Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einbringung unserer drei Gesetzentwürfe zu einer Reform des Petitionsrechts betreten wir kein Neuland. Das sind auch keine Entwürfe, die sozusagen allein auf grünem Boden gewachsen sind. Vielmehr sind sie fest verwurzelt in einer langjährigen Debatte zur Reform des Petitionsrechts, die einen ihrer Höhepunkte 1975 hatte, und zwar sowohl hier im Deutschen Bundestag als auch in einigen Bundesländern, damals besonders in Rheinland-Pfalz.
Mit der Genehmigung des Präsidenten möchte ich den heutigen Bundeskanzler und damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz zitieren, der sehr schön einen der wichtigsten Punkte, die wir heute für den Bundestag vorschlagen, damals in Rheinland-Pfalz wie folgt begründet hat - ich zitiere den damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl -:
Der Bürger sieht sich einem Staatsapparat gegenüber, der naturgemäß bürokratisch organisiert ist. Kennzeichnend für eine Bürokratie sind formelle und generelle Regelungen und damit eine hohe Formalisierung von fachmännisch gesteuerten Arbeitsabläufen. Verwaltung vollzieht sich daher in der Regel schriftlich, Probleme werden zu einem Fall, menschliche Schicksale gerinnen zu einer Akte ...
Verwaltung orientiert sich daher an Zuständigkeiten, an bestimmten Funktionen, den ihnen entsprechenden Verfahren, an abstrakten und konkreten Anweisungen „von oben". Selbst die örtliche Verwaltung wirkt so für den Bürger als Teil eines größeren, nicht durchschaubaren Systems ...
Nicht gewollt ist, wenn immer neue Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Verfügungen und Ausführungsbestimmungen die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen in ihren verschiedenen Lebensbereichen und die Dynamik der Wirtschaft zu behindern drohen.
Der Bürokratisierung der Verwaltung darf auch nicht eine bürokratische Politik folgen, in welcher die Verwaltung immer mehr die Vorgaben bestimmt. Der Bürger muß in die Lage versetzt werden, das staatliche Handeln zu verstehen. Der Staat darf ihm nicht unpersönlich und fremd gegenüberstehen. Denn von einem Bürger, der sich als Objekt der staatlichen oder kommunalen Verwaltung fühlt, wird man nicht Gemeinsinn und die Verantwortung für das Ganze erwarten können, die Voraussetzungen für einen lebendigen demokratischen Staat sind.
Die Schaffung des Amtes eines Bürgerbeauftragten mit seiner Doppelfunktion als Hilfsorgan parlamentarischer Kontrolle sowie als persönlich ansprechbare, außerhalb der Exekutive agierende Vermittlungsstelle zwischen Verwaltung und Bürger sollte die parlamentarische Kontrolle verstärken, zugleich das Vertrauen der Bürger in unseren Verwaltungsstaat stärken und damit das Mißtrauen gegenüber der Bürokratie abbauen ...
Es ist lange diskutiert worden,
fügte der damalige Ministerpräsident weiter hinzu,
ob diese Aufgabe nicht auch vom Petitionsausschuß übernommen werden könnte. Als entscheidender Vorteil einer Beauftragten-Lösung wurde angesehen, daß die Aufgabenstellung und das
Christa Nickels
Amt personifiziert werden. Wenn der Anonymität des Verwaltungsapparates entgegengewirkt werden soll, so ist hierfür am besten eine Persönlichkeit geeignet, die das Vertrauen der Bürger besitzt, an die sich der Bürger persönlich wenden kann und die im unmittelbaren Kontakt zu den zuständigen Verwaltungsstellen dem Bürger zu helfen vermag ...
Der Bürgerbeauftragte praktiziert damit Bürgernähe in ihrem ursprünglichen Sinn.
Ich finde, das hatte damals in Rheinland-Pfalz Gültigkeit und ist heute genauso richtig und wäre wirklich geeignet, umgesetzt zu werden. Sie dürfen also ruhig klatschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der damalige Ministerpräsident hat hier nicht nur geredet, er hat gleich Nägel mit Köpfen gemacht und dieses Doppelmodell in Rheinland-Pfalz etabliert. Das System hat jetzt 23 Jahre Erfahrung aufzuweisen. So, wie wir es in unserem Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Bürgerbeauftragten des Deutschen Bundestages vorsehen, ist der Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz als Hilfsorgan des Parlaments dem bestehenden Petitionsausschuß zugeordnet.
Nach mittlerweile 23jähriger Tätigkeit dieser Institution ist die Bilanz eindeutig positiv. Wie mir der jetzige Bürgerbeauftragte Ullrich Galle - es ist übrigens ein ehemaliger sozialdemokratischer Landesminister; hier sind wirklich die Einschätzungen fraktions- und parteiübergreifend ähnlich - auf einer Veranstaltung unserer Fraktion zur Reform des Petitionsrechtes sagte: Das Doppelmodell von Bürgerbeauftragtem und Petitionsausschuß habe sich eindeutig in 23 Jahren bewährt.
Von der anfänglichen Angst, daß nun ein Kleinkrieg zwischen Bürgerbeauftragtem und dem Petitionsausschuß ausbrechen könnte, hat sich nichts, aber auch gar nichts bestätigt, im Gegenteil, um es mit den Worten von Ullrich Galle zu sagen:
Jeder Erfolg, den der Bürgerbeauftragte erreicht, ist ein Erfolg des Petitionsausschusses, und jeder Erfolg, den der Petitionsausschuß erzielt, ist gleichsam ein Erfolg des Bürgerbeauftragten.
Ullrich Galle wünscht sich auf jeden Fall sehr, daß dieses Doppelmodell und unser vorgelegter Gesetzentwurf auch im Deutschen Bundestag Wirklichkeit wird.
Jetzt kommen immer die Argumente und Einwendungen, für ein kleines Bundesland sei das vielleicht machbar, aber es sei nicht auf den Bund übertragbar. Diejenigen, die diese Einwendungen machen, möchte ich darauf hinweisen, daß seit 1995 auf europäischer Ebene dem Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments auf seinen ausdrücklichen eigenen Wunsch ein Bürgerbeauftragter zugeordnet wurde. Diese beiden Institutionen arbeiten seit zwei Jahren im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Europas gut zusammen.
Wir befinden uns mit unserem Gesetzentwurf zur Bürgerbeauftragten in bester Gesellschaft: Im Auftrag der UNESCO und der Europäischen Union arbeiten zur Zeit 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem Modell für ein Ombudsmanngesetz. Weltweit ist man bemüht, die Kommunikation zwischen Parlament, Verwaltung und Bürgerinnen durch die Stärkung des Petitionsrechts und die Etablierung von Bürgerbeauftragten zu verbessern. So haben bereits mehr als 70 Staaten die Idee des Ombudsmanns als Hüter von Bürgerinnenrechten und Instrument der Verwaltungskontrolle, zumeist auf gesamtstaatlicher Ebene, aufgegriffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Zeit der einzige größere Staat Europas, der auf die Einführung eines personifizierten parlamentarischen Kontrollorgans im Bund und in 13 von 16 Bundesländern verzichtet hat. Nur in Luxemburg und der Tschechischen Republik gibt es ebenfalls keine Bürgerbeauftragten.