Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es nötigt mir schon fast Bewunderung ab, mit welcher Unverfrorenheit Herr Waigel, aber auch die anderen Rednerinnen und Redner der Regierungskoalition sich hier hinstellen und verkaufen: Jetzt geht es los mit der großen Steuerreform. Frau Frick beklagte eben auch noch die Steuerverdrossenheit innerhalb der Bevölkerung. Nun fragt man sich wirklich wieder einmal: Wer ist denn seit 1982 an der Regierung, und wer macht denn seit dieser Zeit Finanz- und Steuerpolitik?
Herr Waigel verkauft seine Steuerreform unter der Überschrift „Für mehr Wachstum und Beschäftigung" . Eine tolle Überschrift! Aber wenn man nur einmal die in der Zeit seit 1990 in loser Folge vorgelegten Steuerreformvorschläge betrachtet, so sieht man, daß sie ausschließlich zur Entlastung ertragsstarker Unternehmen und Besserverdienender dienten. Ausgewiesenes Ziel - so schon bei dem unrühmlichen Sparpaket vom vergangenen Jahr - soll dabei stets die Förderung von Investitionen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Der Herr Bundeskanzler will die Beschäftigungsquote bis zum Jahre 2000 tatsächlich wieder erhöhen. Aber ich glaube, er hat wirklich den Boden der Realität verloren, aber nicht mehr, obwohl ihm der „Spiegel" das noch zuerkennt, ein gewisses Gefühl für dieses Land.
1990: Senkung des Spitzensteuersatzes von 56 Prozent auf 53 Prozent. Damit erfolgte der Verzicht auf eine steuerliche Einnahme von 1,2 Milliarden DM pro Jahr. Gleichzeitig wurde die Senkung des Körperschaftssteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 56 Prozent auf 50 Prozent beschlossen. Mindereinnahme: 2,6 Milliarden DM. Dem stand eine Arbeitslosenquote in Westdeutschland von 7 Prozent und in den neuen Bundesländern von 10 Prozent gegenüber.
1992: Erhöhung des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer für Einzelunternehmen und Personengesellschaften. Jährliche Mindereinnahme:
Dr. Barbara Höll
2,3 Milliarden DM. Die Arbeitslosenrate stieg auf 8,5 Prozent.
1994: Umsetzung des sogenannten Standortsicherungsgesetzes. Ab 1. Januar 1994: Senkung der Ertragsteuersätze auf gewerbliche Einkünfte von 53 Prozent auf 47 Prozent. Jährliche Mindereinnahme: 3 Milliarden DM. Dann folgte in einem zweiten Schritt die Senkung des normalen Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 50 Prozent auf 45 Prozent. Zusätzliche Mindereinnahme: 3,5 Milliarden DM. Die Arbeitslosenrate stieg auf 10,6 Prozent.
Von 1992 bis 1994 gingen 720 000 Arbeitsplätze verloren - trotz Ihrer Steuermaßnahmen, die angeblich jeweils auch Arbeitsplätze schaffen sollten.
Für 1997 beschlossen Sie die Anhebung der Höchstbeträge der steuerfreien Rücklage auf 600 000 DM und die Abschaffung der Vermögensteuer. Steuerausfälle: mindestens 8 Milliarden DM. Im Februar ein neuer Rekord bei den Arbeitslosen: 4,7 Millionen Menschen - eine traurige Zahl - befinden sich offiziell in Arbeitslosigkeit. Sie wissen genau, daß es real mindestens 7 Millionen Menschen sind, denen Sie den Boden für ihre Existenz entziehen.
