Rede von
Doris
Odendahl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe noch anwesende Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion fordert in ihrem heute vorliegenden Antrag auf Drucksache 13/6998 die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag unverzüglich einen Bericht zum Stand der Beratungen in der von den Regierungschefs von Bund und Ländern am 13. Juni 1996 vereinbarten Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorzulegen.
Sie beruft sich dabei gleichzeitig auf den anläßlich der dritten Beratung des Entwurfs einer 18. BAföG- Novelle vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß vom 27. Juni 1996. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, in dem Bericht über das Arbeitsprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgruppe einschließlich Einbeziehung von Sachverständigen, Studierendenverbänden - darauf sind wir ganz gespannt - und Vernetzung mit der Steuerreformkommission der Bundesregierung zu berichten.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich hier noch einmal festhalte, daß der SPD die Zustimmung zu dem Kompromiß der 18. BAföG-Novelle sehr schwergefallen ist,
weil dieser Kompromiß schon damals dringend notwendige Verbesserungen für die Studierenden nicht
gebracht hat, weil die Anhebung der Bedarfssätze
und Freibeträge nicht ausreichend war und weil weitere Einschränkungen vorgesehen waren, die in krassem Widerspruch zu den hochschulpolitischen Zielsetzungen standen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die weitere Verkürzung von Regelstudienzeiten und an die Einschränkungen beim Auslandsstudium. Der Herr Außenminister läßt diesbezüglich immer rührende Appelle verlautbaren, aber der Bildungs- und Forschungsminister kommt dem nicht ganz nach.
Wir haben diesen Kompromiß trotz schwerster Bedenken aus zwei Gründen mitgetragen: erstens weil damit dem von Minister Rüttgers - er ist gar nicht da; das ist aber schade -
vorgelegten Entwurf von verzinslichen privaten Bankdarlehen in der Regelstudienzeit eine einhellige Absage erteilt wurde, zweitens weil es der gemeinsame Wille von Bund und Ländern war, endlich zu der seit langem geforderten grundlegenden Reform der Ausbildungsförderung zu kommen, der sich Minister Rüttgers bis zuletzt beharrlich verweigert hatte.
Nach zweieinhalb recht stotternden Anläufen im Ausschuß für Bildung und Forschung hat Minister Rüttgers gestern in letzter Minute den Bericht über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der BundLänder-Arbeitsgruppe, soweit sie jetzt vorliegen, dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Ich freue mich, daß Frau Ministerin Schuchardt, die den Vorsitz für die Länder in dieser Arbeitsgruppe hat, aus Sicht der Länder hier berichten wird.
Die dem Ausschuß für Bildung und Forschung vorgelegten Zwischenberichte hatten dazu einige Fragen aufgeworfen, so zum Beispiel, wenn in dem Bericht an den Ausschuß steht, daß das von der Kultusministerkonferenz vorgeschlagene Drei-Körbe-Modell - Sockelzahlung, beschränkt auf drei Jahre - nach Aussage der Sachverständigen „irreparabel verfassungswidrig" sei.
Es ist zum einen ein ungeheuerlicher Vorgang, wenn ein Verfassungsorgan dem anderen eine solche Bewertung zuteil werden läßt.
Zum anderen läßt dies aber den Verdacht aufkommen, damit die von der KMK angestrebte Lösung von vornherein ins Aus laufen zu lassen, was gleichzeitig auch das Aus für den im vergangenen Jahr erzielten Kompromiß mit den Ländern und somit für die BAföG-Reform bedeuten würde.
Anlaß zur Sorge ist auch deshalb gegeben, weil in der 18. BAföG-Novelle nach der Einigung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 13. Juni 1996 festgehalten wurde: Die Neuregelung des Ausbildungsförderungsrechts soll im Zusammenhang mit der Steuerreform gestaltet und noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden.
Doris Odendahl
In dem uns heute vorgelegten Bericht heißt es dazu:
Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat sich mit Schreiben vom 11. September 1996 an den Bundesminister der Finanzen gewandt, um eine politische Abstimmung der Arbeiten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung mit der Steuerreform zu gewährleisten. Der Bundesminister der Finanzen sagte dies zu.
Da drängt sich doch die Frage auf, ob Minister Rüttgers bei den Debatten im Kabinett um die Steuerreform gefehlt oder geschlafen hat
und ob er seit September 1996 - das ist verdammt lang her - untätig abwartet, was ihm der Finanzminister anrichtet.
Minister Rüttgers muß, wenn er sich dann wieder mit BAföG befaßt, schon offenlegen, was aus der Sicht und aus der Verantwortung des Bildungs- und Forschungsministers Ausgangslage für die BAföG- Ausgaben sein soll. Entsprechend der Rechtslage und den steuerlichen Bestimmungen zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Länder sind das die Haushaltsansätze vor der 18. Novelle, die sich auf 2,4 Milliarden DM belaufen. Wenn er jedoch von den deutlich abgesenkten Haushaltsansätzen nach der 18. Novelle ausgehen will, wären für das Jahr 2000 nach schrittweiser Absenkung nur noch 1,4 Milliarden DM vorgesehen. Für die vorgesehene Reform würde damit schon jetzt 1 Milliarde DM fehlen; das finanzielle Fundament wäre ihr von vornherein entzogen.
