Rede von
Rudolf
Scharping
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Steuerreform verdient ihren Namen nur, wenn sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beiträgt, wenn sie das Steuersystem einfacher und gerechter macht und wenn sie die Fähigkeit des Staates nicht ruiniert, für öffentliche Investitionen und damit für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen.
Alle diese Ziele verfehlen Ihre Vorschläge. Das Steuersystem wird nicht einfacher und gerechter. Im Gegenteil: Es wird in vielen Bereichen noch ungerechter. Ihre Vorschläge sind ungeeignet, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, vor allem weil Sie keinen Beitrag zur Bekämpfung unseres größten Problems leisten, nämlich einer zu schwachen Binnenkonjunktur. Wenn Ihre Vorschläge das Parlament und den Bundesrat unverändert passierten, würde
Rudolf Scharping
dies dazu führen, daß die öffentlichen Kassen ruiniert sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sozialdemokratie möchte folgendes erreichen: erstens eine durchgreifende Senkung der Lohnnebenkosten, zweitens eine Entlastung der wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft, drittens eine verbesserte Hilfe für die Familien und für die Kinder.
Im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten mache ich Sie auf folgendes aufmerksam: Nach einem einstimmigen Beschluß der Länderminister für Arbeit und Soziales betragen die versicherungsfremden Leistungen in der Renten- wie in der Arbeitslosenversicherung knapp 58 Milliarden DM. Sie sind durch einen Bundeszuschuß nicht gedeckt.
Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft und der wissenschaftlichen Institute muß man davon ausgehen, daß eine einprozentige Senkung der Lohnnebenkosten mit Hilfe der Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus der Renten- wie aus der Arbeitslosenversicherung etwa 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze schaffen hilft. Das bedeutet folgendes: Wenn der Beitrag zur Rentenversicherung um zirka 2 Prozentpunkte und der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ebenfalls um zirka 2 Prozentpunkte sinkt oder dieser Prozeß mit einem kräftigen Schritt eingeleitet wird, dann kann man erhoffen, daß auf der Seite der Arbeitsplätze jene Stabilität erreicht wird, die Sie auf der Seite der öffentlichen Kassen nicht mehr erreichen können.
Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch die Senkung der Lohnnebenkosten erfordert. Es gibt auch keinen Zweifel daran, daß diese Absenkung der Lohnnebenkosten durch Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen ein Gebot der Gerechtigkeit und vor allen Dingen ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft ist.
Es ist nicht verantwortbar, daß wir in Deutschland von allen OECD-Staaten, also von allen Industriestaaten auf der Erde, das am stärksten belasten, was wir am dringendsten brauchen, nämlich Arbeitseinkommen und Arbeitsplätze.
Ohne einen Einstieg in die Senkung der Lohnnebenkosten und ohne eine neue Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wird es keinen wirklichen Fortschritt geben. Warum sollte die Sozialdemokratie ihre Hand zu einem Konzept reichen, das seine reklamierten Ziele nicht erreicht, sondern das Gegenteil, während doch bessere Vorschläge auf dem Tisch liegen?
Ich sehe ein, daß in Ihren Reihen die Frage gestellt wird, ob eine andere Finanzierung versicherungsfremder Aufgaben nicht den Druck mindere, eine Modernisierung des Sozialstaates zu erreichen. Ich sehe ein, daß Sie große Schwierigkeiten haben, sich von dem historischen Fehler zu verabschieden, den Sie 1990 und 1991 begingen, als Sie die Finanzierung der deutschen Einheit im wesentlichen den Sozialkassen anlasteten, anstatt das fairerweise mit allen Steuerzahlern gemeinsam zu regeln.
Ich will Ihnen aber nicht zusätzlich erschweren, von diesem Fehler jetzt endlich herunterzukommen, und biete Ihnen für die SPD erneut an, schon zum 1. Juli 1997, also in der Mitte dieses Jahres, mindestens die Hälfte der versicherungsfremden Leistungen aus Renten- und Arbeitslosenversicherung zu entfernen, zu einer Entlastung der Arbeitsplätze und Arbeitseinkommen beizutragen und auf diese Weise ein erstes, für Deutschland entscheidendes Signal in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu geben.
