Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion hat diese Aktuelle Stunde nach den öffentlichen Reaktionen auf die Vorstellung des Konvergenzprogramms, durch Bundesfinanzminister Waigel Anfang dieser Woche beantragt. Erfreulicherweise sind wir bei der Debatte in diesem Hause in wesentlichen Punkten einer Meinung
- Herr Professor, jetzt hören Sie einmal zu; wenn Sie heute schon zum Professor ernannt wurden, dann spitzen Sie einmal die Öhrchen -, was die Einführung des Euro betrifft, was die Kriterien betrifft und was den Termin betrifft, hoffe ich.
Nachdem ich allerdings heute Ihren Äußerungen zugehört habe, Herr Kollege Waigel, bleiben wesentliche Dinge nach wie vor offen. Man muß der Bundesregierung vorhalten, daß sie völlig unnötigerweise, weder durch den Vertrag von Maastricht noch durch die ökonomische Entwicklung bei uns oder in den Nachbarländern gerechtfertigt, eine neue Interpretation des Maastricht-Vertrages in der deutschen Öffentlichkeit durchgesetzt hat: von der strikten Anwendung zur besonders strikten Anwendung.
Die besonders strikte Anwendung sieht so aus, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig wesentliche Kriterien nicht erfüllt. Bei dem Kriterium der Verschuldung bis zu einem Höchstwert des Bruttoinlandsproduktes von 60 Prozent liegen Sie darüber.
Sie bringen gute Argumente, warum die Bundesrepublik Deutschland dennoch dieses Kriterium erfüllt.
Derselbe Theo Waigel ist aber als CSU-Politiker derjenige gewesen, der in der deutschen Öffentlichkeit nachträglich eine Interpretation der besonders
Joseph Fischer
strikten Anwendung draufgesattelt hat und jetzt vor der Frage steht, wie er als Finanzminister und Europapolitiker von diesem Baum wieder herunterkommt, auf den er als CSU-Vorsitzender vorher hinaufgeklettert ist.
Herr Kollege Waigel, dasselbe Problem stellt sich doch angesichts der Reaktion der Märkte und der Öffentlichkeit. Ihre Äußerung im Zusammenhang mit der Vorstellung Ihres Konvergenzprogrammes wurde so interpretiert, daß Sie zum erstenmal beginnen, die besonders strikte Interpretation der Bundesregierung aufzuweichen.
Eine gewisse Arroganz gegenüber anderen Ländern, die auch hier bei Ihnen wieder zum Vorschein kam, geht mir in der Tat auf die Nerven und ist zutiefst antieuropäisch. Wenn ein italienischer Finanzminister sich hier hingestellt hätte und ähnlich triftige Argumente, wie Sie sie gerade, was das Verschuldungskriterium betrifft, angeführt haben, geäußert hätte, dann wäre dies in der deutschen Öffentlichkeit von führenden CSU-Politikern und anderen als „kreative Buchführung" dargestellt worden.
Die Anstrengungen, die Italien unternommen hat, um die Konvergenzkriterien zu erreichen, sind beachtlich und verdienen nicht Häme, sondern volle Zustimmung und vor allen Dingen auch die Perspektive, daß Italien an der Einführung des Euro teilnehmen kann.
Dasselbe gilt für andere Länder des als unverantwortlich geschmähten sogenannten Club Med, und zwar für die Anstrengungen in Spanien und in Portugal. Was angesichts der volkswirtschaftlichen Situation in diesen Ländern geleistet wird, ist beachtlich und verdient keine deutsche Häme und Arroganz, sondern ausdrückliche Zustimmung für deren Einsatz dafür, daß sie nicht ausgegrenzt werden, sondern an der Einführung des Euro teilnehmen können.
Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage ist nicht, wie strikt wir die Kriterien interpretieren, sondern die Frage - wir erwarten, daß die Bundesregierung hierzu langsam einmal Position bezieht -, ob Sie angesichts der absehbaren Entwicklung, daß Sie die Kriterien in bestimmten Punkten zu dem vorgesehenen Zeitpunkt vermutlich nicht erfüllen werden - es sei denn, Sie flüchten sich in „kreative Buchhaltung" -, bereit sind, den Maastricht-Vertrag termingerecht anzuwenden.
Hinsichtlich der ominösen 3 Prozent bezüglich der Nettoneuverschuldung, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, steht nicht im Maastricht-Vertrag, daß
es 3,0 Prozent sein müssen. Ich stimme dem Kollegen Haussmann ausdrücklich zu: Für die Stabilität der Währung sind diese 3 Prozent, Herr Professor Haussmann, nun wirklich kein aussagefähiges ökonomisches Kriterium. Der entscheidende Punkt, zu dem diese Bundesregierung langsam einmal Stellung beziehen muß - sie darf sich nicht immer wieder hinter Termine und Entscheidungen flüchten, da ich sonst fürchte, daß uns die innenpolitische Debatte auch und gerade im konservativen Lager, und zwar in der CSU, Herr Kollege Waigel, davonläuft -, ist also, ob wir tatsächlich eine Verschiebung wollen oder nicht.
Ihre Äußerung, daß die Einhaltung der Konvergenzkriterien wichtiger als der Zeitpunkt sind, ist fatal und falsch. Wir müssen vielmehr an dem Zeitplan festhalten. Es wird nicht ein einziger Punkt besser werden, wenn wir eine Verschiebung in Aussicht nehmen. Alles, was die Euro-Kritiker und Euro-Skeptiker anführen, wird auch zwei Jahre später gelten. Deswegen sind wir der Meinung: Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, daß wir in diesem Lande einen politischen Prozeß lostreten können, der eben nicht von Herrn Stoiber bzw. einer besonders strikten Anwendung bestimmt wird.
- Meinetwegen auch von Herrn Schröder. Da habe ich überhaupt kein Problem. Ich finde es genauso falsch, wenn er diese Position vertritt. Wenn es ein Grüner oder eine Grüne wäre, die diese Position vertreten würde, fände ich es auch falsch.
Europa jetzt durch ein Festhalten am Euro und durch ein termingerechtes Realisieren praktisch werden zu lassen ist das, was wir von dieser Bundesregierung verlangen. Nur, Ihre Äußerungen machen einem dieses Geschäft nicht einfacher.