Rede:
ID1314523600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Achten: 1
    2. Sie: 1
    3. bitte: 1
    4. auf: 1
    5. die: 1
    6. Zeit!: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/145 (Zu diesem Plenarprotokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1996 Inhalt: Eintritt der Abgeordneten Marion Seib in den Deutschen Bundestag 13051A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 13051 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen 13051 D Begrüßung des Präsidenten der Abgeordnetenkammer der Italienischen Republik, Herr Luciano Violante, und seiner Begleitung 13075 C Nachruf auf den Abgeordneten Dr. Karl Fell 13106 B Tagesordnungspunkt 3: Menschenrechtsdebatte a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen . . 13052 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 3. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen - zu dem Antrag der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Gerd Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechtsberichte und Lageberichte der Bundesregierung für die parlarmentarische Arbeit nutzbar machen - zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas Krautscheid, Dr. Christian Schwarz-Schilling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Burkhard Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Den Menschenrechten weltweit zur Geltung verhelfen - Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 1995 - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Konzept für eine deutsche Menschenrechtspolitik in ihrer Verbindung mit den anderen Politikbereichen (Drucksachen 13/3312, 13/3528 Nr. 1.8, 13/3210, 13/3214, 13/3229, 13/5363) 13052 B c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anhangs 1 des Zusatzprotokolls 1 zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 (Drucksachen 13/5738, 13/6395) 13052 C d) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses - zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schritte zur politischen Regelung des Kurdenkonflikts - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der Gruppe der PDS: Vermittlungsinitiative der Bundesregierung für eine politische Lösung in Kurdistan/Türkei (Drucksachen 13/4365, 13/4004, 13/ 6396) 13052 D e) Antrag der Abgeordneten Steffen Tippach, Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS: Die Menschenrechtssituation in der Türkei verbessern (Drucksache 13/5134) 13053 A f) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Amt eines/einer Menschenrechtsbeauftragten des Deutschen Bundestages und Einrichtung eines beratenden Gremiums „Rat für Menschenrechte" (Drucksache 13/4749) . 13053 A g) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Lage in Osttimor (Drucksachen 13/5799, 13/ 6397) 13053 A h) Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratie und Menschenrechte als Maßstab der deutschen Südost- und Ostasienpolitik (Drucksache 13/5950) 13053 B i) Antrag der Fraktion der SPD: Unterstützung der weltweiten Bemühungen um die Abschaffung der Todesstrafe (Drucksache 13/6060) 13053 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 13053 C, 13073 A Günter Verheugen SPD 13058 A Rudolf Seiters CDU/CSU 13060 A Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13062 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P 13063 D Steffen Tippach PDS 13066 A Rudolf Bindig SPD 13068 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . 13070 A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13072A Dr. Burkhard Hirsch F D P. 13073 C Rudolf Bindig SPD 13074 B Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13075 A Heide Mattischeck SPD 13075 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13077 B Andreas Krautscheid CDU/CSU . . . 13077 D Petra Ernstberger SPD 13080 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 13081D, 13083 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13083 C Ulla Jelpke PDS (Erklärung nach § 31 GO) 13084 A Steffen Tippach (Erklärung nach § 31 GO) 13084 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Dorle Marx, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Menschenwürde von Kindern achten - Sexuelle Gewalt ächten (Drucksache 13/6054) 13086 C, 13090 B Dr. Edith Niehuis SPD 13086 C, 13090 B Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 13088 D Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13091 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 13092 C Rosel Neuhäuser PDS 13094 B Dorle Marx SPD 13095 B Maria Eichhorn CDU/CSU 13097 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13099 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 13100 B Peter Altmaier CDU/CSU 13101 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13102 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 13102 B Ulla Schmidt (Aachen) SPD 13103 B Johannes Singhammer CDU/CSU . . 13104 D Tagesordnungspunkt 5: a) Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Börnsen (Börnstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Dr. Olaf Feldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft (Drucksachen 13/2652, 13/5674) 13106 D b) Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin), Dr. Antje Vollmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freiwilliges soziales Engagement fördern und zur Selbsttätigkeit ermutigen (Drucksache 13/3232) 13107 A Klaus Riegert CDU/CSU 13107 A Siegrun Klemmer SPD 13108 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13110 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 13112 C Volker Kröning SPD 13113 C Petra Bläss PDS 13115 A Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 13116 D Annette Faße SPD 13117 B Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . 13118 C Klaus Hagemann SPD 13119 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 13121 A Volker Kröning SPD 13122 A Klaus Riegert CDU/CSU 13122 C Ingrid Holzhüter SPD 13123 A Ilse Falk CDU/CSU 13124 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 13126 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13127 C Tagesordnungspunkt 16: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes (Drucksache 13/ 5739) 13128 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. August 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über den Luftverkehr (Drucksache 13/6167) 13128 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. November 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Usbekistan über den Luftverkehr (Drucksache 13/6168) 13128 D d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 24. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits (Drucksache 13/6201) 13129 A e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Januar 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Jura, über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen (Drucksache 13/6202) 13129 A f) Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Trassenzugang und marktfähige Trassenentgelte sorgen (Drucksache 13/6145) 13129 B g) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Vorsorgeprinzip in der Fischerei verankern (Drucksache 13/ 6057) 13129 B h) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Frankfurt am Main, ehemals US-genutztes IG Farben Hochhausgelände (Teilfläche ehemalige Junior-Highschool) (Drucksache 13/6183) 13129 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksache 13/ 6362) 13129 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktive Außenpolitik der Bundesregierung zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei (Drucksache 13/6419) . 13129 D Tagesordnungspunkt 17: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung (Produktsicherheitsgesetz) (Drucksachen 13/3130, 13/6203) . . . 13129 D b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom B. September 1976 über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus Personenstandsbüchern (Drucksachen 13/4995, 13/6144) 13130 A c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksachen 13/ 5049, 13/6190) 13130 B d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 11. Dezember 1995 zur Änderung des Abkommens vom 31. Oktober 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik China über den Zivilen Luftverkehr (Drucksachen 13/5291, 13/6191) 13130 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 13/5737, 13/6401) 13130 D f-j) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 160, 161, 163, 164 und 165 zu Petitionen (Drucksachen 13/6326, 13/6327, 13/ 6329, 13/6330, 13/6331) 13131A-C Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes (Drucksachen 13/6039, 13/6408) . . . 13131 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Konzernabschlußbefreiungsverordnung (Drucksachen 13/6053, 13/6091 Nr. 2.4, 13/ 6409) 13132 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Plänen der Landesregierung Schleswig-Holstein, in einem Modellversuch sogenannte weiche Drogen in Apotheken verkaufen zu lassen 13132 A Jürgen Koppelin F.D.P 13132 B Heide Moser, Ministerin (Schleswig-Holstein) 13133 C Hubert Hüppe CDU/CSU 13135 A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13136 A Dr. Barbara Höll PDS 13137 B Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 13138 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 13139 D Anneliese Augustin CDU/CSU 13141 A Antje-Marie Steen SPD 13142 A Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . 13143 D Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 13145 C Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 13147 A Peter Basten CDU/CSU 13148 C Johannes Singer SPD 13149 D, 13152 B Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . . 13150 D Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch . . . 13152 A Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Presse, Rundfunk und Film (Drucksache 13/5285) 13153 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Gerald Häfner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherung der Pressefreiheit und des Zeugnisverweigerungsrechts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Presse, Rundfunk, Film (Drucksache 13/6382) . . 13153 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13153 D Horst Eylmann CDU/CSU 13155 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 13156 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13156 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . 13159 A Wolfgang Bierstedt PDS 13160 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 13160 D Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Regelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz 1998) (Drucksache 13/ 6392) 13161 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Städtebaulicher Bericht 1996 - Nachhaltige Stadtentwicklung (Drucksache 13/5490) 13161 C c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die erzielten Ergebnisse und den Stand der mitgliedstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumordnung innerhalb der Europäischen Union - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Europa 2000+ - Europäische Zusammenarbeit bei der Raumentwicklung - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumordnung entlang der deutsch-polnischen Grenze (Drucksachen 13/1078, 13/1233 Nr. 1.5, 13/3577, 13/3182 Nr. 2.4, 13/2685, 13/ 2973 Nr. 5, 13/5947) 13161 D d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Regionalisierung raumwirksamer Bundesmittel (Drucksachen 13/ 2941, 13/3179 Nr. 1, 13/5948) . . . . 13162 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Amberg), Franziska EichstädtBohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für ein soziales und ökologisches Städtebau- und Raumordnungsrecht (Drucksache 13/6384) 13162 A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 13162 B Walter Schöler SPD 13164 C Lisa Peters F.D.P. 13165 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13167 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 13168 D Walter Schöler SPD 13169 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 13170 C Peter Götz CDU/CSU 13172 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13173 C Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 13174 A Angelika Mertens SPD 13174 C Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU . . . 13175 C Hans-Werner Bertl SPD 13176 D Tagesordnungspunkt 8: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von § 152 des Bundessozialhilfegesetzes (Drucksachen 13/6089, 13/6390) 13177 D - Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes (Drucksachen 13/5426, 13/6390) 13177 D Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (Drucksachen 13/5494, 13/6407) . 13178 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 13178C Konrad Gilges SPD 13180 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13181 D Dr. Gisela Babel F.D.P 13183 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 13184 D Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin BMBF 13185 C Konrad Gilges SPD 13186 A Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Christa Lörcher, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gewalt gegen Ältere - Prävention und Intervention (Drucksache 13/ 5627) 13188 B b) Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN: Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen gegen Gewalt in der Familie (Drucksache 13/5453) 13188 B Tagesordnungspunkt 10: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung 1096 (Drucksache 13/4554) 13188 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Eine Welt ohne Atomwaffen (Drucksache 13/5987) 13188 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen (Drucksache 13/6383) 13189 A Nächste Sitzung 13189 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13191*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Bläss (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von § 152 des Bundessozialhilfegesetzes und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes (Tagesordnungspunkt 8) 13191* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) 13191* D 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1996 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt für Andres, Gerd SPD 5. 12. 96 * Antretter, Robert SPD 5. 12. 96 * Bahr, Ernst SPD 5. 12. 96 Blunck, Lilo SPD 5. 12. 96 * * Brunnhuber, Georg CDU/CSU 5. 12. 96 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 5. 12. 96 * * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 5. 12. 96 * * Francke (Hamburg), CDU/CSU 5. 12. 96 Klaus Großmann, Achim SPD 5. 12. 96 Haack (Extertal), SPD 5. 12. 96 * * Karl Hermann Dr. Hartenstein, Liesel SPD 5. 12. 96 Hoffmann (Chemnitz), SPD 5. 12. 96 * * Jelena Hornung, Siegfried CDU/CSU 5. 12. 96 * * Köhne, Rolf PDS 5. 12. 96 Lummer, Heinrich CDU/CSU 5. 12. 96 * * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 5. 12. 96 * * Erich Mosdorf, Siegmar SPD 5. 12. 96 Nickels, Christa BÜNDNIS 5. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Probst, Albert CDU/CSU 5. 12. 96 * * Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 12. 96 * * Schloten, Dieter SPD 5. 12. 96 * Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 5. 12. 96 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 5. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 5. 12. 96 Tröger, Gottfried CDU/CSU 5. 12. 96 Wallow, Hans SPD 5. 12. 96 Wieczorek (Duisburg), SPD 5. 12. 96 Helmut Wohlleben, Verena SPD 5. 12. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 5. 12. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Bläss (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von § 152 des Bundessozialhilfegesetzes und über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes (Tagesordnungspunkt 8) Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, weil ich es falsch finde, nur aus Parteiräson gleiche Inhalte ungleich zu behandeln. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, obwohl ich dagegen bin, Menschen, noch dazu ältere, in die entwürdigende Sozialhilfe zu schicken. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, obwohl ich meine, daß auch Regelsatz mit Mehrbedarf zu gering ist für ein menschenwürdiges Leben im Alter. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, obwohl ich meine, daß es endlich an der Zeit wäre, in Ost und West das Frauenrentenrecht zu verbessern. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, obwohl es unredlich ist, die Kassen der Kommunen immer mehr mit den Löchern der sozialen Sicherungssysteme zu belasten. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, weil damit endlich die Betroffenen in Ost und West gleichgestellt sind; allerdings wäre mir lieber gewesen, den Sozialzuschlag weiterzuführen und im Westen einzuführen. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe, um die Betroffenen zu ermutigen, ihre Rechte wahrzunehmen, auch wenn diese mit einer entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfung verbunden sind. Ich stimme für beide Gesetzentwürfe mit der Aufforderung, sich aktiv für ein besseres Rentenrecht einzusetzen, das solche Gesetze entbehrlich macht. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes stimme ich u. a. deshalb nicht zu, weil es sich z. B. für das Bäckerhandwerk ausbildungshemmend auswirkt. Auf diesen Umstand habe ich ausführlich in der Wirtschaftsausschußsitzung des Deutschen Bundestages am 4. Dezember 1996 verwiesen. Nachtrag zum Plenarprotokoll 13/145 Deutscher Bundestag Nachtrag zum Stenographischen Bericht 145. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1996 Inhalt: Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 152 des Bundessozialhilfegesetzes) Ulf Fink CDU/CSU 13193* A Uwe Lühr F.D.P 13193* C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13194* A Heidemarie Lüth PDS 13194* C Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 13194* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (a - Antrag: Gewalt gegen Ältere - Prävention und Intervention, b - Antrag: Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen gegen Gewalt in der Familie) Renate Diemers CDU/CSU 13195* B Christa Lörcher SPD 13196* B Erika Reinhardt CDU/CSU 13198* C Arne Fuhrmann SPD 13199* D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13200* C Lisa Peters F.D.P. 13201* C Heidemarie Lüth PDS 13203* A Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 13204* A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Bundesbericht Forschung 1996) Josef Hollerith CDU/CSU 13205* C Edelgard Bulmahn SPD 13206* C Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13208* A Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. . . 13209* A Wolfgang Bierstedt PDS 13209* D Christian Lenzer CDU/CSU 13210* D Bodo Seidenthal SPD 13211* B Reinhard Weis (Stendal) SPD 13212* D Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin BMBF 13214* A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Antrag: Eine Welt ohne Atomwaffen) und zu Zusatztagesordnungspunkt 7 (Antrag: Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen) Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 13216* B Gernot Erler SPD 13217* B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13218* C Günter Friedrich Nolting F.D.P. . . . . 