Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Begriff der Informationsgesellschaft wird fast schon wie eine Beschwörungsformel verwendet. Politiker und Publizisten unterscheiden sich meist nur darin, daß der eine den Übergang zur Informationsgesellschaft beschwört, der andere uns an ihrem Beginn sieht und dieser oder jener feststellt, wir seien bereits mittendrin.
In Wirklichkeit finden wir einen rasanten Vorgang, bei dem es um die Existenzchancen und um die Lebensweise schon in den allernächsten Jahren geht. Der Vorgang ist nur zu vergleichen mit der industriellen Revolution, die binnen 200 Jahren das gesellschaftliche Leben total veränderte. Jetzt kommt ein solcher Einschnitt wieder vor. Er wird schneller durchschlagen als die Industrialisierung und genauso tief in unsere Lebenswelt eingreifen.
„Wir befinden uns mitten in einem Umbruch des geltenden Systems der Wertschöpfung", schreibt Johann Welsch. Das System ist noch gekennzeichnet durch Tätigkeiten wie „Rohstoffe gewinnen, Werkstoffe und Gegenstände verformen, Dinge bearbeiten, materielle Produkte bewegen und transportieren. Unterstützt werden diese Arbeiten durch die Nutzung von Sachkapitalgütern." Das geht zu Ende. Sie werden ersetzt durch „Sammeln, Auswerten, Ver-
Wolfgang Thierse
ändern, Übertragen und Verteilen von Informationen - das sind Tätigkeiten, die mehr und mehr den Schwerpunkt menschlicher Arbeit bilden und die die unmittelbar fertigungsbezogene Produktionsarbeit aus ihrer bislang vorherrschenden Position verdrängen". So weit das Zitat.
Ich überlasse es Ihrer Phantasie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich die Folgen der Revolution auszumalen. Unsere Aufgabe, die Aufgabe des Parlaments, ist es, in diese technische und ökonomische Revolution insoweit einzugreifen, als ihre sozialen Folgen und Begleitumstände erträglich sind und die Regeln, die wir für diese neuartige Gesellschaft benötigen, rechtzeitig zur Verfügung stehen. Bei der Regelung der Informations- und Kommunikationsdienste geht es um unsere zukünftigen Chancen auf Wohlstand im internationalen Wettbewerb.
Der Bundesforschungsminister ist nun der Auffassung - so las ich in der „Wirtschaftswoche" -, Deutschland sei auf die Informationsgesellschaft optimal vorbereitet;
er hat dies hier gerade wieder gesagt. Das Blatt findet, Herr Kollege Rüttgers, Sie dächten gerne positiv, und das ist durchaus ein Lob. Es setzt dann aber nach - ich zitiere -:
Da muß der Kanzler-Zögling wohl die falschen Datenbanken angezapft haben.
Zwar haben wir in der Tat das bestausgebaute ISDN- und Glasfasernetz der Welt,
aber sonst hinken wir meilenweit hinterher. In den USA kommen auf 100 Einwohner 48 Computer, bei uns sind es 28; der Minister hat gerade dieselbe Zahl genannt. In Japan werden pro Kopf der Bevölkerung 1 100 DM in Investitionstechnik investiert, bei uns sind es nur 900 DM.
Das hat auch - Kollege Mosdorf hat gerade darauf hingewiesen - mit dem Forschungsetat zu tun. Wie gern spricht der Minister von der Wissensgesellschaft, die es vorzubereiten gelte. Recht hat er. Das heißt aber vor allem: Wissen vermehren, Wissen anwenden und weitergeben. Dazu bedarf es schon lange auch staatlicher Förderung; denn die Investitionen dafür sind enorm.
Die Bundesregierung aber senkt die Forschungsaufwendungen - zuletzt sogar um 5,6 Prozent -, statt tatsächlich in die Wissensgesellschaft zu investieren. Der Zukunftsminister sagt dazu, jeder müsse sparen und auch sein Ressort könne und wolle sich dem nicht entziehen. Na, denn gute Nacht!
