Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rauen, Sie und Ihre Freunde begreifen einfach nicht, daß es hier um den Grundsatz der Gerechtigkeit geht, der dank Ihrer Politik in diesem Land unter die Räder gekommen ist. Das hat mit Neid überhaupt nichts zu tun. Das ist vielmehr ein Grundsatz, der in einem Sozialstaat einer Volkspartei, die Sie ja noch sein wollen, gut anstände.
Die bisherige Diskussion um die sogenannte Steuerreform hat zumindest eines sehr deutlich gemacht: Es besteht Klarheit über die Alternativen; die Unterschiede zwischen den Konzepten sind deutlich.
Die Regierung Kohl verspricht, allein in den Jahren 1999 bis 2001 die Steuern um 160 Milliarden DM zu senken, ohne auch nur eine einzige plausible Erklärung dafür zu liefern, wie dieser gewaltige Steuerausfall finanziert werden kann. Ein solcher Vorschlag ist angesichts der Finanzkrise unseres Staates kein Steuerkonzept. Er ist eine Zumutung.
Deswegen ist um so verständlicher, daß die Ministerpräsidenten gestern abend beschlossen haben, von der Bundesregierung Auskunft zu fordern, wie sich diese Steuerausfälle auf die Länderhaushalte auswirken. Das wurde auch von Herrn Stoiber und den anderen Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder beschlossen.
Die erneuten Steuergeschenke, die Herr Waigel machen will, haben die gleiche Adresse wie die Steuergeschenke vom letzten Jahr. Wie bei der Abschaffung der Vermögensteuer sollen auch diesmal die Einkommensmillionäre und Spitzenverdiener mit
Zigtausenden und Hunderttausenden Mark reich beschenkt werden.
Ich kann gut nachvollziehen, daß angesichts der tiefen sozialen Einschnitte, die diese Bundesregierung zu verantworten hat, und angesichts der großen Steuergeschenke für die Reichen unseres Landes selbst einige Unionsabgeordnete sich fragen, ob sie sich überhaupt noch Volkspartei nennen dürfen. Wer die Vermögensteuer beseitigt, gleichzeitig die Gewerbekapitalsteuer abschaffen will und dann zusätzlich den Spitzensteuersatz für private Einkünfte auf 39 Prozent zu senken bereit ist, hat jedes vernünftige Maß für Verteilungsgerechtigkeit verloren und sollte nicht mehr behaupten, einer Volkspartei anzugehören.
- Herr Kollege, die „blühenden Landschaften" lassen zwar noch immer auf sich warten, aber zumindest für Vermögende ist die Steuerlandschaft paradiesisch geworden.
Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben die private Vermögensteuer abgeschafft: Damit haben Sie zu verantworten, daß in der Besteuerungspraxis gegen den Verfassungsgrundsatz der Sozialverpflichtung des Eigentums verstoßen wird. Nicht nur daß Sie unserem Staat in seiner schlimmsten Finanzkrise damit wichtige Einnahmen entziehen, nein, Sie rütteln mit Ihrem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes sogar an den Fundamenten unseres Sozialstaates.
Ich befürchte, Sie nehmen gar nicht wahr, wie sehr Sie damit die Verfassungswirklichkeit unseres Sozialstaates verändern. Politik für das Volk in seiner Gesamtheit ist das jedenfalls nicht. Es ist die Abkehr von wichtigen Normen und Prinzipien einer Volkspartei.
Politik für das Volk bedeutet heute in erster Linie Politik gegen die Massenarbeitslosigkeit. Auf dieses Ziel muß auch Steuerpolitik zwingend ausgerichtet sein. Steuersenkungen für Arbeitnehmer und Familien fordert deswegen die SPD bereits zum 1. Januar 1998. Wir brauchen mehr Wachstum bei der Konjunktur und auf dem Arbeitsmarkt.
Die Union und die F.D.P. planen eine Entlastung der Spitzensteuersätze. Eines ist völlig klar: Dies ist keine Hilfe im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ich wiederhole und unterstreiche: Die steuerliche Entlastung von Spitzenverdienern ist weder sozial gerecht, noch ist sie eine Hilfe gegen die Arbeitslosigkeit.
Das Mittel der Steuersenkung gegen die Arbeitslosigkeit hat natürlich nur begrenzten Erfolg. Das Problem der Arbeitslosigkeit ist, daß sie den Abstieg von immer mehr Menschen in Gang setzt. Wenn sich im-
Ludwig Eich
mer mehr Menschen auf der Verliererseite befinden, dann frage ich: Wo stehen denn dann die Gewinner? Die Arbeitslosigkeit ist unser zentrales Problem. Der Erfolg oder Nichterfolg im Umgang mit diesem Problem entscheidet über den Bestand unserer Demokratie.
Angesichts der existentiellen Bedeutung, Arbeitsplätze für die vielen Millionen arbeitslosen Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, ist es zwingend erforderlich, daß diese Regierung endlich auf die Forderung der SPD eingeht, die Abgaben zu senken, um damit Arbeit zu ermöglichen.
Sagen Sie doch endlich der Öffentlichkeit, ob Sie über das hinaus, was Sie auf Ihrem sogenannten kleinen Parteitag beschlossen haben, dazu bereit sind!
Meine Damen und Herren von der Union und der F.D.P.: Es ist Zeit, daß Sie zu den sozialstaatlichen Prinzipien unserer Verfassung zurückkehren. Für die CDU/CSU ist es höchste Zeit, wahrzunehmen, daß sie dabei ist, den Prinzipien einer Volkspartei den Rücken zu kehren.
Eine Volkspartei muß bereit sein, Arbeitnehmer und Familien steuerlich zu entlasten. Es gehört nicht zu den Prinzipien einer Volkspartei, ständig zu Lasten der Normalverdiener Steuergeschenke an Spitzenverdiener und Vermögende zu machen.
Eine Volkspartei darf nicht dazu bereit sein, in der größten Finanz- und Schuldenkrise unseres Staates durch große ungedeckte Steuerausfälle die Schuldenprobleme unserer Kinder und Kindeskinder noch dramatischer zu verschärfen.
Schließlich, verehrte Damen und Herren von CDU und CSU: Eine Volkspartei rüttelt nicht an unserem Verfassungsgrundsatz, daß das Eigentum dem Gemeinwohl zu dienen hat.
Die Menschen in unserem Land brauchen Hoffnung und Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft. Statt dessen wird jeden Tag die Zukunft für viele Menschen in Frage gestellt. Die sogenannten Sanierer und Rationalisierer beherrschen die Szene, und sie können sich auf die Politik dieser Regierung verlassen.
Sie, die CDU/CSU, schaffen das Klima und die Voraussetzung für unversteuerte große Gewinne aus Vermögen und gleichzeitig für ungebremsten sozialen Abstieg. Auf eine solche Politik vertrauen die Crommes in unserem Land und leider auch einige Banken. Deshalb leben wir in einer Zeit der „feindlichen Übernahme" und der sozialen Feindseligkeit.
Der soziale Friede wird vertrieben, meine Damen und Herren. Die Union muß sich entscheiden, ob sie bereit ist, den sozialen Frieden wiederherzustellen. Für eine Volkspartei, jedenfalls für die SPD, ist dies keine Frage. Es ist Zeit, daß Sie sich entscheiden; Sie müssen sich jetzt entscheiden.
Vielen Dank.