13219* C Manfred Müller (Berlin) PDS 13220* A Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 13221* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von § 152 des Bundessozialhilfegesetzes) Ulf Fink (CDU/CSU): Wir haben eine gute Botschaft für etwa 2 500 alte Menschen in Ostdeutschland: Sie erhalten rückwirkend zum 1. November diesen Jahres 100 DM pro Monat mehr. Begünstigt sind alte Menschen, die über 65 Jahre und gehbehindert sind, soweit ihr Einkommen unter dem Sozialhilfesatz liegt. Die 100 DM mehr sind ihnen wirklich zu gönnen. Denn ihr normales Einkommen - der sog. Regelsatz der Sozialhilfe - beträgt nur 506 DM monatlich zuzüglich der Miete. Da zählt jede Mark. Wir freuen uns mit den alten Menschen in Ostdeutschland, daß es ihnen nun etwas besser geht. Wir hätten das schon bei der Verabschiedung der Reform des Bundessozialhilfegesetzes im Sommer dieses Jahres machen wollen. Aber in der Hektik der nächtlichen Sitzungen des Vermittlungsausschusses ist dieser Punkt einfach durchgerutscht. Dieses Versäumnis holen wir nun nach. So wichtig diese Neuregelung für die Betroffenen ist, noch wichtiger ist vielleicht: Mit diesem Gesetz fällt eine weitere Sozialmauer im Sozialhilferecht zwischen Ost- und Westdeutschland. Jetzt gilt ein weitgehend einheitliches Sozialhilferecht in ganz Deutschland. Wir sind stolz auf unser Sozialhilferecht, und ich füge hinzu: Wir, die Christlichen Demokraten, sind besonders stolz. Wir waren es, die dafür gesorgt haben, daß in der Bundesrepublik Deutschland als erstem Land der Erde 1961 jedem, der im Geltungsbereich des Grundgesetzes wohnt, ein Rechtsanspruch auf die Führung eines menschenwürdigen Lebens eingeräumt worden ist. Das ist Ausdruck unserer Überzeugung von der Würde des Menschen, die ihm auch durch Schuld und Irrtum nicht genommen werden kann. Und wir sind es auch, die es nach vielen vergeblichen Reformanläufen im Sommer dieses Jahres geschafft haben, daß dieses Recht an die neue Entwicklung angepaßt werden konnte. Wir freuen uns, daß sogar der Bundesrat mit seiner SPD-Mehrheit zum Schluß nicht umhin konnte, unseren modernen Vorstellungen zuzustimmen und den arbeitslosen Sozialhilfeempfängern neue Rechte, aber auch Pflichten einzuräumen. Wir sind es auch, die sich - trotz aller Widerstände - nicht darin beirren lassen, die deutsche Einheit auch im sozialen Bereich zu vollenden. Ein Rentnerehepaar, das in der DDR früher oft nur 400 DM hatte - der Kommunismus hatte mit Leuten, die nicht mehr produzieren konnten, nicht viel im Sinn -, hat jetzt ein durchschnittliches Einkommen von sage und schreibe 3 118 DM. Anlagen zum Stenographischen Bericht Behinderte - auch mit ihnen meinte es der Kommunismus nicht gut - haben früher in der DDR oft unter unwürdigsten Umständen leben müssen. Es ist dem aufopferungsvollen Dienst von Behindertenpflegern und -pflegerinnen in der DDR zu verdanken, daß es überhaupt irgendwie ging. Jetzt erhalten sie Zug um Zug die modernen Hilfeleistungen eines Sozialstaates. Soziales bewegt sich nicht im luftleeren Raum, Sozialpolitik arbeitet konkret. Der heutige Gesetzentwurf ist ein weiterer kleiner Baustein im großen Gefüge des auch innerlich zusammenwachsenden Deutschlands. Uwe Lühr (F.D.P.): Von der Arbeitsökonomie her wäre diese Debatte über die Änderung des § 152 BSHG eigentlich überflüssig: Koalitions- und Oppositionsfraktionen sind sich einig, auch wenn die Fraktion der Grünen nicht in Rubrum des Gesetzentwurfes genannt ist. Ursächlich dafür war wohl lediglich ein organisatorisches Versehen der Fraktion. Auch in den Ausschußberatungen war allen Fraktionen ohne jede Aussprache klar, daß eine durch ein Versehen des Gesetzgebers entstandene unbeabsichtigte Schlechterstellung der Menschen in den neuen Bundesländern beim sozialhilferechtlichen Mehrbedarf ab dem 1. Januar 1997 durch ein Eilgesetz noch in diesem Jahr verhindert werden muß. Daß die PDS, die nicht müde wird, Ungleiches in Ost und West gleichbehandelt zu verlangen, diesmal, wo Gleichbehandlung hergestellt werden soll, sich nicht überwinden kann, den auf einem Denkfehler beruhenden eigenen Gesetzentwurf zurückzuziehen, sondern ihn hier zur Streitgen Abstimmung stellen läßt, gehört ja schon zum bekannten Ritual. Für die von ihr verlangte Rückwirkung ist kein Raum, weil sich die Schlechterstellung wegen des noch bestehenden Sozialzuschlages im Jahr 1996 nicht auswirkt. Die formale Korrektur erzeugt aber in ihrer Wirkung sehr wohl auch Betroffenheit: Ein jetzt noch nicht genau zu quantifizierender Personenkreis wird wegen des auslaufenden Sozialzuschlags der Rente den Mehrbedarf zukünftig beim Sozialhilfeträger, also bei der Kommune, geltend machen müssen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, in der Vorweihnachtszeit hier über etwas sprechen zu können, das ausschließlich Freude bereiten würde. Die wird aber bei diesem Thema sicherlich nirgendwo aufkommen. Es ist eben nicht bedeutungslos - jedenfalls für die meisten unserer Mitbürger nicht -, ob der Zahlbetrag über die Rente oder das Sozialamt ausgezahlt wird. Hier sind auch die Kommunen gefordert, ihr Sozialamt mehr als Bürger-Service zu verstehen denn als zusätzliche emotionale Barriere, die zur Realisierung des eigenen Rechtsanpruchs zusätzlich zu überwinden ist. Natürlich müssen wir heute den vorliegenden Gesetzentwurf beschließen, um damit den Fehler zu korrigieren und die Anspruchsberechtigung auch rechtzeitig einzuräumen, die im bestehenden Gesetz durch das Versehen im Vermittlungsausschuß noch ausgeschlossen ist. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daß ältere Kleinstrenter und Sozialhilfeempfänger in den neuen Bundesländern auf den Mehrbedarfszuschlag verzichten müssen, war von Anfang an verfassungsrechtlich bedenklich und höchst ungerecht. Die Begründung, daß durch den Sozialzuschlag in der Rentenversicherung dieses Zubrot überflüssig sei, war und ist durch die Zahlen nicht gedeckt. Sozialhilfesatz plus einmalige Hilfen plus 20prozentiger Mehrbedarfszuschlag im Westen (ca. 785 DM) liegen über Sozialhilfesatz mit Sozialzuschlag im Osten (z. Zt. 688 DM für einen Alleinstehende/n). Für diese Ungleichbehandlung der Bedürftigen gab und gibt es keinen nachvollziebaren Grund. Und spätestens mit dem Auslaufen des Sozialzuschlags - seit dem 1. Januar 1994 wird er nur noch an ältere gezahlt, die bereits im Rentenbezug stehen, am 31. Dezember dieses Jahres entfällt der Sozialzuschlag völlig - ist diese unterschiedliche Behandlung vollends obsolet geworden. Um so besser also, daß die Mehrbedarfsregelung künftig gesamtdeutsch gelten soll - wenn auch in arg gerupfter Form. Denn seit der Sozialhilfereform dieses Sommers erhält nur noch ein kleiner Teil der zweiten Gruppe neben den Älteren, für die der Zuschlag einmal gedacht war, 20 % mehr. Erwerbsunfähige, die jünger als 65 Jahre sind, müssen seitdem schon gehbehindert sein, bevor ihnen die Sozialämter einen Mehrbedarf zusprechen dürfen. Auf niedrigerem Niveau als vorher soll also nun das Versprechen der Rechtsangleichung zwischen West und Ost endlich eingelöst werden. Allerdings mit erheblicher Verspätung: Bundesgesundheitsminister Seehofer hat diese Anpassung bereits bei der ersten Präsentation der Grundzüge seiner Sozialhilfe-Reform im April des vergangenen Jahres angekündigt. Doch während der langwierigen Auseinandersetzungen über das Gesetzeswerk scheint dieses Relikt des Einigungsvertrages unter den Tisch gefallen zu sein. In der atemlosen Hast, in der fast täglich neue Kompromißformulierungen zwischen CDU/CSU und F.D.P. bzw. zwischen Bundesregierung und Bundesrat bei der Sozialhilfe-Reform zu Papier gebracht wurden, hat man offenbar die Streichung dieses Passus schlichtweg vergesssen. Die PDS hat damals schnell reagiert und bereits im August einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Aufgrund der bekannten Vorbehalte war es den Koalitionsfraktionen und der SPD offensichtlich nicht möglich, einfach dem Antrag zuzustimmen - ein eigener mußte her. Doch wenn dies schon so ist, sollte man sich wenigstens dem Vorschlag der PDS anschließen und den Mehrbedarfszuschlag rückwirkend zum 1. August gewähren. Denn das ist der Tag, an dem das „Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts" in Kraft getreten ist. Für hier in Bonn zu verantwortende Versäumnisse sollten nicht die Betroffenen einstehen müssen. Heidemarie Lüth (PDS): Im Frühjahr 1995 konnten wir Minister Seehofers Eckpunkten zur SozialhilfeNovelle entnehmen: Der Mehrbedarf wird für die älteren Bedürftigen in den neuen Bundesländern gewährt. Im Frühjahr 1996 war im Zusammenhang mit dem Sparpaket auch der Mehrbedarf West weggefallen. Das ging zu weit, er wurde wieder in die Novelle des BSHG aufgenommen. Aber da vergaßen die Gestalter der Novelle, daß es noch den Osten gab. Mehrbedarf gab es nur für die Betroffenen in den westlichen Bundesländern. Daraufhin legte die PDS den heute auch zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf vor (Drucksache 13/5426), den § 152 des Bundessozialhilfegesetzes so zu ändern, daß der Mehrbedarf auch im Osten gilt - natürlich mit Inkrafttreten des Gesetzes. Ursache war: Im Ergebnis des Einigungsvertrages war der Mehrbedarf in den neuen Ländern nicht eingeführt worden, weil es für Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern den Sozialzuschlag als pauschalierte Sozialhilfe gab, die bei den Neuzugängen bis 31. Dezember 1993 geleistet wurde. Wenn aber ab Januar 1994 eine Rentnerin oder ein Rentner im Osten zum Sozialamt ging, bekam sie oder er zwar die Renten mit Sozialhilfe aufgestockt. Verzichten mußte sie oder er, anders als im Westen, aber auf die ca. 100 DM Mehrbedarf. Das Problem mit dem Mehrbedarf besteht also bereits seit Januar 1994. Um die Dimension aufzuzeigen: Allein in Sachsen bezogen 1995 rd. 39 000 Frauen eine Rente im Bereich zwischen 500 und 600 DM, also im Bereich des Mehrbedarfs. Der Antrag der PDS verlangt - im Unterschied zum Entwurf der Koalitionsparteien und der SPD - die Gewährung des Mehrbedarfs ab 1. August 1996. Die Argumentation, Sozialhilfe könne nicht rückwirkend gewährt werden, ist richtig. Aber hier liegt doch eindeutig ein Verschulden derjenigen vor, die die Novelle des BSHG erstellten und beschlossen. Nun die Betroffenen von ihrem Recht auszuschließen, daß sie nun wenigstens seit dem 1. August 1996 hätten, ist ein Skandal und geht wohl nur bei einem Ostproblem. Jetzt noch sich selbst zu loben, daß endlich in dieser Frage Gleichheit zwischen Ost und West hergestellt sei, geht an der gesellschaftlichen Wirklichkeit meilenweit vorbei. Die Koalitionsparteien und die SPD mußten mit ihrem Antrag am 12. November 1996, drei Monate nach unserem, die sachliche Richtigkeit unseres Antrages bestätigen. Aber unserem zuzustimmen - ein Ding der Unmöglichkeit! Mehrbedarfszuschlag für die neuen Bundesländer ist kein Geschenk, sondern eine längst fällige Gleichstellung. Für Tausende, besonders für hochbetagte Frauen, bedeutet das, um sich ihr Recht zu sichern, den entwürdigenden Gang zum Sozialamt. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Das Gesetz zur Ergänzung des § 152 BSHG, über das wir heute debattieren, bedeutet wieder ein Stück mehr Angleichung des Rechts in den neuen Ländern. Die dort bisher geltende Sonderregelung eines Sozialzu- schlags bei niedrigen Renten wird bis zum 31. Dezember 1996 endgültig auslaufen. Sie wird ersetzt durch die allgemeine Regelung eines Mehrbedarfszuschlags für gehbehinderte ältere oder erwerbsunfähige Menschen, die Sozialhilfe beziehen. Eine Ausdehnung des Geltungsbereichs der Vorschriften über den Mehrbedarf für Ältere und Erwerbsunfähige auf die neuen Länder war bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Sozialhilferechts vorgesehen, konnte aber nicht verwirklicht werden, weil zwischenzeitlich eine andere Lösung auch für die alten Länder erwogen worden war. Damit bestand für eine Rechtsangleichung kein Raum mehr. Nach dem Kompromiß im Vermittlungsausschuß zu den Mehrbedarfszuschlägen ist dieser Bedarf wieder entstanden und soll nun mit diesem Gesetzentwurf gedeckt werden. Die geplante Regelung macht einmal mehr deutlich, daß die Rechtsangleichung zwischen neuen und alten Bundesländern ständig und in vielen kleinen Schritten vorangeht. Ich betone das deshalb so deutlich, weil viele solcher Maßnahmen, die sich in umfangreichen Änderungsgesetzen verbergen, weit weniger auffallen und gerne übersehen oder vergessen werden. Trotz mancher noch vor uns liegender Probleme sollten wir alle diesen andauernden Prozeß der Angleichung des Rechts und der gesamten Lebensverhältnisse bewußt und mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Wenn wir den § 152 BSHG heute in der vorliegenden Form beschließen, sind sieben der acht Maßgaben des Einigungsvertrages, die besondere Regelungen für das Sozialhilferecht in den neuen Ländern vorsehen, nicht mehr anzuwenden oder weitgehend angepaßt worden. Lediglich eine Maßgabe ist dann noch, wie ursprünglich formuliert, anzuwenden. Sie betrifft den Ausbau von Einrichtungen und sozialen Diensten in den neuen Ländern und wird ohne gesetzliche Regelung auslaufen, je weiter dieser Ausbau vollendet wird. Das ist ein Erfolg für die Menschen in den neuen Ländern. Er zeigt, was in kurzer Zeit erreicht werden kann, wenn alle Beteiligten im Interesse der Betroffenen zusammenarbeiten. Ich meine das ganz besonders im Hinblick auf die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und neuen Ländern, denen ich hierfür meinen Dank aussprechen möchte. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (a - Antrag: Gewalt gegen Ältere - Prävention und Intervention, b - Antrag: Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen gegen Gewalt in der Familie) Renate Diemers (CDU/CSU): Weder kann noch will ich bestreiten, daß es Fälle gibt, in denen alte Menschen innerhalb ihrer Familien Opfer von physischer und psychischer Gewalt sind. Es sollte selbstverständlich sein, daß hier alle am gesellschaftlichen Geschehen Beteiligten Abhilfe schaffen und vorbeugend tätig werden. Spätestens seit dem Vorliegen des ersten Altenberichts im Jahre 1993 ist bekannt, daß es zu Aggressivität gegenüber Alten und schwerpflegebedürftigen Menschen vorwiegend dann kommt, wenn sich die Pflegepersonen überfordert fühlen. Es muß darum gehen, diese meist subjektiv empfundene Überforderung zu objektivieren und gezielte Hilfsangebote bereitzustellen. Im Altenbericht sind dazu eine Reihe von Möglichkeiten aufgelistet. Wichtig ist mir die Feststellung, daß viele mit der Alten- und Pflegearbeit betrauten Organisationen und Einrichtungen Gesprächskreise für Angehörige von pflegebedürftigen Menschen anbieten, in denen Erfahrungen ausgetauscht und auch Aggressionen abgebaut werden können. Gerade heute, am Tag des Ehrenamtes, ist es meiner Meinung nach an der Zeit, den vielen Selbsthilfegruppen zu danken, die Anlaufstelle für die pflegenden Familienangehörigen sind, die sich über ihre Situation aussprechen und gleichzeitig Verständis, praktischen Rat sowie Hilfe erfahren wollen. All den Frauen und Männern dieser Selbsthilfegruppen - wie den Selbsthilfeeinrichtungen allgemein - sage ich von dieser Stelle aus: Herzlichen Dank! Ich rede das Problem - Gewalt an alten Menschen innerhalb von Familie - nicht klein. Dennoch muß es sehr differenziert betrachtet werden: Ich verweise auf eine Untersuchung, aus der hervorgeht, daß die übergroße Mehrheit der Befragten meint, daß der Generationenkonflikt erheblich, daß die häusliche Pflege problematisch ist. Gleichzeitig werden diese Konflikte von den Befragten - bezogen auf die eigene Familie - verneint. Die häusliche Pflege erfolgt mehr als überwiegend unter großer Aufopferung und mit viel Liebe der Pflegenden. Dabei wissen wir alle, die häusliche Pflege verlangt von allen, die im Familienbund leben: Rücksicht, Anteilnahme, Verständnis, Verzicht und Liebe für die zu Pflegenden und für die Hauptpflegeperson. Nur unter diesen Voraussetzungen ist Pflege innerhalb einer Familie überhaupt möglich. Seien wir froh darüber, daß die große Mehrheit der Pflegebedürftigen familiäre Pflege und damit auch familiäre Geborgenheit erfährt. Ich hebe dies deshalb hervor, weil mir die Anerkennung der Leistungen, die von Angehörigen bei der häuslichen Pflege erbracht werden, vielfach zu kurz kommt. Es kann auch nicht sein, daß diese Leistungen von gewalttätigen Handlungen, die nur einen Ausschnitt der Betroffenen berühren, verdeckt werden. Es stellt sich die Frage. Wie können wir der Gewalt gegen alte Menschen begegnen? Die Forderung nach weiteren Untersuchungen und Kontrollinstanzen ist möglicherweise der einfachere Weg. Was machen diejenigen, die diese Forderung erheben und gleichzeitig von der Altenlast, dem Altenberg, von dem Kostenfaktor Altenpflege, von dem Rentenrisiko, das die Alten verursachen, sprechen? Ich meine, es muß sich in unseren Köpfen etwas verändern, wenn wir über Gewalt an alten Menschen sprechen. Wie reagieren wir, wenn Alter automatisch mit Pflegebedürftigkeit übersetzt wird? Wie begegnen wir den Verallgemeinerungen und Vorurteilen, wenn es heißt: Alte Menschen sind verschroben, egozentrisch, quengelig, nörgelnd, egoistisch, hilflos, hinfällig und gebrechlich? Wir alle wissen, daß diese Wertung nicht stimmt und unzulässig ist. Dennoch: Aus einer Medienuntersuchung ist bekannt, daß es überwiegend diese Eigenschaften sind, mit denen alte und ältere Menschen in den Medien dargestellt werden. Findet hier nicht eine sehr subtile Gewalt an alten Menschen statt? Viele alte Menschen, die gern am gesellschaftlichen Leben teilnehmen bzw. ihre gesellschaftlichen Aktivitäten beibehalten möchten, versagen sich dies, aus Angst, ihre Wohnung zu verlassen, weil sie befürchten, Opfer der zunehmenden Straßenkriminalität zu werden. Dabei fühlen sie sich doppelt bedroht, einmal durch die unmittelbare Gefahr, überfallen und beraubt zu werden, und andererseits dadurch, daß sie zumindest den Eindruck haben, derartige Überfälle würden nicht mit allem Nachdruck geahndet. Ich meine, Gewalt gegen alte Menschen ist ein so komplexes Thema, daß es nicht scheibchenweise behandelt werden kann. Es gehört für mich zu dem Bereich einer ganzheitlichen Altenpolitik, die erheblich an Bedeutung gewinnt, und wie ich meine, gewinnen muß. Ende Dezember 1995 lebten in Deutschland über 17 Millionen Frauen und Männer, die älter als 60 Jahre waren. Das ist ein Anteil von gut 21 % an der Gesamtbevölkerung. Von den 60- bis 30jährigen meistern 98 % ihren Alltag allein. Von den über 60jährigen leben nur 3 % in Heimen. Die nüchternen Zahlen machen deutlich: Alte Menschen stellen keine Randgruppe dar. Aufgabe der Politik ist es, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß diese Menschen nicht isoliert werden oder sich selbst isolieren, sondern, daß sie in unserer Gesellschaft integriert bleiben, daß ihre Fähigkeiten und Kompetenzen anerkannt werden. Ich weiß, daß dies nicht durch Appelle geht. Ich weiß aber auch, daß durch ein generationenverbindendes Handeln, sei es in der Erwachsenenbildung, im Sport, im allgemeinen Vereinsleben, in der Nachbarschaftshilfe, unsere Zukunft liegt. Ich hoffe sehr, daß die vielen guten Ansätze, die es gibt, bekannter werden, damit sie Vorbildfunktion übernehmen können. Für mich liegt der Schlüssel für die Integration alter Menschen, für das Überwinden des gedankenlosen Umgangs mit alten Menschen, für die Bekämpfung aller Facetten von Gewalt gegen