen, kulturellen und sozialen Verflechtungen, spiegeln sich vor allem auch die vielfältigen Einflußfaktoren unserer Geschichte wider. Es scheint fast, als ob solche Gesichtspunkte völlig außen vor geblieben seien. Ich komme darauf bei dem Stichwort Fremdwörter noch einmal zurück.
    Mit dem Reformunterfangen, so meine ich, wird der Körper unserer Sprache verändert. Er erleidet Eingriffe. Er wird verformt. Dies soll nicht wichtig sein?
    Meine zweite Feststellung lautet daher: Die Rechtschreibreform betrifft 100 Prozent unserer Bevölkerung, also über 80 Millionen Menschen. Nimmt man Österreich und den deutschsprachigen Teil der Schweiz hinzu, dann sind es 95 Millionen Menschen. Alle sollen sich nun einfach umstellen, ihren Sprach- und Schreibgebrauch verändern, nach dem Jahre 2005 sogar in die Ecke der Falschschreiber geraten? Und das alles deshalb, weil einige Dutzend Wissenschaftler und Politiker verfügen, daß eine Menge von

    Dr. Liesel Hartenstein
    dem, was bisher allgemeinverbindlich war, anders zu sein habe.
    Die Argumente für die verordneten Änderungen sind zum großen Teil nicht überzeugend und treffen - glaubt man den Umfragen - bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Unverständnis. Das ist nicht verwunderlich.
    Natürlich muß eingeräumt werden, daß die deutsche Sprache - und auch ihr schriftliches Erscheinungsbild, also die Orthographie - eine Menge Ungereimtheiten enthält. Wer wollte das bestreiten? Ich wiederhole: Sprache ist nun einmal keine abstrakte Konstruktion, die mit mathematischen Formeln vergleichbar wäre.
    Die KMK sagt, die Reform solle a) Inkonsequenzen beseitigen, b) das Regelwerk transparenter machen, c) das Erlernen des richtigen Schreibens erleichtern. Es verstärkt sich aber der Eindruck, daß diese Ziele auf weiten Strecken nicht erreicht werden können.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Erstes simples Beispiel. Warum in aller Welt, frage ich, soll aus dem Stengel einer Glockenblume jetzt plötzlich ein „Stängel" werden, als ob irgend jemand an eine Eisen- oder Holzstange dächte, wenn er dieses Wort verwendet? Ich meine, das ist wirklichkeitsfremd, pure Theorie und deshalb schlicht überflüssig.
    In das sogenannte Stammprinzip sind die Reformer nachgerade verliebt. Deshalb soll aus dem beliebten Quentchen Glück, das wir alle so sehr brauchen, ein „Quäntchen" werden, und zwar in Anlehnung an das Quantum, obwohl die sprachhistorische Ableitung mir sagt, das stimme nicht; denn das Wort kommt nicht von Quantum, sondern von Quent, einer kleinen in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert gebräuchlichen Maßeinheit.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Sehr aufmerksam!)

    Zweites Beispiel. Man muß sich wirklich fragen, wozu eine doch recht willkürlich anmutende Verstümmelung von Fremdwörtern eigentlich gut sein soll. Das Känguruh darf sein ,,h" nicht behalten, obwohl jedes Kind weiß, daß es sich um ein exotisches Tier handelt. Der Thunfisch hat mit dem deutschen Wort tun überhaupt nichts zu tun; aber das „h" muß weg. Wieso eigentlich?
    Gerade heute - jetzt wird es wieder ernst -, im Zeitalter des Massentourismus, der Globalisierung und der offenen Grenzen, wo fast jedes Kind zumindest Englisch lernt, soll die Schreibweise von Fremdwörtern eingedeutscht werden. Gerade heute, wo die enge Vermischung der Kulturen im Zug der Zeit liegt und dies in vielen Bereichen von der Sprache aufgenommen wird, sollen die Spuren in der Rechtschreibung verwischt werden. Das ist für mich schlicht ein Anachronismus.
    Warum soll man der deutschen Sprache nicht ansehen, daß sie zahllose Wörter beispielsweise in der Sportwelt aus England übernommen hat oder daß sie das Ketchup, den Cocktail und das Okay von den Amerikanern geliehen hat. Ganz zu schweigen von der französischen Sprachinvasion des 17. und 18. Jahrhunderts? Die Kommode, das Menü, das Dessert, den Friseur, das Portemonnaie, das Restaurant - das alles haben uns die Franzosen geliefert, mitsamt der Mode. Das ist doch ein Stück unserer Geschichte. Davon wollen wir uns überhaupt nicht verabschieden.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nicht zu vergessen die Spaghetti!)

