Rede von
Christine
Scheel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Finanzminister Waigel ja jede Situation nutzt, um auf die aktuelle Steuerdiskussion, das heißt, auf den sogenannten Jahrhundertentwurf, einzugehen, möchte ich hier vorab einige Bemerkungen machen.
Das Gespräch am Montag, aber auch die Verhandlungen der Fachreferenten am Dienstag haben gezeigt, daß die Grundlage, die Finanzminister Waigel gelegt hat, sehr unsolide ist.
- Es war in der Presse nachzulesen; es ist nicht dementiert worden. Es ist vollkommen zutreffend, daß hier Grundlagen erarbeitet wurden, die zum Teil auf Schätzungen beruhen. Das haben wir immer verurteilt und gesagt: Wir wollen einen sauberen Tarif, eine solide Gegenfinanzierung und kein Finanzloch von 44 Milliarden DM und, wie Schleußer sagt, noch 30 Milliarden DM mehr. Man wird sich auf Grund der neuen Daten irgendwo in der Mitte treffen. Dann werden wir sehen, wie dies zu beurteilen ist.
Christine Scheel
Zum heutigen Thema: Wir sollten bei der Wahrheit bleiben. Ihre Behauptung, Herr Finanzminister Waigel, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sei für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Situation der kommunalen Finanzen immens wichtig, stellt natürlich einen Teil der Wahrheit dar. Der andere Teil der Wahrheit aber ist, daß es im Jahr 1995 in diesem Hause keine Vorlage gegeben hat, aus der hervorgegangen wäre, wie denn die Absicherung der Kommunen im Detail und eine verfassungsgemäße Lösung auszusehen hätte.
Das ist die Wahrheit. Man kann ganz klar sagen, die Koalition hat das Thema zum Teil verschlafen und zum Teil verschleppt. Vor allen Dingen hat man sich aber in einem Eiertanz innerhalb der Koalition gegenseitig die Zeit gestohlen.
Die Konsequenz war, daß wir im November 1996 eine Vorlage bekommen haben, die im Entwurf zum Teil mit den kommunalen Spitzenverbänden besprochen war, obwohl alle Seiten wußten, daß die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände nach einer sauberen und korrekten Gegenfinanzierung ihres Einnahmeausfalls durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer nicht ganz erfüllt waren. Auch an dieser Stelle konnte sich die Koalition nicht einigen; so hat es 1996 keinen Kabinettsbeschluß zur aktuellen Vorlage gegeben. Auf Grund dieses fehlenden Kabinettsbeschlusses vom Jahr 1996 ist es heute - das heißt, im Jahr 1997 - nicht möglich, rückwirkend die Gewerbekapitalsteuer auch in den alten Bundesländern abzuschaffen.
Das ist die Wahrheit, die Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, zu verantworten haben.
Es ist vollkommen klar, daß wir im Zusammenhang mit der Finanzausstattung der Kommunen nicht nur die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, wie Sie wissen, einfordern und immer eingefordert haben,
sondern auch in bezug auf den kommunalen Finanzausgleich einen immensen Reformstau feststellen. Ich bedauere es sehr, daß der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen von vor zwei Jahren, eine Kommission oder einen Unterausschuß einzusetzen, um zu überlegen, wie wir die Finanzen der Kommunen zukunftssicher gestalten und einen zukunftsfähigen kommunalen Finanzausgleich unter Berücksichtigung der Finanzautonomie der Kommunen schaffen können, von der Koalition abgelehnt worden ist.
Wenn wir das damals gemacht hätten, hätten wir heute ein sauberes und umfassendes Reformwerk und nicht nur einen Bruchstein, der heute auf der Tagesordnung steht. Es geht uns darum, das gesamte Gemeindefinanzsystem zukunftsfähig zu machen und nicht nur einen Baustein zu verändern. Das aber ist genau Ihre Politik: Da ein bißchen ändern, dort ein bißchen ändern. Unter dem Strich passen die Veränderungen in der Regel nicht zusammen, weil sie unsystematisch durchgeführt werden und weil nur Minimallösungen vorgelegt werden.
Wir leben heute in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten, daß es umfangreiche Reformen gibt und daß es in diesem Land zu Veränderungen kommt. Dazu gehört auch die Veränderung des Gemeindefinanzsystems. Die Kommunen haben das - verdammt nochmal - sehr verdient, denn die Aufgaben, die den Kommunen zugewiesen wurden, wurden in den letzten Jahren immer zahlreicher; die Finanzausstattung wird aber immer schlechter. So kann es nicht weitergehen.
Nach dem neuesten Bericht des Deutschen Städtetages wissen wir, daß gerade im kulturellen Bereich, im Bereich der Jugendarbeit und im Sozialbereich von den Kommunen Kürzungen vorgenommen werden müssen, weil sie schlicht kein Geld mehr haben, um ihre Aufgaben zu finanzieren. Das liegt in der Verantwortung der Bundesregierung.
- Herr Thiele, weil Sie sagen, stimmen Sie dem Gesetz gleich zu, sage ich Ihnen, was wir haben wollen: Wir wollen eine strukturelle und quantitative Verbesserung der Gemeindefinanzen; wir wollen, daß die Einnahmequellen für die Kommunen auch in der Zukunft kalkulierbar sind; wir wollen die Sicherung der kommunalen Finanzautonomie; wir wollen, daß die Gewerbeertragsteuer erhalten bleibt und nicht abgeschafft wird, wie die F.D.P. es in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben hat. Eine Abschaffung würde nämlich bedeuten, daß die Kommunen noch einmal 44 Milliarden DM gegenfinanziert bekommen müssen. Wer wie die F.D.P. immer nur von Steuersenkungen redet, aber nie davon, wie die Steuersenkungen kompensiert werden sollen, kann die Frage nicht beantworten, wer das bezahlen soll.
Wir wollen außerdem, daß die neuen Bundesländer nicht auf den alten Gaul Gewerbekapitalsteuer gesetzt werden. Wir wollen vielmehr, daß die neuen Bundesländer eine Kompensation erhalten. Wir mußten leider sehen - das sagen wir auch als Bündnis 90/ Die Grünen -, wie unsauber in der Koalition mit den Kollegen und Kolleginnen aus den neuen Bundesländern umgegangen wird. Wenn es um die Kohle geht, ist es selbstverständlich, daß mit Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen gesprochen wird. Aber wenn es um die Finanzausstattung der neuen Bundesländer geht, müssen die Kollegen und Kolleginnen ihren Gesprächspartnern hinterherlaufen.
Herr Merz, abschließend möchte ich sagen: Wir verstecken uns nicht hinter den Forderungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und hinter
Christine Scheel
den Forderungen des Deutschen Städtetages. Die Forderungen, die diese Verbände aufgestellt haben, sind gegengerechnet und solide. Wir haben auf Grund der Mindereinnahmen entsprechend der Vorlage heute ein Minus von 500 Millionen DM für die Kommunen. Dies finden wir nicht akzeptabel. Es muß eine saubere und ausgeglichene Be- und Entlastungssituation geben. Aus diesem Grunde brauchen wir für die Kommunen in West und Ost eine Beteiligung an der Umsatzsteuer in Höhe von 2,3 Prozentpunkten. Anderenfalls geben Sie den Kommunen zu wenig Geld zurück, wenn die Gewerbekapitalsteuer entfällt, -