Zweitens. Wir sind der Auffassung, daß die wirklichen Leistungsträger in Deutschland entlastet werden müssen. Dazu sind eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden, sowohl Ihrerseits wie auch seitens der Sozialdemokratie. Ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen: Wer ein solches Konzept verfolgt, der muß sich mit verschiedenen Fragen auseinandersetzen. Zu den ernsten Fragen gehört der Zustand der öffentlichen Haushalte. Niemals zuvor ist die Zukunft der Kinder, niemals zuvor ist die Leistungsfähigkeit künftiger Generationen so stark belastet, ja verfrühstückt worden wie mit Ihrer hemmungslosen Verschuldungspolitik.
Ich bedaure, das sagen zu müssen: Sie haben in dieser Frage haltlose Erwartungen, Illusionen geweckt. Ich behaupte, nein, ich befürchte - ich will es nicht erschweren -, daß Sie auch wußten, wie haltlos Ihre Erwartungen waren. 1994, unmittelbar vor Beginn des Bundestagswahlkampfes, haben Sie eine mittelfristige Finanzplanung veröffentlicht, die für 1996 eine Verschuldung des Bundeshaushaltes von 60 Milliarden DM, für 1997 von 43 Milliarden DM und für 1998 von 27 Milliarden DM vorsah.
Sie haben dem deutschen Volk suggeriert, daß mit Ihrer Politik die Verschuldung des Bundeshaushaltes auf eine nachhaltige Weise sinken werde. Tatsächlich betrug die Verschuldung des Bundeshaushaltes 1996 78,3 Milliarden DM. Tatsächlich geht das geplante Defizit für 1997 über Ihre Finanzplanung hinaus: Es beträgt nicht 43 Milliarden DM, sondern 56,5 Milliarden DM - bei weiter bestehenden Risiken von zusätzlich mindestens 15 Milliarden DM. 1998 beträgt das Defizit nach Ihren neueren Planungen zirka 70 Milliarden DM.
Rudolf Scharping
Meine Damen und Herren, für 1999 schlagen Sie uns jetzt ein Konzept vor, das von folgenden Eckpfeilern ausgeht: von einem Staatsdefizit, also einem Defizit aller öffentlichen Haushalte, von zirka 95 Milliarden DM, von Einnahmeausfällen durch Ihre sogenannten Reformgesetze von mindestens 55 Milliarden DM, von Ausfällen durch die Absenkung des Soli daritätszuschlages von vermutlich mindestens 8 Milliarden DM. Wer dem Deutschen Bundestag, wer dem deutschen Volk diese Explosion der öffentlichen Verschuldung vorschlägt, handelt mit Blick auf künftige Generationen und die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens unverantwortlich.
Sie können nicht erwarten, daß wir dem zustimmen. Sie können nicht erwarten, daß wir Ihre unverantwortliche Finanzpolitik noch zu bemänteln helfen. Sie können auch nicht erwarten, daß wir uns auf die eigenartige Arbeitsteilung einlassen, wonach Sie für die Steuersenkung und wir für die Finanzierung Ihrer Vorschläge zuständig sind.
- Lieber Kollege Rauen, ich bitte um Verständnis: Ich habe einige Schwierigkeiten mit meinem Hals und kann nicht so laut reden. Das ist in einer solchen Debatte vielleicht auch ungewollt wohltuend.
Herr Bundesfinanzminister, es wäre ein Akt der Offenheit gewesen, wenn Sie wenigstens hinzugefügt hätten, daß all Ihre schönen Vorschläge unausgesprochen zugleich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nach sich ziehen werden.
Ich weiß, daß Sie das vorhaben. Vor diesem Hintergrund sage ich: Sie können nicht erwarten, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion oder sonst irgend jemand aus den Reihen der Sozialdemokratie zustimmt in der Gewißheit, daß die Mehrwertsteuer erhöht wird, damit Einkommensmillionären eine Steuererleichterung von mindestens 120 000 DM im Jahr zugute kommen kann.
