Rede von
Dr.
Barbara
Hendricks
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Michelbach, ich will Ihnen das gerne erläutern. Die Steuerschätzung findet im Rahmen eines Bund-Länder-Arbeitskreises statt, in dem der Bundesfinanzminister und alle Länder vertreten sind.
Die Steuerschätzung findet auf der Basis von Daten statt, die vom Bundeswirtschaftsminister geliefert werden,
die natürlich auch politische Daten sind.
Im übrigen habe ich mich nicht auf die jährlich wiederkehrende Steuerschätzung bezogen, also auf die einmal im Jahr stattfindende große Steuerschätzung und die im Herbst nachgeschobene ergänzende, sondern ich habe mich auf das Standortsicherungsgesetz bezogen. Dieses Gesetz ist ein Bundesgesetz, das vom Bundesfinanzminister im Entwurf vorgelegt worden ist. Der Bundesfinanzminister muß schon im Gesetzentwurf mitteilen, welche Steuereinnahmeausfälle er erwartet. Daran sind die Länder nicht beteiligt.
Was wir hier heute erleben, ist in der Tat die Fortsetzung eines Stückes aus dem Tollhaus. Ich will es wiederholen: Dieses Tollhaus nennen wir normalerweise Regierungskoalition.
Dr. Barbara Hendricks
Vor neun Tagen, am Mittwoch vergangener Woche, bezeichneten sowohl der Regierungssprecher Hausmann als auch der CSU-Landesgruppenchef Glos - -
- Sie haben - vor neun Tagen war es im „Handelsblatt" zu lesen, Herr Glos - ebenso wie der Regierungssprecher Hausmann das Abstimmungsverhalten der SPD für die vor einer Woche angesetzte Abstimmung als „Nagelprobe" bezeichnet.
Sie wollten uns Sozialdemokraten vorführen.
Statt dessen haben Sie es geschafft, der gesamten deutschen Öffentlichkeit in eindrucksvoller Weise Ihre eigene Unfähigkeit erneut vorzuführen.
Jeder weiß, daß die ostdeutschen CDU-Abgeordneten die Koalition in der letzten Woche daran gehindert haben, den vorgelegten Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zu beraten. Erstmals waren die ostdeutschen CDU-Kollegen keine Papiertiger. Erstmals konnte oder - was mindestens ebenso wahrscheinlich ist - erstmals wollte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende die Kollegen nicht bändigen. Ich vermute, auch der Bundeskanzler macht sich über diesen Umstand Gedanken.
Sie, die Kollegen aus den ostdeutschen Bundesländern, haben sich dann mit der im übrigen berechtigten Forderung nach einem Ausgleich für die ostdeutschen Kommunen durchgesetzt. Das Ergebnis kommentiert die „FAZ" folgendermaßen, Herr Bundesfinanzminister:
In die Enge getrieben muß sich nun der Bundesfinanzminister den europäischen Kreditmoglern beigesellen. Sein Notangebot eines Kommunalprogramms über die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist nichts anderes als das Verstecken eines Teils des staatlichen Defizits.
Soviel zu Ihrer Seriosität, Herr Bundesminister.
In der Sache hat sich seit der vergangenen Woche nichts geändert. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen legen dem Deutschen Bundestag heute ein Gesetz zur Beschlußfassung vor, das schlicht verfassungswidrig ist.
In diesem Gesetz soll eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer festgelegt werden, obwohl das Grundgesetz eine solche Beteiligung nicht vorsieht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, was Sie sich heute gegenüber dem Parlament herausnehmen und mit Ihrer Mehrheit durchpeitschen wollen,
verstößt gegen ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, gegen Rechtsstaatlichkeit und gegen die Grundprinzipien parlamentarisch-demokratischer Verfahren.
Sie wollen auf diese Art und Weise Druck auf die SPD ausüben. Dabei können Sie seit zwei Jahren keinen Konsens mit den Ländern und Gemeinden vorweisen. Über Wochen und Monate hinweg haben wir im Finanzausschuß das gleiche Spiel erlebt: Regelmäßig mußten Sie Ihre Gewerbesteuerpläne von der Tagesordnung absetzen oder den Abschluß vertagen.
