Rede von
Bernd
Reuter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Freude, wenn man in diesen aufgeregten Zeiten einmal etwas sagen darf, was sicher die Zustimmung des ganzen Hauses finden kann. Diese Freude will ich Ihnen und mir auch machen, indem ich feststelle, daß es doch unser aller Ziel ist, die Probleme, Anliegen, Beschwerden und Bitten der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, daß ein Höchstmaß an „Gerechtigkeit gegen jedermann" geübt wird.
Weder unsere Verfassung noch unser Parlamentsrecht in Form der Geschäftsordnung oder dem Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses sind aus meiner Sicht starre Gebilde, die für alle Zeiten den Stein der Weisen darstellen. Von Zeit zu Zeit müssen wir Institutionen und Regelungen auf ihre Wirksamkeit und ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Dabei kann uns nicht der Grundsatz leiten, der meines Erachtens bei der Überarbeitung des Grundgesetzes nach der deutschen Einheit gegolten hat, nämlich daß nur unsere eigenen Erfahrungen und Regeln den Maßstab der Dinge darstellen. Wir müssen vielmehr von der Bestrebung geleitet werden, unserem Ziel näherzukommen, die Menschen in unserem Land besser an politischen Entscheidungen zu beteiligen.
Nur, Frau Nickels, wenn Sie in der Begründung Ihres Antrags auf den Bundeskanzler Helmut Kohl
Bernd Reuter
Bezug nehmen, wenn eine grüne Politikerin, die sonst den Kanzler sehr kritisiert, das macht, dann klingeln bei mir alle Alarmglocken.
- Ich bin noch nicht einmal sicher, ob Helmut Kohl damals Mitglied in einem Petitionsausschuß war, als er solche Ausführungen machte.
Wenn Herr Röttgen hier ausführt, daß man das nicht zu parteipolitischen Zwecken mißbrauchen soll, dann ist das ebenfalls richtig. Nur muß man sich dann auch an die eigene Nase fassen und muß sich fragen: Wie war das denn eigentlich mit dem Truppenübungsplatz Vogelsang? Das sei nur als Gedächtnisstütze erwähnt. Jeder kehre vor seiner eigenen Haustür. Dann wird alles viel besser.
In den Anträgen der Bündnisgrünen sind zwei wesentliche Anliegen enthalten. Es geht um die Minderheitenrechte und um die Aufnahme der Bitten in das Gesetz nach Art. 45c. Ich bin nicht so rigide wie Herr Röttgen und weise das nicht zurück, weil ich schon der Meinung bin, daß in dem Befugnisgesetz einiges geändert werden könnte. Wir machen ja nichts Falsches, wenn wir dort nicht nur die Beschwerden, sondern auch die Bitten aufnehmen und dem Petitionsausschuß mehr Rechte in bezug auf Gesetzgebungsverfahren verschaffen. Wir brauchen das nicht auszuschöpfen. Dann machen wir ja nichts falsch. Ich weiß auch nicht, warum 1975 die Bitten nicht in das Gesetz hineingenommen wurden. Ich weiß nicht, ob das einen tieferen Sinn hatte oder ob es nur ein Fehler war.
In ihrem Gesetzentwurf bitten und werben die Bündnisgrünen darum, eine geschlechtsneutrale Bezeichnung einzuführen. Liebe Frau Nickels, ich frage mich allen Ernstes: Warum verwenden Sie, wenn Sie eine geschlechtsneutrale Bezeichnung wollen, in dem Gesetzentwurf nur die weibliche Form?
Ich bin gern bereit, mit Ihnen gemeinsam für Ihren Vorschlag zu werben. Ich habe auch nichts dagegen, wenn von „einer Bürgerbeauftragten" die Rede ist; denn ich weiß, daß Frauen manchmal mehr Sensibilität aufbringen, wenn es um die Probleme der Menschen geht.
Ihrem Vorschlag will ich also gern folgen. Wenn man in einem Gesetz konsequent etwas ändern will, muß man das aus meiner Sicht dann allerdings auch in anderen Bereichen machen.
- Das Petitionsausschuß, Herr Kollege Schulze. Das wäre natürlich auch ein Instrument, das zu großen Lacherfolgen führen würde.
Ich will dafür werben, daß wir gemeinsam überlegen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger noch mehr an Willensbildungsprozessen in der Politik beteiligen können. Die Menschen können alle vier Jahre einmal wählen. Das einzige Grundrecht, das ihnen geblieben ist, ist Art. 17, nämlich sich unmittelbar an den Deutschen Bundestag zu wenden.
Wenn innerhalb eines Jahres 20 000 Petitionen eingehen, ist das so, so meine ich, ein Indiz dafür, daß das mit der Politikverdrossenheit nicht immer stimmt, daß die Menschen noch eine Hoffnung in die Regelungsfähigkeit der Politik haben.
Deshalb schlage ich vor, Petitionen mehr als Stimmungsbarometer und auch als Ideenpool für unsere Politik zu nutzen. Hier liegen doch eigentlich die Defizite. Wie viele Petitionen geben wir etwa an die Fraktionen mit der Bitte, etwas zu tun? Wenn wir nach einem Jahr Bilanz ziehen, stellen wir fest, daß all diese Unterlagen irgendwo liegen, daß aber keine konkrete Änderung der Politik folgt.
