Rede von
Joachim
Poß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Koalitionsfraktionen auf, ihren heutigen Aufsetzungsantrag zurückzuziehen. Ersparen Sie bitte dem Deutschen Bundestag, über einen Gesetzentwurf abzustimmen, der trotz Ihrer Ausführungen, Herr Repnik, jedenfalls nach meiner Auffassung eindeutig verfassungswidrig ist.
Selbst wenn er nicht verfassungswidrig wäre, widerspräche dieses Vorgehen doch jeder Gesetzgebungshygiene, um das einmal so zu umschreiben.
- Ich weiß ja nicht, was Sie sonst von Hygiene halten.
In diesem Gesetz soll eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer festgeschrieben werden, obwohl der Gesetzgeber hierfür gar keine Ermächtigung im Grundgesetz hat. Das Grundgesetz weist in Art. 106 die Umsatzsteuer ausschließlich dem Bund und den Ländern zu. Um die Gemeinden an der Umsatzsteuer zu beteiligen, müßte vorher das Grundgesetz geändert werden.
Davon sehen Sie aber ab, weil Sie hierfür im Deutschen Bundestag keine Mehrheit haben. Denn Sie
können - da kommt der materiellrechtliche Zusammenhang - immer noch keinen Konsens mit Ländern und Gemeinden in der Frage der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer vorweisen.
Das Argument aus dem Bundesfinanzministerium oder von Herrn Repnik, das Gesetz könne vom Bundespräsidenten natürlich erst unterzeichnet werden und in Kraft treten, wenn vorher das Grundgesetz geändert worden ist, bestätigt gerade, daß der heute von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf verfassungswidrig ist.
Sie wollen, daß der Deutsche Bundestag heute ein verfassungswidriges Gesetz beschließt.
Anschließend soll dieses verfassungswidrige Gesetz dem Bundesrat zugeleitet werden. Dies lehnen wir ab. Sie mögen sich zwar heute durchsetzen, weil Sie die Mehrheit haben. Aber welches Selbstverständnis haben Sie eigentlich vom Deutschen Bundestag als rechtsstaatlichem Gesetzgebungsorgan?
Ihre rein taktische Absicht, im Bundesrat eine Mehrheit zu erhalten, urn anschließend Druck auf uns auszuüben, Ihren unzureichenden Grundgesetzänderungen zuzustimmen, wird nicht gelingen. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden damit im Bundesrat scheitern.
Es wäre völlig ausreichend, kurzfristig eine weitere Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern für 1997 zu beschließen. Hier hätten Sie unsere Zustimmung und unser Einverständnis heute. Da Sie die Gewerbekapitalsteuer ohnehin erst zum 1. Januar 1998 abschaffen wollen, besteht überhaupt kein Zeitdruck. Sie könnten in Ruhe Ihre Gesetzesvorlage einschließlich der Grundgesetzänderung, die sich stark von dem ursprünglichen Entwurf aus dem Jahr 1995 unterscheidet, noch einmal in einem ordentlichen Verfahren zunächst im Bundesrat und dann hier im Bundestag einbringen. Wir könnten zu klären versuchen, ob ein Konsens möglich ist, und dann ordnungsgemäß zunächst über die Grundgesetzänderung abstimmen. Ersparen Sie dem Bundestag heute dieses unsägliche Verfahren!
Wir haben uns bereits in der letzen Woche damit beschäftigt, und dazu noch eine Anmerkung: Der Vorsitzende des Finanzausschusses, Herr Thiele, hatte vor einer Woche und Herr Repnik hat vorhin erklärt, im Finanzausschuß habe Einigkeit bestanden, daß die Gewerbekapitalsteuer jetzt abgeschafft werden könne. Herr Thiele ist damit seiner Verantwortung als Ausschußvorsitzender nicht nachgekommen, wahrheitsgemäß über die Beratung zu berichten.
Joachim Poß
Tatsache ist: Die SPD-Bundestagsfraktion hat das Verfahren kritisiert. Sie hat erneut darauf hingewiesen, daß immer noch kein Konsens mit Ländern und Kommunen vorgewiesen werden kann, daß deren Bedingungen immer noch nicht erfüllt sind und daß deshalb die SPD-Bundestagsfraktion einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmen kann. So steht es auch klipp und klar, Herr Repnik, im vorliegenden Ausschußbericht und ist dort nachzulesen.
Wenn Herr Thiele hier in der letzten Woche gesagt hat - ich zitiere - „Übereinstimmend wurde erklärt, die Gewerbekapitalsteuer ist ein Fossil und muß weg", dann hat er entweder die Diskussion im Finanzausschuß nicht verstanden, oder er hat ein befremdliches Verhältnis zur Wahrheit. Ich muß Ihnen sagen, mit den Amtsvorgängern von Herrn Thiele hat es solche Probleme bei allen Unterschieden in der politischen Sachauseinandersetzung nicht gegeben. Ich bedaure dieses Verhalten sehr.