Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tatsache ist, um das Jahr 2000 werden für die Agrarpolitik beginnend von der GATT-Runde bis hin zur künftigen Milchmarktordnung wichtige Entscheidungen fallen. Vielen ist bewußt, daß das nicht ohne Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sein wird. Angesichts einer derartigen, absehbaren Entwicklung stellt sich natürlich die Frage, mit welchen strategischen Konzepten man auf eine solche Entwicklung reagiert.
Die eine Möglichkeit besteht darin, sich diesen Herausforderungen bewußt zu stellen und den Versuch zu unternehmen, die Richtung mitzubestimmen. Die andere Strategie besteht darin, Korrekturbedarf zu leugnen und die Hoffnung zu wecken, daß sich nichts ändern werde. Nach den heutigen Beiträgen, aber nicht erst seit heute, habe ich den Eindruck, daß genau das die Strategie der Bundesregierung ist.
Herr Minister Borchert, Sie haben 1993 einmal ganz anders angefangen. Als neu ins Amt berufener Landwirtschaftsminister haben Sie Ihre neue Linie als den Weg zukunftsorientierter Agrarpolitik definiert.
Sie wollten eine stärkere Agrarstrukturförderung; Sie wollten - so damals Ihre Ankündigung - artgerechte, umweltgerechte und landschaftspflegerische Produktionsverfahren stärker fördern; Sie wollten den Verbraucherschutz verbessern und - man höre und staune - die Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte wiederherstellen.
Ich darf Sie, Herr Borchert, an den Milchmarkt erinnern: Da müssen Sie ja selber über Ihre Ankündigungen lachen. Sie bringen es fertig, hier darüber zu philosophieren, ob die Milchmarktordnung geeignet
Dr. Gerald Thalheim
ist, eine Mengenbegrenzung herbeizuführen. Ich frage Sie, was haben Sie in den vier Jahren, seit Sie Minister sind, gemacht? Was haben Sie im Agrarrat gemacht, wenn heute eine Diskrepanz von 20 Prozent zwischen Angebot und Nachfrage besteht?
Sie beschränken sich, Herr Minister Borchert, zunehmend aufs Moderieren. Viele fragen sich, wo denn eigentlich die Ursachen für Ihre Handlungsunfähigkeit liegen. Es ist die Frage zu stellen, ob es vielleicht daran liegt, daß durch den Wechsel an der Spitze des Deutschen Bauernverbandes seit Monaten klare Vorgaben von dort fehlen. Trifft die folgende Feststellung der Wochenzeitung „Das Sonntagsblatt" über den Präsidenten a. D. Heereman zu? Ich zitiere:
Manchmal hieß es, die drei Agrarminister, die er erlebt hat , seien Minister unter ihm gewesen, und da war was dran.
Herr Minister, das ist eine Auffassung, die sehr viele im Lande teilen.
Die grundsätzliche Frage lautet aber: Ist es in schwierigen Zeiten richtig, Politik an den Interessen der Verbandsspitze zu orientieren, oder ist es nicht besser, Politik an den Interessen der zukunftsorientierten Landwirte zu orientieren? Da sind schon Zweifel angebracht, an wem sich Ihre Politik ausrichtet.
- Ich hatte mehrfach die Gelegenheit. Ich komme gleich darauf zurück, mein lieber Detlev von Hammerstein.
Interessant ist, Herr Borchert, daß entgegen Ihren Ausführungen Kommissar Fischler genau entgegengesetzte Auffassungen hat. Ich habe nach seinen eigenen Aussagen den Eindruck - im Gedächtnis habe ich die letzten GATT-Verhandlungen -, daß er sich eher an den zukünftigen Herausforderungen orientiert und politischen Handlungsspielraum für die EU- Agrarpolitik zurückzugewinnen sucht.
Herr Borchert, das wissen Sie genau. Was Sie heute von diesem Pult aus der SPD vorgeworfen haben, müßten Sie Kommissar Fischler und anderen Ministern in den EU-Mitgliedstaaten vorwerfen. Hier ist heute lediglich eine Ersatzhandlung zu besichtigen gewesen. Nicht der SPD, sondern Kommissar Fischler müssen Sie es vorwerfen. Mit Kommissar Fischler sitzen Sie in Brüssel an einem Tisch. Das, was Sie hier an Argumenten vorbringen, würden Sie besser in Brüssel anbringen.