Was wir dagegen tatsächlich brauchen, ist eine gewaltige Anstrengung, so groß, daß sie nur von Staat - Bund, Länder und Gemeinden - und Wirtschaft gemeinsam durchgehalten werden kann. Ich nenne nur ein Beispiel, um die Aufgabe, aber auch die Lage zu illustrieren.
Junge Menschen, Schülerinnen und Schüler, unterscheiden sich heute auf eine neue Art voneinander: solche aus Elternhäusern mit PC und InternetAnschluß und solche aus Elternhäusern mit Videorekordern. Das ist eine folgenreichere Unterscheidung als die bisher übliche. Da hatten wir Kinder aus gebildeten Haushalten, an den Umgang mit Buch und Sprache gewöhnt, die größere Chancen auf weiterführende Bildung hatten. An dieser Chancenungleichheit vermochte man einiges zu ändern.
Jetzt aber bereiten sich die einen - bisher wenige - intensiv auf die Informationsgesellschaft vor, die doch bereits vorhanden ist, und den vielen anderen bleibt das praktisch vorenthalten. Da werden auf eine Art und Weise Lebenschancen ungleich verteilt, die die Ungleichheiten der letzten Jahrzehnte in den Schatten stellen könnte.
Die Antwort der Bundesregierung darauf ist im Prinzip richtig: Schulen ans Netz. Tatsächlich aber ändert sich dadurch noch nicht viel. Das Land Nordrhein-Westfalen, aber auch andere haben zusätzlich eigene Programme aufgelegt, um Schulen mit Internet-Zugängen zu versorgen. Stolz meldet zum Beispiel Düsseldorf, daß in diesem Jahr 60 Prozent aller Schulen über einen Zugang verfügen. Aber wieviel Prozent der Schulen werden insgesamt über Internet-Zugänge verfügen, wenn Ihr Programm in den nächsten Jahren abgeschlossen sein wird? Die Antwort kann nur unbefriedigend sein.
Und: Ein Netzzugang bedeutet noch lange nicht, daß jeder Schüler und jede Schülerin ausreichend Kompetenz im Umgang mit der Informationstechnik erwerben kann. Es bleibt also beim Startvorteil der wenigen.
Das Programm „Schulen ans Netz" wird rund 60 Millionen DM gekostet haben. Benötigt wird aber mindestens 1 Milliarde DM. Und wir haben nicht viel Zeit zur Vorbereitung; denn die heutige Schülergeneration wird bereits in einer veränderten Gesellschaft, in einer veränderten Arbeitswelt zurechtkommen müssen. Darauf zielt unser Konzept der Bildungspartnerschaft.
In diesem Rahmen steht der Entwurf der Bundesregierung für ein Multimediagesetz. Es verhält sich zum Stand der Informationstechnik wie der reitende Bote zum Internet.
Sie haben angekündigt, Herr Forschungsminister, mit dem heute zur Beratung anstehenden Entwurf für ein Informations- und Kommunikationsdienstegesetz einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für die neuen Dienste zu schaffen und eine Schneise für Multimedia zu schlagen. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß Sie, um die notwendige Vereinbarkeit Ihres Gesetzentwurfs mit dem Mediendienstestaatsvertrag der Länder herzustellen, schwierige Verhandlungen mit verschiedenen Positionen zu führen hatten. Es ist gelungen, Annäherungen zu erreichen. Das ist zu begrüßen. Denn am Regulierungsbedarf der neuen Dienste gibt es keinen ernstzunehmenden Zweifel. Aber zwischen Regulierungsbedarf und Regulierungswut liegen Welten.
Wolfgang Thierse
Im Multimediabericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag findet sich ein Satz, der präzise zum Ausdruck bringt, weshalb Ihr Gesetzentwurf bestenfalls wirkungslos bleiben wird. Dort ist zu lesen -ich zitiere -:
Im Kern geht es heute bei Multimedia um die Interaktion mit computerbasierten Anwendungen, in denen unterschiedliche Medientypen integriert sind.
