Rede von
Dr.
Klaus
Kinkel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Wenn ich die letzte Frage als erstes beantworten darf: Der Druck ist natürlich ausgeübt worden; er wird laufend ausgeübt. Ich habe in Lissabon mit dem Präsidenten entsprechende Gespräche geführt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen. Wenn Sie die Medien in den letzten Tagen verfolgt haben, dann werden Sie festgestellt haben, daß er das immer wieder öffentlich erklärt hat. Mit den Möglichkeiten, die wir haben, haben wir auf Albanien ganz genauso wie auf Bulgarien eingewirkt.
Was die erste Frage anbelangt, liegt eine Teilantwort darin, daß die letzte Entwicklung in Bulgarien zeitlich nicht mehr in der Großen Anfrage berücksichtigt werden konnte. Ich möchte Ihnen aber gerne auch in der Sache eine Antwort geben und sagen, wie es sich meiner Meinung nach abgespielt hat. Am Anfang meiner fünfjährigen Zeit als Außenminister habe ich beobachtet, daß der Prozeß in Bulgarien relativ positiv anlief, und zwar auf sämtlichen Gebieten. Seit etwa zweieinhalb Jahren sind die Bulgaren in ihren Reformschritten - insbesondere in der Privatisierung - immer weiter zurückgefallen. Sie waren nicht mehr in der Lage, das in einer Art und Weise aufzufangen, die notwendig gewesen wäre.
Wir haben versucht, von außen zu unterstützen. Wir waren nicht erfolgreich genug und müssen leider sagen, daß sich jetzt eine Situation entwickelt hat, die für die Menschen dort schlimm ist, die aber vor allem nicht in unserem Interesse liegen kann. Deshalb glaube ich, daß wir aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe, Bulgarien gegenüber eine besondere Verpflichtung haben. Wir müssen sie wieder heranführen, müssen sie sozusagen herausholen. Wir müssen jetzt aber erst einmal mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation - zum Beispiel in der Energieversorgung - fertigwerden.
Es wird später einmal zu analysieren sein, warum es dazu gekommen ist, wie es jetzt aussieht. Es hat jetzt jedenfalls keinen Sinn, sich mit Analysen aufzuhalten, sondern wir sind uns wohl einig, daß wir vor-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
wärts gerichtet versuchen sollten, zu helfen, um dort die Probleme für die Menschen zu überwinden.
Man muß etwas zu Mostar sagen. Was dort abgelaufen ist, ist wenig erfreulich. Ich habe in den letzten Tagen mit Außenminister Granic telefoniert. Die Kroaten versuchen, ihren Kurs zu korrigieren.
Es bleibt natürlich für uns die zentrale Frage der Flüchtlingsrückkehr. Ich habe in der letzten Woche mit Herrn Kanther ein massives, vorwärtsführendes Gespräch gehabt, in dem wir festgelegt haben, wie wir vorgehen wollen. Ich will mit Herrn van den Broek hinunterfliegen. Aber ich brauche - das sage ich hier im Deutschen Bundestag - von den Innenministern die Zuordnungszahlen, weil alle Aufbauprogramme zentral davon abhängen.
Sie wissen, daß der UNHCR bestimmte Gebiete festgelegt hat, die sicher sind, bei denen niemand etwas dagegen haben kann, wenn dorthin Flüchtlinge zurückgeführt werden. Da wollen wir gruppenweise die Flüchtlinge, die hier sind und die dann tatsächlich zurückgeführt werden können, wie mit einer Schablone auflegen. Wir müssen dabei zusammen mit der Weltbank, mit dem UNHCR und mit der Kommission versuchen, wirklich zur Lösung zu kommen; denn ich sehe, was das bedeutet.
Ein anderes Thema: Moskau. Die europäische Einigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf sich natürlich vor allem nicht gegen Moskau vollziehen. Rußland gehört zu Europa. Es hat zur europäischen Kultur und Geschichte große Beiträge geleistet. Mein Besuch in Moskau in der letzten Woche hat erneut gezeigt, daß uns Rußland besonderes Vertrauen entgegenbringt und besonders auf uns setzt.
Natürlich wird die russische Regierung gegen die Erweiterung der NATO bleiben. Es wird nicht so ablaufen, daß Rußland es akzeptieren würde. Das schließt jedoch nicht die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Bündnis aus.