Zwischen 1994 und 1997 gingen mehr als eine Million Arbeitsplätze verloren, ein neuer Nachkriegsrekord. Die ständigen steuerpolitischen Zugeständnisse an Besserverdienende und Unternehmen haben nichts bewirkt. Ideenreichtum und Kreativität wurden, wie Sie, Frau Frick, sagten, zudem noch in Steuervermeidungsstrategien gelenkt. Ihre Politik ist Ausdruck von Hilflosigkeit, ist Ausdruck dafür, daß die angebotsorientierte Steuerpolitik des Herrn Waigel, die er seit Jahren praktiziert, eine Illusion ist und für die Menschen in unserem Lande, die Arbeit suchen und Arbeit brauchen, keine Wirkung hat.
Weder theoretisch noch empirisch läßt sich ein Steuerwunder belegen, nach dem die Unternehmen Arbeitsplätze schaffen, wenn sie nur weniger Steuern zahlen müssen.
Die Steuerentlastung für Unternehmen und Besserverdienende hat dazu geführt, daß der Anteil der Steuern aus Gewinnen am gesamten Steueraufkommen seit Ihrer Regierungszeit konsequent gesunken ist, daß also die Menschen, die abhängig beschäftigt sind, einen immer größeren Anteil am Gesamtsteueraufkommen tragen müssen und damit die Folgen Ihrer Politik immer mehr auf ihren Schultern abgeladen werden. Auch die hohe Staatsverschuldung muß von der Masse der Bevölkerung gezahlt werden.
Einziges Ergebnis dieser Politik ist, daß die Gewinne der ertragsstarken Unternehmen überschäumen, während sie im selben Atemzug Beschäftigung abbauen. Wenn man die Jahresberichte, die Bilanzen des vergangenen Jahres liest, kann man dafür verschiedenste Beispiele anführen. Ich nenne nur eines, die Henkel-Gruppe: Der Jahresüberschuß stieg 1996 um 6 Prozent auf 515 Millionen DM. Parallel dazu wurden 400 000 Arbeitsplätze abgebaut, und der Geschäftsführer verkündete: Dies wird sich bis zum Jahresende fortsetzen.
Wir erleben eine traurige Zeit der Rekorde: Noch nie nach dem Krieg gab es eine so hohe Arbeitslosigkeit. Noch nie gab es eine solch hohe Zahl von Konkursen kleiner und mittelständischer Unternehmen. Noch nie hatten große ertragsstarke Unternehmen solch hohe Gewinne.
Aber anstatt daraus zu lernen, legt die Regierung einen Gesetzentwurf vor, der die verfehlte Steuersubventionspolitik für Unternehmen fortschreibt und keinen Anreiz, auch nicht in geringstem Maße, zur Umgestaltung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes bietet.
Ab 1998 - ich nenne nur einige Beispiele - soll der Höchststeuersatz der Einkommensteuer für gewerbliche Einkünfte noch einmal von 47 Prozent auf 40 Prozent gesenkt werden, im Jahre 1999 - so das erklärte Ziel - dann auf 35 Prozent. Die Körperschaftsteuer soll für einbehaltene Gewinne 40 statt 45 Prozent, für ausgeschüttete Gewinne 28 statt 30 Prozent betragen.
Nicht nur, daß das alles undifferenzierte Regelungen sind, die eben nicht dazu führen werden, kleine und mittelständische Unternehmen zu entlasten. Sie schreiben eine Gießkannenpolitik fort, die gerade Großunternehmen entlastet. Sie treiben wirklich Schindluder mit den Staatsfinanzen; das wurde schon ausführlich dargelegt. Ich frage mich, ob jemand von Ihnen privat so wirtschaften könnte.
Im Konzept der Regierung ist trotz aller Willensbekundungen nicht eine strategische Orientierung, kein ernsthafter Ansatz zur Lösung der Probleme zu erkennen. Eine sinnvolle Unternehmensförderung bedeutet für die PDS, die steuerlichen Vergünstigungen, die nachweislich keine Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung haben, zu streichen und den daraus resultierenden Finanzspielraum für eine direkte Förderpolitik einzusetzen.