Das genau ist das Problem, das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht gelöst wird, ja noch nicht einmal hinreichend erkannt wurde. Die Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Mediendiensten und Telediensten - die einen in Länderzuständigkeiten, die anderen in Bundeszuständigkeit - und die Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation lassen diesen Integrationsaspekt außer acht. Der Online-Dienste-Anbieter Compuserve kommt zu dem Schluß, daß alles und jedes sowohl als Mediendienst als auch als Teledienst einzuordnen ist.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, Herr Dr. Rüttgers, die in Ihrem Hause eingegangenen Stellungnahmen aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften sorgfältig durchzulesen, werden Sie feststellen, daß meine Kritik darin mehrheitlich geteilt wird. Ich verzichte darauf, die Absender dieser kritischen Stellungnahmen aufzuzählen. Es sind sehr viele.
In der Wirtschaft ist man in großer Sorge, daß die künstliche Trennung von Telediensten und Mediendiensten zu erheblichen Abgrenzungsproblemen mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland führen wird. Dort weiß man sehr wohl, daß diese Unterscheidung praxisfern ist, und befürchtet endlose juristische Auseinandersetzungen zwischen Anbietern und der jeweils zuständigen Regelungsinstanz.
Nur, welcher Regelungsinstanz eigentlich? Ich zitiere:
Der Gesetzgeber definiert keine einheitliche Regelungsinstanz, stellt keine einheitliche Anspruchsstelle für Verbraucherbelange zur Verfügung, bietet keine Stelle zur Regelung von Zweifelsfragen an und stellt damit keine Regelung bereit, die seine Ausführung sicherstellen.
Dieses Zitat aus der Stellungnahme der Deutschen Postgewerkschaft - von der ich hoffe, daß Sie sie gelesen haben, Herr Minister - trifft den Nagel auf den Kopf.
Vor diesem Hintergrund fürchte ich, daß sich bereits auf dem Markt tätige Unternehmen bzw. potentielle Anbieter den zu erwartenden langen Verfahren erst gar nicht aussetzen und statt dessen gleich ins benachbarte Ausland abwandern. Ob ein OnlineDienst in Hamburg, Berlin oder München oder in Rom, Prag oder Zürich seinen Sitz nimmt, spielt unter den Bedingungen weltweiter Vernetzung und der Datenübertragung in Echtzeit längst keine Rolle mehr.
Ein Grund für die einhellige Skepsis gegenüber Ihrem Entwurf ist, daß Sie die dramatischen Veränderungen in der Medienlandschaft, das Zusammenwachsen von Fernsehgerät, Telefon, Fax und Computer schlicht ignorieren. Die technische Entwicklung ist es, die den Gesetzentwurf schon heute zu einer Art Relikt macht. Wer will denn künftig noch sachgerecht zwischen Medien- und Telediensten unterscheiden, wenn das Internet längst dazu fähig ist, sowohl digitale Informationsdienste jeder Art als auch das klassische Fernsehen zu übertragen? Microsoft fängt in den USA gerade damit an. Wir konnten das vor zwei Tagen lesen.
Sie selbst, Herr Minister, mußten eine gewisse Vorahnung gehabt haben, als Sie davon sprachen, daß es Grauzonen gebe, derentwegen man mit den Ländern im Gespräch bleiben müsse. Mir scheint, das ganze Gesetz ist eine Grauzone. Die im Regierungsentwurf vorgenommene Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation ist technisch veraltet. Die Unterscheidung zwischen an die Allgemeinheit gerichteten Mediendiensten und nicht an die Allgemeinheit gerichteten Telediensten ist sachlich falsch und deshalb begrifflich willkürlich.
Der Gesetzentwurf provoziert ohne Not ein Abgrenzungsproblem, das in der Praxis nicht aufgelöst werden kann, ein Regulierungswirrwarr, das Ihrer eigenen Deregulierungsparole eklatant widerspricht. Eine Medienordnung, die sich auf solchen Irrtümern gründet, wird notgedrungen keinen Bestand haben und die Entwicklung behindern, statt sie zu fördern.
Ihr Gesetzentwurf verstetigt die Rechtsunsicherheit, die er zu beseitigen vorgibt.
