Das ist der große Unterschied - das sage ich auch immer meinem Kollegen und Freund Mike Mandelbaum aus den USA, der noch immer gegen die NATO-Osterweiterung ist - zwischen wissenschaftlicher Diskussion und Politik. In der Politik muß man wissen, wann Entscheidungen fallen und wann sie gefallen sind. Die Frage der NATO-Osterweiterung ist entschieden. Es geht jetzt darum, sie mit Rußland möglichst kooperativ zu gestalten und zu entscheiden, wer dazugehören wird. Wissenschaftlich können Sie natürlich noch 22 Jahre darüber diskutieren, ob die NATO-Osterweiterung sinnvoll war oder nicht. Aber sie ist entschieden. Jetzt geht es um die Frage, daß wir sie so gestalten, daß für Europa insgesamt möglichst Konstruktives dabei herauskommt.
Ich habe bisher immer vermutet, daß Herr Volmer nicht nur ein Wissenschaftler ist, sondern daß er vor allen Dingen Politiker ist. Aber ich kann mich getäuscht haben, Herr Lippelt.
Sie sagen, die NATO-Osterweiterung sei noch gar nicht entschieden; das stimmt völkerrechtlich, aber nicht politisch. Ich möchte in dieser Frage deshalb jetzt deutlich sagen: Es steht faktisch fest, daß auf jeden Fall drei Mitgliedstaaten in die NATO aufgenommen werden. Das sind Polen, die Tschechische Republik und Ungarn. Die Frage ist, ob es drei oder fünf Staaten sind. Ich möchte wie der Kollege Meckel - wir haben das in den dafür zuständigen Gremien der Partei und der Fraktion beraten - dafür plädieren, daß die Vorbehalte, die der Bundesverteidigungsminister gegenüber Slowenien noch hat, fallengelassen werden und daß wir uns für Slowenien verwenden.
Ich möchte darüber hinaus sagen, daß wir sehr sorgfältig darauf schauen müssen, daß sich in Rumänien Positives getan hat, anders als es in dem Bericht der Bundesregierung noch steht. In Rumänien gibt es positive Entwicklungen. Wir sollten uns auch angewöhnen, aus der Slowakei nicht nur negative Meldungen wahrzunehmen, sondern auch positive Dinge wahrzunehmen, so daß sich das eine oder andere bis zur Aufnahme noch positiv entwickeln könnte.
Ich möchte noch einmal betonen, daß es dann, wenn die Namen genannt sind, um eine Kooperation mit Rußland geht. Wenn Sie genau darauf achten, was Sie aus Moskau hören und hören können
- nein, nein, nein; ich war vor kurzem dort, Herr Lippelt; ich fahre häufiger dorthin -, dann können Sie ganz eindeutig feststellen: Die Russen sind, wie der Bundesaußenminister sagt, weiter gegen die NATO- Osterweiterung. Sie werden auch dagegen bleiben. Aber sie sind gleichzeitig dafür, daß die NATO, die sich erweitert, ein enger Kooperationspartner von Rußland bleibt. Das heißt, Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten scharfe Stellungnahmen gegen die NATO-Osterweiterung hören und werden gleichzeitig ein intensives Bemühen feststellen, daß Rußland mit einer sich erweiternden NATO eng kooperieren will.
Das ist auch im Interesse Rußlands; denn Rußland ist an einer stabilen Beziehung zu den westlichen Partnern in Europa und über den Atlantik hinaus interessiert. Rußlands eigentliche Risiken liegen im Süden und im Osten, aber nicht im Westen. Das wissen die Fachleute in Rußland auch. Deshalb bin ich ganz anders als es hier von einigen Teilen der Grünen und der PDS insgesamt gesagt wird, überhaupt nicht skeptisch im Hinblick auf die längerfristige Zusammenarbeit mit Rußland. Ich bin hinsichtlich einer engen Zusammenarbeit mit Rußland immer engagiert gewesen. Ich glaube, daß diese Zusammenarbeit weder durch die EU-Erweiterung noch durch die NATO-Erweiterung gefährdet wird. Sie wird, auf Dauer gesehen, wenn man die Rahmenbedingungen analysiert, eher stabil sein und sich in einer Form auswirken, daß die kleineren Staaten zwischen Rußland und Westeuropa sich nicht mehr gefährdet fühlen können.
Zu allerletzt: Ich glaube, daß wir diese Frage nicht alternativ zwischen ökonomischer Stabilisierung und den Kosten der NATO-Osterweiterung sehen dürfen. Die Kosten der NATO-Osterweiterung sind eher gering. Sie sollen auch gering sein; denn es gibt kein unmittelbares militärisches Risiko. Es gibt aber
Karsten D. Voigt
einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der ökonomischen Stabilisierung und der politischen Stabilisierung. Das ist eine Erfahrung, die besonders Länder wie Griechenland, Spanien und auch Portugal gemacht haben, und die bereits früher die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat. Der Tatbestand, daß man weiß - wie das deutsche Wort so schön heißt -, daß man verortet ist, daß man weiß, wozu man gehört - in diesem Fall, daß man zu den transatlantischen und europäischen Organisationen gehört -, ist für diese Länder nicht nur wirtschaftspolitisch wichtig, nicht nur sicherheitspolitisch wichtig. Vielmehr ist es auch ein Schutz gegen die Illusion, die in den 20er und 30er Jahren zum Beispiel in Polen mit Pilsudski bestand, daß man gesellschaftspolitisch einen alternativen Weg jenseits des Weges des pluralistischen europäischen Demokratietypus gehen könnte.
Die Idee dieses Gesellschaftstypus - daher kommen die Gegner der EU- und NATO-Erweiterung von linksradikalen Kommunisten und von Rechtsradikalen in der Tschechischen Republik -, dieser Punkt der Verankerung in den westlichen Institutionen, ist auch ein Schutz dieser jungen Demokratien vor neuen autoritären Versuchungen.
Ich glaube, daß es deshalb nicht zufällig ist, daß linke und rechte Demokraten in diesen Ländern diese Verankerung in der Europäischen Union und in der NATO dauerhaft garantiert haben wollen; nicht nur wegen Bedrohung von außen, sondern auch wegen des Schutzes ihrer eigenen demokratischen Grundordnung. Diesen gesellschaftspolitischen Punkt - nicht im Sinne von links und rechts, sondern im Sinne von demokratischer Verortung gegen autoritäre Versuchungen - sollten wir nicht unterschätzen, vor allen Dingen, weil wir als Deutsche jahrzehntelang immer einen Sonderweg für uns proklamiert haben, der uns in Sackgassen, Irrtümer und Katastrophen geführt hat. Wir sollten akzeptieren, daß andere diesen Sonderweg nicht mehr gehen wollen, sondern die Verortung in die europäische und transatlantische Kultur wollen.
Danke.