Wenn man drei Ziele verfolgt, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ein gerechtes und einfaches Steuersystem und Stabilität der öffentlichen Kassen, dann wird schon an den finanziellen Auswirkungen Ihrer Vorschläge überdeutlich: Das können Sie nicht ernst meinen. Sie können doch nicht ernsthaft vorschlagen, in den öffentlichen Kassen im Jahre 1999 ein Loch von 150 oder 160 Milliarden DM zu reißen. Wenn Sie das wirklich ernsthaft wollen, dann machen weitere Erörterungen wenig Sinn. Dann muß man sich im Parlament damit auseinandersetzen.
Ich sage Ihnen schon jetzt: Allein auf Grund dieses einen Punktes werden alle Ihre Vorschläge keine Chance haben. Es ist nämlich unverantwortlich,
160 Milliarden DM öffentliches Defizit in Kauf nehmen zu wollen. Das ist völlig unverantwortlich.
Nun heißt dies nicht, daß man nicht doch zu einer wirksamen, diesen drei Zielen gerecht werdenden Steuerreform kommen könnte. Ich will Ihnen dazu folgendes sagen: In der letzten Debatte hier hat Ihr Fraktionsvorsitzender davon gesprochen, man müsse jetzt mit der Entlastung bei den Unternehmen beginnen,
und es habe wenig Sinn, die Massenkaufkraft zu stärken, weil die Menschen dann nur öfter in die Karibik fliegen würden. Das war ein ebenso absurdes wie eigenartiges Argument; denn wenn der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in eine von globalen Wettbewerbsbedingungen geprägte Debatte plötzlich auf der Seite der Binnenkonjunktur ein fast nationalistisches Argument einführt,
dann ist das nicht sonderlich überzeugend.
Es fehlt überhaupt an der Konsistenz Ihrer Argumentation. Sie rühmen sich jetzt eines 25-MilliardenDM-Programms und daß es den öffentlichen Haushalt nichts kostet. Daran ist nur wahr, daß es ihn jetzt nichts kostet. Im übrigen werden Sie dann erleben, daß Sie mit diesem Programm auf eine Situation bei den Gemeinden und bei den Ländern treffen, in der dank Ihrer Finanzpolitik vermutlich die komplementären Mittel gar nicht mehr aufgebracht werden können. Das haben frühere Bundeswirtschaftsminister einmal die Zinsfalle genannt, in die Sie die öffentlichen Haushalte hineinmanövriert haben.
Im übrigen - auch darauf möchte ich aufmerksam machen -: Wer sich jetzt nach Jahren angebotsorientierter Politik rühmt, daß er die private Nachfrage nicht stärken will, plötzlich aber auf der öffentlichen Nachfrageseite mit einem milliardenschweren Programm doch etwas tun will, der signalisiert, daß er keine konsistente Position hat. Auf beiden Seiten muß die Nachfrage gestärkt werden.
Ich nehme das unausgesprochene Eingeständnis gerne zur Kenntnis, daß es einer klugen Mischung aus nachfrage- und angebotsorientierter Politik bedarf und daß diese kluge Mischung in den letzten Jahren Ihrer Politik gefehlt hat.
Nun lassen Sie mich ein paar kurze Bemerkungen im Zusammenhang mit den Maßnahmen machen, die nach unserer Auffassung getroffen werden sollten. Ich räume ein, daß im Zusammenhang mit der Unternehmensbesteuerung, über die wir heute in
Rudolf Scharping
einem ersten Schritt reden, ein offener Zielkonflikt besteht und daß man nicht einfach sagen kann, man entscheide das so oder anders und nur die eine Entscheidung sei richtig.
Sie schlagen vor, die Steuersätze sehr deutlich zu senken. Sie begründen das mit der Attraktion für ausländische Investoren. Inhalt Ihres Vorschlages ist aber zugleich, vor allen Dingen, wenn man die zweite Stufe berücksichtigt, daß sie zu einer drastischen Absenkung der Abschreibungssätze kommen wollen, was im Ergebnis bedeuten wird, daß die Investitionen in Deutschland, vor allem die Investitionen in Deutschland von Unternehmen mit Sitz in Deutschland, wesentlich unattraktiver werden, als sie heute sind. Das ist der Zielkonflikt.