alte Menschen in der verbindenen Gemeinsamkeit der Generationen. Hier ist jede und jeder von uns gefordert. Christa Lörcher (SPD): Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Ältere - Gewalt, die zu einem großen Teil im familiären Raum geschieht - ist in ihren Dimensionen kaum bekannt, schwer abzuschätzen und wird in der Öffentlichkeit weitgehend tabuisiert. Gewalt gegen Kinder - die Opfer sind meist in einem Alter, in dem Gegenwehr kaum möglich ist - hinterläßt Spuren für das Leben: physische, psychische und soziale Schäden, die nur schwer zu heilen oder aufzuarbeiten sind. Menschenrechte, besonders auch die Rechte der Kinder, waren Thema der wichtigen Debatte heute Vormittag. Gewalt gegen Frauen im familiären Bereich ist ebenfalls erst kürzlich hier diskutiert worden: Leider konnte die von uns geforderte gleiche rechtliche Beurteilung und Behandlung von nicht-ehelicher und ehelicher Gewalt noch nicht durchgesetzt werden; ich hoffe, das kann im Interesse der Frauen und im Interesse unseres Rechtssystems in absehbarer Zeit geändert werden. Gewalt gegen Ältere: Die Erkenntnislage dazu wird in der Schriftenreihe 105 „Kriminalität im Leben alter Menschen" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch den amerikanischen Forscher M. Z. Goldstein hervorragend zusammengefaßt: „The questions of who does what to whom, when and under what circumstances are far from answered" (S. 125). Die Studie, deren Ergebnisse auf Befragungen und Daten vorwiegend aus den Jahren 1987 bis 1991 beruhen, zeigt einmal die methodischen Schwierigkeiten bei der Erforschung innerfamiliärer Gewalt, zum anderen gibt sie Anhaltspunkte für die Größenordnung verschiedener Delikte; und sie weist deutlich darauf hin, wie nötig weitere Forschungen in diesem Bereich sind, insbesondere zu Täter-Opfer-Beziehungen und zur Analyse möglicher Faktoren, die zur Entwicklung von Strategien für Prävention und Intervention hilfreich sein können. Erkenntnisse in diesem Bereich sind also dringend nötig; und gerade jetzt, nach einigen Erfahrungen mit der Pflegeversicherung im ambulanten und im stationären Bereich, brauchen wir empirische Studien als solide Grundlage für Konzepte, mit denen wir Risikofaktoren erkennen, der Gewalt gegen Altere entgegenwirken und Vermeidungsstrategien entwickeln können. Dies ist die Intention des ersten Teils unseres Antrags. Dabei sollen, auch um Vergleichbarkeit zu ermöglichen, die Situationen im außerhäuslichen Bereich, bei stationärer und teilstationärer Pflege, und zuhause bei Pflege durch Personen aus dem sozialen Nahbereich, aber auch durch professionelle Pflegekräfte, Gegenstand der Forschung sein. Aussagen wie „Wegen Pflegeversicherung: Immer mehr Gewalt gegen Altere" (BILD am SONNTAG vom 27. Oktober dieses Jahres, S. 4) oder „Die Pflegeversicherung hat die Situation noch verschärft" (STERN 46/96, S. 166) oder auch „Gewalt gegen ältere Menschen nimmt zu" in der Frankfurter Rundschau (28. Oktober 1996, S. 22) sind solange problematisch, wie diese Tatbestände nicht nachgeprüft und empirisch belegt sind. Es sind Hypothesen, die schnellstmöglich geprüft werden müssen, und Si- gnale an alle Verantwortlichen für wissenschaftlichen und politischen Handlungsbedarf. Gewalt gegen ältere Menschen gibt es in vielfältigen Formen. Ich möchte die Klassifizierung von Frau Dr. Margret Dieck, Deutsches Zentrum für Altersfragen in Berlin, hier anführen. Lassen Sie mich das an dieser Stelle einfügen: Margret Dieck hat jahrzehntelang im Interesse der Älteren geforscht und gearbeitet, auch für den Deutschen Bundestag als Expertin in der Enquete-Kommission Demographischer Wandel. Sie ist in der letzten Woche gestorben, und ich möchte hier für ihre Arbeit, für ihr Engagement und ihre Unterstützung bei unserer Tätigkeit danken. Ich bin sicher, der Vorsitzende der Kommission, Kollege Walter Link, wird das an anderer Stelle auch noch tun; aber ich möchte es hier sagen, weil sie auch in dem Bereich Gewalt gegen Ältere wichtige Impulse gegeben hat. Margret Dieck hat bei der Fachtagung „Gewalt gegen Ältere zu Hause" im März dieses Jahres Gewalt definiert als eine systematische, nicht einmalige Handlung oder Unterlassung mit dem Ergebnis einer ausgeprägt negativen Einwirkung auf die Befindlichkeit des Adressaten. Sie unterscheidet dabei Vernachlässigung (neglect) mit den Unterformen passive und aktive Vernachlässigung sowie Mißhandlungen (abuse) mit den Unterformen körperliche Mißhandlung, psychische Mißhandlung, finanzielle Exploitation und Einschränkungen des freien Willens. Wie viele Menschen sind es, die zuhause leben und tägliche Hilfen, Unterstützung und Pflege brauchen? Die Zahlen für Pflegebedürftige zuhause zeigen, daß wir - trotz Pflegekassen und ihrer Aktivitäten zur Beurteilung und Einstufung der Pflegebedürftigkeit - eine sehr ungenaue Datenlage haben: Norbert Blüm, der zuständige Minister, spricht von 1,2 Millionen Pflegebedürftigen, die heute Leistungen bei der Pflege zu Hause erhalten (Sozialpolitische Informationen vom 28. November 1996, S. 4); Volker Hansen dagegen nennt in seinem Bericht „Deutlich mehr Pflegefälle als erwartet" (in: KurzNachrichten-Dienst der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1996, Nr. 63 vom 16. August) rund 1,5 Millionen Personen im Bereich der ambulanten Pflege und zusätzlich über 600 000 abgelehnte Anträge, also insgesamt etwa 2,1 Millionen Empfehlungen des MDK. Dieses kleine Beispiel zeigt, daß schon einfacher zu erhebende Daten recht unterschiedlich ausfallen können! Da davon auszugehen ist, daß wegen der hohen Hürde der Pflegeversicherung - mindestens 90 Minuten Pflege täglich - viele Pflegebedürftige im Augenblick keinen Antrag stellen (ihre Zahl wird auf etwa eine halbe Million geschätzt), ist die Zahl der Gepflegten zu Hause mit Sicherheit höher als die vorher genannten Daten. Realistisch ist demnach, die Zahl der Menschen zuhause, die Hilfen und Pflege im täglichen Leben brauchen, mit mindestens zwei bis zweieinhalb Millionen anzugeben. Wer pflegt in diesen Situationen? Es sind vorwiegend Töchter, Schwiegertöchter, Ehefrauen - aber inzwischen auch ein steigender Anteil Männer. Sie werden, wenn sie Sachleistungen aus der Pflegekasse erhalten oder diese selber zahlen können, von ambulanten Pflegediensten unterstützt. Das sind Dienste, die früher vor allem von kirchlichen Trägern oder Wohlfahrtsorganisationen geleistet wurden, inzwischen immer mehr auch von privaten Pflegediensten. Viele der Pflegenden zuhause leisten tagtäglich eine liebevolle, aufopfernde Pflege und Betreuung; aber das ist, bei zunehmender Schwere der Pflegebedürftigkeit, eine Aufgabe, die auch zu Erschöpfung und Überforderung führen kann. Zu den Ursachen und Bedingungsfaktoren von Gewalt gegen Ältere im innerfamiliären Bereich - ich will hier nur einige der wichtigsten nennen - gehören: Überforderung der Pflegeperson durch Langzeitpflege oder Pflege rund um die Uhr; Alkohol- oder andere Suchtprobleme, physische oder psychische Krankheiten der Pflegeperson; Konflikte in der Beziehung, Abhängigkeiten zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftigem; einschränkende Lebensbedingungen, z. B. finanzielle und soziale Schwierigkeiten, Isolation; Gewalttätigkeit als Mittel zur Lösung von Konflikten schon in früheren Lebensphasen. Von verschiedenen Forschern wird auch darauf hingewiesen, daß Demenzkranke ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewalt zu werden, als ältere Menschen mit körperlichen Krankheiten. In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur Situation der Demenzkranken in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 13/5257 vom 10. Juli 1996) wird die Zahl der Demenzkranken mit rund 800 000 angegeben, wenn man nur die mittelschweren und schweren Stadien betrachtet; unter Einbeziehung auch der leichten Stadien wird eine Zahl von 1,2 Millionen angegeben, wobei auch höhere Schätzungen nicht zurückgewiesen werden (S. 4). Wer Demenzkranke kennt und mit ihnen gearbeitet hat, weiß, daß es nicht einfach ist und daß nach einem Frühdienst, nach Spät- oder Nachtschicht es nötig und wichtig ist, eine Pause, Erholung, Abwechslung zu haben. Das ist aber, wenn ein älterer Mensch mit Demenz zu Hause lebt und betreut wird, oft nicht möglich, und dann können Belastung, Rückzug, Verzweiflung, Isolation, Aggression gegen sich oder andere zunehmen und, wenn keine Hilfe und Entlastung erfolgt, die Beziehung und die Betreuung erheblich stören. Was können wir für die Menschen in einer solchen Situation tun? Darum geht es in den weiteren Punkten unseres Antrags. Parallel zu wissenschaftlichen Untersuchungen müssen konkrete Schritte zum Schutz der pflegebedürftigen Menschen und zur Entlastung der Pflegenden getan werden; dabei können auch vorhandene Instrumente genützt werden. § 45 des Pflegeversicherungsgesetzes z. B. ermöglicht Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen, die von den Pflegekassen unentgeltlich angeboten werden sollen. Wie viele Pflegende haben solche Kurse besucht? Was wird gelehrt? Welche Lernerfolge haben diese Kurse? Gibt es ein Cur- riculum für Pflegekurse, das beitragen kann zur psychischen und sozialen Stabilisierung der Pflegeperson, zur Vorbereitung und Verarbeitung belastender Situationen - ein Curriculum, das Reflexionen anstößt und Möglichkeiten aufzeigt, wie Entlastung und Deeskalation in kritischen Situationen versucht werden kann? Bei der Fachtagung im März sagte Professor Andreas Kruse, Universität Greifswald, daß er gern bereit wäre, an einem solchen Curriculum zu arbeiten - ein Mann, der große Erfahrung in Forschung und Lehre für diesen Bereich mitbringt. Warum nutzen wir das nicht? Bündnis 90/Die Grünen wollen Pflegekurse verpflichtend machen. Ich glaube nicht, daß das der richtige Weg ist. Wer nicht dazulernen will, wird auch nicht unter Zwang lernen. Ich halte es für sinnvoller, die Rahmenbedingungen so attraktiv zu machen, daß die Kurse von möglichst vielen Pflegepersonen angenommen werden, z. B. durch die Möglichkeit einer Ersatzpflegekraft während der Kurszeit. Ein anderer Punkt aus dem Antrag: eine sinnvollere Form und Organisation der Beratungsbesuche. Das ist sicher richtig und notwendig, aber auf freiwilliger Basis; wie die Grünen es vorschlagen, dient es nicht dem Schutz der Menschen! Andreas Kruse nennt die „intensivere psychosoziale Betreuung und Beratung von Familien mit einem pflegebedürftigen Familienmitglied sowie die Einrichtung von Gruppen für pflegende Angehörige" eine Chance für Prävention und Intervention mit dem Ziel der Gewaltvermeidung und des Gewaltabbaus. Nachdenken über das eigene Verhalten in Krisen- und Konfliktsituationen, vorübergehende Entlastung der Angehörigen von der Pflege und eine Aufteilung von zeitintensiver Pflege auf mehrere Personen werden von ihm als weitere Möglichkeiten der Prävention gesehen. In der Prävention und in der Intervention gibt es Ansätze und Ideen, die andernorts erprobt und weiterentwickelt werden. Ich nenne als Beispiel die regionalen „Helplines" in den Niederlanden - ein Notrufsystem, das es seit einigen Jahren gibt für Opfer, Angehörige, Nachbarschaft oder Fremde - zur Information über Mißhandlungen von Älteren mit der Möglichkeit für anschließende Beratung und Betreuung. Auch aus den USA wird über verschiedene Modelle der Intervention berichtet; brauchbar scheinen mir vor allem die angebotenen Dienstleistungen zu sein: Angebote für die Opfer, Angebote für Gewalttätige und „Verbindungsangebote" zur Vermittlung zwischen beiden Gruppen. Wenn wir internationale Tagungen zu so wichtigen Themen wie Gewalt gegen Ältere haben, können wir dann nicht auch bereit sein, von den Ideen und Erfahrungen dieser Länder zu lernen? Ein gemeinsamer Antrag zum Thema „Gewalt gegen Ältere im häuslichen Bereich - Prävention und Intervention" zur Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen und der Pflegenden ist Ziel unserer Initiative. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen will meines Erachtens zu viele Schritte gleichzeitig; außerdem enthält er fehlerhafte Angaben. Ziele und Kern unterscheiden sich darüber hinaus wenig von denen in dem von uns formulierten Antrag. Frau Nolte, Ministerin in diesem Ressort, hat ein Modellprojekt angekündigt „Gewalt gegen Ältere im persönlichen Nahraum", das für dreieinhalb Jahre mit 1,6 Millionen DM Kosten geplant ist - besser als gar nichts, Frau Kollegin Nolte, aber nicht genügend! Vorbereitung, Projekt, Nachbereitung - das heißt ca. 5 Jahre abwarten und immer so tun, als ob Sie etwas tun! Für die meisten Betroffenen ändert sich in dieser Zeit nichts - das ist zu wenig! „Menschenwürde und Selbstbestimmung im Alter" heißt ein Untersuchungsbericht in Baden-Württemberg aus dem Jahr 1990. Viele gute Vorschläge zur Altenpolitik sind dort enthalten, wenige bisher verwirklicht (z. B. eine bundeseinheitliche qualifizierte Altenpflegeausbildung). Lassen Sie uns gemeinsam die guten Ansätze nicht nur sammeln und diskutieren, sondern daraus lernen und Verbesserungen so schnell wie möglich verwirklichen! Die Pflegebedürftigen und die Pflegenden freuen sich darüber, wenn sie in ihrer oft schwierigen Situation Unterstützung und Entlastung erhalten; sie brauche sie. Erika Reinhardt (CDU/CSU): Die beiden uns vorliegenden Anträge befassen sich sehr umfassend mit der Gewalt gegen ältere Menschen, den vermuteten Ursachen, dem Problem der Dunkelziffern sowie mit möglichen Maßnahmen und vor allem der Prävention. Obwohl die Intention der beiden Anträge gleich ist, sind die Unterschiede bei den Maßnahmen, der Prävention deutlich. Vielleicht wird dadurch auch erkennbar, wie schwierig und sensibel dieser Bereich ist, und wie sehr es darauf ankommt, wie Politik und Gesellschaft damit umgehen. Eine umfassende Studie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie und Senioren erstellt wurde, gibt erste profunde Einblicke in dieses Feld. Neu an diesem Abschlußbericht ist die Analyse der Opfererfahrungen in engen sozialen Beziehungen. Die Ergebnisse dieser Studie sind in jedem Fall alarmierend. Die Daten zeigen, daß der Bereich der familiennahen Gewalt gegen ältere Menschen sehr viel ausgeprägter ist als die Thematik der Gewalt gegen ältere Menschen in Institutionen, wobei auch hier zu berücksichtigen ist, daß es immer schwierig sein wird, bei Untersuchungen im privaten und noch schwieriger im Bereich der Institutionen klare und objektive Zahlen zu erhalten. Deshalb möchte ich auch nicht so sehr auf Zahlen eingehen, vielmehr die Problematik in ihrer Gesamtheit beleuchten. Gewalt gegen ältere Menschen, gegen Hilfe- und Pflegebedürftige, ist immer Gewalt gegen Schwächere, und, wo immer sie geschieht, zu verachten. Denn jeder Gewaltakt, der Menschen in engen sozialen Beziehungen widerfährt, ist einer zuviel. Richtig ist aber auch, daß Gewalt gegen ältere Menschen keine Neuerscheinung ist, nur, früher kam sie nicht ans Tageslicht, man redete nicht darüber, es war tabu. Deshalb finde ich es gut, daß wir heute offen darüber diskutieren und damit auch zu einer Bewußtseinsbildung in unserer Gesellschaft beitragen. Mit Hilfen können wir nur ansetzen, wenn wir uns auch mit dem Problem auseinandersetzen und gemeinsam Lösungen, Hilfen und Konzepte entwikkeln. Wir begrüßen es daher sehr, daß sich das Ministerium bereits vor Jahren mit der Problematik auseinandergesetzt hat und auch Maßnahmen, wie Informations- und Fachtagungen, durchgeführt hat. Aus den Erkenntnissen müssen wir Konsequenzen ziehen. Wir haben es mit einem sehr sensiblen Bereich zu tun und sollten deshalb auch mit der entsprechenden Sorgfalt mit diesem Thema umgehen. Für Schlagzeilen ist es jedenfalls nicht geeignet. Denn es darf nicht passieren, daß die vielen pflegenden Angehörigen und professionellen Helfer, die ihre Arbeit tagtäglich selbstverständlich und unter Achtung der Würde des älteren Menschen tun, durch Einzeldarstellungen in Medien von Gewalt gegen ältere Menschen verunglimpft und in ihrer täglichen Arbeit in Frage gestellt werden. Die tatsächliche oder geplante Vernachlässigung oder Gewaltanwendung steht immer am Ende eines langen Prozesses. Dabei ist es wichtig, zu sehen: Jede Seite scheint zugleich Täter und Opfer zu sein. Auf jeder Seite gibt es passives Erleiden und aktives Handeln. Es ist deshalb kein Widerspruch, wenn wir feststellen, daß sich Gewaltanwendung und Zuwendung unmittelbar ablösen und auch überlagern. Wir wissen, daß die Pflege älterer Menschen häufig mit großen Belastungen und Einschränkungen für die Pflegenden verbunden ist, die bis zur körperlichen und seelischen Erschöpfung reichen kann. Hier sind die Schwellen zu einer möglichen Vernachlässigung der älteren Pflegebedürftigen fließend. Genau hier müssen unsere Maßnahamen ansetzen. Ich weiß, von was ich rede, aus eigener Erfahrung: - Zwei Jahre habe ich einen bettlägerigen älteren Menschen gepflegt, ich weiß, was es bedeutet, nachts zwei- bis dreimal aufzustehen und Hilfe zu leisten und untertags wieder voll einsatzfähig zu sein. Entlastende Hilfen sind gefordert, nicht Anklage. Es gilt, die Pflege zu erleichtern. Dies reicht von personeller Entlastung über technische Hilfen bis hin zu Selbsthilfegruppen unter professioneller Leitung. Aus seniorenpolitischer Sicht messen wir für die Unterstützung der Familienpflege den ambulanten Diensten und ehrenamtlichen Helfern eine große Bedeutung zu. Aber wir dürfen sie bei ihrer schwierigen Arbeit nicht alleine lassen, damit Gewalt erst gar nicht entsteht. Die Pflegeversicherung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Baustein zur Entlastung der Pflegenden. Ich denke dabei an die Möglichkeit der Kurzzeitpflege, der stundenweisen Betreuung der wichtigen Beratung und Schulung von Pflegenden. Wichtig ist vor allem auch die moralische Unterstützung. Hier sind Gesprächskreise, wie sie oft von freien Trägern angeboten werden, sehr hilfreich. Das Wissen, mit dem Problem nicht allein zu sein, kann viele Emotionen abbauen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Ist Gewalt als solche erkennbar und unzweifelhaft, sei sie physisch oder psychisch, ist sie als solche auch zu benennen, und hier muß auch eingeschritten werden. Daß es nicht allein körperliche Gewalt zu verhindern gilt, wird offenkundig, wenn man sich die Folgen von psychischer Gewalt vergegenwärtigt. Denn körperliche Folgen im Sinne von Verletzungen oder Schmerzen sind weniger bedeutsam als psychische Konsequenzen. Es dominieren dem Opfererlebnis nachfolgend Ängste, das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein, oder auch das Bedürfnis, aus dem Haushalt ausziehen zu wollen, dies aber nicht in die Tat umsetzen zu können. Das Problem, quantitative Untersuchungen über eine so vielschichtige und schwer zu präzisierende und eingrenzende Thematik durchzuführen, ist offenkundig. So notwendig Forschung auch sein mag, viel wichtiger als Untersuchungen ist ein Bewußtseinswandel in unserer Gesellschaft, ein gemeinsames Wirken und Helfen. Das Thema muß offen, aber auch mit der notwendigen Sensibilität diskutiert werden, und unser Ziel muß sein, alles Erdenkliche in die Wege zu leiten, um Gewalt gegen ältere Menschen zu verhindern. Maßnahmen, die dieses Ziel verfolgen, müssen an beiden Seiten, d. h. bei den Pflege- und Hilfebedürftigen und bei den Pflegenden ansetzen, wobei die Hilfe und Entlastung für die pflegenden Familienangehörigen den Ansatzpunkt bilden sollen. Wir sind bereit, konstruktiv an dieser Aufgabe mitzuwirken. Arne Fuhrman, (SPD): Der Begriff „Gewalt', seine Ausübung, der Gebrauch haben in der heutigen Tagesdebatte bisher eine wichtige Rolle gespielt. Die Forderung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nach gewaltfreier Erziehung in der Familie entspricht auch der Forderung nach gewaltfreiem Umgang mit alten Menschen in Familie und Gesellschaft. Gewalt in der Sprache - „Hey, Opa, mach mal Platz" oder „Ach, Oma, red' kein Blech" - sowie die körperliche Gewalt - als Beispiele bieten sich an: Schlagen, Drängeln, Fallenlassen, Liegenlassen - und die seelische Gewalt - wie sich nicht kümmern, nicht zuhören, vergessen, warten lassen - sind alles Beispiele, die in einer Ellenbogengesellschaft offensichtlich wie das Verdrängen aus dem Arbeitsprozeß, das Sich-Vordrängeln, das Im-Mittelpunkt-Stehen zum Alltag gehören. Man könnte leicht dem Irrtum verfallen, daß der Begriff der alltäglichen Gewalt gegen Kinder, gegen Frauen, gegen die Alten den Alltag in unserem Leben prägt. Dies scheint mir ein pauschales Vorurteil zu sein, so wie die Vorurteile „ Im Heim herrscht Gewalt gegen Ältere" oder „In den Familien leiden Alte durch die Jungen" oder „Die Gesellschaft peinigt ihre Alten" . Und dennoch: Es gibt Gewalt in jeder Form, an jeder Stelle und zu jeder Zeit gegen die Älteren, gegen die Alten. Mir erscheint es häufig so, als sei die Angst davor, sich mit dem eigenen Alter, dem eigenen Tod, den eigenen Gebrechen auseinanderzusetzen, die Triebfeder, um Frust, Angst, Aggression durch Gewalt abzureagieren. Dies ist eine Erklärung. Würde man es dabei bewenden lassen, wäre es verhältnismäßig einfach, Mechanismen zu entwickeln, die die Ausübung jeglicher Art von Gewalt erschweren oder unmöglich machen könnten. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die unseren Alltag prägt durch laufende persönliche und im Umfeld angesiedelte Problemfälle wie Arbeitslosigkeit, beengten Wohnraum, Kampf um gesellschaftliche Anerkennung, finanzielle Nöte, Partnerschaftsprobleme und, nicht zu vergessen, die immer wiederkehrenden Augenblicke von Überforderung oder Versagen im Beruf. Genug Gründe, um im Zweifelsfalle Enttäuschung, Zorn, Wut an den Schwächsten in unserer Gesellschaft, an unseren Kindern, Kranken, Behinderten und Alten auszulassen. Aber Achtung: Gewalt gegen Ältere ist nicht zu erklären als der Kampf zwischen Jung und Alt, als die gesellschaftliche Auseinandersetzung der Jungen gegen die Alten. Wir haben uns daran gewöhnt, mit Risiken zu leben, sei aber nicht zu verbalisieren, um uns und anderen unsere Hilflosigkeit nicht eingestehen zu müssen. Es gibt einige kleine, aber passende Beispiele für das, was ich mit diesem Satz ausdrücken möchte: Da ist das hauptamtliche Personal in der stationären Altenhilfe, das sich voller Zuwendung und wirklicher Hilfsbereitschaft wochen-, monate-, ja sogar jahrelang um die alten, zumeist pflegebedürftigen Menschen kümmert. Und dann kommen die Augenblicke, in denen zu wenig Personal oder kaum ausgebildetes Personal vorhanden ist, in denen die persönliche Überforderung so stark wird, daß man „diese alte Frau" oder „diesen alten Mann" mit seiner Nörgelei, mit seinen Extrawünschen nicht mehr erträgt. Und der Schritt zur Gewaltanwendung ist nur noch klein. Oder da sind die Angehörigen, die sich total überschätzt haben oder von ihren Nachbarn überschätzt wurden, als sie sich darauf einließen, zu Hause in ihrer Wohnung die Pflege für irgendeinen Angehörigen zu übernehmen. Hier brauchen wir Hilfe, und zwar für die, die nicht verstehen können, daß sie Gewalt anwenden und wie sie das tun. In einer Gesellschaft, in der mehr als 25 Prozent der Menschen zu den Alten gehören, ist die Hilfe für alle Beteiligten im Umgang miteinander dringend geboten. Wir sind nicht immer und überall von Gewalt umgeben. Vieles von dem, was in solchen Debatten wie der heutigen geäußert wird - auch das, was verschwiegen wird -, könnte dazu dienen, die Diskussion auf falsche Gleise zu führen. Aber unstrittig ist auch, daß Kinder und Alte am Anfang und am Ende einer Straße stehen, die nur dann ohne Schaden von allen Generationen begangen werden kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und zu diesen Rahmenbedingungen gehören in erster Linie die Sicherheit und Verläßlichkeit für die Absicherung aller Lebensrisiken, die Erziehung zu verantwortungsbewußtem Verhalten und Respekt vor der Würde eines Lebens bis ins hohe Alter, Supervision und Beratung für pflegende Angehörige und Pflegeberufe und die Einsicht, daß zum Miteinander-Leben auch solidarisches Verhalten gehört. Solidarität ersetzt nicht Eigenverantwortung, erträgt nicht Bevormundung, sie wirkt auch als Hilfe zur Selbsthilfe. In der Solidargemeinschaft stehen die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Arbeitenden für die Arbeitslosen und die Starken für die Schwachen ein. Gewalt gegen Ältere ist Schwäche. Eine solidarische Gesellschaft hift den Schwachen. Gewalt hat dann keine Chance. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag der Bundesregierung hat uns drastisch vor Augen geführt, was sich hinter deutschen Wohnungstüren abspielt: Jährlich werden zirka 600 000 ältere Menschen im Alter von 60 bis 75 Jahren Opfer von Gewalt in der Familie. Sie werden körperlich mißhandelt, vernachlässigt oder materiell ausgenutzt. Allein die Zahl der schwer körperlich mißhandelten älteren Menschen lag 1991 bei 120 000 Personen. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit erdulden die Opfer häufig ihr Schicksal. Sie sehen dies als ihre Privatsache an, scheuen sich, Fremden zu sagen, daß sie in der eigenen Familie gequält werden, um das Zusammenleben mit der nahestehenden Person nicht noch weiter zu erschweren. Nachbarn schweigen, weil sie sich nicht in Familienangelegenheiten einmischen wollen. Und die Betroffenen sind häufig zu schwach, um Alarm schlagen zu können. Deshalb ist die Dunkelziffer so hoch: Nur jeder zehnte Fall wird der Polizei bekannt, so die Studie. Ursachen für Gewalt gegen ältere Menschen liegen oft in belastenden Pflegesituationen. Darum mache ich mir Sorgen, daß sich 90 % der Angehörigen für das Pflegegeld und nur 10 % für professionelle Hilfe entscheiden. Ich glaube, viele Angehörige unterschätzen die Belastung, die auf sie zukommt. „Familienpflege hat ihre Grenzen", besagt eine Untersuchung der ehemaligen Ministerin Lehr. Denn: Viele Angehörige sind körperlich und seelisch mit der Pflegesituation überfordert: Sie haben kaum ein Privatleben, kein freies Wochenende, keinen Urlaub mehr. Diese Situation ist mitverantwortlich für die Dramen, die sich in manchen Familien abspielen. Die oft langfristige Belastung zermürbt die Laienpfleger und Laienpflegerinnen: Erschöpfungszustände, beengte Wohnverhältnisse, familiäre Schwierigkeiten oder negative Erlebnisse aus der Vergangenheit führen dazu, daß pflegende Angehörige oft selbst am Rande des Zusammenbruchs stehen und dann gewalt anwenden. All dies zeigt: Ältere Menschen, die Gewalt in engen sozialen Beziehungen erleben, brauchen Unterstützung und Hilfe. Sie brauchen Ermutigung, um zu offenbaren, daß sie Gewalt erleiden. Ihnen fehlen Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, die in Krisensituationen direkte und kompetente Hilfe leisten können. Aber es gibt auch zu wenig Hilfen für die pflegenden Angehörigen. Die Politik darf dieses Problem nicht länger leugnen oder verharmlosen. Dem erschreckenden Ausmaß von Gewalt in der Familie muß endlich politisch begegnet werden. Es muß gehandelt werden. Frau Nolte, ich freue mich zwar, daß unsere Kritik nicht ganz spurlos an Ihnen vorübergegangen ist, aber Ihr Modellprojekt, das Sie ab März 1997 fördern wollen, nimmt sich angesichts der Dimension des Problems doch sehr bescheiden aus. Und auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD sind sehr zaghaft. Sie fordern zunächst eine weitere Studie. Das kann nicht schaden, aber Sie wissen doch auch, welchen Wert Studien für diese Regierung haben. Sie füllen Schubladen und Regale. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber Ihre Forderungen haben einen Allgemeinheitsgrad, der fast schon nicht mehr zu überbieten ist. Was sind denn für Sie beispielsweise - ich zitiere - „Möglichkeiten der Prävention", die Sie „ernst genommen" sehen wollen, oder „Möglichkeiten der Intervention", die Sie „geprüft" sehen wollen? Wo ist Ihre klare politische Position? In unserem Antrag finden Sie eine Vielzahl von konkreten Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, um Gewalt gegen ältere Menschen zu mindern oder zu vermeiden. Dazu gehören: kostenlose, anonyme Beratungsstellen, um älteren, von Gewalt bedrohten Menschen Hilfe und Unterstützung anzubieten. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie ein umfangreiches wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt einrichtet, innerhalb dessen Beratungsstellen, Krisen-Interventionsdienste und Notrufe ausgebaut und neu geschaffen werden. Hier müssen allerdings auch die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber auch für die pflegenden Angehörigen ist einiges zu tun: Wir brauchen im Rahmen der Pflegeversicherung eine professionelle Beratung für pflegende Angehörige durch freiwillige Pflegeeinsätze der ambulanten Dienste. Sie können doch nicht ernsthaft erwarten, daß die bisherigen Pflichtpflegeeinsätze, durch die die Qualität der Pflege kontrolliert werden soll, zur Beratung von pflegenden Angehörigen taugt. Auch eine wirkliche Entlastung der pflegenden Angehörigen, zum Beispiel durch Kurzzeit- oder Tagespflege, kann dazu beitragen, die Gewaltdynamik in Pflegesituationen zu verringern. Die von der Pflegeversicherung im Rahmen einer Soll-Vorschrift vorgesehenen Pflegekurse müssen verbindlich verankert werden. Die Pflege von Menschen in der Pflegestufe 2 und 3 ist eben kein Kinderspiel. Darum muß neben der Hilfestellung zur Pflege auch Umgang mit Streß-, Belastung- und Krisensituationen erlernt werden. Und auch an einer anderen Stelle müssen Sie umdenken: Wir dürfen keine Wohnghettos für unterschiedliche Altersgruppen in dieser Gesellschaft schaffen: Ein ausreichendes Angebot an bezahlbaren Mehrgenerationen-Wohnungen ist eine angemessene Wohnform für ältere Menschen, auch wenn sie pflegebedürftig sind. Sie bieten einen Schutz vor sozialer Isolation und Gewalt. Bei der anstehenden Novelle des 2. Wohnungsbaugesetzes müssen diese daher auch als förderungswürdig aufgenommen werden. Und was geschieht für den Fall, daß es zu Gewalthandlungen gekommen ist und Opfer und Täter oder Täterin nicht mehr unter einem Dach leben können? Bislang fehlt es an Alternativen, wie auch Richterinnen und Richter immer wieder bemängeln. Darum muß für Menschen, die den Ort der Gewalt verlassen wollen, ein Angebot an Schutzwohnungen bereitgestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in wenigen Tagen ist der Tag der Menschenrechte. Es ist ein Menschenrecht, in Würde und ohne Gewalt alt zu werden. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Lisa Peters (F.D.P.): Der Deutsche Bundestag wird sich in den nächsten Jahren noch sehr oft mit dem Thema „Der ältere Mensch" beschäftigen müssen. Das heißt für mich, daß ich mich mit meinem eigenen Anliegen - ich bin 62 Jahre alt und werde in meiner Heimatstadt in der Statistik als „Seniorin" geführt - beschäftigen und auseinandersetzen muß. Wir können diesen Themenbereich nicht mehr übergehen, die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik und in Europa zwingt uns zur Wahrnehmung. In der Zukunft werden wir Älteren das Bild der Gesellschaft prägen, wir sind einfach in der Überzahl, man kommt an den Senioren nicht mehr vorbei. Wir werden aber sehr viel tun müssen, wollen wir voll akzeptiert werden. Uns muß der richtige Platz und Stellenwert in dieser Gesellschaft eingeräumt werden. Wir wollen auch in Zukunft nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Rolle spielen. Man kann allerdings feststellen, daß die älteren Menschen in den kommenden Jahren über mehr Geld verfügen werden. Es ist auch heute schon klar festzuhalten, daß die Versorgung und Betreuung älterer Menschen viele Arbeitsplätze geschaffen hat und noch weiter schaffen wird. Ich freue mich deshalb sehr, daß das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Belange der älteren Generationen zunehmend mehr thematisiert. Sie, Frau Ministerin Nolte, haben sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit dieser Problematik beschäftigt, viele Stellungnahmen verfaßt, Studien in Auftrag gegeben, eine Fachtagung veranstaltet. Kurzum: Das Thema „Älterer Mensch, Gewalt gegen ältere Menschen" wurde öffentlich gemacht, aus den vier Wänden, die die Familie umschließen, nach draußen getragen. Auch in den Fraktionen des Deutschen Bundestages wird hier Diskussions- und Handlungsbedarf gesehen, deshalb sprechen wir heute über die vorliegenden Anträge. Insbesondere die Themen „Gewalt gegen Kinder" und „Gewalt gegen Frauen" haben durch die Diskussion, die geführt wurde, Fortschritte gebracht. Wir alle wissen allerdings, daß noch viel zu tun ist, daß unsere Aktivitäten weiter anhalten müssen. Dank der guten Gesundheitsvorsorge der letzten 10 bis 15 Jahre können wir von einer wesentlich längeren Lebenserwartung ausgehen. Wir Frauen erreichen heute schon ein Durchschnittsalter von fast 79 Jahren. In den letzten 20 Jahren wurde die Lebenserwartung alle 4 Jahre um ein weiteres Jahr gesteigert. Es kann natürlich nicht vorausgesagt werden, wie lange diese Entwicklung noch anhalten wird. Allerdings dürfen wir diese Daten nicht nur zur Kenntnis nehmen, gesellschaftspolitische Konsequenzen sind erforderlich. Das heißt auch, wir müssen das „Älterwerden" akzeptieren, es muß Bestandteil unserer privaten Lebensplanung werden. Die Aufgabe des Berufes kann nur die Aufgabe des Erwerbslebens sein. Es darf jedoch nicht dazu führen, daß man inaktiv wird. Im Gegenteil, die im Erwerbsleben stehenden Menschen müssen sich rechtzeitig auf die folgende Phase des Lebens einstellen. Wir haben einen Anspruch auf aktive Gestaltung dieses Lebensabschnittes. Ich denke, dies wird in Zukunft mehr und mehr gelingen, zumal zunehmend mehr Hilfen angeboten werden, sich der Bildungsstand laufend erhöht. Ich gebe zu, daß dazu Mittel erforderlich sind, die Städte und Gemeinden jedoch große Schwierigkeiten haben, ihre Haushalte auszugleichen. Oft werden dann präventive Maßnahmen auch in der Seniorenarbeit gestrichen. Ältere Menschen von heute haben noch Kinder, oft auch Enkelkinder. Nur 10 Prozent der Frauen, die heute über 65 Jahren sind, haben keine Kinder geboren. Das heißt, es sind Angehörige da. In vielen Fällen lebt man noch in einer Familiengemeinschaft, in einem Haus oder in räumlicher Nähe. Das wird sich in den nächsten 20 bis 25 Jahren stark verändern. Über 30 Prozent der dann älteren Menschen werden keine Familie mehr haben. Die Eltern sind verstorben, Kinder wurden nicht geboren. Wir wissen aus allen Erhebungen, daß junge Frauen und Männer oft keine Kinder wollen. Es ist die eigene und persönliche Entscheidung dieser jungen Ehen oder Partnerbeziehungen. Ich weiß jedoch nicht, ob alles bis zu Ende überlegt wurde. Auch wenn man heute erst 30 Jahre alt ist, muß man schon darüber nachdenken, wie die eigene Gestaltung des Alters aussehen könnte. Es kann auch sein, daß diese Generation dann zwar über eine ausreichende Altersversorgung und über Zusatzeinkommen verfügt, aber die Frauen und Männer in unserem Land fehlen, die gegen Bezahlung die Betreuung und Pflege ausführen und übernehmen. Meine Herren und Damen, nun zur Gegenwart. 1996 und auch in den nächsten Jahren leben ältere Menschen noch oft innerhalb der Familie; sie werden meistens von Familienangehörigen versorgt, betreut und auch gepflegt. Nun ist mehr und mehr bekannt geworden, daß auch in Familien Gewalt gegen ältere Menschen ausgeübt wird, daß alte und kranke Menschen leiden. Die Zahlen sind erschreckend; noch wird wenig darüber gesprochen. Der ältere Mensch ist auf die Hilfe angewiesen, kann sich schlecht wehren. Oft sind die Wohnverhältnisse begrenzt, der Raum reicht nicht aus, man kann sich nicht aus dem Wege gehen. Helfen und Pflegen sind schwer, besonders dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum erforderlich sind. Überforderungen bleiben nicht aus, Aggressionen werden freigesetzt, sie treffen den Schwächeren, den Menschen, den man betreut und pflegt. Handlungsbedarf ist angezeigt. In den Anträgen, die wir heute behandeln, sind Wege aufgezeigt. Ich will jetzt einige Dinge aus meinem Umfeld nennen, die diesem Thema zuzuordnen sind. Ich komme aus einem bäuerlichen Betrieb, wir leben im ländlichen Raum. In unseren Übergabeverträgen, die vor 30 bis 35 Jahren aufgesetzt wurden, war notariell verbrieft, das „Hege und Pflege" im Alter und bei Krankheit zu gewährleisten seien. Hier kann ich sagen, diese Betreuung wird auch heute noch gegeben und vorgenommen. Oft fällt sie jedoch so aus, wie die Schwiegertochter es 30 bis 40 Jarhe vorher selbst erfahren hat, als sie in diese Familie kam. Wurde sie mit offenen Armen aufgenommen, erfuhr sie Liebe und Zuneigung, wurde sie schnell Mitglied dieser Familie. Dann ist sie heute auch in der Lage, diese erfahrene Zuneigung weiter zu geben, ja zurückzugeben. In diesen Fällen kommt es selten zu Aggressionen, obwohl natürlich eine Überforderung oft nicht von der Hand zu weisen ist. Meine Nachbarin pflegt ihre schwer an Alzheimer erkrankte Schwiegermutter. Zu Beginn der Pflege war es sehr schwer; Erkenntnisse in der richtigen Behandlung der Krankheit lagen nicht vor. Eine intensive Beratung, ein Pflegekurs mit Erfahrungsaustausch und die Erstattung über die Pflegeversicherung haben vieles leichter gemacht. Meine Nachbarin nimmt auch das Urlaubsangebot in Anspruch; die zu Pflegende wird für diese Zeit in einem Alten- und Pflegeheim betreut. Es geht alles gut, meine Nachbarin ist wieder ein fröhlicher und ausgeglichener Mensch geworden. Ich spreche mich deshalb für die Beratung und den Besuch eines Pflegekurses aus. Seit 17 Jahren bin ich in unserer Stadt Mitglied im Beirat der Sozialstation. Wir arbeiten dort seit Jahren mit präventiven Maßnahmen. Schon lange bevor ein älterer Mensch pflegebedürftig wird, nimmt die Sozialstation Kontakt auf. Wir werben intensiv dafür; die Öffentlichkeitsarbeit ist fortschrittlich, manchmal bewußt aggressiv. Wir wollen Menschen auf diese Phase des Lebens vorbereiten. Es gibt - noch - Gespräche. Wir haben seit Jahren Zivildienstleistende, die sich etwas Zeit nehmen können, für Gespräche und für Besorgungen zur Verfügung stehen und eine Verbindung von der jüngeren zur älteren Generation schlagen. Wir haben vor 17 Jahren mit zwei Gemeindeschwestern, der Leiterin und einer Teilzeitbürokraft angefangen. Heute werden über 40 examinierte Schwestern und Altenpflegerinnen, teils in Teilzeitarbeit, beschäftigt. Ich weiß aber auch, daß durch die starren und engen Zeiten, die nur noch für die Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen, sich das Gespräch mit den Älteren kaum noch führen läßt. Hier müssen wir über Verbesserungen nachdenken. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die festgestellten Probleme zu erkennen, sie zu verbessern. Es darf nicht sein, daß ältere Menschen in Angst leben müssen und nur noch wenig Freude am Leben haben. Durch die Diskussion hier im Hause und im Ausschuß können wir zur Verbesserung der augenblicklichen Situation beitragen. Vieles muß noch erforscht und ergründet werden. Es gilt, Mängel zu beseitigen. Noch besser wäre es, rechtzeitig vorzubeugen. Ich persönlich freue mich auf ein aktives Alter. Dabei bin ich mir sehr sicher, daß dann, wenn ich Hilfe benötige, sie mir von meiner Familie und aber auch den Nachbarn und Freunden gegeben wird. Heidemarie Lüth (PDS): Gewalt ist in der Regel der Mißbrauch von Macht und der Mißbrauch von Abhängigkeit. Gewalt gegen schwächere, in einem Abhängigkeitsverhältnis stehende Menschen hat sowohl eine gesellschaftliche als auch eine individuelle Dimension. Sowohl alte Menschen als auch Frauen, Kinder, behinderte, pflegeabhängige oder ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger können davon betroffen sein. Die Anträge der Fraktionen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN greifen mit dem Thema „Gewalt gegen alte Menschen" ein sehr wichtiges Problem auf, da sowohl die Ursachen für die Entstehung von Gewaltpotentialen in diesem Bereich als auch ihre Dimensionen von der Öffentlichkeit kaum und wenn, dann kampagnehaft und marktschreierisch zur Kenntnis genommen werden. Sie sollten Anlaß sein, sich über den Ansatz zur Gewaltprävention zu verständigen, da aus meiner Sicht beide Anträge dies nicht ausreichend tun. Im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird nur das spezielle Problem der Gewalt in der Familie thematisiert. Aus unserer Sicht reicht dies nicht aus. Das Leben in einem Mehrgenerationenhaushalt nimmt nur einen geringen Anteil an allen Wohnformen im Alter ein. Vielmehr treffen wir gerade bei der Altersgruppe, auf die sich der Antrag bezieht, bei den 60- bis 75jährigen Menschen, auf aktive, selbständig lebende und wohnende Personen. Für diese Gruppe besitzt die strukturelle Gewalt als gesellschaftliches Problem größere Bedeutung als die direkt in der Familie erlebte. Für Menschen mit zunehmendem Hilfe- und Pflegebedarf gewinnt dann die direkte psychische und/oder physische Gewalt in diesem Abhängigkeitsverhältnis an Bedeutung, wobei auch hier, wie im Antrag der SPD formuliert, die Gewalt in Einrichtungen der stationären und teilstationären Altenhilfe, durch ambulante Dienste, Ämter und Behörden sowie im familialen und nachbarschaftlichen Bereich eine Rolle spielt. Die Beschränkung auf Gewalt in der Familie erscheint deshalb eine wichtige, aber zu enge Sichtweise zu sein. Die gesellschaftliche Gewalt gegen alte Menschen beginnt mit der Diskussion um die „Altenlast", „den Rentnergau" - von den Medien wirksam publiziert - und der gesellschaftlichen Aufkündigung des Solidarvertrages, der auch den Generationenvertrag enthält, durch eine Sparpolitik dieser Regierung, die wechsel- oder gleichzeitig den kleinen Leuten in die Tasche greift und sie verantwortlich macht für eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Gerade in der Vorweihnachtszeit erleben wir immer wieder, wie an die Spendenbereitschaft für die armen, alten, behinderten und hilfebedürftigen Menschen appelliert wird, während gerade im Osten viele Hilfsinitiativen in ihrem Fortbestand bedroht sind, weil Mittel für ABM gekürzt und Zuwendungen für Verbände und Vereine gestrichen werden, weil die Kassen der Kommunen leer sind. Zu viele sind hilfeabhängig gemacht worden. Gegenstand der Betrachtung muß auch die Tatsache sein, daß die Dimension der Gewalt gegenüber abhängigen alten Menschen in stationären, teilstationären Einrichtungen der Altenhilfe, in medizinischen Versorgungseinrichtungen, Ämtern oder im häuslichen Bereich ebenso vielschichtig in seiner Erscheinungsform wie in seinem Ursachengefüge ist. Zunächst wirken sich gesellschaftliche wie individuelle Mechanismen der Konflitbewältigung aus. Macht- und Abhängigkeitsverhältnis kehren sich im Alter um, das Grundmuster bleibt gleich. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Gewalt zunehmend ein legitimes Mittel der Konfliktbewältigung zu werden scheint, Gewaltdarstellungen bereits im Kinderzimmer beginnen, und dem bis heute kein wirksamer Riegel vorgeschoben wird. Ein zweiter Problemkreis stellt sich dar bei der Aus- und Weiterbildung von Personal der verschiedensten Einrichtungen, die direkt oder indirekt mit alten, behinderten oder pflegeabhängigen Menschen zu tun haben. Altenpflegerinnen und Altenpfleger sind darunter nur eine Personengruppe. Mitarbeiter in Behörden, medizinisches Personal, Verwaltungen von Altenhilfeeinrichtungen, Krankenkassen usw. sind Personengruppen, die in ihrer Ausbildung kaum auf den Umgang mit alten oder pflegebedürftigen Menschen vorbereitet werden. Die Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ämtern, medizinischen oder sozialen Betreuungseinrichtungen für das Erkennen von Merkmalen der Gewaltanwendung ist dabei ebenso wichtig wie die Schaffung von Möglichkeiten für professionelle oder Laienpflegerinnen und -pfleger, Streßsituationen im Pflegeprozeß zu bewältigen. Ernst zu nehmen sind Ursachen für Gewalt in direkten Abhängigkeitsverhältnissen, die aus einer Überforderung durch die konkrete Situation resultieren. Für diese Situation bietet der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einige wesentliche Ansatzpunkte. Hinzuweisen ist auf die Dimension im unmittelbaren Kontakt mit alten Menschen, sei es im Zusammenleben allgemein oder in der Gewährung von Hilfeleistungen. Auch hier ist wieder eine gesellschaftliche Dimension zu sehen, die nicht zuletzt in einer extremen Individualisierungsideologie begründet scheint, der eine soziale Verantwortung zunehmend eher fremd ist. Daß dennoch für viele Lebensbeziehungen in der Familie, in der Nachbarschaft oder Freizeit- bzw. Selbsthilfegruppen soziale Ver- antwortung ein wichtiger Lebenswert geblieben ist, dürfte nicht das Verdienst dieser Gesellschaftspolitik sein. Ein umfangreicher Katalog weiter zu untersuchender, zu diskutierender und zu politischen Entscheidungen führender Probleme tut sich auf. Genannt seien: Ursachen, Erscheinungsformen von Gewaltanwendungen; wo tritt von gesetzgeberischer Seite Gewalt auf; die Mitwirkung und die Gestaltung von Vertretungsrechten von Heimbewohnerinnen und -bewohnern; Regelungen des Pflegeversicherungsgesetzes, die selbstgewählte Assistenz bei leichter Pflegebedürftigkeit unmöglich machen; Bedingungen, die über die soziale Struktur auf die Förderung oder Verhinderung von Gewalt führen. Solange aber den Menschen der Zugang zu einer existenzsichernden Arbeit als Voraussetzung für die ökonomische Unabhängigkeit, solange die geringe soziale Anerkennung vom weiblichen Geschlecht und vom Alter, die sich subtil und offensichtlich in allen Lebensbereichen äußert, in der Gesellschaft nicht ins Positive umgekehrt sind, werden Abhängigkeit und Gewalt im Umgang der Menschen nicht beizulegen sein. Insgesamt eine notwendige, ernsthaft an Inhalten zu führende Diskussion, die in politischer Entscheidung münden muß. Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Gewalt gegen Ältere heißt immer auch Gewalt gegen Schwächere. Und Gewalt gegen Ältere darf nicht toleriert werden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzt sich bereits seit Jahren intensiv mit dem Gewaltthema auseinander. So wurden verschiedene Studien durchgeführt und Kampagnen und Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zusammen mit den Kampagnen „Gewalt gegen Kinder" und „Gewalt gegen Frauen" bildet das Thema „Gewalt" eine zusammenhängende Aktionsrichtung meines Hauses mit dem Ziel, Gewalt gegen Schwächere zu verhindern, anzuprangern, zu ächten. Bei unseren Aktivitäten müssen wir immer berücksichtigen, daß es schon einen Unterschied macht, ob wir uns zum Beispiel mit der Gewalt gegen Kinder, mit der Gewalt gegen Frauen oder mit der Gewalt gegen Ältere auseinandersetzen. Für jede Gruppe der Betroffenen können auch die Ursachen und Bedingungen der Gewaltentstehung andere sein. Für jede Gruppe können sich die Faktoren, die Gewalt aufrechterhalten, und die Folgen der Gewaltanwendung unterscheiden. Nur wenn wir die jeweilige Zielgruppe im Auge behalten, können die unterschiedlichen Opfer- und Tätergruppen angemessen berücksichtigt werden. Nur so können wir gezielt aufklären, zur Verbrechensvermeidung beitragen, aber auch gezielte Hilfen für Opfer bereitstellen. Das Gewaltthema ist ein äußerst sensibles Thema. Es zu enttabuisieren, ist unsere Aufgabe. Dies gilt für alle vorhin genannten Bereiche. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Gewalt sind in der Durchführung sehr schwierig und aufwendig. Sie müssen mit einem hohen Maß an Sorgfalt und Einfühlung durchgeführt werden. Dies trifft in besonderem Maße zu, wenn es um Gewalt in der Familie und in Einrichtungen geht. Der Antrag der SPD erweckt den Eindruck, als wenn die Bundesregierung auf dem Gebiet der „Gewalt gegen Ältere" bisher nicht tätig oder mangelhaft war. Das Gegenteil ist der Fall. Bereits 1991 hat das damalige Bundesministerium für Familie und Senioren beim Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen eine Studie zum Thema „Persönliches Sicherheitsgefühl, Angst vor Kriminalität und Gewalt, Opfererfahrung älterer Menschen" in Auftrag gegeben. Dies ist die erste „Dunkelfeldstudie" in der Bundesrepublik Deutschland. Es wurde umfassend und repräsentativ erfragt, in welchem Ausmaß Menschen, insbesondere ältere, Opfer von Gewalt wurden. Insgesamt sind über 15 000 Personen befragt worden, davon 7 500 über 60jährige Frauen und Männer. Auf der Basis erster Zwischenergebnisse der Studie wurde von unserem Ministerium eine Broschüre „Sicherheit für Senioren" entwickelt. Die Broschüre versucht, ein realistisches Bild von Gefährdungen zu liefern. Sie informiert darüber, in welchen Bereichen ältere Menschen besonders von Gewalt und Kriminalität betroffen sind. Sie gibt Ratschläge, wie sich ältere Menschen vor kriminellen Übergriffen schützen können und wie man mit Ängsten umgehen kann. Weiterhin werden konkrete Hilfen aufgezeigt für jene Älteren, die Opfer von Gewalttaten geworden sind. Wir haben mit dieser Broschüre offensichtlich genau ins Schwarze getroffen. Die Broschüre stößt auf außerordentlich große Resonanz. Bisher wurden schon 200 000 Exemplare verteilt. In Kürze erscheint die dritte aktualisierte Auflage. Die vorliegenden Daten und Ergebnisse der Opferbefragungen bieten eine wichtige und aktuelle Informationsquelle zur Gewalt im außer- und innerhäuslichen Bereich. Die Ergebnisse zeigen, daß enge Beziehungen als Ort von Gewalterfahrung bedeutsam sind - bedeutsamer als der öffentliche Raum und die Begegnung mit unbekannten Tätern. 1995 wurde die Studie nach Abschluß der Arbeiten in der Schriftenreihe des Ministeriums veröffentlicht. Dabei sind wir selbstverständlich nicht stehengeblieben. Aufbauend auf diesen Ergebnissen führte unser Haus im März 1996 in Bonn eine internationale Fachtagung zum Thema „Gewalt gegen Ältere zu Hause" durch. Sie, Frau Kollegin Lörcher, haben ja an der Tagung teilgenommen. Sie werden meine positive Einschätzung der Arbeitsergebnisse sicher bestätigen können. Auf dieser Tagung wurde speziell die Gewalt in der Familie und im sozialen Nahraum zur Sprache gebracht und mit europäischen und außereuropäischen Fachleuten diskutiert. Bei der Tagung ist deutlich geworden, daß Gewalt gegen Ältere in engen sozialen Beziehungen nicht zu stark auf die Pflegesituation verengt werden darf. Ohne Zweifel ist die Pflegesituation sowohl für die Pflegenden als auch für die Gepflegten mit außergewöhnlichen Anstrengungen und Belastungen verbunden. Dies belegt zum Beispiel eine im Auftrag unseres Hauses durchgeführte und 1995 veröffentlichte Studie zur Situation über 60jährige Frauen mit einem pflegebedürftigen Partner. Pflege und Versorgung sind in der Regel aber nicht die alleinigen Ursachen für Gewalt und Vernachlässigung. Die Ursachen und Bedingungen für Gewalt ergeben sich aus einer Anhäufung von Belastungsfaktoren. Die Diskussion mit den internationalen Experten auf der Fachtagung hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Es wurden wertvolle Hinweise gegeben, wie die Täter-Opfer-Beziehungen mehr unter dem Gesichtspunkt der entlastenden Hilfe und der Betreuung gesehen werden kann und nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der Anklage und Bestrafung. Es hat sich gezeigt, daß die Thematik in erster Hinsicht eine soziale und erst in zweiter Hinsicht eine strafrechtliche Frage ist. Unsere vorhandenen Gesetze bieten ausreichende Handhabe im Falle von Straftaten. Besondere Gesetze zum Schutz von Älteren gegen Gewalt im persönlichen Nahraum erscheinen zum jetzigen Zeitpunkt nicht angezeigt. Auf der Basis der bisher vorliegenden Erkenntnisse aus den vielfältigen Aktivitäten des Ministeriums befindet sich zur Zeit ein Modellprojekt in der Vorbereitung. Dieses Projekt zum Thema „Gewalt gegen Ältere im nahen sozialen Umfeld" wird in Zusammenarbeit mit einer größeren Stadt realisiert werden. Im Augenblick werden noch die letzten Details verhandelt, so daß das Modellprojekt aller Voraussicht nach im Frühjahr 1997 seine Arbeit beginnen kann. Im Rahmen dieses Modellprojektes werden Sozialarbeiter eingesetzt und Expertenteams gebildet. Die Sozialarbeiter bilden eine Anlaufstelle für Opfer von Gewalt. Sie sollen Hilfenetze aufbauen und den Opfern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wenn sie bestimmte Aufgaben nicht selbst erledigen können oder dürfen, können sie die Ratsuchenden weitervermitteln. Die Expertenteams bestehen aus Ärzten, Sozialarbeitern, Therapeuten und Pflegern. Sie haben die Aufgabe, die vor Ort arbeitenden Sozialarbeiter zu beraten. Um das Thema „Gewalt gegen Ältere" aus der Tabuzone herauszuholen, versuchen sie, die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Sie sollen sich als Anlaufstelle für Betroffene in der Region bekannt machen. Die Möglichkeiten und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit zu untersuchen, ist ein ganz wichtiger Bereich in dem Modellprojekt. Ebenso spielt es auch eine große Rolle, den Fortbildungs- und Weiterbildungsbedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermitteln. Wer mit Opfern von Gewalt zu tun hat, arbeitet mit einem sehr schwierigen Feld. An ihn werden besondere Anforderungen gestellt, auf die er vorbereitet sein muß. Für dieses Modellprojekt gilt wie für alle unsere Modelle: Es ist besonders wichtig, daß die Ergebnisse umsetzbar sind und auch auf andere Kommunen übertragen werden können. Deshalb ist das Projekt so geplant, daß einzelne Bausteine erprobt und bewertet werden können. Diese einzelnen Bausteine können dann in bereits bestehende Strukturen in einer Kommune eingebunden und vernetzt werden. Wir glauben, daß dies bei knappen Haushaltsmitteln der richtige Weg ist, damit die Ergebnisse eine möglichst breite Umsetzung erfahren. Wir hoffen, daß wir auch mit diesem Projekt einen weiteren wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Gewalt gegen Ältere leisten. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Bundesbericht Forschung 1996) Josef Hollerith (CDU/CSU): Deutschland liegt im Exportvolumen pro Kopf der Bevölkerung bei 6 210 US-Dollar und damit weit vor den USA mit 2 218 US- Dollar und Japan mit 2 541 US-Dollar pro Kopf. Diese Zahlen aus 1995 belegen, wie entscheidend es für uns, bezüglich der Arbeitsplätze und der Finanzierung des Sozialnetzes ist, mit unseren Produkten auf den Weltmärkten in Preis und Qualität wettbewerbsfähig zu sein. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß die Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte schnell und in der notwendigen Intensität erfolgt. Diese enorme Abhängigkeit von den Exportmärkten ist offensichtlich den Parteien und Fraktionen in unserem Lande nicht in ausreichender Weise bewußt. Wie wären sonst die Technolgieverweigerung und die Innovationsblockaden seitens der SPD und der Grünen zu verstehen? Agitation gegen Transrapid, Bekämpfung der Gentechnik und Behinderung der Biotechnologie und Ablehnung des Forschungsreaktors FRM II in Garching kennzeichnen die Politik von Grünen und SPD. Dieses Klima der Technologiefeindlichkeit und des Schürens der Technologieängste ist kontraproduktiv für den Standort und den Forschungsstandort Deutschland. Letztendlich finden die irrationalen Aktionen - wie Zerstörung gentechnischer Freilandversuche - ihre geistigen Wurzeln in solchen Haltungen. Noch so viel Geld kann geistige Blockaden nicht überwinden. Wir brauchen in unserer Gesellschaft - ebenso wie in der Politik - ein positives Verständnis für neue Technologien, Akzeptanz für die Chancen und ein realistisches Bewußtsein für die möglichen Risiken. Ich bin sehr optimistisch, daß dies in der Jugend unserer Gesellschaft längst vollzogen wird. Jüngste Wahlergebnisse bei der Kommunalwahl in Niedersachsen dokumentieren diese geistige Wende. Ein Blick auf die Finanzierung von Forschung und Entwicklung in Deutschland und deren Durchführung zeigt, daß die Wirtschaft mit 48,3 Milliarden (1993) den Löwenanteil der Aufwendungen weit vor dem Bund mit 16,2 Milliarden und den Ländern mit 13,8 Milliarden leistet; bei der Durchführung liegt die Wirtschaft sogar bei 51,2 Milliarden, die Hochschulen bei 13,8 und die außeruniversitären Einrichtungen bei 11,6 Milliarden DM. Dies unterstreicht die enorme Bedeutung der Forschungsausgaben der Wirtschaft. Aufgrund der Mittelbegrenzung ist es für den Staat zwingend geboten, eine Konzentration der Gelder auf Leitprojekte - wie dies der Bundesforschungsminister zielführend umsetzt - zu leisten. Aus der Fülle der Problemfelder möchte ich zwei Detailthemen herausgreifen: die Erhöhung der Effizienz der Hochschulen und der Hochschulforschung und die Abwicklung der Förderanträge. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, von denen wir wissen, daß sie die eigentlichen Träger der Innovation sind, gestaltet sich die Abwicklung von Förderanträgen sehr problematisch. Bei allem Verständnis für eine ordnungsmäßige Dokumentation und den korrekten Nachweis des Mitteleinsatzes bin ich der Meinung, daß hier eine umfassende Vereinfachung sowohl im Verfahren als auch bezüglich der Menge der unterschiedlichen Anträge zwingend ist. Bezüglich der stärkeren Orientierung der Hochschulforschung hin zur Wirtschaft habe ich das positive Beispiel des amerikanischen Modells vor Augen. Dort existiert an nahezu jeder Hochschule eine Technologietransferstelle, die bei Forschungsergebnissen zunächst vor einer Veröffentlichung prüft, inwieweit eine patentrechtliche Verwertung möglich ist. Bei uns wird der Professor an der Zahl seiner Veröffentlichungen gemessen - nicht an der Zahl der Patente. Notwendig sind daher neue Anreizsysteme, die es den Professoren erleichtern, Patente anzumelden und die Gebühren zu finanzieren. Eine Stärkung der Eigenverantwortung und Selbständigkeit der Hochschulen ist hier zwingend geboten. Es darf nicht so sein, wie es derzeit der Fall ist, daß Patentanmeldungen seitens der Professoren an den Hochschulen mehr mit Ärger als mit Nutzen verbunden sind. Ein ebenso positives amerikanisches Beispiel ist die Verzahnung von mittelständischer Wirtschaft mit den Universitäten durch Nutzung von freien Institutkapazitäten. Wenn Sie an einem beliebigen Freitagnachmittag durch technische Hochschulen in Deutschland gehen, werden Sie in den allermeisten Fällen verschlossene Türen vorfinden. Millionenteuere Institutsausrüstungen, deren Anschaffung sich mittelständische Unternehmen selten leisten können, könnten zu Grenzkosten an solche Unternehmen nutzbringend vermietet werden. Für die Studenten ergäbe sich eine quasi automatische Orientierung in die Praxis. Zugleich würden sich Kontakte für spätere berufliche Perspektiven anbahnen. Die Hochschule hätte zusätzliche Einnahmen, und die mittelständische Wirtschaft würde kostengünstig Laborkapazitäten nutzen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Zeiten knapper öffentlicher Kassen und ebenso zunehmender Begrenzung der Verfügbarkeit von Geld in der Wirtschaft müssen wir mit neuen Ideen die Aufgaben der Zukunft lösen. Strukturveränderungen an den Hochschulen, in den Großforschungseinrichtungen und den großen Unternehmen sind angesagt. Besitzstandsverteidigung auch im liebgewordenen Elfenbeinturm der Wissenschaft ist kein zukunftsfähiges Modell für Deutschland. Edelgard Bulmahn (SPD): Das Gute vorab: Mit dem Bundesbericht Forschung liegt eine informative und faktenreiche Darstellung zum Forschungssystem und zur Forschungs- und Technologieförderung in der Bundesrepublik vor. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BMBF haben, was die Zusammenstellung und Bearbeitung der Zahlen und Fakten betrifft, gute Arbeit geleistet. Hierfür möchte ich Ihnen auch von dieser Stelle aus danken. Mit dem Bundesbericht Forschung 1996 legt die Bundesregierung Rechenschaft ab, Rechenschaft über 14 Jahre christlich-liberaler Forschungspolitik. Die Bilanz ist verheerend. In keiner Regierungsperiode haben Wissenschaft, Forschung und Technik so an Bedeutung verloren, wie unter diesem Bundeskanzler. 1982 wandte, gemessen am Bruttoinlandsprodukt mit 2,7 Prozent, kein anderer Staat mehr Geld für Forschung und Entwicklung auf als die Bundesrepublik. 1995 lag die Bundesrepublik mit 2,3 Prozent unter den OECD-Staaten nur noch auf Platz sechs. Übrigens, das Schwellenland Südkorea brachte es schon 1993 auf diesen Prozentsatz. In keiner Regierungsperiode ist die Forschungsförderung so vernachlässigt worden, ist der Forschungshaushalt so heruntergewirtschaftet worden wie unter dieser Bundesregierung. Lag der Anteil der zivilen FuE-Ausgaben am Bundeshaushalt 1982 noch bei 4,0 Prozent, so sind es im laufenden Jahr nur noch 3,0 Prozent. Und bevor die Kollegen und Kolleginnen der Koalition wieder vorschnell auf andere zeigen: Seit 1982 sind die FuE-Ausgaben der Länder um 114,8 Prozent gestiegen, diejenigen der Wirtschaft um 107,6 Prozent und diejenigen des Bundes um kümmerliche 45,7 Prozent. Dies ist keine Erfolgsbilanz, dies ist eine Bankrotterklärung. Wer so handelt, kann allen Ernstes doch nicht behaupten, daß Forschung und Entwicklung für ihn im Zentrum der Politik stünden. Wer so handelt, der macht Zukunft nicht möglich, der blockiert Zukunft und setzt leichtfertig den von den Menschen in diesem Land erarbeiteten Lebensstandard aufs Spiel. Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind zentrale Elemente der Zukunftssicherung und Zukunftsgestaltung. Nur mit innovativen Produkten und intelligenten Dienstleistungen wird die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb mithalten, das erreichte Einkommensniveau verteidigen, neue Arbeitsplätze schaffen und die vorhandenen Arbeitsplätze sichern können. Wissenschaftlich-technische Innovationen entscheiden zudem maßgeblich darüber, ob die Umgestaltung unseres umweltverbrau- chenden Wirtschaftssystems in ein sozial und ökologisch verträgliches, auf dauerhafte Entwicklung ausgerichtetes Wirtschaftssystem gelingt. Hohe FuE-Aufwendungen sind zwar ein wichtiger, ja ein unentbehrlicher Beitrag zur Zukunftsgestaltung und Zukunftssicherung, sie führen jedoch keinesfalls von selbst zu Spitzenleistungen. Wer Zukunft sichern will, der muß gezielt das zentrale Innovationsdefizit in diesem Land angehen, nämlich die unzureichende und zu langsame Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Und wer dies will, der muß für eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft sorgen. Doch was macht die Bundesregierung? Sie stärkt nicht die Projektförderung, sondern die institutionelle Förderung. Seit 1982 ist der Anteil der Projektförderung von 59,9 Prozent auf 46,0 Prozent gesunken, jener der institutionellen Förderung hingegen von 34,2 Prozent auf 44,9 Prozent gestiegen. Der Bundesrat hat hierzu festgestellt: „Mit der wachsenden Unterfinanzierung der Projektförderung und der langfristigen Bindung der Mittel durch die institutionelle Förderung werden die forschungspolitischen Handlungsspielräume zunehmend enger. Diese Schwerpunktsetzung des Bundes hat zu dem Fadenriß zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung beigetragen. Sie erschwert im übrigen eine flexible Anpassung an neue Herausforderungen. " Dieser Feststellung ist nichts hinzuzufügen. Da betont die Bundesregierung in dem Bericht das hohe Innovationspotential der Spitzentechnologien. Und was macht sie? Sie führt den Anteil der Technologie- und Innovationsförderung seit 1982 von 54,6 Prozent auf 40,9 Prozent zurück. Der Bundesforschungsminister mag noch viele Sprechblasen von sich geben, die Latte der Versäumnisse und der Fehlentscheidungen durch diese Bundesregierung spricht Bände: das Ausbluten des Forschungshaushaltes, die Schieflage zwischen institutioneller Förderung und Projektförderung, die Vernachlässigung der Technologie- und Innovationsförderung sowie der Förderung von Klein- und Mittelbetrieben, die verfehlten Schwerpunktsetzungen in der bemannten Raumfahrt und der militärischen Forschung, die Verzettelung in einer Vielzahl von Einzelprojekten, der Abbau der indirekten Forschungsförderung, der Verzicht auf innovative Rahmensetzungen, die Beseitigung steuerlicher Anreize, der Zusammenbruch der industriellen FuE-Kapazitäten in den neuen Ländern, die Förderung von Technologiesprüngen statt von Innovationen usw. Die Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung zeichnet sich durch konzeptionelle Ratlosigkeit aus, wo neue Perspektiven und Zukunftsvisionen gefordert sind. Sie ist zweitrangig, hills- und konzeptionslos; viel weiße Salbe und sonst nichts dahinter. Fünf minus, Herr Minister! Im Interesse der Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist ein grundlegender Kurswechsel in der Bildungs- und Forschungspolitik überfällig. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht dabei vorrangigen Handlungsbedarf in den folgenden Punkten. Wir wollen, daß die Forschungs- und Technologiepolitik wieder Priorität erhält. Mittelfristig müssen die entsprechenden Bundesausgaben deshalb wieder auf das Niveau zu Beginn der 80er Jahre angehoben werden. Wir wollen eine langfristig und verläßlich angelegte Forschungs- und Technologiepolitik. Sie muß klare strategische Schwerpunkte setzen. Sie muß einer ständigen Ziel- und Erfolgskontrolle unterworfen sein. Sie muß integraler Bestandteil einer aktiven Innovationspolitik werden. Sie muß die klassischen Instrumente der institutionellen und der Projektförderung ergänzen und die Dominanz angebotsorientierter Steuerungsmechanismen durch eine intelligente Mischung von angebots- und nachfrageorientierter Maßnahmen überwinden. Sie muß hierzu traditionelle Forschungsförderung mit staatlicher Beschaffungspolitik, Regulierungen im Umweltbereich, steuerlichen Präferenzen, mittelstandsbezogenen Maßnahmen und der Schaffung innovativer Rahmenbedingungen zu einem einheitlichen Instrumentenmix verbinden. Wir wollen den gesellschaftlichen Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über Zielsetzungen, inhaltliche Schwerpunkte und einzuschlagende Strategien der Forschungspolitik intensivieren und ausbauen. Wir wollen die Forschungspolitik am Leitziel der dauerhaft sozial- und umweltverträglichen Entwicklung ausrichten. Im Prinzip der Nachhaltigkeit liegt der Schlüssel, um die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Instabilitäten zu überwinden und Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Der intelligente und sparsame Umgang mit Energie, Wasser, Rohstoffen und Boden ist ökologisch geboten, beschäftigungspolitisch vorteilhaft und wird sich auch wirtschaftlich durch die Entwicklung neuer Produkte und die Erschließung von Zukunftsmärkten auszahlen. Wir wollen, daß die Projektförderung innerhalb der Forschungsförderung wieder an Gewicht gewinnt und auf strategisch angelegte Leitprojekte fokussiert und konzentriert wird. Der Technologie-Push-Charakter der Forschungsförderung und die Verzettelung in eine Vielzahl von Einzelprojekten muß aufgegeben werden, wenn die gravierenden Defizite bei der Diffusion und Anwendung überwunden werden sollen. Wir wollen mit einer innovativen staatlichen Beschaffungspolitik die Markteinführung von neuen Produkten und Dienstleistungen erleichtern und öffentliche Dienstleistungen verbessern. Wir wollen eine durchgreifende Reform der Organisationsstrukturen in den öffentlichen FuE-Einrichtungen einleiten und die Flexibilität und die Eigenverantwortlichkeit der öffentlichen FuE-Einrichtungen stärken. Sie muß ihnen Spielräume eröffnen, damit sie Kooperationen und Verbünde auf Zeit mit anderen FuE-Einrichtungen und mit Unternehmen eingehen können. Sie muß Möglichkeiten und Anreize schaffen, um die Mobilität des Personals zwischen den Forschungseinrichtungen und zwischen FuE-Einrichtungen und Wirtschaft zu stimulieren. Sie muß die Ausgründung von Unternehmen aus den FuE-Einrichtungen fördern. Wir wollen die Innovationskraft der Klein- und Mittelbetriebe stärken. Diese muß neben einer Verbesserung des internen Potentials auch die Umfeldbeziehungen der Unternehmen erfassen. Ein neues, zukunftsgerichtetes Konzept der KMU-Förderung muß eine breite Forschungs- und Dienstleistungsinfrastruktur zur Verfügung stellen, die Engpässe am Arbeitsmarkt für hochqualifiziertes Personal sowie bei der Weiterqualifizierung des vorhandenen Personals überwinden helfen. Wir wollen eine innovative Unternehmensbesteuerung mit der Wiedereinführung der steuerlichen Forschungsförderung. Wir wollen eine neue Gründerwelle. Der Aufbau einer attraktiven Finanzierungsinfrastruktur ist daher gezielt zu fördern. Der Gang an die Börse muß für junge Unternehmen erleichert, Risikokaptial muß steuerlich begünstigt werden. Die Lockerung des Insolvenzrechts, die Entschlackung des Unternehmensbeteiligungsgesetzes und Rückkehrzusagen für im öffentlichen Bereich beschäftigte Existenzgründer müssen diese Maßnahmen abrunden. Simone Probst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundesbericht Forschung gibt einen Überblick über die deutsche Forschung und deren Entwicklungen. Besonders interessant ist der politische Vorspann, der Herausforderungen und Ziele benennt. Die Fixierung auf Technologie, auf Informationstechnik und Gentechnik - als ob allein diese zwei Technikfelder die Lösung aller Probleme bringen würden - ist nicht akzeptabel. Daß Forschung - und besonders staatliche Forschung - eine wichtige Funktion gerade im Vorsorgebereich hat, tritt unter Minister Rüttgers in den Hintergrund. Forschung wird vorrangig als „technische Dienstleistung" gesehen: als Dienstleistung für die Wirtschaft. Demgegenüber kommen andere Aspekte wie Ökologie- und Sozialforschung zu kurz. Umweltforschung, Vorsorgeforschung findet zwar noch statt, aber die Defizite werden durch die stetigen Kürzungen jedes Jahr größer. Es gibt in diesem politischen Teil aber auch nahezu zynische Bereiche, nämlich dort, wo es um Querschnittsthemen geht, zum Beispiel um die Beteiligung von Frauen in der Forschung. Hier lobt die Bundesregierung ihre Aktivitäten und verschleiert, daß sich so gut wie gar nichts bewegt. Bei den Abiturienten sind die Frauen bereits in der Mehrzahl, bei den Studenten ist die 40-Prozent-Marke überschritten. Doch danach endet es. Die vom Bundesbericht Forschung gepriesenen familienfreundlichen Rahmenbedingungen in Forschungseinrichtungen werden im Schneckentempo umgesetzt. In den großen Forschungseinrichtungen MPG, Helmholtz- und Fraunhofer-Gesellschaft ist in der ersten Hälfte der 90er Jahre nicht einmal eine Steigerung des Frauenanteils um 5 Prozent gelungen. Die Initiative „Frauen geben Technik neue Impulse" ist im ersten Anlauf verpatzt worden. Bei Minister Rüttgers Ideen zur strategischen Neuordnung der Forschungslandschaft ist von den Innovationsimpulsen, die Frauen geben können, keine Rede. Aber dann gibt es ja - Gott sei Dank - die Schnittmenge von Frauenförderung und Informationsgesellschaft: die Tele-Heimarbeit. Durch Telearbeit werde eine bessere Verknüpfung von Familienleben und Beruf erlaubt. Dies ist sicher richtig; bekommt aber einen schalen Beigeschmack, wenn im gleichen Atemzug die verstärkte Nutzung des Innovationspotentials von Frauen genannt wird. So, Herr Minister, haben wir uns die Rolle von Frauen in der Forschung nicht vorgestellt. Hier ist der Bundestag gefragt, sich nicht mehr mit sogenannten Förderprogrammen in Nischen zu begnügen. Hier reicht es nicht mehr, Wünsche zu äußern, daß doch bitte mehr Frauen im Wissenschaftsbetrieb berücksichtigt werden müssen. Die Qualifikation der Frauen liegt statistisch über der der Männer, und trotzdem sind sie unterproportional in Forschung und Wissenschaft repräsentiert. Hier müssen klare Vorgaben her, Vorgaben, die nicht umgangen werden können und sich bei Nichteinhaltung ruhig schmerzhaft auswirken und zur Folge haben, daß keine Fördermittel fließen. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die angemessene Beteiligung von Frauen zu einem Vergabekriterium für Förderung zu machen. Frauenförderung muß ein Kriterium werden bei der Evaluierung von Forschungseinrichtungen, bei den Wirtschaftsplanverhandlungen. Die Vergabe von Fördergeldern an Forschungseinrichtungen muß an einem Frauenanteil im wissenschaftlichen Bereich gekoppelt werden, der mindestens dem Frauenanteil der vorherigen Qualifikationsstufe entspricht. Noch einen zweiten Punkt finde ich etwas zynisch in dem Vorspann: das Hoch auf die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch im Bereich Mobilität. Eine Begrenzung der negativen Folgen des Verkehrs wird in dem erforderlichen Maße nur möglich sein, wenn - erstens - das Wachstum durch Verkehrsvermeidung insgesamt ein negatives Vorzeichen erhält. Wachsen muß jedoch der Anteil des öffentlichen Verkehrs, besonders der auf der Schiene. Doch die Mittel für die Eisenbahnforschung werden nächstes Jahr drastisch gekürzt. Und das neu angekündigte Verkehrsforschungskonzept wird noch von anderen Ressorts blockiert. Was statt dessen stattfindet, ist ein weiteres Beispiel für kurzatmige technologische Aufholjagd, obwohl sich der Verkehrsbereich doch eigentlich exemplarisch für ein wirklich ökologisches und soziales Forschungsprojekt bestens eignet. Daß Mobilität für alle Gruppen der Gesellschaft möglich sein muß, muß doch konsequent in die Forschungs- und Planungspraxis einfließen. Man muß eben sein Augenmerk auf die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse beispielsweise von Kindern und alten Menschen lenken. Forschung findet im politischen Raum statt. Diese Verantwortung muß sich endlich auch im Forschungsbericht widerspiegeln. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (F.D.P.): Der Philosoph Schopenhauer sagte: „Zu überblicken, was geschehen ist, bedarf nur Sinne, was geschehen soll, Verstand" ! Und Politik hat sich in erster Linie mit dem zu befassen, was geschehen soll. Unser Verstand ist also gefordert. Das gilt auch für den Bundesforschungsbericht 1996. Im Sinne dieser Prämisse begrüße ich nachdrücklichst, daß sich dieser Bericht in seinem ersten Teil mit den Perspektiven der Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung auseinandersetzt, also mit dem, was geschehen soll. Diesen Perspektiven stimme ich weitgehend und grundsätzlich zu. Natürlich habe ich auch aus liberaler Position heraus zu dem einen oder anderen Punkt eine differenzierte Meinung, halte ich die eine oder andere Ergänzung für notwendig. Jedem vernunftbegabten Individuum dürfte das ja wohl verständlich sein. Die übrigen Teile des Berichtes umfassen eine Gesamtbilanz der bisherigen Forschungs- und Entwicklungspolitik des Bundes, der Länder, der Wirtschaft - unter Einbeziehung der FuE-Politik der EU - und stellen sie in den Vergleich mit der internationalen Situation. Die Wissenschaftsausgaben des Bundes betrugen in 1995 rund 21 Milliarden DM, der Länder einschließlich Schulen und Hochschulen rund 34 Milliarden DM; die Wirtschaft trug zirka 50 Milliarden DM dazu bei. Das sind immerhin 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den FuE-Ausgaben allein liegt die Bundesrepublik insgesamt bei 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit hinter Japan, dicht hinter den USA und Frankreich auf dem vierten Weltranglistenplatz. Der Bundesforschungsbericht bietet eine Fülle von Statistiken und interessantem Datenmaterial. Eine überzeugende Fleißarbeit! Nun habe ich im allgemeinen zwar eine kritische Einstellung zu Statistiken unter anderem auch deshalb - wie es ein bekannter englischer Staatsmann einmal festgestellt hat -, weil Statistiken für Politiker wie Laternenpfähle sind, die weniger zur Erleuchtung dienen als mehr dazu, sich daran festzuhalten. Aber dieses mit dem Bericht vorgelegte Datenmaterial zeigt nicht nur auf, was geschehen ist, sondern es liefert Erkenntnisse und Einsichten über Entwicklungstrends und damit in der Deduktion Argumentationshilfe, aber wesentlicher noch Entscheidungshilfen. Nun kann ich mir allerdings, gerade im Hinblick auf das soeben Gesagte, eine kritische Anmerkung nicht verkneifen: Da wird zum Beispiel auf 28 Seiten ein Überblick über die Zahl der sogenannten BlaueListe-Institute gegeben, stolze 83 Institute. Die Angaben über deren Forschungsfelder sind interessant. Aber welche politische Aussagekraft haben die Angaben über Gesamtpersonal und die Bundeszuwendungen? Mich würden ja vielmehr Angaben über die Effektivität - den „Output" auf neuhochdeutsch - interessieren. Welche Schlußfolgerungen soll man ziehen? Interessant ist auch die Aufstellung über die 56 Bundeseinrichtungen mit Forschungsaufgaben und besonders deren meines Erachtens aus fachlicher Sicht zum Teil völlig unverständliche Zuordnung zu den einzelnen Ressorts. Schlußfolgerung hier: Eine Neuordnung, zumindest eine stärkere Koordinierung ist angesagt. Gerade im Hinblick auf die knapper werdenden Finanzmittel ist dies mit dem Ziel eines effizienteren Mitteleinsatzes längst überfällig. Noch ein Wort zu den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. In der Vergangenheit habe ich wiederholt kritisiert, daß diese Wissenschaftsbereiche in den Bundesforschungsberichten nur kurz, äußerst stiefmütterlich behandelt wurden. Zum vorliegenden Bericht stelle ich nun mit Befriedigung fest, daß diesen Wissenschafts- und Forschungsbereichen endlich ein breiterer Raum gewährt wurde. Aber diese Bereiche müssen nun auch konsequenter in die Perspektiven und in der Folge in aktive forschungspolitische Ansätze