Rede von
Dr.
Liesel
Hartenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige der Redner der Koalition, einschließlich des Herrn Staatssekretärs, sind Meister im Verniedlichen, wie ich feststellen muß. Dagegen ist sogar der Waldschadensbericht der Bundesregierung noch ein Muster an Sachlichkeit.
Herr Gröbl, wenn man tatsächlich alle schwer geschädigten und abgestorbenen Bäume, die seit 1980 oder meinetwegen seit 1983 aus unseren Wäldern herausgeschlagen worden sind, aufgelistet hätte, dann sähe diese Bilanz heute ganz anders aus, als Sie sie darstellen. Im übrigen brauchen wir gar nicht auf die neuen Länder abzuheben. Bleiben wir doch in den alten Ländern. Bleiben wir in Bayern und Baden-Württemberg. Auch ich lade Sie zu einem Waldspaziergang ein. Ich kann Ihnen nämlich im Schwarzwald zeigen, wo die kahlen Flächen tatsächlich liegen. Gehen wir miteinander an den Schliffkopf und an den Kniebis. Dann werden Sie sehen, wie es dort aussieht.
Es gibt immer wieder Versuche, das Ausmaß und die Dramatik des Waldsterbens herunterzuspielen. Eine Topnachricht im letzten Herbst war: Der Wald wächst und gedeiht. Von Finnland bis nach Portugal wachsen die Bäume schneller. Der Holzzuwachs sei sogar höher denn je; das fanden die Experten des Europäischen Forstinstituts heraus. Auf eine scheinbar so frohe Nachricht stürzen sich natürlich all jene begierig, die das Waldsterben schon immer als ein bloßes Hirngespinst von Umweltschützern dargestellt haben. Ein bißchen haben Sie sich auf diese Ebene begeben, Herr Gröbl.
Herr Heinrich, tatsächlich haben die Experten mit ihrem Befund ja recht. Nur ist dieses Faktum erstens nicht neu, sondern längst bekannt. Zweitens entkräftet es in gar keiner Weise die traurige Tatsache des fortschreitenden Waldsterbens. Drittens - das ist in meinen Augen das Entscheidende - sind die erstaunlichen Zuwachsraten in bestimmten Gebieten in Wahrheit gerade kein Hoffnungszeichen, sondern im Gegenteil eine entlarvende Bestätigung für die massive Überlastung des Naturhaushalts, die wir Tag für Tag weiter verschlimmern.
Die Überanreicherung mit Stickstoff und die erhöhte CO2-Konzentration führen zwar zu einem forcierten Pflanzenwachstum, aber nur so lange, solange genügend Wasser und Nährstoffe vorhanden sind, Aber genau das wird durch die Aufheizung der
Dr. Liesel Hartenstein
Atmosphäre immer fragwürdiger. Da die Bundesregierung für den Klimaschutz fast nichts tut,
wird der Wald weiter dahinsiechen, bis zum möglichen plötzlichen Zusammenbruch. Bitte nachzulesen in dem Bericht der Enquetekommission zum Schutz der Erdatmosphäre.
Wie enorm hoch die Stickstoffmengen übrigens sind, die auf die Bäume niedergehen, belegt auch der Sechste Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, der heute mit aufgerufen ist. Herr Hornung, danach liegen die Stickstoffmengen zwei- bis fünfmal höher, als dies der Wald überhaupt verkraften kann.
Wir kennen die Folgen: eine zunehmende, hochgefährliche Versauerung der Waldböden und Gewässer, die es heute schon fraglich macht, ob auf diesen Böden noch einmal ein Wald wachsen kann. Wir kennen auch die Quellen, aus denen der Giftcocktail kommt. Zum Beispiel ist es im Fall der NOx-Emissionen zu 70 Prozent der motorisierte Straßenverkehr. Der Rest stammt aus Industrie, Landwirtschaft und Haushalten.
Wir sind der Meinung, daß diese Gefahren noch abgewehrt werden könnten, wenn diese Regierung nur endlich entschlossene Maßnahmen ergreifen würde. Aber das tut sie nicht. Was man in dem Waldzustandsbericht über Maßnahmen gegen sogenannte neuartige Waldschäden findet, ist absolut unzureichend, um nicht zu sagen: kläglich. Ich kann Ihnen diese Feststellung nicht ersparen. In, sage und schreibe, 20 Spiegelstrichen betet die Bundesregierung all das noch einmal herunter, was zur Luftreinhaltung geschehen ist: vom Erlaß der TA-Luft über die Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung und die Einführung des bleifreien Benzins
bis zum glorreichen sogenannten Ozongesetz, von dem wir heute wissen, das es grausam mißlungen ist, und zur Wunderwaffe Telematik. Sogar der Bundesverkehrswegeplan von 1992 wird in diesem Bericht als Maßnahme gegen das Waldsterben in Anspruch genommen, da er - so wörtlich - eine stärkere ökologische Orientierung in der Verkehrspolitik eingeleitet habe. Man kann feststellen, daß dies eine geradezu abenteuerliche Behauptung ist,
wenn man an den Boom im Autobahnbau denkt und
wenn man weiß, daß es der Bundesverkehrsminister
noch nicht einmal fertigbringt, die dringend notwen-
digen Frachtterminals in der Bundesrepublik zügig zu erstellen.
Was soll das alles? Keine dieser aufgelisteten Maßnahmen ist für sich genommen falsch. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Aber alle sind in ihrem Charakter - mit Ausnahme der Verordnung über Großfeuerungsanlagen - höchst marginal; sie stoßen überhaupt nicht zur Quelle des Übels vor. Auch wenn Sie noch weitere 20 Spiegelstriche dieser Art anfügen, wird der Wald dadurch nicht gesünder. Das kann ich Ihnen voraussagen.
Waldschäden sind Systemschäden. Das ist nun einmal so. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Sie sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen Überlastung der Atmosphäre und einer ausbeuterischen Übernutzung der Naturressourcen.
Jack London hat einmal gesagt: „Wenn die Geduld der Natur erschöpft ist, antwortet sie mit Katastrophen." Diese Situation ist da, und Sie wissen es. Das „Weiter so" funktioniert nicht mehr. Aber mangels politischen Mutes versuchen Sie immer noch, sich durchzuwursteln. Das kann nicht länger gutgehen.
Ich möchte einen früheren Kollegen, Erhard Eppler, zitieren, der soeben seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Er sagte vor kurzem: „Wir leben in einer Zeit, in der zwar viele wissen, was sie tun, aber wenige tun, was sie wissen." Exakt das trifft auf die Waldpolitik der Bundesregierung zu.