Vor diesem Hintergrund sage ich, daß man mit einem bloßen und platten Setzen auf sehr niedrige Unternehmensteuersätze möglicherweise den einen Teil des Ziels erreicht, den anderen aber nicht. Wenn Ihnen an einer differenzierten Auseinandersetzung liegt - das sollte in einer solchen Debatte möglich sein -, dann werden Sie sicher auch verstehen, daß wir auf eine kluge Mischung beider Maßnahmen großen Wert legen; denn es darf nicht sein, daß der investierende Mittelständler mit wenig Absatz im Ausland und der Handwerksmeister mit Investitionen in Ausbildung und neue Produkte am Ende die Attraktivität der Ausschüttungssätze für Erträge bezahlen, die ins Ausland transferiert werden. Das darf nicht geschehen.
Deswegen wird es sehr darauf ankommen, ob nicht nur in diesem ersten Teil, den wir heute zu beraten beginnen, sondern generell im Rahmen der Steueränderungen auf die Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland geachtet wird und darauf, daß solche Maßnahmen nicht zu einer zusätzlichen Gefahr für Handwerk, Mittelstand und deren Investitionen werden. Denn sie brauchen wir wegen der Stabilität der Beschäftigung und der Qualität der Ausbildung.
Im übrigen: Wenn Sie erreichen wollen, daß die Sätze herunterkommen - an dem Ziel ist zunächst einmal nichts zu kritisieren; über den Umfang der Maßnahmen wird man intensiv miteinander reden müssen -, dann müssen auch ganz konsequent die Schlupflöcher geschlossen werden. Ich stelle fest, daß Ihre Vorschläge dazu unzureichend sind. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer hat einen umfangreichen Katalog vorgelegt, wie man das auf eine wirtschaftlich kluge und sehr konsequente Weise machen kann. Ich schlage Ihnen also erneut vor, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen.
Ich möchte Ihnen im Zusammenhang mit der Absenkung des Solidaritätszuschlages etwas sagen. Wenn Ihr Argument stimmen würde, daß es nicht zu einer Stärkung der Nachfrage kommen darf oder kommen muß, sondern daß es zunächst darauf ankommt, die Angebots-, die Investitionsseite zu stärken und die Attraktivität für ausländische Anleger zu steigern, dann mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Finanzpolitik auch an dieser Stelle völlig inkonsistent wird. Denn wieso senken Sie nachfrageorientiert und kaufkraftorientiert den Solidaritätszuschlag - was bestimmte Verteilungswirkungen hat, wie jeder weiß -, während Sie doch auf der anderen Seite bestreiten, daß es nachfrageorientierter Politik bedarf?
Deswegen füge ich hinzu, daß die Absenkung des Solidaritätszuschlages eher ein Geschenk an die F.D.P. und ihre Wählerinnen und Wähler ist,
aber mit kluger Finanzpolitik und mit verantwortlichem Umgang mit finanziellen Erwartungen und Zwängen des Staates und des Gemeinwesens nichts zu tun hat.
Wenn man schon eine Entlastung vornimmt, dann müßte sie woanders angesetzt werden. Neben der Nettoentlastung der Einkommen aus Arbeit und der Einkommen aus Unternehmenstätigkeit durch Senkung der Lohnnebenkosten und der Herausnahme von versicherungsfremden Leistungen wäre in einem zweiten Schritt - und zwar zum 1. Januar 1998 - erforderlich, jetzt vor allem die wirklichen Leistungsträger dieser Volkswirtschaft zu entlasten. Damit bin ich bei einem Punkt, der symbolisch aufzufassen ist, aber nicht für sich allein steht. Ich meine Ihren Vorschlag, die Zuschläge für die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zu besteuern, was ja in der zweiten Runde kommen wird. Sie wissen, daß in Deutschland etwa 7,5 Millionen Menschen regelmäßig sonntags, feiertags oder nachts arbeiten. Das tun sie wegen der Zwänge unserer Wirtschaft, wegen der Investitionsbedingungen, wegen langer Maschinenlaufzeiten, deren Ermöglichung wir alle immer gefordert haben, und wegen des intelligenten und flexiblen Einsatzes von Arbeitskraft; das tun sie in Bussen und Bahnen, in Krankenhäusern, bei der Polizei, auf Flugplätzen, in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie und an vielen anderen Stellen.
