Rede von
Dr.
Liesel
Hartenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Heinrich, ich habe ausdrücklich gesagt, daß alle diese Maßnahmen für sich genommen nicht falsch sind. Sie sind richtig. Sie sind aber marginal. Das heißt, sie
Dr. Liesel Hartenstein
sind kosmetischer Art. Sie stoßen überhaupt nicht zum Grundproblem vor.
Ich habe nichts dagegen, einige sinnvolle Maßnahmen hinzuzufügen.
Ich war aber gerade an dem Punkt meiner Rede angelangt, an dem ich sagen wollte, wo der Hase im Pfeffer liegt, das heißt, wo man anfangen müßte, nämlich bei einem wirklichen Umbau, einer wirklichen Strukturveränderung unserer der Natur gegenüber rücksichtslosen und ausbeuterischen Wirtschaftsweise. Ich nehme das jetzt vorweg und sage Ihnen in Stichworten: Wir brauchen einen ökologischen Umbau des Produktions- und Konsumverhaltens. Denn sonst kommen wir nicht voran und helfen auch dem Wald nicht.
Was not tut, sind Strukturveränderungen in der Energiepolitik, Verkehrspolitik, Landwirtschaftspolitik und Industriepolitik. Wir brauchen den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Das war übrigens der große Imperativ von Rio, dem auch Herr Bundeskanzler Kohl zugestimmt hat. Ziehen Sie doch endlich daraus Konsequenzen.
Alles, was Sie für den Klimaschutz tun könnten und sollten, käme auch dem Wald zugute: Energieeinsparungen, eine massive Förderung regenerativer Energien, eine ökologische Steuerreform mit Einführung einer europaweiten Energiesteuer usw. Nehmen Sie - ich bitte Sie dringend darum - doppelt soviel Geld für den Schienenausbau wie für den Straßenausbau in die Hand! Setzen Sie endlich für Pkws das Fünf-Liter-Konzept durch! Machen Sie auf EU- Ebene einen Anlauf zur Besteuerung des Flugbenzins! Der Wald würde es Ihnen danken.
- Ich spare mir jetzt das Beispiel, das ich bringen wollte. Es tut mir leid, aber die Zeit wird nicht ausreichen.
- Sie können es gerne hören: Ist es nicht grotesk, Herr Hornung, daß VW wegen des Fernfahrerstreiks in Spanien erwägt, Flugzeuge zum Herantransportieren der Zulieferteile einzusetzen, um die Produktion in Wolfsburg nicht stoppen zu müssen? Offenbar rechnet sich das alles heute. Solange der Transport über Tausende von Kilometern - auch mit dem Flugzeug - buchstäblich spottbillig bleibt, so lange lohnt sich in unserer heutigen Zeit offensichtlich auch die Auslagerung von Arbeitsplätzen. Das ist eine Nebenbemerkung. Es ist aber nicht der unwichtigste Nebeneffekt der Tatsache, daß wir bisher keine Strukturveränderung angegangen sind.
- Darüber sprechen wir später weiter. Das können wir hier im Plenum nicht tun.
Meine Damen und Herren, warum machen wir nicht endlich die Gegenrechnung auf, nämlich darüber, welche externen Kosten durch Schäden an Natur und Umwelt - auch am Wald - allein durch Schadstoffemissionen aus dem Straßen- und Luftverkehr entstehen? Das geht nämlich nach vorliegenden Schätzungen in die Milliarden. Diese Milliarden - das muß ich hinzufügen - müssen von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Das heißt, sie werden sozialisiert - ein unerträglicher Zustand, der so nicht fortdauern kann.
Die Wälder sind nach den Weltmeeren die größten Kohlenstoffspeicher der Erde. Sie stabilisieren das globale Klima. Sie sind Hüter der genetischen Vielfalt. Das gilt - hören Sie bitte zu - auch für unsere gemäßigten Breiten und nicht nur für die tropischen Regenwälder. Drei Viertel der gefährdeten Säugetierarten sind in unseren Wäldern, in den gemäßigten Breiten, zu Hause.
Dennoch haben wir eine betrübliche Bilanz vorliegen. Man muß sich wirklich fragen: Wie kommen wir denn dazu, von den ärmeren Ländern zum Beispiel des Südens einen besseren Schutz ihrer Wälder zu fordern, wenn wir selbst unfähig sind, unsere eigenen Wälder zu erhalten, obwohl wir im Gegensatz zu den Drittländern, die dies nicht haben, das Knowhow und die finanziellen Mittel dafür hätten?
Ich muß zum Schluß kommen. An der Arroganz des Nordens gegenüber dem Süden ist schon auf der Rio-Konferenz das Zustandekommen einer internationalen Waldkonvention gescheitert. Diese Konvention ist heute nötiger denn je; denn jede Sekunde gehen weit über 5 000 Quadratmeter Wald verloren. Die Bundesregierung tut sich sehr viel auf ihre Vorreiterrolle im Umweltschutz zugute. Am Beispiel Waldpolitik könnte sie diese Vorreiterrolle einmal beweisen. Sie könnte und sollte Bündnispartner für eine neue Waldpolitik suchen. Sie könnte ein Sofortprogramm zum Stopp der Kahlschläge und der Waldvernichtung in Nord und Süd aufstellen. Sie könnte große weltweite Aufforstungsprogramme in die Wege leiten und unterstützen. Sie könnte ein gezieltes Ausbauprogramm für die regenerativen Energien, insbesondere für die Solarenergie, durchführen und für den entsprechenden Technologietransfer sorgen. Sie könnte schnellstens eine neue Waldkonvention vorbereiten.
Dr. Liesel Hartenstein
Aber - das soll meine letzte Bemerkung sein - wenn die Bundesregierung dies wirklich will, Herr Heinrich, und wenn sie dabei Erfolg haben will, dann muß sie in allererster Linie ihre Hausaufgaben im eigenen Land machen. Sonst wird unsere Position auf internationalen Konferenzen immer schwieriger. So gesehen ist die ernsthafte Bekämpfung des Waldsterbens auch ein Prüfstein für unsere internationale politische Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung ist am Zuge.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.