In der Öffentlichkeit haben Sie immer wieder behauptet, daß nur wir von der SPD-Fraktion Ihre Vorschläge ablehnten. Tatsache ist, daß auch die kommunalen Spitzenverbände Ihre Pläne ablehnen. Auch das, was heute von Ihnen zur Abstimmung vorgelegt wird, wird vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städte- und Gemeindebund abgelehnt.
Wir von der SPD haben - ich sagte das bereits - schon 1995, also vor zwei Jahren, erklärt, daß wir unter bestimmten Bedingungen bereit sind, einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zuzustimmen. Diese Bedingungen sind im übrigen mit den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände identisch und nach wie vor nicht erfüllt.
Ganz wesentlich ist nämlich die verfassungsfeste Absicherung der verbleibenden Gewerbeertragsteuer. Auch die kommunalen Spitzenverbände fordern seit zwei Jahren eine solche Absicherung. Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben diese Forderung noch einmal durch Präsidiumsbeschlüsse Ende Januar bestätigt.
Wir haben Ihnen im Finanzausschuß eine Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 28 vorgeschlagen. Diese Ergänzung des Art. 28 Grundgesetz hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund in einem Brief an Sie, Herr Bundesfinanzminister, vom 17. Januar gefordert. Wir wollen damit den Bestand der verbleibenden Gewerbesteuer für die Gemeinden im Grundgesetz absichern. Sie haben das abgelehnt, Sie blockieren das und arbeiten nicht im Sinne der Gemeinden.
Die Gemeinden brauchen verläßliche finanzielle Sicherheit und Eigenverantwortung. Sie von der Koalition wollen genau das Gegenteil.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung vom November 1994 haben Sie klipp und klar festgelegt, daß Sie die gesamte Gewerbesteuer abschaffen wollen. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer soll nur ein erster Schritt in Richtung Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt sein.
Dr. Barbara Hendricks
Auch im Deutschen Bundestag haben Sie das wiederholt erklärt, deshalb ist es ungeheuer wichtig, daß wir Ihrem Treiben einen Riegel vorschieben.
Art. 28 des Grundgesetzes ist 1994 ergänzt worden, um die finanzielle Eigenverantwortung der kommunalen Ebene zu stärken und die Finanzautonomie der Gemeinden zu sichern. Nach unseren Vorstellungen gehört dazu eine wirtschaftsbezogene originäre Steuerquelle der Gemeinden. Wenn eine solche Steuerquelle bundesgesetzlich geregelt ist - dafür spricht vieles -, dann muß es einen kommunalen Hebesatz geben. Das Band zwischen Gemeinde und Wirtschaft darf nicht zerschnitten werden. Deshalb darf es auch keine Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer geben. Einen Einstieg in den Ausstieg aus der gesamten Gewerbesteuer lehnen wir ab und werden ihn niemals mitmachen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem eine gemeinsame Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt werden soll. Dieser Antrag ist inhaltsgleich mit einem Antrag, der mehrheitlich im Bundesrat beschlossen worden ist. Auch diesen lehnen Sie ab.
Warum, meine Damen und Herren von der Koalition, blockieren Sie eine Reform der Gemeindefinanzen insgesamt? Verantwortliche Politik würde für die Verknüpfung der berechtigten Interessen der Kommunen und der Wirtschaft sorgen. Eine leistungsfähige kommunale Infrastruktur ist doch ein unbezweifelbares Interesse der Wirtschaft.
Sie wollen also im nur vordergründigen Interesse der Wirtschaft die gesamte Gewerbesteuer abschaffen und dafür die kommunale Eigenverantwortung und die Selbständigkeit der Gemeinden zur Disposition stellen. Daß die F.D.P. diese unsägliche Politik betreibt, ist nicht verwunderlich; denn sie hat auf der kommunalen Ebene ohnehin keine Bedeutung. Aber Sie von der CDU/CSU-Fraktion müßten doch ein Ohr für das Anliegen der Gemeinden haben.
Sie müßten die Interessen der Gemeinden gemeinsam mit uns vertreten und bereit sein, die verbleibende Gewerbeertragsteuer zu sichern.
Halten Sie sich heute an ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren. Jetzt haben Sie noch die Chance, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Erst die Grundgesetzänderungen, dann die einfachgesetzlichen Änderungen. Halten Sie sich an Recht und Ordnung; die Zukunft unserer Gemeinden und das Selbstverständnis unseres Parlaments sind zu wichtig, um sie kurzfristigen und rein machttaktischen Überlegungen zu opfern.