Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesminister vertritt die Auffassung, die Gestaltung des Wegs in die Informationsgesellschaft sei eine zentrale Zukunftsaufgabe. Das ist auch das Programm von Info 2000. Ich glaube, diese Ansicht gibt die Meinung des ganzen Hauses wieder, auch die unserer Fraktion,
was früher nicht unbedingt immer der Fall gewesen ist.
Herr Minister, Sie sind auch auf den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages eingegangen. Da ist von Mythen, Chancen und Herausforderungen die Rede. Ich hatte den Eindruck, daß Sie hier auch wieder auf Mythen gesetzt haben, insbesondere was Ihre Ausführungen hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt. Sie sprachen davon, 1,2 Millionen Arbeitsplätze würden gesichert, 200 000 neu geschaffen. Sie haben vergessen zu sagen, was diese Rationalisierungstechnologie unter dem Strich für unsere Volkswirtschaft bedeutet, wie viele Arbeitsplätze nämlich in anderen Branchen verlorengehen und was an zusätzlicher Arbeitslosigkeit auf unsere Gesellschaft zukommt. Herr Minister, es geht nicht, daß wir nur auf Euphorie machen, sondern hier muß die nüchterne Analyse her.
Was tut die Bundesregierung, meine Damen und Herren? Sie verbreitet Euphorie über Arbeitsplätze, steigende Beschäftigung, wirtschaftliches Wachstum. Vor allen Dingen beschäftigt sich die Bundesregie-
Dr. Manuel Kiper
rung - Herr Mayer hat dafür ein glänzendes Beispiel gegeben - aber
- und das hat auch die öffentlichen Diskussionen des letzten Jahres sehr stark bestimmt - mit der Furcht; sie ist überwältigt von der Furcht, daß die Mafiosi und die Pornographiosi aller Länder das Internet beherrschen.
Die Bundesregierung heizt die Stimmung im Lande auf, als ob hier vorrangig illegale und unmoralische Inhalte den Kern des Internets ausmachen würden und dies das eigentliche Feld der Gestaltung des Internets sei. Sie vergißt darüber, auch ein wenig darüber nachzudenken, wie es zukünftig mit der Eintreibung von Steuern aussieht, wenn wir „electronic commerce" flächendeckend haben. Sie vergißt, was es für den Geldverkehr heißt, wenn nicht mehr die Bundesbank das Geld druckt, sondern verschiedenste andere Stellen.
Meine Damen und Herren, es ist inzwischen so, daß einzelne Netzmanager, einzelne Manager von Provider-Firmen auf Grund der angeheizten Stimmung und auf Grund der Verstöße von Staatsanwaltschaften mit einem Bein schon im Gefängnis stehen. Ich erinnere an Compuserve. Die Arbeitsplätze und die Provider werden mit einer solchen Politik eher aus dem Lande vertrieben.
- Es wäre erfreulich, wenn Sie, Herr Minister, dazu das Wort ergreifen würden.
Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, für stimmige Rahmenbedingungen zu sorgen. Herr Rüttgers, Ihr IuK-Dienste-Gesetz im Verein mit dem Mediendienste-Staatsvertrag chaotisiert die Rechtslage bei digitalen Medien. Es herrscht nicht nur Rechtschaos, sondern es wird für die Benutzung von Verschlüsselungssystemen und vertraulicher Kommunikation gefährlich, wenn das verwirklicht wird, was als Verschlußsache bereits bei Herrn Kanther in der Schublade liegt. Wenn dieses Krypto-Gesetz nachgeschoben wird, wird eine Kriminalisierung in Gang gesetzt und letztlich erheblicher wirtschaftlicher Schaden angerichtet. Herr Justizminister, ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrer Stellungnahme nachher einem möglichen Krypto-Gesetz im Namen der Bundesregierung eine ganz klare Absage erteilen würden.
- Genau, denn wir benutzen die Schlüssel.
Das Internet wurde entwickelt und aufgebaut, ohne daß vorher gesetzliche Scheuklappen und Fallstricke nötig gewesen wären. In anderen Ländern - Herr Minister Rüttgers, Sie haben das ja auch erwähnt - entwickelt sich das Internet unreguliert und dynamisch weiter. Selbst dem Wohlmeinendsten in diesem Lande ist nicht zu erklären, wieso gerade in Deutschland die Informationsgesellschaft durch das Rüttgersche Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz beflügelt werden müßte oder gar könnte.