Herr Minister, eine weitere Feststellung: Sie wollten uns glauben machen, die Liberalisierung würde von der SPD forciert. Was wir wollen, ist nichts anderes, als daß Sie die Bauern auf die Folgen Ihrer Politik aufmerksam machen, damit sich die Bauern auf die Konsequenzen der Politik der Bundesregierung einstellen können. Um nichts anderes geht es.
Dazu sind eine ganze Reihe von Argumenten anzuführen. Das erste ist das Argument der Liberalisierung. Ich habe mich heute gefragt: Wer ist es denn in diesem Hause, der Liberalisierung, der Deregulierung fordert? - Es ist Ihre Partei, es ist Ihr Koalitionspartner, die das hier immer wieder im Sinne der klassischen Angebotspolitik fordern. Und Sie wollen uns weismachen, daß ausgerechnet Sie in der Lage wären, das zu verhindern?
Ich empfehle Ihnen, Ihre Rede auf der Grünen Woche 1993 nachzulesen. Dort steht in etwa der Satz: Die Landwirtschaft wird im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft keine Ausnahme bilden können. - Hätte ich Ihre heutige Rede schon gekannt, ich hätte Ihnen diese Passage entgegengehalten.
In einer ganzen Reihe bilateraler Abkommen werden genau die Entscheidungen vorweggenommen, die in der nächsten GATT-Runde fallen. Ich staune über Ihren Realitätsverlust an dieser Stelle. Was hat denn Bundeskanzler Kohl im letzten Jahr in Argentinien vereinbart? Was ist angesichts des Besuchs von Nelson Mandela im letzten Jahr hier vereinbart worden? Es ist der erweiterte Zugang von Agrarprodukten in den europäischen Markt. Und Sie tun so, als wäre das alles keine Realität.
Herr Minister, noch eines ist Ihnen entgegenzuhalten. Die Fachleute in Ihrem eigenen Hause haben die klare Aussage gemacht: Mit der letzten GATT-Runde sind die Instrumente und Regelungen schon weit vorweggenommen worden, nach welchem Strickmuster - das sage ich mit meinen eigenen Worten - die nächste GATT-Runde ablaufen wird. Und Sie wollen uns ernsthaft weismachen, daß es keine Vorprägungen gebe, daß alles noch offen sei.
Herr Minister Borchert, ich prophezeie Ihnen: Genau das ist nicht der Fall. Wenn man Ihren heutigen Ausführungen gelauscht hat, muß man den Eindruck gewinnen, Sie gingen schon heute davon aus, daß Sie es, wenn das einmal Realität wird, nicht mehr von Ihrem Amt her zu verantworten haben.
- Nein, mein lieber Detlev von Hammerstein. Ich komme auf deine Bemerkung von vorhin zurück: Ich hatte in der letzten Zeit häufiger die Gelegenheit, mit Milchbauern zu diskutieren - weniger bei mir zu Hause, eher in Bayern und anderswo. Gerade die Milchbauern müssen die Folgen dieser Politik und des Nichtausnutzens der Instrumente, von denen Sie, Herr Minister, gesprochen haben, tragen. Wenn ich mir vorstelle, daß die Milchbauern heute der Debatte und Ihren Ankündigungen lauschen, so kann ich nur sagen: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Wenn ich mir den Beschluß der letzten Agrarministerkonferenz zur Milchmarktordnung vergegenwärtige, erinnere ich mich, daß am 31. März 2000 Schluß sein soll. Am 1. April fangen wir wieder an,
Dr. Gerald Thalheim
und all das, was vorher bestand, gilt nicht mehr. Da kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie die Expertisen aus Ihrem eigenen Hause. Ich habe mir die Randnotiz gemacht: frommer Wunsch, sonst nichts.
- Aber der Minister saß dort mit am Tisch als derjenige, der das in Brüssel zu vertreten hat.
Eine letzte Bemerkung: Kommissar Fischler hat 1997 auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Agrar- und Umweltpolitik die Forderung auf den Punkt gebracht, als er sagte: Die europäische Landwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts muß beides sein: umweltverträglich und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich.
Im Sinne dieser Forderung haben wir mit unserem Entschließungsantrag eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Ich freue mich angesichts der heutigen Debatte auf die Diskussion über diese Vorschläge im Ausschuß.
Vielen Dank.