Rede von
Matthias
Berninger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem letzten Punkt bin ich natürlich der gleichen Ansicht: Es wäre eine gute Sache, wenn der Kanzler und die Regierung zurückträten.
Das passiert wahrscheinlich nicht. Deswegen müssen wir uns heute über die Frage unterhalten, wie diese Bundesregierung gemeinsam mit den Länderregierungen und den Kommunen einer Entwicklung entgegentritt, die - das zeigen alle Untersuchungen - uns zunehmend besorgen sollte, nämlich einer Entwicklung, die die Bedingungen für Breitensport in dieser Republik verschlechtert.
Was mich an der Antwort auf die Große Anfrage besonders stört, ist die Tatsache, daß die Bundesregierung versucht, sich jeder Verantwortung zu entziehen. Eben wurde vom Herrn Staatssekretär gesagt, man habe erreicht, daß die Steuervergünstigung für Leute, die im Sportbereich aktiv sind, erhalten bleibt. Er hat das als großen Erfolg gefeiert.
Nicht erwähnt wurde aber zum Beispiel, daß im Rahmen des letzten Sparpakets nach den Vorschlägen der Bundesregierung gerade bei einem sehr wichtigen Punkt, nämlich bei der gesundheitlichen Vorbeugung, massiv gekürzt wurde. Den Krankenkassen ist es nun nicht mehr möglich, in Zusammenarbeit mit Vereinen diese Vorsorge zu organisieren.
Matthias Berninger
Das bedeutet ganz konkret Einnahmeverluste. Darüber hat die Bundesregierung nichts gesagt. Ich glaube, daß das ein ganz wichtiger Punkt ist, weil sich sehr viele Vereine in den letzten Jahren auf diese guten neuen Maßnahmen eingerichtet hatten; jetzt stehen sie ganz dumm da.
Das eigentlich Schlimme ist, daß man bei Gesundheitsvorsorge spart. Dieses Sparen ist völlig ineffizient und wird die Kosten nur auf später verlagern. Das kann man erkennen, wenn Leute nach Rückenschulen und ähnlichem fragen. Aber nein: Hier hat die Bundesregierung natürlich überhaupt keine Verantwortung.
Der zweite wichtige Punkt: die Finanzausstattung der Kommunen. Auch hier weigert sich die Bundesregierung, anzuerkennen, daß es Folge auch ihrer Politik ist, daß die Kommunen insgesamt finanziell wahnsinnig schlecht ausgestattet sind.
Wenn man im Bereich des Breitensports Erfolge erzielen will, muß man sich zugestehen, daß die Belastung, die Bund und Länder - ich komme gleich auch zu den Ländern - den Kommunen aufbürden - -
- Ich komme gleich auch zu Nordrhein-Westfalen. Vielleicht kommen wir erst einmal zu den Belastungen, die von hier auf die Kommunen kommen. Das sind sehr große Belastungen, die die Schwierigkeit nach sich ziehen, daß man im Bereich Jugend, aber auch im Bereich Sport nicht mehr genug Spielräume zum Investieren hat.
Was aber nicht geht - das ist das Problem dieser sportpolitischen Debatte -, ist, daß man sagt: Der Bund trägt die Verantwortung allein. Natürlich muß man auch auf die Ebene der Länder kommen.
Ich habe diese Woche im „Handelsblatt" eine Nachricht gelesen, die mir große Sorgen macht. Wenn das Land Brandenburg bereit ist, 241 Millionen DM in einen sogenannten Lausitzring zu investieren, also in eine Formel-1-Rennstrecke - in Klammern: es wird wahrscheinlich niemand damit rechnen, daß da jemals ein Formel-1-Rennen stattfindet -, gleichzeitig aber in den neuen Ländern massiv geklagt wird, daß die Sportstätten in einer wahnsinnig maroden Situation sind - wir alle haben sie gesehen; wir alle sind uns darüber einig, daß das so ist -, dann ist das eine falsche Prioritätensetzung auf Länderebene.
Ein weiterer Punkt. Wir alle kennen das Untersuchungsergebnis, daß es heute Kinder gibt, die nicht mehr in der Lage sind, rückwärts zu laufen. Das ist ein Ergebnis, das eigentlich allen große Sorge bereiten müßte. Natürlich haben hier die Vereine eine
wichtige Funktion, weil sie für Kinder Sportangebote vorhalten. Aber auch die Länder haben eine wichtige Funktion. Da muß ich sagen: Mich wundert, daß das nicht auch in Ihrem Entschließungsantrag erwähnt wurde.