Weil gleichzeitig auf Grund der seit nunmehr 14 Jahren systematisch gewollten und betriebenen Abbruchpolitik bei der Ausbildungsförderung die Gefördertenquote zu einer kümmerlichen Restgröße geschrumpft ist,
würden die zu erwartenden Ist-Ausgaben nochmals um fast die Hälfte reduziert. Wie er dann diesen Schrumpfungsprozeß als seinen innovativen Beitrag zum Generationenvertrag für die Ausbildung verkaufen will, müßte er dann in seinem nächsten dem Bundestag zu erstattenden Bericht im Detail schildern.
In diesem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen an die Bundesregierung, über die der Bericht keine Auskunft gibt: Sind Sie grundsätzlich offen für eine elternunabhängige Sockelbetragslösung oder nicht?
Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Lenzer, hat dies im Ausschuß mit lautem Zuruf verneint.
-Ah ja.
Sind Sie willens und bereit, die damit verbundenen steuer- und unterhaltsrechtlichen Fragen zusammen mit den Ländern politisch zu lösen? Sind Sie bereit, die Mittel für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des BAföG bereitzustellen? Das würde weitere finanzielle Anpassungen und eine Kompensation für die Folgen der 18. Novelle sowie für die BAföG-Strukturreform bedeuten.
Sehen Sie die notwendige Verknüpfung dieser Reform der Ausbildungsförderung mit der weiteren Hochschulreform? Sie können sich doch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ernst vorstellen, daß es eine HRG-Novelle mit weiteren Studienzeitverkürzungen ohne eine grundlegende BAföG-Reform überhaupt geben kann.
Nach der Diskussion im Ausschuß sind diese Fragen mehr als berechtigt. Es drängt sich leicht der Eindruck auf, als ob die zweifellos notwendigen Terminabstimmungen für Expertenbefragungen, der Streit um Protokollformulierungen und weitere Ländergespräche als willkommener Anlaß dienen sollen, dadurch den Anschluß an die bereits jetzt auf Hochtouren laufenden Auseinandersetzungen um die Steuerreform zu verpassen und damit das Fell des Bären schon verteilt zu haben.
Wir hielten das für fahrlässig, weil damit nicht nur die Hoffnungen und Erwartungen der Studierenden aufs schwerste enttäuscht würden, sondern weil damit der gemeinsame Wille der Mehrheit des Deutschen Bundestages, des Bundes und der Länder zu einer grundlegenden Reform der Ausbildungsförderung mißachtet würde.
Wenn Sie diesen gemeinsamen Willen unterlaufen, zu dem die Länder einiges an Vorarbeit und an Vorschlägen einbringen, gefährden Sie nicht nur die Ausbildungsförderung, sondern auch jede weitere Hochschulreform. Deshalb ist unsere heutige Debatte kein unnötiger Eingriff in vorgegebene Terminabläufe, wie es von seiten der Koalitionsfraktionen gern unterstellt wurde, sondern der nachdrückliche Appell an die Bundesregierung, die BAföG-Reform nicht gegen die Wand fahren zu lassen.
Ein Crashkurs, wie von Minister Rüttgers mit seinem ersten Entwurf zur 18. Novelle demonstriert, wäre verheerend. Herr Rüttgers als zuständiger Ressortminister für Bildung und Forschung muß bei einem Gesetz, für das der Bund zuständig ist und das
Doris Odendahl
die weitere Entwicklung der Hochschulen entscheidend mit beeinflußt, verantwortungsbewußt handeln.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen legt ebenfalls einen Antrag vor, der unsere Befürchtungen teilt. Entgegen diesem Grünen-Antrag sind wir, Herr Berninger, aber nicht der Ansicht, daß das BAföG bereits total ruiniert ist und daß sein Schicksal durch den Kompromiß der 18. Novelle besiegelt wurde. Das BAföG ist reformbedürftig und reformierbar - man muß es nur politisch wollen.
Wir betrachten diesen Kompromiß als eine Chance und als eine Herausforderung, durch eine grundlegende Reform die Ausbildungsförderung wieder zu dem Instrument für Chancengleichheit in der Bildung zu machen, das es einmal war: die Voraussetzung dafür, daß der Zugang zu und die Teilnahme an Bildung für junge Menschen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt.
Der Antrag der Gruppe PDS befaßt sich in erster Linie mit BAföG-Anpassungen in einer 19. Novelle.
Wir bitten, sämtliche Anträge zusammen mit dem jetzt vorliegenden Bericht der Bundesregierung an den federführenden Ausschuß für Bildung und Forschung und an die mitberatenden Ausschüsse zu überweisen.
Wir werden dafür Sorge tragen, daß das Parlament über den weiteren Verlauf dieser Reformverhandlungen informiert wird und daß der Bildungsminister beim Warten auf die Vorschläge des Finanzministers bei der Steuerreform nicht den Anschluß verschläft.