Auch habe ich mir sehr aufmerksam Ihren Vorschlag angesehen, eine Bürgerbeauftragte einzuführen. Ich habe die Begründungen dazu gelesen. Die berühren mich etwas merkwürdig. Meiner Ansicht nach wird der Petitionsausschuß in den Begründungen zum Gesetzentwurf der Bündnisgrünen etwas schlecht behandelt.
Es wird der Eindruck vermittelt, als sei der Petitionsausschuß ein Gremium, das nicht in der Lage ist, die Probleme, die an es herangetragen werden, zu lösen.
Da heißt es zum Beispiel:
Mit der im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Einführung der Bürgerbeauftragten wird dem Parlament und dem Petitionsausschuß ein Instrumentarium an die Hand gegeben, mit dem sie flexibel, unkonventionell und schnell auf konkrete Verwerfungen und Hemmnisse im Gesetzes- und Verwaltungsvollzug reagieren können.
Ich stelle nur fest, Frau Nickels, daß der Gesetzesvollzug meist gar nicht auf Bundesebene stattfindet, sondern auf Länderebene, auf Ebene der Kommunen.
Der Kollege Röttgen hat zu Recht darauf hingewiesen, daß wir wie kein anderes Land eine gegliederte Gerichtsbarkeit haben. Darauf sollte man auch in dieser Debatte hinweisen.
Bernd Reuter
Sie schreiben, daß in „mehr als 50 Staaten ... die Idee des Ombudsmanns als Instrument der Verwaltungskontrolle, zumeist auf gesamtstaatlicher Ebene, aufgegriffen " wurde.
Durch meine Teilnahme an internationalen Konferenzen kenne ich Ombudsleute, die im Grunde genommen ein ferngesteuertes Instrument der Regierung sind.
Von dem Ombudsmann von Nigeria, der erklärt, was er alles gemacht hat, weiß doch jeder Eingeweihte, daß er in seinen Entscheidungen überhaupt nicht frei ist.
In anderen Ländern gibt es andere historische Entwicklungen. Deshalb hat das Europäische Parlament eine solche Regelung getroffen, allerdings ganz eng auf europäisches Recht beschränkt.
Ich kann einfach nicht nachvollziehen, daß die Arbeit des Petitionsausschusses qualitativ besser werden könnte, wenn das jetzt eine Bürgerbeauftragte macht.
Ich nenne andere Beispiele aus der Begründung. Wir überweisen viele Petitionen nach § 109 an die Ausschüsse mit der Maßgabe, daß die Fachausschüsse dann, wenn eine Petition ein Thema beinhaltet, das in den Fachausschüssen beraten wird, eine Stellungnahme abgeben.
In der Begründung steht nun, daß eine Bürgerbeauftragte an den Sitzungen teilnimmt, Einfluß geltend macht und der Fachausschuß dadurch eine bessere Antwort gibt. Ich kann dem nicht folgen. Ich bin der Meinung, daß wir die Befugnisse des Ausschusses überdenken sollten, auch das Selbstaufgriffsrecht.
Wenn wir das nicht haben, es aber brauchen, was mir gefiele, dann sollten wir uns doch verständigen, ob wir es nicht einführen,
anstatt eine andere Konstruktion zu suchen.
Es gibt also eine Vielzahl von Gründen. Sie stimmen mich deshalb ärgerlich, weil ich zwar in den Diskussionen über den Jahresbericht des Petitionsausschusses immer wieder höre, wie gut, wie sinnvoll, wie wichtig die Arbeit des Petitionsausschusses ist, aber in der Begründung zu diesem Entwurf immer wieder darauf hingewiesen wird, daß der Petitionsausschuß das alles nicht leisten kann.
Besonders ärgert es mich, Frau Nickels, daß dort steht, der Petitionsausschuß müsse langwierige Rückfragen stellen, und dies sei nachteilig, wenn eine schnelle Reaktion auf Behördenhandeln nötig ist. Über die Mitglieder des Petitionsausschusses heißt es dann noch in der Begründung, es handele sich meistens um Abgeordnete, die dort im Ausschuß als Abgeordnetenlehrlinge beginnen
und noch mit anderen Arbeiten überhäuft seien. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Fast alle Mitglieder der Regierung Kohl waren irgendwann einmal Mitglied im Petitionsausschuß. Bei denjenigen, die nicht dabei waren, merkt man es an ihrer Arbeit, daß ein Defizit vorhanden ist.
Meiner Meinung nach sollten solche Gründe nicht dafür herhalten müssen, das Amt einer Bürgerbeauftragten einzuführen. Aber ich habe meine Meinungsbildung nicht abgeschlossen. Ich will gerne mit mir darüber diskutieren lassen, wie es gelingen kann, das alles zu verbessern. Aber dann sollte man einmal überdenken, ob diese Begründung so im Raume stehenbleiben kann.
Ich lese da auch etwas heraus, was von Ihnen sicher nicht beabsichtigt ist, nämlich eine Antihaltung gegenüber dem Parlament.
Es scheint immer so, als sei eine Einzelperson in der Lage, das alles viel besser zu machen. Ich neige dazu, demgegenüber festzustellen, daß der Petitionsausschuß in der Vergangenheit hervorragende Arbeit geleistet hat.