Rede von
Kristin
Heyne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema, das in dieser Woche nach den Äußerungen des Finanzministers täglich durch die Nachrichten ging und das die Menschen bewegt, nämlich die Frage „Kommt der Euro, oder kommt er nicht?", wird in diesem Parlament als Lumpensammler zum Abschluß der Parlamentswoche behandelt. Das liegt daran, daß die Mehrheit in diesem Haus es für wichtiger gehalten hat, auf Wunsch der F.D.P. gestern eine Aktuelle Stunde über ein so wichtiges Thema
wie den Sozialhilferatgeber eines Bundeslandes zu veranstalten. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Wenn man sich als Parlament in die Bedeutungslosigkeit begeben will, dann sollte man so seine Themen wählen und setzen.
Diese Regierung leistet sich zur Währungsunion einen Fehltritt nach dem anderen. Sie bleibt dabei vom Parlament weitgehend unbehelligt.
Der Bundeskanzler und der Außenminister bezeichnen das Zustandekommen der Währungsunion als eine Frage von Krieg und Frieden im zukünftigen Europa. Das tun sie nicht zu Unrecht.
Gleichzeitig aber gibt der Finanzminister dieser Regierung zu verstehen, daß er bereit ist, für Zehntelpunkte hinter dem Komma den Zeitplan in Frage zu stellen. Den Zeitplan in Frage stellen heißt, das ganze Projekt in Frage stellen. Kein Minister kann so naiv sein, das nicht zu wissen.
Was gilt denn nun in dieser Regierung? Die warmen Europa-Worte des Kanzlers oder die Zahlenakrobatik der Bundesbank und der Buchhalter der Volkswirtschaft? Hier muß man doch fragen: Wie ernst ist dieser Regierung das vereinte Europa eigentlich?
Meine Damen und Herren, man muß auch fragen: Welches Gewicht hat Herr Kohl noch in dieser Regierung? Oder: Wie stark wird sie durch innerbayerische Streitereien bestimmt?
Die Länder der Europäischen Union haben mit dem Maastricht-Vertrag verbindlich festgelegt, wie sie ihren Weg in die Währungsunion beschreiten wollen. Sie haben sinnvollerweise festgelegt, wie das notwendige Maß an Konvergenz bei der Inflationsrate und bei dem Zinsniveau aussehen soll.
Bei diesen monetären Kriterien ist inzwischen in allen EU-Ländern ein beachtlicher Erfolg erzielt worden. Preise und Zinsen nähern sich einem niedrigen Niveau an. Zwei Drittel der EU-Mitgliedstaaten erfüllen mittlerweile die von Maastricht geforderte Preisstabilität. Sogar mehr als zwei Drittel liegen unter dem Referenzniveau der Zinsen. Das ist eine ausgesprochen gute Voraussetzung für die wirtschaftliche Integration Europas. Dieser Erfolg darf nicht durch unnötiges und überflüssiges Gerede kaputtgemacht werden.
Die EU-Länder haben sich in Maastricht auch auf eine stabilitätsfördernde Konsolidierung der Haushalte geeinigt. Die fiskalischen Kriterien Neuverschuldung und Gesamtverschuldung sind ökonomisch aber sehr viel weniger aussagefähig. Sie wur-
Kristin Heyne
den schlicht aus dem Durchschnitt der damaligen Verschuldungsverhältnisse gebildet. Sie sind genau deswegen mit Bedacht relativ offen formuliert worden.
Ausgerechnet durch die Forderung nach strikter Einhaltung dieser Verschuldungskriterien versuchen deutsche Politiker und deutsche Ökonomen, unerwünschte EU-Länder von der Währungsunion fernzuhalten. Die strikte Einhaltung der Verschuldungskriterien entspricht weder den Buchstaben noch dem Geist des Maastrichter Vertrages. Der Maastrichter Vertrag zielt auf europäische Integration und nicht auf ein Kerneuropa.
Diese Bundesrepublik hat den Vertrag völkerrechtlich verbindlich unterschrieben. Wer jetzt auf die Null hinter dem Komma schielt, stellt sich der europäischen Integration in den Weg.
Es darf nicht sein, daß die Fehler der Finanzpolitik dieser Regierung in der Zeit der deutschen Vereinigung jetzt zum Bremsklotz der europäischen Einigung werden. Denn jetzt besteht die Chance - das hat noch vor einem Jahr kaum jemand geglaubt - einer breiten Währungsunion, das heißt einer Währungsunion einschließlich Italiens, Spaniens und Portugals.
Es sind im übrigen nicht die Finanzmärkte, die vor dem Euro Angst haben, sondern deutsche Politiker und deutsche Ökonomen.
Die Finanzmärkte - das stellt man fest, wenn man sich das genauer ansieht - nehmen die Einführung des Euro in ihrer Erwartung vorweg. Schauen wir doch einmal auf die langfristigen Darlehen: Solch niedrige Zinssätze haben wir in den letzten Jahrzehnten kaum gehabt. Das heißt, die Märkte drükken sehr wohl ein großes Vertrauen in den Euro aus.
Wir bemerken aber auch - das wird durch die Presse noch gefördert - eine große Skepsis innerhalb der Bevölkerung. Ich denke, daß dies auch eine Folge davon ist, daß Anfang der 90er Jahre nicht genügend diskutiert wurde. Vor Vertragsabschluß hat man nicht diskutiert. Jetzt haben wir Schwierigkeiten mit diesem Demokratiedefizit. Wenn in einzelnen Bundesländern gefordert wird, die Bevölkerung zu befragen, kann ich das nur begrüßen, weil ich denke, das wird zur Ernsthaftigkeit dieser Debatte beitragen.
Die Länder der Europäischen Union haben sich mit der Wirtschafts- und Währungsunion ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie haben bisher erhebliche Erfolge errungen. Diese Erfolge dürfen nicht zerredet werden. Die Währungsunion kann und sollte zum 1. Januar 1999 mit einem breiten Teilnehmerkreis beginnen.