Rede von
Wolfgang
Bierstedt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Mayer, ich möchte Ihnen in einem Punkt Ihrer Ausführungen ausdrücklich recht geben, was Sie sicherlich nicht verwundern wird. Ich beschränke mich auf den Punkt der mangelnden Einbeziehung von Frauen in diesen Prozeß und der mangelnden Chancen, die Frauen in diesem Prozeß haben. Ich mache das sehr polemisch an einem Punkt fest: Schauen Sie sich einmal die Rednerliste für diesen Punkt an: ausschließlich Männer. Ich nehme unsere Partei nicht aus, aber ich wollte Ihnen das wenigstens gesagt haben.
Gestatten Sie mir zuerst die protokollarisch notwendigen und unser Abstimmungsverhalten erklärenden Bemerkungen zu den heute mit zu beratenden Beschlußempfehlungen und Berichten des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu den in der Tagesordnung weiterhin ausgewiesenen Drucksachen. Die Studie „Multimedia - Mythen, Chancen und Herausforderungen" des Büros für Technikfolgenabschätzung fand - nicht nur, weil sie zu einem höchst aktuellen gesellschaftlichen Problemfeld Stellung nahm - breitesten öffentlichen Zuspruch. Insbesondere die Art und Weise des Herangehens an dieses Problemfeld und eine lobenswerte Objektivität fernab eines gerade in dem Bereich der Zukunftstechnologien schier übermächtigen Lobbyismus erheben diese Studie in den Status eines außerordentlich beachtenswerten Arbeitsmaterials auch der einschlägigen Gremien des Deutschen Bundestages, was sich auch in den Stellungnahmen des Beschlußentwurfes widerspiegelt.
In dieser Studie können sich viele gesellschaftliche Gruppierungen in ihrer Klassifizierung als Kritiker und als glühende Verfechter der Informationsgesellschaft in einem zumindest ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt finden. Die Studie hat meiner Auffassung nach bereits in der Phase ihrer Erarbeitung - allein wegen ihrer Fragestellung - und erst recht mit der Veröffentlichung einen notwendigen Beitrag zur Erweiterung des bis dahin weitestgehend technikorientierten oder auch technikverliebten Blickwinkels auf den sogenannten Multimediamarkt geleistet, indem sie die gesamtgesellschaftliche Dimension auch an Hand anschaulicher Fallbeispiele aufgezeigt hat.
Zweifelsfrei - da gebe ich Herrn Dr. Rüttgers ausdrücklich recht - gilt der Multimediamarkt beinahe unumstritten als wichtiger „Wachstumsmarkt" . Hier weiche ich ein wenig von Ihren Einschätzungen ab. Und ich denke, es gibt sicherlich sehr unterschiedlich zu bewertende, teilweise sehr hohe Erwartungshaltungen hinsichtlich positiver Arbeitsmarkteffekte. Ich neige da eher der Ansicht zu, die Herr Dr. Kiper zu diesem Thema ausgeführt hat. Ich will das jetzt nicht wiederholen. Weniger strittig ist - darin sind wir uns alle einig, auch wir seitens der PDS -, daß es erhebliche Umsatzerwartungen mit traumhaften Gewinnspannen gibt, was diesen Markt natürlich zusätzlich attraktiv macht.
Wenn in der bisherigen Diskussion des Strukturwandels hin zu einer Informationsgesellschaft der technologie- und industriepolitische Aspekt im Vordergrund stand, während die öffentlichen und sozialen Interessen nachgeordnet waren, dann hat zumindest diese Studie einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet, den öffentlichen Diskurs auf eine breitere Betrachtungsweise auszurichten. Dies zu wiederholen ist mir ein Bedürfnis. Ich denke, alles in allem handelt es sich um eine wahrlich gelungene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik, die unsere Zustimmung findet.
Meine Damen und Herren, der vorliegenden Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/6856, wonach die Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt werden sollen, werden wir nicht zustimmen. Wir stimmen beiden Anträgen ausdrücklich zu, weil wir in beiden Anträgen, zumindest in den betroffenen Teilbereichen, ähnliche grundsätzliche politische Auffassungen vertreten finden, wie sie die Gruppe der PDS in ihrem Antrag auf Drucksache 13/ 2740 formuliert hat. Die ausgewogenen und differenzierten Betrachtungsweisen von Chancen und Risiken der neuen Techniken und Technologien in diesen beiden Anträgen führen durchaus zu auch von der PDS zu unterstützenden Schlußfolgerungen. Ich denke, die Koalitionsfraktionen sollten Größe zeigen und trotz der dosierten kritischen Bemerkungen in Richtung Politik der Bundesregierung, die in diesen beiden Anträgen ihren berechtigten Platz haben, die Gelassenheit entwickeln, die man benötigt, um sinnvollen Anträgen des politischen Gegners oder Konkurrenten auch einmal zuzustimmen.
Eine für mich bemerkenswerte Arbeit hat hier der Ausschuß für Gesundheit, den Antrag der SPD betreffend, geleistet. Er hat sich - über parteipolitisch gezogene Grenzen hinweg - den Substanzgehalt zu eigen gemacht und sozusagen eine gesundheitspolitische Ergänzung formuliert, deren Nichtbeachtung durch formale Ablehnung - wenn man auschließlich Parteiegoismen folgen würde - dem Thema zumindest nicht angemessen wäre.
Einige Bemerkungen zum Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste, im weiteren kurz Multimediagesetzentwurf genannt.
