Rede von
Dr.
Dietrich
Sperling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der größte Prognostiker deutscher Sprache war, wenn ich das richtig sehe, Wilhelm Busch, und zwar mit dem bekannten Spruch: Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Das galt für die blühenden Landschaften und die Finanzierung der deutschen Einheit über Lohnnebenkosten, das galt bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und beim Schlechtwettergeld. Ich könnte viele Dinge aufführen. Das galt auch, als die Kriterien festgelegt wurden und man sich über den Zeitpunkt der Einführung des Euro Gedanken machte.
Damals durfte man hoffen, daß die Einhaltung von drei Prozent vielleicht ein Kinderspielchen werden würde. Man hatte ja die anderen Irrtümer alle noch nicht erkannt. Jetzt stellt sich heraus: Auch diesmal kommt es anders, als man gedacht hat. Das gilt auch für Sprüche, die ein Finanzminister bringt. Wenn er angesichts einer gewandelten Situation immer noch das gleiche sagt wie vorher, dann kommt auch das anders, als man denkt. Auch ein Finanzminister muß den Wandel der Verhältnisse betrachten.
Dr. Dietrich Sperling
Deswegen will ich zu den Kriterien soviel sagen: Es macht in etwa so viel Sinn, scheinheilig gesprochene Kriterien festzulegen, wie den Wasserstand des Rheins zwei Jahre zuvor festzulegen, ohne zu wissen, wann die Schneeschmelze eintritt und wie die Niederschläge sein werden.
Sich dann auf solche scheinheilig gesprochenen Kriterien in dem Ausmaß festzulegen bringt eine Reihe von Problemen mit sich. So kommt es anders, als man gedacht hat.
In einer Broschüre des Finanzministers - vor kurzem verteilt - steht der zumindest ebenso richtige Spruch wie der von Busch: Ohne Geld geht nichts. Das ist auch ungeheuer richtig. Die interessanten Fragen lauten: Mit wessen Geld soll es gehen? Mit welchem Geld soll es gehen? Was soll gehen?
Mit wessen Geld es gehen soll, haben wir schon am Vormittag über längere Stunden gehört. Es wurde klar, daß das Dilemma der Regierungspolitik darin besteht, daß Sie den Reichen nicht geben können, ohne den Armen zu nehmen. Weil ja Geben seliger ist denn Nehmen, führt es zum Zwangsgeben der Armen an die Reichen.
Jetzt lautet die nächste Frage nicht mehr: Mit wessen Geld?, sondern: Mit welchem Geld? Da schauen diejenigen, die Sie zum Geben verpflichten, danach, ob der Euro als Werkzeug ihnen nicht nur selber Stabilität verspricht, sondern ob der Euro für Europa Stabilität in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bringt.
Taugt der Euro zum Schaffen von Arbeitsplätzen besser als das Sammelsurium der Währungen, mit denen wir jetzt noch umgehen?
- Ich sage ja dazu. - Wird es sinnvoll sein, den Unfug zu beenden, den außerordentlich verflochtenen Binnenwirtschaftsraum Westeuropa mit einer Währung auszustatten und den Unsinn zu beenden, daß wir zwischen hier und Holland Exporte und Importe verrechnen? Es macht nicht den geringsten Sinn, in diesem eng verflochtenen Wirtschaftsraum in Exporten und Importen zu rechnen.
Wenn wir diesen Unsinn also abschaffen, dann leisten wir etwas für die Steuerungsfähigkeit der Politik mit Hilfe des Werkzeugs Geld. Deswegen gehe ich davon aus, daß es sehr viel sinnvoller ist, Wohlstands- und Stabilitätspolitik für Wirtschaft und Gesellschaft in Europa mit einem gemeinsamen Geld zu machen, statt dies mit 14 verschiedenen Werkzeugen und den Tätigkeiten von Devisenspekulanten zu versuchen.
Joschka, damit Ihr nicht immer schlecht wegkommt, will ich ausdrücklich die Grünen loben: Sie haben Horst Köhler zu einem Gutachten über die Zukunftsfähigkeit des deutschen Bankensystems eingeladen. Die vom Finanzminister vorhin so gepriesenen Finanzmärkte als irgendwelche Maßstäbe werden in
diesem Gutachten - für die Grünen erstellt, aber sicher von keinem Grünen - wie folgt beschrieben: Die auf den Finanzmärkten zu beobachtende Verabsolutierung des Gewinnstrebens und der Kurzfristorientierung bewirken zusammen mit der hohen Komplexität von Finanzprodukten und Handelssystemen eine wachsende Erwartungslastigkeit der Märkte.
Schon geringfügige Ereignisse in Politik und Wirtschaft können heftige Marktreaktionen und Herdenverhalten - in diesem Fall der Finanzspekulanten - auslösen. Vor diesem Hintergrund sieht der Internationale Währungsfonds die Gefahr, daß Schieflagen eines oder mehrerer bedeutender Marktteilnehmer Kettenreaktionen bis hin zu einer Systemkrise auslösen können.
Wer den Finanzmärkten ein Stück dieser Gefahrenträchtigkeit nehmen will, braucht etwas anderes als das Nebeneinander der vielen europäischen Währungen. Es wäre sinnvoll, mit diesem Werkzeugcharakter zu werben und nicht mit scheinheilig gesprochenen Prozentsätzen die Leute abzuschrecken und in Illusionen zu jagen.
Es ist sinnvoll, dafür zu werben, daß dieses Sammelsurium der europäischen Währungen schnell abgelöst wird und man möglichst schnell zu einem Werkzeug kommt, allerdings zu einem Werkzeug, das auch für eine Stabilitätspolitik, nicht für das Werkzeug selber, genutzt wird.
Vor 103 Jahren, so entnehme ich einer Schrift des Arbeitskreises christlicher Publizisten - ich bitte, dies dem Finanzminister besonders mitzuteilen -,
hat ein bayerischer Pfarrer wie folgt gebetet:
Lieber Herr und Gott, setz dem Überfluß Grenzen und laß die Grenzen überflüssig werden. Und gib den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung.
Der Mann hatte recht.