Rede von
Christine
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf eines Steuerreformgesetzes enthält viel Gutes; das muß man konstatieren. Er enthält auch einiges Neues. Aber das Gute ist zum Großteil nicht neu, und das Neue ist nicht gut.
Gut ist, daß Sie sich endlich einmal an den Abbau von Steuervergünstigungen und Steuersubventio-
Christine Scheel
nen herangewagt haben. Aber in den letzten Tagen - Herr Glos, Sie nicken so nett -
ist immer dann, wenn Sie in diesem Steuersystem eine Vergünstigung gestrichen haben, am darauffolgenden Tag eine Pressemitteilung gekommen, in der es hieß, daß es doch wieder anders ist. Auch Sie arbeiten - das ist im Zusammenhang mit der F.D.P. zu sehen und war gerade in den letzten Tagen festzustellen - sehr stark an der Rückgabe von Vergünstigungen. Die F.D.P. wünscht, daß zum Beispiel Abfindungen und Erlöse aus Firmenverkäufen, Herr Waigel, weitere zwei Jahre nur mit 26,5 Prozent besteuert werden. Hierbei geht es nicht, wie Frau Frick gestern in einer Pressemitteilung geschrieben hat, darum, daß die Abfindungen kleiner Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen besteuert werden sollen - für sie gibt es Freibeträge -, sondern es geht um außerordentliche Einkünfte, zum Beispiel von Fußballstars, in Größenordnungen von bis zu 30 Millionen DM. Bezieher solch hoher Einkommen müssen als Steuerzahler einen entsprechenden Beitrag zum Allgemeinwohl leisten.
Neu ist, daß die Haushaltslücke - wir haben bislang immer von 44 Milliarden DM gesprochen - für 1999 mittlerweile auf 56 Milliarden DM geschätzt wird. Trotz dieses Anwachsens hat die Bundesregierung keine solide Gegenfinanzierung vorgelegt. Sie haben die Bemessungsgrundlage nicht erweitert. Sie versprechen nach wie vor eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM, wobei wir glauben, daß dies Betrug am Bürger ist; denn Sie nehmen es an einer anderen Stelle wieder weg. Angesichts der zusätzlich zu erwartenden Haushaltsrisiken in den nächsten Jahren ist dies eine unverantwortliche Politik, die Bündnis 90/Die Grünen so nicht akzeptieren wird und der wir einen erbitterten Widerstand entgegensetzen werden.
Herr Waigel hat von Verantwortung gesprochen. Er hat wörtlich gesagt: Dieser Verantwortung müssen wir uns bewußt sein. - Aber diese Haushaltseinbußen, um die es auch geht, können nicht verkraftet werden. Denn: Sie bedeuten erstens Neuverschuldung. - Dies geht nicht, weil es den europäischen Integrationsprozeß gefährdet. - Sie würden zweitens Sparmaßnahmen in einem gigantischen Ausmaß bedeuten, wodurch beispielsweise weniger für Forschungsförderung, weniger für Innovation getan werden könnte und letztendlich unter dem Strich weniger für das soziale Netz übrigbliebe. - Dies ist ein ganz klassisches Konjunkturvernichtungsprogramm, das Sie hier aufgelegt haben.
Die Haushaltseinbußen können drittens bedeuten, daß Sie Steuererhöhungen machen.
Es ist doch nicht wahr, daß es nur eine Deckungslücke von 15 Milliarden DM gibt, von der Sie hier reden. In Wirklichkeit sind es mittlerweile 56 Milliarden DM. Das heißt: Wenn wir die über Mehrwertsteuererhöhung oder Mineralölsteuererhöhung - diesen Weg haben Sie unter anderem vorgeschlagen - gegenfinanzieren würden, dann würde dies eine um 4 Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer oder eine um 80 Pfennig höhere Mineralölsteuer bedeuten.
Weil von Ihrer Seite immer wieder Zahlen in den Ring geworfen werden und täglich neue Berechnungen irgendwo angestellt werden, möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang einmal kurz aus einem Brief zitieren, den ich gestern in meiner Funktion als finanzpolitische Sprecherin der Fraktion von einem sehr an der Tagespolitik interessierten Bürger aus diesem Lande erhalten habe. Ich zitiere ihn:
Ist es Methode oder Wahnsinn, wie hier dem Bürger das Chaos der deutschen Finanzpolitik mit ständig neuen Zahlen vorgeführt wird? Das Zahlenwirrwarr belegt: Die Regierung hat keine Steuerungskompetenz in der Finanzpolitik mehr. Doch das weitaus Beunruhigendere ist, das Vertrauen in den Staat als ganzen geht verloren. Wenn keine auch für den Bürger transparenten Zahlen und Konzepte vorgelegt werden, bleiben für ihn zwei Konsequenzen: Resignation oder Auflehnung. Beides dürfte nicht im Sinne der Demokratie und des Gemeinwohles sein.