Herr Primakow hat gerade nach unseren Gesprächen in den letzten Tagen dem NATO-Generalsekretär zum erstenmal vier konstruktive Papiere dazu übergeben, wie wir mit der Charta-Frage weiterkommen können. Das macht mich vorsichtig optimistisch, daß wir im Juli, spätestens am 8. und 9. Juli in Madrid, zu einem solchen Abschluß kommen. Sie wissen, wir müssen dort vier Dinge leisten. Aus Zeitgründen kann ich das im einzelnen nicht nachvollziehen. Der wichtigste Punkt ist diese NATO-Charta. Vielleicht kommen wir sogar schon vor Juli zu einer Lösung.
Dabei muß zentral die Anpassung des KSE-Vertrages helfen. Bei den schweren, besonders bedrohlichen Waffensystemen kann er, glaube ich, russische Besorgnisse ausräumen:
Erstens durch territoriale Obergrenzen. Destabilisierende großangelegte Waffenkonzentrationen wären dann nirgendwo mehr in Europa möglich.
Zweitens durch eine Stabilisierungsgarantie für Schlüsselregionen. Hier soll es keinerlei Zuwächse von schweren Waffen geben.
Drittens durch eine signifikante Absenkung der durch den KSE-Vertrag derzeit festgelegten Obergrenzen der Allianz für militärisches Großgerät.
Natürlich sprach Außenminister Primakow von der Sorge, daß die NATO-Militärmaschinerie sozusagen an die russischen Grenzen vorrückt. Diese russische Sorge, die natürlich auch psychologische Auswirkungen im Innern hat, müssen wir beseitigen. Ich glaube schon, daß ein Teil der Antwort der KSE-Vertrag sein kann. Dazu würde ich gerne ein bißchen mehr ausführen. Mir fehlt aber die Zeit.
Wir haben in der NATO in der letzten Woche die KSE-Problematik festgelegt. Fest steht jedenfalls: Wir wollen keine neuen Trennlinien, sondern neue Formen der Zusammenarbeit. Herr Tschubais hat in einem Gespräch mit mir erwähnt, daß wir versuchen sollten, nicht immer zu sagen - ich glaube, da hat er recht -: Wir wollen verhindern, daß euch dies oder jenes in Zukunft zu naherückt. Wir sollten sagen: Wir möchten gern zusammenkommen, das heißt den positiven Ansatz zur Annäherung der NATO an Rußland in dieser neuen europäischen Sicherheitsarchitektur herausstreichen. Da müssen wir umsetzen, was in Lissabon im Rahmen der OSZE beschlossen worden ist.
Ich wende mich im übrigen gegen den Vorwurf, wir hätten uns nicht genügend um die OSZE gekümmert. Ich bin dort selber x-mal gewesen. Wir haben neue Ideen eingebracht. Wir haben ganz entscheidend mit dazu beigetragen, daß die Rolle der OSZE kumulativ und additiv in dieser europäischen Sicherheitsarchitektur eine entscheidende Rolle spielt.
So wie eine Hälfte des Zimmers nicht auf Dauer warm bleiben kann, während die andere kalt ist, so ist auch undenkbar, daß zwei verschiedene Europas auf Dauer nebeneinander leben können, ohne daß beide Schaden nehmen. Das hat Václav Havel gesagt. Es trifft den Kerngedanken unserer Europapolitik seit dem Fall der Mauer, nämlich den Gedanken eines gemeinsamen europäischen Schicksals. So sehen wir es unter Berücksichtigung der besonderen deutschen Verantwortung und Verpflichtung gegenüber diesem Europa.
Bei dem EU-ASEAN-Treffen jetzt in Singapur, dem Treffen der EU mit Asien, ist mir wieder deutlich geworden, wie nicht nur die 14 europäischen Kollegen, die alle da waren, sondern eben auch die ASEAN-Länder, die ASEU-Länder, der asiatisch-pazifische Raum in einem ungeheuer verstärkten Ausmaß hier auf Deutschland als dem zentralen Ankerpunkt schaut. Diese Nation ist nach der Wiedervereinigung die weitaus größte und auch wirtschaftlich stärkste in Europa.
Wir haben eine Verpflichtung und eine Verantwortung. Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht so sehr auf innenpolitische Themen konzentrieren - so wichtig sie sind -, sondern daran denken, daß wir eine große Industrie- und Kulturnation sind und daß außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Fragen für die zweitgrößte Exportnation der Erde von entscheidender Bedeutung sind. Ich habe ein wenig das
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Gefühl, daß wir in diesem Punkt übereinstimmen und daran gemeinsam unseren Kompaß ausrichten können.
Vielen Dank.