Es ist völlig klar, daß es eigentlich nötig wäre, in den Bereichen Kindergarten und Grundschule in den Sport für die Heranwachsenden zu investieren. Statt dessen kann man in einigen Ländern beobachten, daß Sportstunden gestrichen werden - länder- und parteiübergreifend. Ich finde, dagegen sollte sich der Bundestag geschlossen wehren, weil das eine völlig falsche Prioritätensetzung der Politik ist.
Auch in den Kommunen gibt es Probleme. Mitunter weigern sich die Verantwortlichen dort, Prioritäten richtig zu setzen. Ich habe in den neuen Ländern eine Menge wunderschöner Hochhäuser gesehen, direkt daneben marode Sporthallen.
Natürlich haben wir als Bund mit den Investitionsfördermitteln den Kommunen Möglichkeiten gegeben, im Bereich „Jugend und Sport" zu investieren. Einige haben davon Gebrauch gemacht. Die, die es nicht gemacht haben, müßte man aber daraufhin offen ansprechen. Denen muß man sagen: Wenn ihr nicht in den Breitensport investiert, dann könnt ihr gegenüber dem Bund, auch gegenüber der Landesregierung keine Forderungen stellen.
Das alles gehört dazu, weil meiner Meinung nach alle drei Ebenen dafür verantwortlich sind, daß der Breitensport im Moment in einer eher schwierigen Situation ist.
Insgesamt vermisse ich in der Diskussion die Frage: Wie kann man die Sportförderung effizienter ausgestalten? Ich glaube, daß die momentane Form, wie Vereine in den Kommunen gefördert werden, im großen und ganzen - es gibt einige Ausnahmen - falsch ist. Ich finde, daß man von den Kommunen die Prioritätensetzung verlangen kann, Vereine besonders dann zu fördern, wenn sie in Jugendarbeit investieren, Vereine besonders dann zu fördern, wenn sie Sparten für Mädchensport öffnen, was oft nicht der Fall ist, Vereine besonders dann zu fördern, wenn sie neue Entwicklungen aufnehmen. Da gibt es bisher viel zuwenig Aktivität auf kommunaler Ebene. Ich wünschte mir mehr.
Bisher gibt es innerhalb des Sports große Besitzstandswahrungen.
- Herr Kollege, ich kenne mich sehr wohl aus. Sie wissen, daß es andere Beispiele gibt. Sie wissen aber auch, daß es in den Kommunen sehr große Beharrungskräfte gibt.
- Kollege Krüger, das war überhaupt kein Unsinn. Es
gibt sehr große Beharrungskräfte in den Kommunen.
Matthias Berninger
Sie sagen: Wir haben bisher Sportmittel und Hallenbelegungen soundso verteilt. Wir wollen daran nichts ändern.
Das muß man deshalb offen ansprechen, weil in der Regel in den Vereinen nicht die ersten Mannschaften hinten runterfallen, sondern Maßnahmen wie Jazz, Turnen und ähnliches, was besonders in den Wintermonaten massiv der Fall ist. Das ist ein Problem, das auch Sie eigentlich kennen müßten. Insofern ist das überhaupt kein Schwachsinn.
- Das ist keine Diskussion der 70er Jahre, sondern die Realität der 90er.
Es war diese Woche ein Trauerspiel in der Debatte im Ausschuß: Nicht nur, daß über das Ehrenamt nicht mehr geredet wird, es wurde auch von der Bundesregierung kein umfassendes Konzept vorgelegt.
Sie, Herr Lintner, haben im Grunde erklärt, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, weiteres zu machen, daß man sich mit dem zufriedengeben soll, was heute finanziell im Bereich der Steuervergünstigungen möglich ist.
Ich erwarte, daß es uns gelingt, in dieser Legislaturperiode eine ausführliche Debatte über das Ehrenamt hinzukriegen. SPD, Grüne und PDS haben gemeinsam eine Anhörung gefordert, die jetzt zum Glück auch stattfindet. Die Haltung, die in dieser Debatte vor allem von der Union vertreten wurde, nämlich wir wüßten schon alles über das Ehrenamt und bräuchten keine Anhörung, müßte eigentlich -