Vorschläge dazu liegen genügend vor: die Zusammenführung bisheriger Gemeinschaftsaufgaben und arbeitsmarktpolitischer Instrumente zu einer neuen Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe, die Verbesserung der regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur, Fort- und Weiterbildung für Existenzgründer, Eigenkapitalhilfeprogramme, die öffentliche Förderung von Wirtschaftstätigkeit nur noch über zentrale Förderinstitute der Bundesländer. Wenn man das macht, erübrigen sich zahlreiche Freibeträge und Steuerermäßigungen für Unternehmen.
Die Steuerpolitiker haben in der Diskussion um das Reformkonzept ein neues Unwort erfunden, wie Herr Hans Mundorf im „Handelsblatt" im Februar feststellte: Privateinkommen. Damit sind alle Einkunftsarten gemeint, die nicht gewerbliche Einkünfte sind. Gewerbliche Einkünfte sind die moralisch besseren, weil nützlichen, da sie arbeitsplatzschaffend wirken.
Da fragt man sich natürlich: Wo ist der Steuersachverstand der Regierungskoalition geblieben? Haben
Dr. Barbara Höll
Sie die Freiberufler völlig vergessen, die eine Gruppe der Bevölkerung darstellen, die immerhin 1,7 Millionen Menschen und 170 000 Lehrlinge beschäftigt? Das führt das Argument der Regierung ad absurdum.
Ist Ihnen wirklich nicht aufgefallen, daß die Senkung des Spitzensteuersatzes für gewerbliche Einkünfte, die Sie schon die ganze Zeit verfolgen und 1993 durchgesetzt haben, nicht zur Senkung der Arbeitslosenzahl geführt hat?
Ich frage mich wirklich, mit welcher Begründung, Frau Frick, Sie sagen: Wir müssen die legalen und halblegalen Steuervermeidungsquellen beseitigen, und wenn wir das schaffen - aber nur dann -, können wir den Spitzensteuersatz vielleicht so beibehalten. Mit welcher Begründung denn? Kriminelle Energie wurde durch die Gesetzgebung gefördert.
- Aber halbkriminell. Auch die halblegalen Steuervermeidungsmöglichkeiten würden durch die Gesetzgebung gefördert. Nachdem sie nun so weit heruntergedrückt werden, sagen Sie: Jetzt muß das bei Gott so beibehalten werden. Ich denke, das ist genau das Falsche.
Die PDS wird sich in dieser Steuerdiskussion natürlich aktiv einbringen. Wir werden ein Steuerkonzept vorlegen, das einen solchen Namen tatsächlich verdient. Das erste wichtigste Prinzip ist hierbei wieder die Umsetzung der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das beinhaltet als erstes und Wichtigstes, das Existenzminimum eines jeden Menschen von der Einkommensteuer tatsächlich freizustellen. Das muß in einer Größenordnung von mindestens 17 000 DM pro Jahr sein.
Wir sind gegen einen Tarifverlauf, wie Sie ihn mit einem Sprung noch unter 20 000 DM haben. Vielmehr sagen wir, daß wir einen etwas höheren Eingangssteuersatz wollen, aber einen Tarifverlauf, der dann auch zu einer konsequenten Entlastung führt.
Wir sind für eine Entdiskriminierung des Steuerrechtes und für eine Familienförderung, die diesen Namen auch verdient. Das setzt ein Kindergeld für jedes Kind in Höhe von mindestens 300 DM voraus.
Wir sind für eine ganz gezielte Wirtschaftsförderung. Diese muß zum großen Teil außerhalb des Einkommensteuerrechtes liegen. Wir sind dafür, eine solide Haushaltspolitik zu machen und deshalb im wesentlichen die Steuerreform im Einkommensteuerrecht gegenzufinanzieren. Wenn dies geschieht, haben wir gleichzeitig ein einfacheres, verständlicheres, transparentes und sozial gerechtes Steuersystem.
Ich bedanke mich.