In unserem Antrag „Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" haben wir die Weiterentwicklung der bewährten dualen Rundfunkordnung zu einer dualen, einer bundeseinheitlichen Informations- und Medienordnung vorgeschlagen, in der der klassische Rundfunk, das Internet und die noch relativ jungen Online-Dienste geregelt werden. Wir brauchen eine Informations- und Mediengesetzgebung aus einem Guß. Der von Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertretern und zahlreichen Medienexperten wiederholt unterbreitete Vorschlag einer gemeinsamen Bund-Länder-Regulierungsinstanz scheint mir insoweit plausibel zu sein, als er erstens der technischen Entwicklung gerecht werden kann und zweitens der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der medienpolitischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern entgegenkommt.
Wenn Deutschland den Anschluß an die internationale Entwicklung nicht verlieren will, sollte es uns doch gelingen, angemessene Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Übergang in die Informationsgesellschaft zu schaffen. Dazu gehört aber auch, daß Sie, meine Damen und Herren in der Bundesregierung und in den Koalitionsfraktionen, auf Gedan-
Wolfgang Thierse
kenspielereien über die Beseitigung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, wie sie noch im vergangenen Jahr angestellt wurden, künftig verzichten.
Die Bestands- und Entwicklungsgarantie für ARD und ZDF ist mit der SPD nicht verhandelbar.
Wir haben keine andere Wahl, als den Weg in eine neue Medien- und Informationsordnung gemeinsam zu gehen. Der erste Anlauf ist mit diesem Gesetzentwurf nicht geglückt. Der Wille zur Gemeinsamkeit zeigt sich aber auch darin, daß man solche Provokationen wie in der Frage der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten künftig unterläßt.
Die Informationsgesellschaft im anarchischen oder marktradikalen, nur dem totalen Kommerz verpflichteten Selbstlauf erzeugt eine neue soziale Spaltungslinie zwischen „information rich" und ,,information poor". Wir wollen möglichst viele Menschen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft mitnehmen. Wir wollen, daß der Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft sozial- und demokratieverträglich vonstatten geht, daß neue Arbeit erwächst, daß neue Ideen neue Produkte hervorbringen, daß die Umwelt entlastet und die Menschen überall auf der Welt näher zusammenrücken. Diese Vision möglich zu machen ist die wichtigste Aufgabe politischer Gestaltung. Politik und Wirtschaft sind verpflichtet, die infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Vision Wirklichkeit werden kann. Zu dieser Aufgabe gehört auch eine tragfähige Medien- und Informationsordnung, die die Entwicklung befördert und nicht behindert.
Die frühzeitige Vermittlung von Medienkompetenz ist übrigens auch der beste Jugendschutz.
Eltern und Lehrer müssen die Jugendlichen gemeinsam auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet vorbereiten. Der Staat seinerseits muß tätig werden, wiewohl aber auch unmißverständlich klargemacht werden muß, daß es keinen hundertprozentigen Schutz gegen kriminelle Inhalte geben kann. Ja, das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, aber wir müssen ebenfalls wissen, daß nicht alles, was wir wollen, technisch und rechtlich sinnvoll und möglich ist.
Kinderpornographie und Rechtsextremismus sind im übrigen keine Erfindungen des Netzes, sondern ein Problem der ganzen Gesellschaft. Es ist durchaus problematisch, wenn die Staatsanwaltschaft gegen seriöse Unternehmen wie Eunet, Microsoft oder Compuserve wegen der Verbreitung pornographischer Inhalte vorgeht, für die die genannten Diensteanbieter überhaupt nicht verantwortlich zeichnen
und von denen sie insofern noch nicht einmal Kenntnis hatten. Angesichts von gerade einmal 1 Prozent krimineller Inhalte - Herr Minister, Sie haben die Zahl gerade auch genannt -, die man im Netz finden
kann, ist die fortwährende Diskreditierung des Netzes fast hysterisch zu nennen.
Wie gesagt, Jugendschutz beginnt mit der Vermittlung von Medienkompetenz. Zum anderen muß die Bundesregierung initiativ werden, damit rasch gemeinsame Mindeststandards im europäischen Raum und auch auf der Ebene der G-7-Staaten vereinbart werden können. Ich hoffe, Ihren Worten, Herr Minister, folgen Taten.