    - Auch das. Das Wort ist aber nicht aus dem Französischen, soviel ich weiß.
    Eines der Hauptargumente lautet, die Rechtschreibreform solle das Erlernen des richtigen Schreibens erleichtern. Kann mir jemand sagen, warum es leichter sein soll, das Wort Necessaire jetzt mit vier s und einem ä zu schreiben statt in der gewohnten französischen Schreibweise? Ich weiß es nicht.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Konsequent bleibt die Reform auch hier nicht. Denn die Schreibweise vieler schwieriger Fremdwörter bleibt erhalten: Chrysantheme, Rhythmus usw.
    Etwas folgenreicher noch erscheint mir die Reform, wenn es um das totgewünschte „B" und um die Zeichensetzung geht. Daß lange oder kurze Silben große Bedeutungsunterschiede markieren können, wissen wir: „Er trinkt den Wein in Maßen" ist etwas ganz anderes, als wenn es heißt „Er trinkt den Wein in Massen" .

    (Heiterkeit)

    Das sind sicherlich zwei Paar Stiefel. Aber darum geht es jetzt nicht.
    Vielmehr geht es darum, daß das „ß" nach der neuen Regelung zwar erhalten bleibt, aber seine Anwendung eher komplizierter wird, nicht einfacher. Eine der größten Fehlerquellen in der deutschen Rechtschreibung hat man beispielsweise darin entdeckt, daß es den Schülern und vielen Erwachsenen schwerfällt -, die Schreibweise des Artikels „das" und der Konjunktion „daß" ordentlich zu unterscheiden. Der erste Versuch war also: Weg damit!
    Da dies doch nicht sonderlich ratsam erschien, heißt die salomonische Lösung jetzt: Die Konjunktion „daß" wird mit „ss" geschrieben. Das bedeutet aber, daß kein Weg daran vorbeiführt, den Unterschied zwischen einem Artikel und einer einen Nebensatz einleitenden Konjunktion erlernen zu müssen. Wo bleibt da die Erleichterung? Ich habe den Eindruck, unsere Schüler begreifen das. Wir sollten sie doch nicht unterschätzen.
    Hochproblematisch ist meines Erachtens die Reduzierung der Anzahl der Kommaregeln von 52 auf neun. Das möchte ich doch noch kurz vortragen. Nicht daß hier keine vertretbaren Vereinfachungen möglich wären - die gibt es wohl. Aber wenn man das Kind mit dem Bade ausschüttet, dann entstehen einschneidende Konsequenzen für die gesamte Struktur unserer Sprache und für das Ausdrucksvermögen. Denn die Zeichensetzung markiert ja die geistige Gliederung des Satzes, Überordnungen und Unterordnungen, Einfügungen usw.

    Dr. Liesel Hartenstein
    Je komplexer ein Gedanke ist, desto komplexer werden halt auch die Sätze und desto unverzichtbarer die Satzzeichen zu ihrer Gliederung. Ich frage - danke, Herr Präsident, für die Toleranz; ich bin gleich fertig -: Wie sollte man einen Thomas Mann, einen Heinrich von Kleist oder einen Immanuel Kant verstehen, wenn die Sätze nicht durch Satzzeichen gegliedert wären? Es ist ja eine Verarmung, wenn wir das einfach abschaffen.

    (Beifall bei der F.D.P. Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das finde ich allerdings auch!)