Die Problematik des Art. 1 des Multimediagesetzes, des Teledienstegesetzes, kann - wie es in der bisherigen Diskussion bereits hervorgehoben wurde - nicht ohne den von den Ländern vorgelegten Mediendienste-Staatsvertrag gesehen werden. Beiden Entwürfen gleich ist ihr Anliegen, die - sicherlich notwendigen - einheitlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Mediendienste und die Teledienste schaffen zu wollen. In dieser Gemeinsam-
Wolfgang Bierstedt
keit liegt auch gleichzeitig ihre Beschränktheit bzw. Unvollkommenheit. Die bisherigen öffentlichen Diskussionen, auch in der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien", haben deutlich gemacht, daß die gesellschaftliche Relevanz der neuen Medien- und Teledienste weit über die wirtschaftlichen Notwendigkeiten hinausreicht. Es bleibt zu hoffen, daß gerade auch die Hinzuziehung externen Sachverstandes und ein breiter öffentlicher Diskurs diese Schwäche des Multimediagesetzes und des MediendiensteStaatsvertrages beseitigen helfen.
In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, daß wir seitens der PDS die Bedenken der Kollegen der SPD und ihrer Sachverständigen in der EnqueteKommission „Zukunft der Medien" zu dem jeweiligen § 2 teilen, der den Geltungsbereich betrifft. Wir meinen dabei speziell die Absätze 1 und 2. Die grundsätzliche Unterscheidung in „Dienste, die sich individuell an den einzelnen richten", und in „Angebote und Nutzung von an die Allgemeinheit gerichteten Diensten" und die dann erfolgte Okkupation des Internet durch den einen Gesetzesgeltungsbereich sind während der Erstellung des Gesetzestextes vom Internet-Leben überholt worden. Der vorliegende Text vermag das Internet-Leben nicht einzuholen. Die vorgeschlagenen formalen Zuordnungen in die Kompetenzen von Bund und Ländern mögen ja Machtinteressen berücksichtigen, lassen aber rechtliche Spielräume und auch Grauzonen zu. Aber gerade dieses zu verhindern sollte zumindest nach meinem Verständnis die originäre Aufgabe eines Gesetzes sein.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über Art. 2 des Multimediagesetzes - das ist das Teledienstedatenschutzgesetz - hält die PDS § 5 Abs. 3 zumindest für überarbeitungswürdig. Abgesehen davon, daß wir dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und ähnlichen Behörden ohnehin ihre Existenzberechtigung absprechen, ist wohl die Formulierung „Diensteanbieter haben Bestandsdaten auf Ersuchen an die zuständigen Stellen zu übermitteln" unangemessen. Irgendwie müßte doch - zumindest in unserem Verständnis - vor den anderen „zuständigen Stellen", an die übermittelt werden soll, wohl noch eine richterliche Instanz vorgeschaltet werden. Aus den butterweichen Formulierungen der Abs. 1 und 2 des § 5 per se eine Einwilligung zur Übermittlung von Daten des Nutzers oder der Nutzerin für die in Abs. 3 aufgeführten Geheimdienste ableiten zu wollen ist schon eine Unverfrorenheit sondergleichen.
Sollten unsere Bedenken, wie es natürlich zu vermuten gilt, auf allgemeine Ablehnung stoßen, stellen wir hilfsweise den Antrag, § 7 - Auskunftsrecht des Nutzers - dahin gehend zu erweitern, daß auf Verlangen des Nutzers oder der Nutzerin auch darüber Auskunft erteilt wird, an wen die Bestandsdaten übermittelt wurden, gekoppelt mit dem Recht, diese Daten auch dort, wohin sie übermittelt wurden, einzusehen.
Art. 3 - das Signaturgesetz - ist nach heutigem Erkenntnisstand insgesamt als ausgewogen zu betrachten, zumal diesem Ansatz bereits in § 1 Abs. 1 Rechnung getragen wird, und zwar mit der Formulierung: „unter denen diese als sicher gelten ... können".
Einem Gesetzgeber, der eigene Unsicherheiten einräumt und der - getragen von der Einsicht in eine immense, zur Zeit nicht überschaubare technische Entwicklung - daraus schlußfolgernd eine Vielzahl von ausbaufähigen Regelungen anbietet, ist zumindest Achtung zu zollen.
Hinsichtlich der Art. 4 - Änderung des Strafgesetzbuches - und Art. 5 - Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - sehen wir seitens der PDS keinen prinzipiellen Diskussionsbedarf.
Art. 6 - Änderung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften - trägt zum einen der sicherlich überfälligen Ergänzung des bisherigen Gesetzestextes von 1985 um die Begrifflichkeit „neue Medien" und den folgenden Erläuterungen Rechnung, wird aber in einschlägigen Fachkreisen umstritten bleiben. Ich persönlich halte zumindest die Einführung eines Jugendschutzbeauftragten und die Idee einer freiwilligen Selbstkontrolle - über Prioritätensetzung kann man sich sicherlich unterhalten, Herr Kollege Krüger - für nicht ganz unwesentlich.
Hinsichtlich der Art. 7 - Änderung des Urheberrechtsgesetzes -, Art. 8 - Änderung des Preisangabengesetzes -, Art. 9 - Änderung der Preisangabenverordnung - und der formalen Artikel sehen wir seitens der PDS keinen Diskussionsbedarf.
Besten Dank.