Die Bundesregierung sagt, der Zweck dieses Gesetzes sei es, einheitliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses selbstgesteckte Ziel, Herr Minister, haben Sie nach unserer Auffassung gründlich verfehlt.
Meine Damen und Herren, schafft dieses Gesetz tatsächlich rechtliche Sicherheit? Wir bekommen zwar Definitionen und Regelungen der Verantwortlichkeit für Inhalte, Regelungen zum Daten- und Jugendschutz; wir bekommen Definitionen und Regelungen zur digitalen Signatur und zum Urheberrecht. Aber hat die Bundesregierung mit den Ländern tatsächlich Rechtssicherheit ausgehandelt? Herr Mayer hat auch von seiner Seite - ich fand das erstaunlich - schon auf einige Schwachstellen hingewiesen.
Wer im World-Wide-Web Seiten anbietet, wird in Zukunft nicht mehr wissen, welches Recht für ihn gilt. Jede Webseite im Internet richtet sich an die Allgemeinheit der weltweit über 50 Millionen Nutzer des Internets. Damit unterliegen diese Angebote dem § 2 des Mediendienste-Staatsvertrages. Dasselbe gilt auch schon für jeden, der nur textbasierte Dienste vertreibt. Jeder noch so kleine Anbieter unterliegt also sowohl dem IuKDG als auch dem Mediendienste-Staatsvertrag. Für ihn gelten zum Teil zumindest unterschiedliche Vorschriften. Ist das die Rechtssicherheit, die die Bundesregierung angestrebt hat? Letztlich wird diese Rechtsunsicherheit vor Gericht geklärt werden müssen. Bis dahin verursachen aber Staatsvertrag und IuKDG erhebliche neue Rechtsunsicherheiten.
Dasselbe gilt für die Verantwortung der Provider für Inhalte im Internet. Was wäre selbst unter der Annahme, das IuKDG allein sei ausschlaggebend, dann technisch zumutbar, wie es im Gesetz heißt? Wie müßte eine Sperrung des Zugangs umgesetzt werden?
Es kann aber auch sein, daß einzelne Landesmedienanstalten oder Staatsanwaltschaften Provider zur Sperrung von Inhalten verpflichten, obwohl diese nicht für die Inhalte verantwortlich sind. Was passiert schließlich mit den Anbietern, die die Tagesschau oder ein ganzes Fernsehprogramm per Internet verbreiten? Benötigen die eine Lizenz? Überall herrscht Rechtsunsicherheit.
Diese Unklarheiten sind nur die Spitze des Eisbergs von rechtlichem Wirrwarr, den die Bundesregierung mit dem IuKDG verursacht. Den vielzitierten jungen Multimedia-Unternehmen, den Internet-Providern und den Informationsdienste-Anbietern helfen Sie, Herr Rüttgers, damit nicht. Diese Unternehmen und ihre Kunden können höchstens die Auflösung des von Ihnen und den Medienexperten der Staatskanzleien angerichteten Wirrwarrs bei den Ge-
Dr. Manuel Kiper
richten ausfechten. Das werden einzelne kleine Anbieter nicht überleben.
Eines wird klar: Sie haben Arbeitsplätze offensichtlich vorrangig bei der Juristenzunft geschaffen.
Dieses IuKDG ist eine erstklassige ABM-Maßnahme für Juristen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie sieht es mit den wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Gesetzes aus? Für die Firmen entstehen neue Kosten durch die Einrichtung von Jugendschutzbeauftragten, durch neue Software zur gesetzestreuen Anzeige der laufenden Kosten und durch gesetzeskonforme Neustrukturierung der Datenströme bei Providern. Das sind alles Kosten, denen kein Nutzenäquivalent im Sinne von Datenschutz und Kundenschutz gegenübersteht.
Die Weiterentwicklung zuverlässiger Kryptiersysteme - Herr Minister, Sie haben uns das auf unsere Kleine Anfrage geantwortet - ist für die Förderung seitens des Forschungsministers tabu. Auch die vorgelegten Regelungen zur digitalen Signatur berechtigen nicht zu der Erwartung einer wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung oder Rechtssicherheit auf diesem Felde. Herr Tauss hat schon gesagt, daß wir für das Internet Krypto-Software nutzen: Verschlüsseln und Signieren sind zwei Seiten derselben Medaille, von der die Bundesregierung zur Zeit erst einmal nur die eine Seite regeln will.