Wer diese ganze Bandbreite unserer Volkswirtschaft betrachtet, wird zu dem Ergebnis kommen, daß es nicht nur ein eigenartiger Widerspruch ist, auf die Erhebung der privaten Vermögensteuer zu verzichten und dann 2,2 Milliarden DM auf diese Weise wieder hereinholen zu wollen, sondern daß es auch ein eigenartiger Widerspruch ist, den Solidaritätszuschlag zu senken und gleichzeitig bei den von mir genann-
Rudolf Scharping
ten Menschen wieder Geld abholen zu wollen. Wir werden das unter keinen Umständen mitmachen.
Ich sage Ihnen das deshalb in dieser Deutlichkeit, weil jede Maßnahme, die nicht in das perspektivische Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hineinpaßt, die nicht in das Ziel der Belebung der Binnenkonjunktur hineinpaßt und die nicht in das Ziel eines gerechten und einfachen Steuersystems hineinpaßt, von uns nicht mitgestaltet und mitbeschlossen werden wird. Sie müssen das wissen, auch mit Blick auf - wie ich hoffe - immer noch mögliche weitere Gespräche. Sie sollten sich bitte keine Illusionen darüber machen, daß die Sozialdemokratie ein Konzept nicht mittragen wird, das letztlich einem ledigen Facharbeiter in einer mittleren Tarifgruppe in der chemischen Industrie oder der Metallindustrie 4 000 DM zusätzliche Belastungen auferlegt und denen, die es beschließen, Entlastungen zwischen 20 000 DM und 40 000 DM ermöglicht. Das werden wir nicht mitmachen.
Meine Damen und Herren, Sie haben für die zweite Stufe der Steuerreform eine niedrige Zone des Eingangssteuersatzes vorgeschlagen.
- Ich bin ziemlich sicher, daß Sie sich wieder beruhigen.
Sie haben in Ihren Vorschlägen einen Eingangssteuersatz von 22,5 Prozent vorgesehen, dem eine Stufe von 15 Prozent für die Einkommen bis etwa 18 000 DM vorgeschaltet ist. Meine Damen und Herren, das ist eine Idee, über die man reden kann, obwohl ein Eingangssteuersatz von unter 20 Prozent mit einem regelmäßigen Tarifverlauf wesentlich wünschenswerter wäre.
Ich will mich in dieser Frage aber nicht so sehr in technische Einzelheiten begeben, sondern auf ein politisches Prinzip aufmerksam machen. Dieser von Ihnen vorgeschlagene Tarifverlauf endet bei 39 Prozent, was Sie mit dem auch von unserer Seite gar nicht bestrittenen Zusammenhang verschiedener Spitzensteuersätze begründen.
An dieser Stelle muß ich Ihnen aber eines sagen: Sie werden nicht ernsthaft erwarten, daß wir ein Konzept mit den bekannten finanzwirtschaftlichen Effekten mittragen, das Sie im Ernst gar nicht verfolgen können - es sei denn, Sie nehmen die Pflichten Ihres Amtes nicht mehr ernst, was ich Ihnen nicht unterstelle -
und das am Ende nur dazu führen würde, Ihnen erneut eine propagandistische - argumentativ kann
man das leider nicht mehr nennen - Grundlage dafür
zu schaffen, wieder Ausgabekürzungen zu Lasten der Schwächeren dieser Gesellschaft vorzuschlagen.
Sie werden sicher auch nicht im Ernst erwarten, daß wir einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent mittragen - wegen des unbestrittenen Zusammenhangs mit den Spitzensteuersätzen der Körperschaftsteuer oder bei gewerblichen Erträgen -, der dazu führt, daß ein sehr gutes Facharbeitereinkommen - beispielsweise beste Tarifgruppe der chemischen Industrie - fast genauso hoch besteuert wird wie ein Spitzeneinkommen.
Niemand von uns neidet irgend jemandem sein Spitzeneinkommen.
Aber es bleibt wahr, daß - so ergab eine Untersuchung aus den 80er Jahren - die durchschnittliche Steuerleistung des obersten Fünftels der Einkommenspyramide, also des Fünftels mit den besten Einkommen, bei zirka 32 Prozent lag.
