Rede von
Steffi
Lemke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! „Unser Wald auf dem Weg zur Besserung" - so die freudige Schlagzeile des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Waldschadensbericht 1996. Die Bundesregierung macht es sich jedoch zu einfach, wenn sie erklärt: „Die anfänglichen pessimistischen Prognosen vom raschen und flächenhaften Sterben unserer Wälder sind nicht eingetroffen. " Ich frage mich, wo Sie leben, daß Sie angesichts der Tatsachen, daß flächenhaftes Absterben „nur" in einzelnen Waldgebieten aufgetreten ist und weit über die Hälfte des Waldes nach wie vor krank ist, zwanghaft versuchen, Optimismus zu verbreiten.
Angesichts der Tatsache, daß die Hauptbaumarten Buche und Eiche unverändert in einem hundsmiserablen Zustand ohne Anzeichen der Besserung sind, müßten Sie doch hier Alarm schlagen. Statt dessen versuchen Sie, die leichten statistischen Verbesserungen des Waldzustandes als Erfolg Ihrer verfehlten Luftreinhaltepolitik zu verkaufen.
Eine Abnahme der Schäden kann nur für einzelne Baumarten - und das auch nur regional - beobachtet werden. Der Zustand der Eichen ist nach wie vor am
Steffi Lemke
schlimmsten. Nur 18 Prozent sind im bundesdeutschen Durchschnitt gesund, in Thüringen ist es keine einzige mehr.
Der Hauptgrund für den leichten Rückgang deutlich geschädigter Bäume um 2 Prozent liegt in der feucht-kühlen Witterung des Sommers 1996, die dem Wald zusätzlichen Trockenstreß und eine hohe Ozonbelastung ersparte. Zwar wurden auf massiven Druck der Umweltbewegung in den vergangenen Jahren erhebliche Emissionsminderungen bei Schwefeldioxid erreicht - das ist tatsächlich ein Erfolg, den ich hier nicht unter den Tisch kehren möchte -, für eine Gesundung des Ökosystems Wald ist das Emissionsniveau jedoch nach wie vor insgesamt viel zu hoch.
Aber Minister Rüttgers geht in seinem grenzenlosen Zukunftsoptimismus bereits einen Schritt weiter. Der Waldschadensbericht ist nach Meinung des Bundesforschungsministeriums nicht mehr aussagekräftig genug. Deshalb müsse geprüft werden, inwieweit er noch „den Anspruch an eine den Tatsachen entsprechende, nützliche, aussagekräftige und ... auch politisch zu rechtfertigende Information der Öffentlichkeit erfüllt." Was heißt, bitte schön, „politisch zu rechtfertigende Information"? Sollen die um den Wald besorgten Bürgerinnen und Bürger künftig nur noch erfahren, was der Bundesregierung „nützlich" ist? Diese Orwellsche Informationspolitik erinnert mich fatal an DDR-Zeiten. Das letzte, was dem Wald nützen könnte, ist ein Gesundrechnen per Neudeklination der Schadstoffklassen. Meine Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung dieses Vorhaben aus dem Forschungsministerium einstampft. Schade um das Papier, auf dem es geschrieben wurde.
Richtig ist, daß der Waldschadensbericht allein nicht aussagekräftig genug ist. Deshalb fordern wir, daß die Bundesregierung endlich den vielfach versprochenen und immer wieder verschleppten Bodenzustandsbericht vorlegt.
Das Umweltbundesamt hat im Rahmen der UN- Konvention über weiträumige, grenzüberschreitende Luftverunreinigungen kritische Belastungswerte von Stickstoff und säurebildenden Substanzen berechnet. Hieraus wird deutlich, daß auf nahezu 90 Prozent der Fläche Deutschlands sowohl die Stickstoff- als auch die Säureeinträge die von den Ökosystemen verkraftbare Belastung zum Teil bis zum Dreifachen übersteigen.
In den Waldböden tickt eine Zeitbombe. Die Schadstoffanreicherung im Boden stellt langfristig auch die Hauptgefährdung unserer Waldbestände dar. Die Bäume verlieren durch das entstehende Nährstoffungleichgewicht an Vitalität und Widerstandskraft, werden anfälliger gegenüber Witterungseinflüssen und natürlich auch noch anfälliger gegenüber Schadstoffeinflüssen. Durch die zu hohen Stickstoffeinträge werden insbesondere an stickstoffarme Standorte angepaßte Pflanzenarten, unter denen sich bereits besonders viele Rote-Liste-Arten befinden, verdrängt. Inzwischen ist durch die Grundwasserversauerung teilweise sogar die Trinkwassergewinnung in Waldgebieten gefährdet.
An Stelle des Vorsorgeprinzips setzt die Bundesregierung jedoch auf Symptombekämpfung. Ihre Antwort auf versauerte Waldböden lautet im Kern immer noch: Kalkung. Seit 1984 wurden rund 2,1 Millionen Hektar, das sind rund 20 Prozent der Waldfläche Deutschlands, gekalkt.
Die öffentlichen Haushalte ließen sich dies bisher rund 240 Millionen DM kosten. Die Kalkung kann zwar kurzfristig die Bodenversauerung kompensieren. Aber diese rein bodenchemische Betrachtung greift zu kurz und wirkt sich auf das komplexe Ökosystem Boden letztendlich sogar kontraproduktiv aus.
CDU und F.D.P. schreiben in ihrem Entschließungsantrag, daß die Erfolge der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung inzwischen allseits anerkannt sind.
Diese Einschätzung wird offensichtlich nicht allseits geteilt. So beklagt das Deutsche Kinderhilfswerk in dieser Woche in einer Pressemitteilung unter Berufung auf eine neue Umweltstudie der Uni Göttingen einen drastischen Anstieg der Atemwegserkrankungen und Allergien bei Kindern. So ist die Zahl der Asthmaerkrankungen in den letzten 30 Jahren auf das Vierfache gestiegen, und die Häufigkeit von Heuschnupfen und Neurodermitis hat sich im gleichen Zeitraum von 5 auf 27 Prozent erhöht. Ich frage die Bundesregierung, ob sie diese Entwicklung auch zu den Erfolgen ihrer Luftreinhaltepolitik zählt.
In einer gemeinsamen Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, des Deutschen Forstvereins, des Deutschen Forstwirtschaftsrates und der Stiftung Wald in Not werden von der Bundesregierung eine CO2-Steuer und eine konsequentere Politik zur Reinhaltung der Luft eingefordert. Diese Gruppierungen sind im Kern nun nicht unbedingt dem grünennahen Spektrum zuzurechnen, aber selbst dort wird diese Forderung inzwischen in aller Deutlichkeit erhoben.
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine Energiesteuer zu realisieren, um eine wirksame Minimierung der Schadstoffemissionen einzuleiten. Leiten Sie endlich Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung von der Straße auf Schiene, Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV ein. Herr Dietzel, Sie brauchen da nicht mehr zu überlegen, Sie müssen in diesen Bereichen handeln.
Darüber hinaus muß schnellstens eine Sommersmogverordnung umgesetzt werden, deren Grenzwerte
Steffi Lemke
nicht bloße Makulatur sind, damit unseren Kindern und dem Wald nicht die Luft ausgeht.