Welche Rolle spielen hier die Grünen? Die Grünen sind die einzige Oppositionspartei, die dem Bürger jetzt reinen Wein über die Finanzsituation in unserem Gemeinwesen einschenken könnte.
Ich sage Ihnen: Dieser Bürger hat recht.
Ich habe Herrn Waigel - ich weiß nicht, wohin er jetzt schon wieder entschwunden ist - vor einiger Zeit schon darauf aufmerksam gemacht, daß das Manna nicht vom Himmel fällt und daß er - wie wir wissen - keine Gelddruckmaschine im Keller hat. Wenn wir eine verantwortungsvolle Finanzpolitik in diesem Lande machen wollen, drängt sich aus diesem Grunde die Frage auf, wie die steuerlichen Ausfälle für die Länder und für die Kommunen - also ihre Mindereinnahmen an diesem verringerten Einkommensteueraufkommen - kompensiert werden sollen. Die Befürchtungen der Kommunen, daß ihnen die Steuerreform Milliardendefizite bescheren wird, sind sehr begründet. Die Ausfälle werden mit etwa 8,5 Milliarden DM beziffert. Ich glaube, das ist einigermaßen realistisch. Dies drückt die Kommunen noch weiter in den Abgrund. Dies ist eine verantwortungslose Politik, die Sie in diesem Zusammenhang betreiben!
Zur Länderpolitik, Herr Glos. Es ist so, daß Sie auch in diesem Bereich sehr lässig - wenn nicht sogar nachlässig - mit der Situation umgehen. Ich sage nur das Stichwort „Vermögensteuer" . Im Moment
Christine Scheel
geht es nicht um eine Bewertung, ob ich die Abschaffung gut oder schlecht finde - ich finde es schlecht, daß Sie sie abgeschafft haben -, sondern es geht um einen ganz anderen Punkt: Es geht darum, daß Sie die verfassungsgemäße Neuregelung der Vermögensteuer verhindert haben. Und es geht vor allem darum, daß Ihnen eine gewaltige Panne passiert ist.
Vor lauter Eile, die Vermögensteuer möglichst schnell abzuschaffen, haben Sie eine Übergangsregelung vergessen.
Es hat auch keine formelle Aufhebung dieser Steuer gegeben - das muß man hier auch feststellen -, mit der Sie die notwendigen Details für den Übergang hätten regeln können. Das hatte die Konsequenz: Es gibt kein Vermögensteuergesetz mehr. Damit fehlen die rechtlichen Grundlagen zur Veranlagung für die vergangenen Jahre. Wegen dieser Schlamperei werden sich die Vermögenden in diesem Land die Hände reiben. Wir aber haben für die Länder Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe zu verzeichnen.
Nun zu Ihrem jüngst aufgelegten Programm zur Investitionsförderung. Der größte Teil der Hilfen sind zinsverbilligte Kredite. Sie wissen aber genausogut wie wir, daß zur Zeit genug Geld im Sinne von Fremdkapital vorhanden ist, weil die Zinsen sehr niedrig sind. Das Problem sind somit die Rahmenbedingungen: Es handelt sich nämlich nicht um Risikokapital. Sie müßten aber etwas tun, um die Kultur der Selbständigkeit zu fördern. Statt dessen nehmen Sie Gelder aus der Rentenkasse und aus der Pflegeversicherung, um etwas aufzustocken, was zur Zeit im Prinzip steuerlich überhaupt nicht gefördert werden sollte.
Wir setzen uns dafür ein - das ist sicher kein Geheimnis -, daß Steuer- und Abgabenlast zusammen gesenkt werden. Was die Sozialabgabenbelastung betrifft, haben wir längst ein sehr praktikables Modell vorgelegt: Wir haben die Einführung der ökologisch-sozialen Steuerreform eingefordert, mit der wir die Lohnnebenkosten um 6 Prozentpunkte senken können. Ich möchte Sie noch einmal auffordern: Folgen Sie endlich unserem Vorschlag, anstatt unter einem ökologischen Deckmäntelchen die Mineralölsteuer ein bißchen zu erhöhen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, und gehen Sie endlich ernsthaft an die Senkung der Lohnnebenkosten heran!
Wie es jetzt aussieht, wird aus den Reformvorhaben ein Tischtuch, an dem - wie wir merken - alle reißen. Die größten Fetzen werden diejenigen mit den dicksten Ellenbogen nach Hause tragen. Das ist auch im Zusammenhang mit der Ungleichbehandlung von gewerblichen Einkünften und Arbeitslohn das Problem. Denn durch Ihre Vorschläge wird diese Ungleichbehandlung nicht aufgehoben. Warum soll denn ein angestellter Geschäftsführer einer GmbH mehr Steuern auf seinen Lohn bezahlen als ein Handwerksmeister, der in seinem Betrieb Geschäftsführer und Eigentümer zugleich ist? Das ist eine steuersystematische Ungleichbehandlung und aus sozialpolitischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Wir wollen eine gerechte Steuerreform.