Bisher gab es nur Ankündigungen. Die Provider selbst haben im übrigen ein großes Interesse daran, ihre Dienste von kriminellen Angeboten freizuhalten. Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle der Anbieter sind meines Erachtens ein wesentlich wirkungsvollerer Weg als die Ingangsetzung einer behäbigen staatlichen Kontrollmaschinerie.
Schließlich steht der Staat in der Pflicht, seine Strafverfolgungsorgane personell und materiell, also technisch, so auszustatten, daß eine wirkungsvolle Bekämpfung der Kriminalität im Netz erfolgen kann. Ich erwarte auch hierbei ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern, zum Beispiel mit dem Ziel der Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle beim Bundeskriminalamt. Der allgemeine Ruf nach Zensur verschleiert das Problem und löst es noch nicht einmal im Ansatz.
Meine Damen und Herren, mit einem erwarteten Wachstum von jährlich zirka 9 Prozent ist die Telekommunikation zu einem Wachstumsmotor der Wirtschaft geworden. Die Wertschöpfung des gesamten informations- und kommunikationstechnischen Bereichs ist heute schon größer als die der Automobilindustrie.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat Anfang April mitgeteilt, daß die Zahl der direkten OnlineAnschlüsse in Deutschland von 1995 bis 1996 um 42 Prozent auf 2,3 Millionen gestiegen ist. Damit liegen wir zwar immer noch 8 Prozent hinter Japan und 22 Prozent hinter den USA; aber eine dynamischere Entwicklung ist unverkennbar.
Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, daß, wer über die Informationsgesellschaft redet - einschließlich des Multimediagesetzes -, zugleich über Arbeitsplätze und die künftige Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft redet.
Nachdem die Informationstechnik in den vergangenen 15 bis 20 Jahren hauptsächlich zu Automatisierungs- und Rationalisierungszwecken eingesetzt wurde, wird die Hauptaufgabe des Informationsmarktes nun darin liegen, die Informationsströme zwischen Menschen produktiver und kreativer zu gestalten. Der Informationssektor in Deutschland ist bis heute von monopolistischen Strukturen geprägt. Durch Einführung wettbewerblicher Strukturen sind erhebliche Kostensenkungspotentiale zu realisieren. Hemmnisse, wie zum Beispiel die unverhältnismä-
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Bige Kostenbelastung der Lizenzen für neue Telekommunikationsdienste, sind zu beseitigen.
Der Wachstumsmarkt Informationstechnologie findet seinen eigentlichen Schwerpunkt in seinem Dienstleistungscharakter. Gerade in Deutschland ist der Dienstleistungsanteil aber auch deshalb noch gering, weil die Kosten der elektronischen Übertragung von Informationen zu hoch sind.
Der Standort Deutschland würde bei Beibehaltung der Kostenunterschiede, insbesondere im Vergleich mit den USA, nicht am Wachstum der Zukunftsmärkte teilhaben und somit bei gleichzeitigem Verlust traditioneller Massenproduktionsmärkte weiter Arbeitsplätze verlieren. Das gilt es zu verhindern.
Die angestrebte Wettbewerbssituation auf dem Telekommunikationsmarkt in Deutschland wird ab 1998 zum einen sinkende Preise für die Informationsübertragung mit sich bringen; zum anderen wird sich die zunehmende Konkurrenz der Anbieter im Idealfall positiv und innovativ auf die Entwicklung neuer Dienste auswirken. Dies setzt allerdings die Schaffung wirksamer Wettbewerbsstrukturen auf dem deutschen Markt voraus.
Ich komme zum Schluß. Verfügung über Wissen, das Verarbeiten, Aufbereiten und Verteilen von Informationen werden in Zukunft die Güterproduktion der klassischen Industriegesellschaft in ihrer zentralen ökonomischen Bedeutung nach und nach ablösen und dürfen deshalb nicht durch künstlich errichtete Gesetzeshürden wie dem Multimediagesetz blockiert werden.
Meine Damen und Herren, eine sorgfältige, an gemeinsamen Zielen orientierte Beratung dieses Gesetzentwurfs ist nötig. Ich fürchte jedoch, daß wir uns bald an die Arbeit für ein weiteres Gesetz werden machen müssen.