Noch brauchen wir für das Kryptieren und das digitale Signieren überhaupt kein Gesetz. Mit der zum Gesetz erhobenen komplexen Regelung des digitalen Signierens wird unterbunden, daß auf diesem Sektor erst einmal weiter experimentiert wird. Hier wird eine Technik in Gesetzesform gegossen, die in rapider Entwicklung begriffen ist. Schon in fünf Jahren mag eine mathematische Forschungsarbeit die digitale Signatur in der gesetzlich verbindlich erklärten Form reif für den Mülleimer gemacht haben. Das Gesetz sieht aber weder vor, aus Erfahrungen zu lernen, noch sieht es vor, die technische Dynamik anders aufzufangen, als alle fünf Jahre eine neue digitale Signatur zu erbringen.
Nützlich ist das Gesetz zur digitalen Signatur allenfalls, um damit die Infrastruktur von Einrichtungen aufzubauen, die die Vergabe und Verwaltung von Kryptoschlüsseln leisten. Damit würden die Vorschläge für ein Kryptogesetz aus dem Hause Kanther - dies ist ein Schnüffel- bzw. ein Kontrollgesetz - auf einen vorbereiteten Boden fallen. Es wird eine Unsicherheitsarchitektur geschaffen, wenn man dieses digitale Signaturgesetz in Verbindung mit dem geplanten Kryptogesetz betrachtet. Hier soll offensichtlich über das digitale Signaturgesetz zuerst Vertrauen wachsen, bevor in der Internet-Kommunikation dann die Kanthersche Schnüffelei greifen wird.
Was sind die Leistungen dieses Gesetzes? Werden Arbeitsplätze geschaffen? Nein, hier wird eher blokkiert. Dieses Gesetz wird dazu führen, daß im Internetbereich eine Reihe von Arbeitsplätzen aus Deutschland ausgelagert wird.
Wird ein datensicheres, wirtschaftliches Agieren gewährleistet? Nein, statt einer Experimentierphase wird ein einziges Modell von Ihnen, Herr Minister, festgeschrieben. Wird hier von Ihnen, Herr Minister, Kundenschutz etabliert? Nein, auch das ist nicht der Fall. Bei Rechtsstreitigkeiten wird in diesem Lande König Kunde, was das Internet und auch ElektronikCommerce anbelangt, weiter nach Kalifornien fahren müssen. Wird vertrauliche Kommunikation gewährleistet? Nein, statt dessen kommt es auf Grund des Signaturgesetzes zu einer Scheinsicherheit, auf der anderen Seite aber zu drohenden Kryptierverboten durch die Bundesregierung und zu Schnüffelei.
Der Hintergrund für diese Entwicklung ist natürlich der Streit zwischen Bund und Ländern um die Medienhoheit. Herr Minister, auch wenn Sie nicht alles so wollten, wie das jetzt in diesem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf niedergelegt ist, und man Ihnen die Schuld daran nicht alleine in die Schuhe schieben kann, so ist dennoch festzustellen: Durch Ihr Vorgehen treiben Sie dieses Land letztlich dahin, Fragen bezüglich des Internets in Karlsruhe klären zu lassen, anstatt mit den Ländern - das wäre Ihre Aufgabe gewesen - zu einer einheitlichen und tragfähigen Regelung zu kommen. Diese Mühe hätten Sie sich machen müssen. Wir haben dazu letztes Jahr einen Antrag eingebracht. Die Koalitionsfraktionen haben in den Ausschußberatungen unsere Vorschläge sowie die der SPD abgelehnt.
Erstens. Die Bundesregierung hätte einen einheitlichen rechtlichen Regelungsrahmen schaffen müssen. Digitale Dienste hätten einheitlich reguliert werden müssen. Regelungen zum öffentlichen Informationszugang hätten geschaffen werden müssen. Einen Freedom of Information-Act hätten Sie festschreiben müssen; das Recht auf Akteneinsicht ebenfalls.
Zweitens. Die Bundesregierung hätte die Entfaltung selbstbestimmter Nutzung der digitalen Medien sichern müssen.
Drittens. Die Bundesregierung hätte vor allen Dingen auch umfassende Regelungen zum Kundenschutz in diesem Bereich des Internets treffen müssen. Die Bundesregierung hätte nicht nur verbal, sondern real Rechtssicherheit bieten müssen.
Herr Rüttgers, ich komme damit zum Schluß.
Mit diesem Gesetz blockieren Sie nicht nur den Weg in die interaktive Bürgergesellschaft.