Meine Damen und Herren, wenn es nicht gelingt - auch das will ich Ihnen ausdrücklich anbieten -, die Senkung des Spitzensteuersatzes durch Streichung von Steuerschlupflöchern und meinetwegen durch Verringerung von Anreizen zur legalen Steuerverkürzung vollständig zu finanzieren, macht die Operation keinen Sinn, weder wirtschaftlich noch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten.
Noch etwas will ich Ihnen mit Blick auf weitere Gespräche sehr deutlich sagen. Ich habe den Eindruck, beide Seiten reklamieren Gesprächsbereitschaft. Das nehme ich ernst. Allerdings habe ich auch den Eindruck, daß Sie nicht verstanden haben, weshalb es nach sieben Stunden gemeinsamen Gespräches zu einer Unterbrechung kommen mußte.
Das hat nicht etwa nur mit der aufgeregten Situation im Umfeld der Demonstration der Bergleute zu tun.
Das hat nicht etwa nur mit Ihrer Provokation zu tun, Gespräche mit den Bergleuten bzw. ihrer Gewerkschaft abzusagen.
Das hat nicht etwa nur damit zu tun, daß es im Umgang von Parteien und im Umgang von Regierung und Opposition ein einmaliger Vorgang ist, daß Sie im Zusammenhang mit den Kohlegesprächen den Wunsch der Ministerpräsidenten Rau und Lafontaine abgelehnt haben, über die Belange ihrer Länder und die bundespolitischen Entscheidungen zu reden, die
Rudolf Scharping
die Belange ihrer Länder betreffen. Das hat mit all diesem natürlich auch zu tun.
- Entschuldigung, das ist die reine Wahrheit.
Herr Kollege Schäuble, wenn Sie „Unfug" dazwischenrufen, dann kann man sicher sein, daß meine Aussagen stimmen und Sie treffen.
- Ich wende mich Ihren Zwischenrufen jetzt einmal nicht zu; es lohnt sich nicht sonderlich.
Eines möchte ich doch deutlich machen: Wenn Sie die Gesprächsfähigkeit wiederherstellen wollen, dann sorgen Sie jetzt dafür, daß in einem politisch verbindlichen Gespräch zwischen dem Bundeskanzler Kohl - da mag er dann mitbringen, wen er möchte; das ist seine Sache - und dem Vorsitzenden der SPD, Herrn Ministerpräsident Lafontaine,
die Grundlagen dafür geschaffen werden, daß man politisch verbindlich weiß, ob Sie bereit sind, die Senkung der Lohnnebenkosten zum 1. Juli 1997 zu vereinbaren, ob Sie bereit sind, zum 1. Januar 1998 eine wirksame Entlastung der wirtschaftlichen Leistungsträger und der Familien zu vereinbaren, und ob Sie bereit sind, eine finanzielle Konzeption zu gestalten, die nicht in diesen riesigen Finanzlöchern des Staates, zu Lasten der Bildung seiner Menschen, zu Lasten der Infrastruktur und zu Lasten anderer Investitionen, endet.
Wenn Sie dem auf politisch geeignete Weise folgen, dann können wir gern wieder miteinander reden. Es fällt mir sehr leicht, das hier zu sagen, weil wir ja ohnehin miteinander reden müssen. Nun hören Sie einmal auf, das normale Gespräch in einer parlamentarischen Demokratie, die Beratungen im Parlament, die Anhörungen und Beratungen in den Ausschüssen des Parlamentes usw., möglicherweise bis hin zum Vermittlungsausschuß, als Blockade zu denunzieren!
Denn es könnte sein, daß Sie den Bürgerinnen und Bürgern damit den Eindruck vermitteln, normale parlamentarische Demokratie sei Blockade
und zu fruchtbaren Entscheidungen nicht fähig.
Also, ich fordere Sie auf, diese politisch verbindlichen Grundlagen zu schaffen. Ich biete Ihnen an, die Entlastung bei den Lohnnebenkosten und die Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen
zum 1. Juli 1997 zu vereinbaren. Ich biete Ihnen an, eine wirksame, die Massenkaufkraft stärkende, Leistungsträger entlastende Steuerreform zum 1. Januar 1998 zu vereinbaren. Und ich biete Ihnen an, diese Vorstellungen finanziell so einzubetten, daß sie nicht zum finanziellen Ruin des Gemeinwesens führen.