Frau Hasselfeldt, wenn Sie die Vorschläge zur Tarifsenkung ansprechen und sagen, daß man Spitzensteuersatz, Durchschnittssteuersatz und Grenzsteuersatz nicht durcheinanderwerfen soll, dann antworte ich Ihnen: Nach Ihrem Entwurf liegt - nach der Grundtabelle - die durchschnittliche Entlastung für Ledige mit einem zu versteuernden Einkommen zwischen 50 000 und 90 000 DM bei rund 3,8 Prozent. Bei einem zu versteuernden Einkommen - der gleichen Kategorie - von 300 000 DM liegt die Entlastung bereits bei 10,5 Prozent. Daran kann man ganz klar ablesen, daß die soziale Symmetrie Ihrer Vorschläge nicht stimmt.
Grundsätzlich sind wir für die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten. Aber bei Ihren Vorschlägen, denen dieser Gedanke ursprünglich einmal zugrunde lag, sind manche - Ihren alten Zielen zum Trotz - gleicher und manche ungleicher. So wird zum Beispiel die Besteuerung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben nur für einige Betriebe auf Normalbesteuerung umgestellt; die anderen behalten ihre Steuervergünstigungen. Das ist Einzelhandelsgeschäften gegenüber ungerecht, die diese Vergünstigungen nicht haben und am Ende eines jeden Jahres ihre Steuererklärung abliefern müssen.
Es bleibt außerdem dabei, daß private Veräußerungsgewinne grundsätzlich - nach einer bestimmten Spekulationsfrist - steuerfrei sind.
Schließlich ist es für uns nach wie vor unglaublich, daß die Bundesregierung nicht von der steuerlichen Bevorzugung der Lebensform Ehe abgeht. Verheiratete werden im Vergleich zu Alleinerziehenden in ungerechter Weise von dieser Reform profitieren; denn die Bundesregierung will den Haushaltsfreibetrag, der die Ungerechtigkeit zwischen Familien mit zwei Elternteilen und denen mit nur einem Elternteil abmildern soll, nicht an das neue Existenzminimum anpassen. Das ist ein Riesenproblem; denn auf der einen Seite wird hier bei einem Spitzenverdiener, dessen Ehefrau nicht arbeiten geht, eine Steuerentlastung von 25 000 DM weiter vorangetrieben, während bei einer Alleinerziehenden dieser Lastenausgleich erst dann zu erreichen ist, wenn sie das 13. Kind in die Welt setzt. Ich glaube, daß das in der heutigen Zeit eher selten ist.
Wir brauchen erstens eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Wir brauchen ein einheitliches Kindergeld von 300 DM. Wir brauchen vor allen Dingen auch eine Steuerfreistellung von Vorsorgeleistungen. Wir brauchen eine Absenkung des Eingangssteuersatzes. 22,5 Prozent sind Ihr wahrer Eingangssteuersatz; das andere ist nur eine Unterstufe, die bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe - hier 18 000 DM - in Anspruch genommen wird. Der lineare Tarif beginnt erst bei 22,5 Prozent. Wir brau-
Christine Scheel
chen aber auch eine Absenkung des Spitzensteuersatzes.
Zweitens: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und Standortförderung. Klar ist, daß niedrigere nominale Steuersätze in der Einkommen- und Körperschaftsteuer das Investitionsklima für wirtschaftliche Aktivitäten in diesem Land und auch neue Arbeitsplätze fördern. Das konstatieren auch wir. Aber dies muß durch eine ökologisch-soziale Steuerreform ergänzt werden.
Drittens sind wir der Meinung, daß die Reform aufkommensneutral sein muß. Denn nur über eine wirkliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlage mit einer sauberen Gegenfinanzierung zur Tarifsenkung haben wir ein sauberes Steuermodell. Es darf keine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder ein weiteres unsoziales Sparpaket auf den Weg gebracht werden,
um die Tarifsenkung gegenzufinanzieren.
Abschließend: Gerechtigkeit und Transparenz. Gewerbliche und private Einkünfte müssen gleichbehandelt werden. Es ist für uns ganz wichtig - das ist das Wesentliche -: Verlieren Sie doch bitte schön nicht das aus den Augen, was im Moment im Vordergrund steht: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Vergessen Sie aus diesem Grund Ihr bisheriges ausschließliches Motto: Beati possidentes - glücklich die Besitzenden. Es gibt auch andere in diesem Land, an die wir denken müssen.
Vielen Dank.