einbezogen werden. Denn eines ist heute wohl unbestritten: Neue technische Entwicklungen, neue Technologien können und dürfen heute nicht mehr ausschließlich unter ökonomischen und ökologischen Aspekten betrachtet und begründet werden. Gerade die Akzeptanzdiskussionen machen deutlich, daß technische Entwicklungen nachhaltigen Einfluß auf den geistigen und gesellschaftlichen Wandel ausüben. Deshalb kommt den Erkenntnissen in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ebenso hohe Bedeutung zu wie den der Natur- und Technikwissenschaften. Ihre Bedeutung wird dann deutlich, wenn nach der Lehre von den Wirkungsgefügen Technik und Gesellschaft in einem universellen Zusammenhang betrachtet werden. Noch vor kurzem konnte ein bekannter Naturwissenschaftler behaupten, daß die Geisteswissenschaften im allgemeinen von den Naturwissenschaften wenig Notiz nähmen und daß der Ablauf der Geschichte gerade in der heutigen Zeit in hohem Grade vom Stand der Technik bedingt sei und dieser wieder vom Stand der Naturwissenschaften. Ich bin aber der Meinung, daß es wichtiger denn je ist, im Sinne kybernetischer Denkansätze und Überlegungen das Zusammenwirken und die Interdependenzen aller Wissenschaften in die politischen Ansätze einzubeziehen, ja daß wir uns an einer Wende befinden, den bedingungslosen Glauben in Frage zu stellen, Naturwissenschaft und Technik seien allein imstande, die Probleme der Menschheit zu lösen. Auch aus der Notwendigkeit zu verstärkter internationaler Kooperation auf politischen, wirtschaftlichen und technologischen Gebieten folgt zwingend die Verpflichtung, sich mit den historischen Entwicklungen, den kulturellen und religiösen Eigenarten, der Sprache, den Lebensgewohnheiten, den sozialen Verhältnissen der möglichen Partner - ich denke besonders an die Entwicklungsländer - auseinanderzusetzen. Wolfgang Bierstedt (PDS): Vor dem Hintergrund des gegenwärtig unter dem Stichwort „nachhaltige Entwicklung" diskutierten und als unumgänglich betrachteten sozial-ökologischen Umbaus des vorherrschenden ressourcen- und energieintensiven Produktions- und Konsumtionsmodells ergeben sich auch Anforderungen an eine Umorientierung der Forschungs- und Technologieförderung. Das gilt allgemein und trifft besonders auf den Bund zu. Dabei werden als wichtige Strukturelemente einer nachhaltigen Forschungs- und Entwicklungsförderung Querschnittsorientierung, Problemorientierungen und Partizipationsorientierungen gesehen. Es stellt sich die Frage, ob die aktuelle Forschungs- und Technologiepolitik nach dem Bundesforschungsbericht 1996 einen erwähnenswerten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leistet. Dies ist auch im Zusammenhang damit zu sehen, daß es die Bundesregierung erst eine Woche nach den Haushaltsberatungen für 1997 offiziell für notwendig erachtet, den Deutschen Bundestag über den Bundesforschungsbericht 1996 zu unterrichten. Eine Analyse der zentralen Trends im BFB ergibt dabei - natürlich aus unserer Sicht - folgendes Bild. Der BFB 1996 nimmt die Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus zumindest zur Kenntnis und widmet den umweltrelevanten Themen erstmalig ein eigenes abgeschlossenes Kapitel. Positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang zumindest aus meiner Sicht - auch das neu entwickelte Konzept der „Leitprojekte", nimmt es doch die in der Debatte um eine nachhaltige Umorientierung der FuE-Förderung geforderte Problemorientierung wenigstens zum Teil auf und bildet auch für sozial-ökologische Ansätze einen potentiellen Rahmen. Allerdings lassen die Ausführungen im BFB 1996 nicht erkennen, ob diese Instrumente prioritär auf Stimulierungen sozialökologischer oder vorrangig ökonomisch verwertbarer Innovation zielt. Diese Frage hat sich dann allerdings mit der Beschlußlage zum Einzelplan 30 für 1997 beantwortet. Die Forschungs- und Technologieförderung versteht sich mehr denn je als „Unternehmen Forschung" und zielt mit ihren Maßnahmen vorrangig auf die Stärkung des wirtschaftlich verwertbaren FuE-Potentials. Die Bereiche, die wir unter dem Begriff der Vorsorge zusammenfassen, erfahren weder eine inhaltliche noch monetär ausreichende Beachtung oder Wertschätzung. Als weitere Tendenz im BFB 1996 konnte man - es war nichts anderes zu erwarten - einen grundsätzlichen Technikoptimismus herauslesen. Vom Prinzip her ist das nichts grundsätzlich Negatives. Wenn die Technikfolgenabschätzung aber fast ausschließlich als Instrument der Akzeptanzerzeugung mißbraucht werden soll, muß man erhebliche Bedenken anmelden. Nun kann man dem Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages zum Glück bisher erfolgreiches Sich-Wehren gegen einseitige, lobbyorientierte Darstellungspraktiken bescheinigen und dem Büro dabei weiterhin Erfolg wünschen. Im BFB 1996 dominieren jedoch die ausschließlich positiven Bewertungen solcherart sozial und ökologisch fragwürdiger Technologien und Forschungseinrichtungen wie Atomenergie und Kernfusion, Gentechnik, Rüstungsforschung, bemannte Raumfahrt, Transrapid etc. Dieses absolute „Akzeptanz einfordern" gepaart mit der Standort-DeutschlandPhilosophie erzeugt naturgemäß massiven Widerspruch und verleitet dazu, die Technikfolgenabschätzung eher zu ideologisieren als zu verwissenschaftlichen. Eine kurze Bemerkung noch zur Forschung in den neuen Bundesländern, wie sie im BFB 1996 vorkommt. Zweifelsfrei war der Umstrukturierungsprozeß in den neuen Bundesländern kostenintensiv und langandauernd. Das Ergebnis kann man wie folgt zusammenfassen. Zuerst das Positive. Erstens. Die Forschungslandschaft wurde strukturell und inhaltlich an die Bedürfnisse - wie auch immer man dies inhaltlich bewertet - der alten Länder angepaßt. Zweitens. Es gibt eine Anzahl von vorzeigbaren Ergebnissen, wie der Aufbau neuer Universitäten und Fachhochschulen. Jetzt das Kritische. Erstens. Im Verhältnis zu den alten Ländern ist der Forschungsbesatz wesentlich niedriger. Eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Forschern sind sozusagen außen vor. Zweitens. Die Möglichkeiten der ostdeutschen Forschung, zum Aufbau einer eigenständigen, sich selbst tragenden Wirtschaft beizutragen, sind finanziell und strukturell leider als äußerst gering einzuschätzen. Es bleibt zu hoffen, daß die neuen Projekte und Programme des BMBF hier im Sinne von notwendigen strukturpolitischen Ansätzen Abhilfe schaffen. Es wäre zukunftsweisend, wenn dazu noch eine Orientierung auf Nachhaltigkeit hinzukäme. Aber ich fürchte, es bleibt uns wieder nur die Hoffnung. Christian Lenzer (CDU/CSU): In der heutigen Debatte über den Bundesbericht Forschung 1996 erspare ich mir jede weitere Zahlenakrobatik. Die deutsche Forschungslandschaft ist gut. Wir haben alles Wissen in unserem Lande. Wir müssen dieses Wissen nur besser nutzen. Forschungslandschaft heißt aber stetige Anpassung an veränderte Verhältnisse, heißt neue Ideen, Technologien und Produkte und im Zweifelsfalle auch - und dies sage ich aus aktuellem Anlaß - Neugründung und Schließung von Instituten. Wahr ist aber auch, Deutschland lebt zunehmend im High-Tech-Bereich von der Substanz. Der Technologiepuch hat noch nicht so richtig eingesetzt. Wir stützen uns auf die Optimierung bereits seit Jahrzehnten bestehender Technologien. Dort liegt bisher unsere Stärke. Dies muß sich ändern. Hierfür ist der sogenannte BioRegio-Wettbewerb des BMBF ein gutes Beispiel. Wenn auch nur drei Regionen an der Spitze liegen konnten, so hat die Ausschreibung dieses Wettbewerbs in vielen Gebieten unseres Landes zu Synergieeffekten geführt. Wissenschaft und Wirtschaft haben sich an einen Tisch gesetzt, miteinander gesprochen, die Zukunft diskutiert. Dies ist ein ermutigendes Zeichen. Es hat aber leider in den elektronischen Medien nur eine mäßige Resonanz gefunden. Wenn aber die Medien solch positive Nachrichten - auch im Hinblick auf Arbeitsplätze - nicht vorrangig transportieren, wie soll sich dann die breite Bevölkerung eine vernünftige Meinung dazu bilden können? Der Bundesbericht Forschung 1996 ist zunächst eine Bestandsaufnahme wie frühere Berichte auch. Er unterscheidet sich aber dadurch, daß er die Perspektiven der Forschung und Technologie im Kontext zentraler Zukunftsfragen und als Beitrag zum Innovationsstandort Deutschland herausstellt. Ein vielversprechender Ansatz ist die Orientierung an Leitprojekten. Leitbilder sollen deutlich machen, daß es in der Zukunftspolitik um Bedürfnisse der Bürger geht. Sie sollen für innovationsfördernde Rahmenbedingungen sorgen und die Anstrengungen von Wirtschaft, Wissenschaft und Staat bündeln. Als Beispiele nenne ich: Aufbau der Informationsgesellschaft, Energie und Umwelt, Mobilität, Biotechnologie und generell Spitzentechnologie für Produktion und Dienstleistungen. Die Förderung der zielgerichteten Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft muß von Anfang an allen genannten Leitprojekten interdisziplinäre und branchenübergreifende Lösungen zuordnen. Forschungspolitik muß heute mehr sein als nur Forschungsförderung im traditionellen Sinn. Wir müssen das gesamte Innovationssystem im Blick haben, damit aus Forschungsergebnissen schneller neue Produkte und Verfahren werden, mit denen wir im Wettbewerb bestehen können. Es genügt nicht mehr wie bislang, beste Technik auf etablierten Märkten zu bieten. Wir brauchen neue und innovative Produkte für Zukunftsmärkte. Wir müssen die typisch deutschen Endzeitängste gegenüber High-Tech und die immer noch zu geringe öffentliche Akzeptanz überwinden. Unsere Mitbürger müssen begreifen, daß wir ohne Innovation uns selbst zum Verlust weiterer Arbeitsplätze und zu Verlusten des allgemeinen Lebensstandards verurteilen. Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat, das der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt am 6. Dezember 1996 - also brandaktuell - in der Zeitschrift „Die Zeit" abgegeben hat. Ich zitiere: Wir haben das Faxgerät verschlafen, ebenso die Elektronisierung unserer ehedem führenden Kameras, wir haben die ganze Computerrevolution verschlafen, wir haben weder die Compactdisc noch die CD-ROM entwickelt, produziert und auf den Weltmärkten verkauft, wir haben weder die Bypassoperationen entwickelt noch erstklassige Herzschrittmacher, nicht einmal das mobile Telephon. Und unseren Exportvorsprung in der Technologie der Kernkraftwerke haben wir selbst zunichte gemacht. Heute sind wir im Begriff, die Biogenetik ans Ausland abzugeben, obwohl wir wissen müssen, daß im Jahre 2016 wahrscheinlich die Hälfte aller Medikamente auf gentechnologischer Basis hergestellt werden. Diesen Äußerungen, die uns allen zu denken geben sollten, ist nichts hinzuzufügen. Bodo Seidenthal (SPD): Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat beginnen: Das Stichwort „Lean Production" macht es deutlich: Die Organisation der Arbeitsprozesse und die Gestaltung des individuellen Arbeitsplatzes spielen im internationalen Wettbewerb eine immer größere Rolle. Technische Innovationen allein sichern den Wirtschaftstandort Deutschland nicht. Die Gesellschaft steht damit vor einer doppelten Aufgabe: Arbeit muß effizient eingesetzt und gleichzeitig - mit Hilfe moderner Produktions- und Dienstleistungskonzepte - menschengerecht gestaltet werden. Recht haben sie, die Mitarbeiter des Ministeriums für Bildung und Forschung, mit ihrer Formulierung im Bundesbericht Forschung 1996. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Das Thema Arbeit und Forschungspolitik ist bei dieser Bundesregierung ein Trauerspiel. Und das Schlimme daran ist, daß auch angesichts der Beschäftigungslage der Forschungsminister nicht im Stande ist, zielgerichtet zu handeln. Exekutieren von Sparbeschlüssen ist keine Forschungspolitik! In Pressemitteilungen formulierte Perspektiven der Forschungs- und Technologiepolitik ersetzen nicht das konsequente Handeln. Wir wollen die Herausforderungen der Zukunft offensiv angehen. Wir wollen den Weg gemeinsam gehen, aber dann muß auch ein Weg im Rahmen von Arbeit und Forschungspolitik erkennbar sein. Wenn man sich im Teil 1 des Bundesberichts Forschung die Ziffer 2.3 „Wandel der Arbeitswelt" anschaut, könnte man eigentlich mit einem breiten Konsens rechnen. An erster Stelle das Thema „Beschäftigung", dann „Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft", „Neue Arbeitsformen und -abläufe", „Demographische Entwicklung, Erwerbsverhalten und Arbeitsmarktsituation". Wenn auch noch das Thema „Arbeits- und Gesundheitsschutz " angemessen erwähnt worden wäre, wären die wichtigen Koordinaten für den Wandel der Arbeitswelt aufgezeigt worden. Eine weitere Ernüchterung folgt auf dem Fuße, wenn man zur forschungspolitischen Umsetzung übergeht. 1993 wurden die mittelfristigen Handlungsfelder entwickelt und 1994 in Kraft gesetzt. Diese Felder, bei denen ganzheitliche Innovations-konzepte für moderne Arbeits-, Produktions- und Dienstleistungskonzepte im Vordergrund stehen sollten, wurden im Februar dieses Jahres aber wieder außer Kraft gesetzt. Im September verkündeten Sie, Herr Minister Rüttgers, im Deutschen Bundestag, das Programm „Arbeit und Technik" wird beendet zugunsten der Initiative „Beschäftigung durch Innovation". Im November sprach sich ihr Staatssekretär dafür aus, daß eben dieses Programm „Arbeit und Technik" mit der Leitidee „Beschäftigung durch Innovation" einen Schwerpunkt im Dienstleistungssektor haben soll. Was gilt denn nun? Festzustellen ist: Das, was Sie machen, ist keine Innovationspolitik, das ist Chaos! Und das nicht nur inhaltlich. Wenn ein Forschungsminister weniger Geld hat, ist das sicher kein Grund zum Jubeln, aber: „Wer weniger Geld hat, muß mehr aus seinem Geld machen." So ist es, Herr Minister, und dabei müssen Sie einen klaren Kurs vorgeben! Da kann man nicht den Tarifvertragsparteien im Februar 1996 sagen, daß 60 Millionen DM eine angemessene Mittelausstattung sind, um dann innerhalb von nicht einmal acht Monaten diese Summe um 10 Millionen nach unten zu schrauben. Das ist keine verläßliche Politik, das ist ein forschungspolitisches Tollhaus. Dieses Forschungsprogramm „Arbeit und Technik" ist nicht mehr das Schreckgespenst für Politiker der Regierungsparteien, und es ist erst recht nicht mehr die „Spielwiese" der Gewerkschaften, wenn es diese überhaupt jemals war. Die Anhörung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung im Oktober dieses Jahres hat die neuen Entwicklungen deutlich gemacht. Und sie hat deutlich gemacht, daß mit der Leitidee „Beschäftigung durch Innovation" und den Schwerpunkten „Dienstleistung", „Demographische Entwicklung" und „Arbeitsschutz" zukunftsweisende Wege beschritten werden können. Wenn dies so ist, muß das Ministerium diese Wege aber auch gehen! Vom 27. November 1996 bis 28. November 1996 veranstaltete das Ministerium eine Tagung zum Thema „Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert - Gestaltung des Wandels und Aufbruch in die Zukunft", an der auch ich zeitweise teilgenommen habe. Mit mir waren über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dort; stark vertreten waren kleine und mittlere Betriebe, das Handwerk. Wie sagte Staatssekretär Schaumann: Der Dienstleistungssektor war, ist und bleibt ein Motor des wirtschaftlichen Wachstums und der Beschäftigung und der Beschäftigungssicherung in Deutschland, auch wenn die Rezession Spuren im Wachstum der Dienstleistungen hinterlassen hat. Doch was passiert dann? Ich zitiere jetzt im Originalton Staatssekretär Schaumann, der die Tagung eröffnete: Mit noch so vielen Forschungsprojekten kann der Dienstleistungssektor unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht ausgeweitet werden.... Das BMBF hat vielfältige Aktivitäten im Bereich Dienstleistungen entwickelt - Forschungsvorhaben in der Projektförderung belaufen sich seit 1992 auf fast 147,5 Millionen DM. Umgerechnet sind das noch nicht einmal 30 Millionen DM pro Jahr für einen Sektor, der als einziger auch in der Rezession neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Die zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel tragen nicht zum Aufbruch in die Zukunft bei; dies ist nicht Klotzen, sondern das ist Kleckern, Herr Minister. Wie steht es denn eigentlich mit der Finanzierung der Prioritären Erstmaßnahmen (PEM), insbesondere für „Bildung und Lernprozesse"? Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Arbeit und Technik" hat mit seiner Leitidee „Beschäftigung durch Innovation" und den genannten Schwerpunkten eine tragfähige, neue Struktur erhalten. Das neue Programm fokussiert seine Aufmerksamkeit auf die Wirkungskette „Innovation - Wettbewerbsfähigkeit - Beschäftigung" . Dabei konzentriert man sich auf Felder, in denen der größte Beschäftigungseffekt erwartet wird, bzw. in denen man sich neuen Herausforderungen gegenübersieht. So ist der Ausbau eines neuen Arbeitsschutzes wie zum Beispiel der Umgang mit Gefahrstoffen eine Innovationsaufgabe. Es darf nicht mehr sein, wie es Ende der 80er Jahre passiert ist, daß neue Formen der Arbeitsorganisation bei uns in Deutschland entwickelt, dann aber wegen falscher Betrachtungsweisen nicht umgesetzt werden. Machen wir jetzt wieder den gleichen Fehler, werden uns die Konkurrenten zwingen, Arbeitsorganisation und Arbeitsschutz als wichtige Wettbewerbsfaktoren zu sehen. Wie heißt es: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Ich habe eben auf die Tagung „Dienstleistungen" hingewiesen. Ich fand es bedauerlich, daß Sie, Herr Minister, keine Zeit für diese Tagung hatten, sondern sich am Abend lieber mit „Focus" im Raum nebenan vergnügten. Der derzeitigen und zukünftigen Bedeutung des Dienstleistungssektors in Deutschland werden Sie damit nicht gerecht. Herr Staatssekretär Schaumann hat völlig recht, wenn er von der zu starken Fixierung der Forschungspolitik auf die materielle Produktion spricht. Nur: Dann muß er seine „Mentalitätslücke" eben schließen, denn die Zukunft erfordert eine Orientierung an Produktion, Dienstleistung und Information als Ganzem. Zum Schluß noch einige Bemerkungen zur finanziellen Ausstattung des Programms. Schon heute beteiligt sich die deutsche Wirtschaft bei den Forschungserstmaßnahmen im Dienstleistungssektor mit 50 Prozent und mehr. Doch ein gewisses Volumen an Forschungsmitteln muß auch durch den Staat zur Verfügung gestellt werden. Und da bin ich mit dem Kollegen Maaß einig, daß wir die Diskrepanz zwischen der Finanzierung von Fördermaßnahmen im Dienstleistungssektor und der Finanzierung von Fördermaßnahmen im Produktionssektor sehr ernst nehmen müssen. Der Forschungsminister muß mit einer Aufstockung der Fördermittel in diesem Programm ein klares Signal setzen, daß Forschungspolitik auch den Wandel gestaltet und einen Aufbruch in die Zukunft ermöglicht. Klar ist: Nur mit Forschungsinitiativen wie „Beschäftigung durch Innovation" kann Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen, kann die Beschäftigungskrise angegangen werden. Wer hier mit Kürzung der Haushaltsmittel die falschen Akzente setzt, hat den schmückenden Beinamen „Zukunftsminister" verwirkt. Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Daß nach drei Jahren ein neuer Bundesbericht Forschung vorgelegt wird, ist sicherlich kein Zeichen für langsame Arbeit. Im Gegenteil, Forschungspolitik bezieht sich auf mehr Einzelwissenschaften als sonst ein Arbeitsgebiet, das von einer Bundesbehörde zu beackern ist. Wenn aber ein solcher Bundesbericht drei Jahre Vorlaufzeit beansprucht, kann man wohl zu Recht eine hohe Erwartung an ihn stellen, und zwar in bezug auf Vollständigkeit - dem scheint mit über 600 Seiten Rechnung getragen -, Stringenz - das heißt: Kann das verantwortliche Ministerium beweisen, daß es logisch planvoll bei der Vergabe von Forschungsgeldern vorgeht um damit erkennbare Ziele zu fördern und zu verwirklichen? - und - das scheint mit das Wichtigste zu sein - in bezug auf Zukunftsfähigkeit, das heißt: Werden nicht nur bereits vergebene Aufträge und erbrachte Leistungen zusammengetragen, sondern ist daraus auf eine zugrundeliegende Zukunftsperspektive zu schließen? Denn die Begriffe Forschung, Fortschritt und Zukunft sind so unmittelbar miteinander verknüpft, daß sie sich gegenseitig bedingen. Man kann sie beliebig miteinander verknüpfen: Keine Zukunft ohne Forschung, keine Zukunft ohne Fortschritt, kein Fortschritt ohne Forschung und keine Forschung ohne Orientierung auf Zukunft. Um den Begriff Fortschritt richtig einzuordnen, zitiere ich aus dem Umweltgutachten 1994 des Sachverständigenrates für Umweltfragen: „Als Fortschritt kann aber heute nur bezeichnet werden, was von den Bedingungen der Natur mitgetragen wird. " Dieser Grundsatz wird sicherlich von niemandem mehr bestritten. Und schon haben wir als Essenz aus Forschung, Fortschritt und Zukunft das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung abgeleitet. Was also sagt der Bundesforschungsbericht 1996 zum Thema Nachhaltigkeit? Es wird explizit aufgenommen im Kapitel „Perspektiven der Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung". Mit einem neuen Energieforschungsprogramm, einem neuen Umweltforschungsprogramm, über das wir gerade gestern im Ausschuß diskutiert haben, und einem neuen Mobilitätskonzept. Es taucht dagegen nicht auf im Punkt „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an Forschung und Technologie". - Das betrachte ich als schwerwiegendes Versäumnis. Die Nachhaltigkeit wird wieder gefordert als eines von sechs Leitbildern der zukunftsorientierten Forschungs- und Technologiepolitik. Hieraus lassen sich zwei Dinge ableiten. Erstens. Nachhaltigkeit ist ein akzeptiertes Prinzip, das einen festen Standpunkt innerhalb der Forschungsförderung einnimmt. Diese Position ist richtig. Aber zweitens: Nachhaltigkeit ist nur eines von sechs Leitbildern, die durchaus zueinander in Konkurrenz stehen, und sei es auch nur in Konkurrenz um Fördergelder. Hier stimmt die Gewichtung, die der Forschungsminister verordnet, noch lange nicht! Wohin es führt, wenn die nachhaltige Entwicklung mit anderen Prinzipien konkurriert, läßt sich hervorragend an der Energiepolitik darstellen. Steigen wir also ein in den Bundesbericht Forschung. Auf Seite 47 finden wir richtig die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung wiedergegeben: Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen soll ihre Regenerationsrate nicht überschreiten. Nicht erneuerbare Ressourcen sollen nur in dem Umfang genutzt werden, in dem ein physisch oder funktionell gleichwertiger Ersatz geschaffen wird. Stoffeinträge in die Umwelt sollen sich an der Belastbarkeit der Umweltmedien orientieren. Das Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. von Eingriffen in die Umwelt muß im ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der für das Reaktionsvermögen der Umwelt relevanten natürlichen Prozesse stehen. Diese Prinzipien stehen dem dann folgenden Unterkapitel Energiepolitik voran. Eine Leitlinie der nachhaltigen Entwicklung in der Energiepolitik wird auf Seite 48 genannt. Ich spare mir jetzt das lange Zitat. Ganz nebenbei bemerkt: Energie ist sicher eines der wertvollsten Güter unserer Zeit, und deshalb sollte sie nicht billiger werden, sondern teurer. Aber zurück zur Nachhaltigkeit. Nehmen wir an, daß die nicht näher bezeichneten „anderen Bereiche" zum Beispiel Industrie, Gewerbe, Mobilität und auch Wohnen sind, so ist es unbestritten, daß auch hierfür eine gesicherte Energieversorgung notwendig ist. Eines der größten Probleme beim Energieverbrauch ist der CO2-Ausstoß, weil ein großer Teil immer noch aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe herrührt. Die logische Konsequenz, die wir als SPD-Bundestagsfraktion daraus ableiten, ist, alternative CO2-geminderte oder sogar CO2-freie Energien wie Windenergie und Solarenergie zu finden und zu fördern. Hierzu gehört auch, Umwandlungswirkungsgrade zu verbessern und Sparpotentiale zu erschließen. Der Forschungsbericht kommt aber zu dem Schluß, daß auch auf Dauer Kernenergie die zukunftsweisende CO2-freie Energie sei. Kernenergie wird verstanden als vereinbar mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit. Die aber lauten, wenn man sich einmal die Papiere der Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt ansieht: Stoffe dürfen nicht in die Umwelt entlassen werden, wenn sie dort Schaden anrichten, und beim Umgang mit der Natur müssen menschliche Zeitmaßstäbe mit natürlichen Zeitmaßen in Einklang gebracht werden. Hier gehen also nach meiner Meinung die Einschätzungen von Nachhaltigkeit bei der Nutzung von Kernenergie weit auseinander. Das ist schon von Bedeutung, denn im Forschungsbericht werden ja nicht nur politische Ziele benannt, sondern dahinter stecken erhebliche Fördergelder. In Zahlen heißt das, daß der Bund weiterhin dabei bleibt, nur 349 Millionen DM für erneuerbare Energien auszugeben, aber 415 Millionen DM für nukleare Energieforschung plus 270 Millionen DM für die Beseitigung kerntechnischer Anlagen. Ich komme noch einmal auf die Zeithorizonte zurück, daß für die Erhaltung des Prinzips der Nachhaltigkeit menschliche Zeitmaßstäbe mit natürlichen Zeitmaßstäben in Einklang gebracht werden sollten. Bei mir im Nachbarwahlkreis wird in Gorleben ein Zwischenlager für atomare Brennelemente genutzt, und das einzig Nachhaltige daran ist, daß die Brennelemente nachhaltig strahlen, und das für tausende Jahre! Kommen wir zum Schluß: Sind also die drei Anforderungen an den Bundesbericht erfüllt? Vollständigkeit? - Es sieht so aus. Stringenz? - Nein. Wie ich bei dem Einzelthema Energie zeigen konnte, ist es nicht logisch und planvoll, Energiepolitik nachhaltig gestalten zu wollen und dazu auf Kernenergie zu setzen. Dies ist nur ein Beispiel. Zukunftsfähigkeit? - Mit Sicherheit nicht, weil das Prinzip Nachhaltigkeit nicht die Klammer für alle Forschungsziele darstellt, sondern mit fünf weiteren Katagorien um - leider - knapper werdende Forschungsmittel konkurriert. Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Der Bundesbericht Forschung 1996 ist sozusagen die Inventur unserer Zukunftsfähigkeit. Eine Bilanz technologischer Leistungsfähigkeit, die sich sehen lassen kann - und zwar in ganz Deutschland. Der Bundesbericht Forschung 1993 stand noch unter dem Eindruck der wiedergewonnenen deutschen Einheit und war geprägt durch die Aufgabe, Wissenschaft und Forschung in den neuen Ländern aufzubauen. Auf diesem Weg sind wir gut voran gekommen: Mit rund 50 Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen und mehr als 140 außeruniversitären Einrichtungen ist eine ausgewogene institutionelle Dichte erreicht. Im Bereich der Wirtschaft zeigen die für 1993 vorliegenden Daten, daß der Abbau der FuE-Ressourcen zum Stillstand gekommen ist. Die letzten Schätzungen für 1994 weisen auf eine Stabilisierung hin. Die internen FuE-Aufwendungen verzeichnen gegenüber 1991 einen Zuwachs um 7,2 Prozent. Heute hat sich der Blickwinkel nochmals geweitet. Im Zeitalter der Globalisierung und des Übergangs von der Industrie- zur Wissensgesellschaft mit den einhergehenden Chancen und Herausforderungen skizziert dieser Bundesforschungsbericht Entwicklungslinien und leitet daraus Zielmarken für die Forschungspolitik ab. Deshalb wurden wichtige Fragen wie Globalisierung, Forschung und Innovation, Wandel zur Wissensgesellschaft, die Zusammenhänge von Forschung und Bildung sowie Frauen in der Forschung in dem Bericht ausführlich erörtert. Er diskutiert Leitbilder einer zukunftsorientierten Forschungs- und Technologiepolitik. Eine der zentralen Botschaften dieses Bundesberichts Forschung 1996 lautet: Globalisierung ist längst nicht mehr nur eine Herausforderung für den Produktionsstandort, sie ist es auch für den Forschungsstandort Deutschland. Deshalb müssen wir uns wieder auf unsere Stärken besinnen, die gerade in der Forschungslandschaft, aber auch im Bereich der höherwertigen Technologien vorhanden sind, und sie zum Ausgangspunkt unserer Innovationsaktivitäten machen. Dazu gehört, daß wir Globalisierung als Phänomen nicht negieren - wie manche Teile der SPD - und auch nicht als Synonym für Schreckensvisionen sehen - wie andere Teile der SPD. Übrigens: Wann sind Sozialdemokraten schon einer Meinung? Wir begreifen Globalisierung als das, was sie ist: Eine Chance und Herausforderung für ein exportabhängiges Land wie Deutschland. Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten in Deutschland die hochwertigen Laborarbeitsplätze behalten, den Freilandversuch oder die biotechnische bzw. chemische Produktionsanlage aber dem Ausland überlassen. Ich kann verstehen, daß deutsche Unternehmen FuE-Kapazitäten ins Ausland verlagern: Präsenz an den Weltmärkten verlangt mehr als weltweite Vertriebsbüros. Und wer im Ausland produziert, muß in Deutschland nicht seine Zelte abbrechen. Im Gegenteil: Das Engagement auf den Weltmärkten kann den heimischen Standort stärken. Bedenklich ist jedoch, daß die Schere zwischen Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen und Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland immer größer wird. Im vergangenen Jahr erhöhte sich das negative Saldo in der Bilanz der Direktinvestitionen auf 34 Milliarden DM. Diese Entwicklung zeigt, daß Standortpolitik mit den Kriterien Kompetenzzentrierung und Exzellenzbildung immer wichtiger wird. Weltweit agierende Unternehmen suchen sich ihre Standorte nach nüchterner Analyse der relevanten Faktoren. Sie bündeln Forschung, Produktion und Marketing zunehmend in strategischen Einheiten, und zwar dort, wo die Märkte für ihre Produkte sind, wo die Forschung boomt und wo die neuen Märkte auf innovativen Feldern entstehen. Nur wenn Deutschland für die eigenen Unternehmen als Standort attraktiv bleibt, kann es auch Magnet sein für ausländische Investitionen. Globalisierung ist nicht nur eine Sache der „Großen". Kleine und mittlere Unternehmen haben gute Chancen, weil sie punktgenau arbeiten und flexibel sind und schneller auf Marktveränderungen und -bedürfnisse reagieren können. In Deutschland stehen 2,7 Millionen KMU nur etwa 6 000 Großunternehmen gegenüber. Derzeit beträgt zwar ihr Anteil an den Gesamtaufwendungen für FuE nur 13 Prozent. Aber die Tendenz ist steigend. Während der Anteil der Wirtschaft an den gesamten FuE-Ausgaben rückläufig war, stiegen die internen FuE-Aufwendungen in KMU (1991-1994: zirka +12 Prozent). Die Bundesregierung setzt deshalb einen besonderen Akzent zugunsten der KMU. Sie erhalten gut ein Drittel der Fördermittel, die das BMBF an die gewerbliche Wirtschaft vergibt. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Forschungsförderung des Mittelstandes in den neuen Ländern. Am Dienstag dieser Woche habe ich der Presse die beiden wesentlichen künftigen Säulen vorgestellt. Mit dem Programm FUTOUR unterstützen wir besonders innovative Existenzgründer, und bei FUEGO flankieren wir gemeinsame anspruchsvolle FuE-Vorhaben eines Unternehmens und einer Forschungseinrichtung. Für beide Programme können wir bis 1999 rund 700 Millionen DM ausgeben und schaffen damit bis zum Jahr 2000 Planungssicherheit. In diesen Tagen wird häufig die Innovationsschwäche des Standorts Deutschland beklagt. Als mitursächlich gilt die mangelnde Kooperation zwischen der Wirtschaft und der anerkannt starken Forschungslandschaft. In der Tat war diese jetzt zum Glück wieder gewünschte Kooperation lange Zeit tabuisiert - gerade so, als sei die Umsetzung einer Produktidee in ein marktgängiges Produkt nicht ebenso achtenswert wie die Entwicklung der Produktidee selbst. Der Forschungsbericht hat es deutlich gemacht: Wir verfügen in Deutschland in vielen Bereichen über eine erstklassige, weltweit wettbewerbsfähige Forschung. Erstklassige Forschung muß höchste Priorität haben. Wir können uns aber gerade deshalb zweit- und drittklassige Forschung nur der Breite der Themen wegen nicht leisten, und wir können es uns nicht leisten, das Wissenspotential nicht zur Anwendung zu bringen. Deshalb liegt die Antwort in einer Doppelstrategie: Wir müssen durchschlagende Kompetenz aufbauen - in den Biowissenschaften, bei den Informations- und Kommunikationstechnologien, in der Verfahrenstechnik, in den Bereichen Energie und Mobilität, bei den Umwelttechnologien, das heißt, im Bereich der unumstrittenen Zukunftstechnologien. Und: Wissenschaft und Wirtschaft müssen frühzeitiger und enger zusammenarbeiten. Sie müssen dies insbesondere auf den Feldern tun, auf denen der internationale Wettbewerb entschieden wird. Wenn Unternehmen dort hingehen, wo sie das beste Know-how erhalten, dann müssen wir dafür sorgen, daß ihnen solches Know-how bei uns geboten wird. Schlüsselelemente sind hier sowohl Exzellenz als auch eingespielte Kooperationsnetze. Wir brauchen beides. Unsere Forschungseinrichtungen sind zum Teil auf dem Weg zu europäischen oder internationalen Forschungszentren. Die Notwendigkeit, daß wir gerade in Europa unsere Kräfte bündeln, liegt auf der Hand. Im Rahmen europäischer Zusammenarbeit, aber auch im Bereich der bilateralen Kooperation liegen Chancen, die besser genutzt werden müssen. Die Bildung von Kompetenzzentren muß in Europa auch länderübergreifend erfolgen. Auch unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden sich dem Wettbewerb stellen müssen. Wir müssen neue Freiräume schaffen, damit Forschung in Deutschland an Boden und Breitenwirkung gewinnt. Wir sind uns einig mit Spitzenvertretern der Wirtschaft und der Wissenschaftsorganisationen, daß Leitprojekte ein geeigneter Ansatz sind, um Innovationen auf strategischen, für die Entwicklung der Volkswirtschaft bedeutsamen Feldern voranzubringen. Ideen dafür werden im Wettbewerb ausgeschrieben und konzipiert. Leitprojekte entstehen aus einem Wettbewerb der besten Ideen. Es geht um überzeugende Lösungskonzepte, die Rahmenbedingungen und Infrastrukturen für die Erreichung der Innovationsziele mit einbeziehen. Marktchancen und Arbeitsplätze sind wesentliche Beurteilungskriterien. Wir haben inszwischen mit Wissenschaft und Industrie vereinbart, Leitprojekte zunächst auf vier Themenfeldern auszuschreiben: erstens innovative Produkte auf der Grundlage neuer Technologien; zweitens Nutzung des weltweit verfügbaren Wissens für Aus-, Weiterbildung und Innovation; drittens Diagnose und Therapie mit den Mitteln der Molekularmedizin; viertens Mobilität in Ballungsräumen. Der Startschuß für die ersten Ideenwettbewerbe wird schon bald fallen. Paradebeispiel für Leitprojekte ist unser BioRegioWettbewerb: ein überzeugendes Beispiel für Innovationsorientierung und Leistungswettbewerb der Forschungs- und Technologieförderung der Bundesregierung. Die Tür für eine erfolgreiche Nutzung der Biotechnologie in Deutschland wird damit weit geöffnet. Im Grunde war bei diesem Wettbewerb der Weg das Ziel. Was hier binnen weniger Monate an Initiativen auf einem Zukunftsfeld freigesetzt wurde, darf als bisher einmaliger Vorgang bezeichnet werden. Der Zuspruch zum BioRegio-Wettbewerb aus den Reihen der SPD freut uns. Es verwundert uns allerdings nicht, denn wer steht nicht gern auf der Seite des unumstrittenen Erfolges. Bei der SPD bedeutet das: Die SPD-Programmatik werde an die Realität angepaßt (SPD-Fraktion Berlin, Seitz). Ich hoffe, der Realitätssinn ist hinreichend ausgeprägt. Denn die Einsicht darf sich nicht auf rote Gentechnik beschränken, sondern ihr muß zwingend die bei der grünen Gentechnik folgen. Ich schlage vor, daß Sie - statt Bedenken zu tragen - gemeinsam mit uns gegen die Antigen-Chaoten ins Feld ziehen, denn viele der verwüsteten Freisetzungsversuche mit transgenen Pflanzen dienten auch der Sicherheitsforschung im Bereich der Biotechnologie. Neben Sicherheit ist Akzeptanz durch Transparenz ein hohes Gut. Die Bundesregierung tritt deshalb für eine präzise und praktikable Kennzeichnung ein. Die Bundesregierung will ein integriertes Innovationssystem, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist und das den Standort Deutschland innovativen Investoren in aller Welt empfiehlt. Jenen, die angesichts der Fakten im Bundesbericht Forschung 1996 und der dort bereits skizzierten und - wie ich Ihnen dargelegt habe - inzwischen deutlich vorangetriebenen Schritte zur Innovationsorientierung unserer Forschung immer noch auf den Haushaltszahlen herumreiten, halte ich entgegen: Die Politik der Bundesregierung, Kosten zu senken und bürokratische Hemmnisse abzubauen, und eine Politik, die die Innovationsfähigkeit unserer Forschungslandschaft und die Innovationsorientierung unserer Forschungsförderung in den Vordergrund stellt, gehören zusammen. Sie ist eine Politik, die Deutschland als Standort attraktiv macht und Beschäftigung sichert. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Antrag: Eine Welt ohne Atomwaffen) und zu Zusatztagesordnungspunkt 7 (Antrag: Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen) Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Eine Welt ohne Atomwaffen ist unter heutigen Bedingungen leider eine Utopie. Die Formel für diese Waffen ist in der Welt - und es gibt bedauerlicherweise zu viele unberechenbare Diktatoren, die sie nutzen wollen. Wichtig ist, daß der Prozeß der Abrüstung nicht zum Stillstand kommt und die Zahl der atomaren Sprengköpfe weiter drastisch verringert wird. Dies bedeutet nicht nur, daß der START II-Vertrag endlich in Kraft gesetzt werden muß, sondern daß darüber hinausgehende Abrüstungsschritte ergriffen werden, die auch die drei Kernwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien und China einschließen müssen. Der Artikel VI des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages - NVV - darf kein Lippenbekenntnis sein. Daher sollten schon jetzt die Vorbereitungen eingeleitet werden, um auf der Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages eine Konvention zu beschließen, die die Atomwaffenstaaten zu einer weitgehenden Abrüstung ihrer Arsenale in den nächsten Jahrzehnten verpflichtet. Doch trotz aller Abrüstungsbemühungen - und in den letzten zehn Jahren ist doch sehr viel geschehen, das kann man nicht leugnen - würde es auch bei einer vollständigen nuklearen Abrüstung der fünf durch den NVV anerkannten Kernwaffenstaaten nicht zu einer Welt kommen, die frei von Atomwaffen wäre. Nicht eine atomwaffenfreie Welt, sondern die Weiterverbreitung von Atomwaffen ist in der Zukunft wahrscheinlich. Daher wundert es mich doch sehr, wenn ich im Antrag der Grünen lesen muß: Es „mehren sich die Anzeichen auf ein Ende der Atomwaffen. " Entweder leben wir nicht auf der gleichen Welt, oder aber sie verschließen die Augen für die Realitäten. Staaten, die sich entgegen bestehender völkerrechtlicher Vereinbarungen um die Entwicklung von Atombomben bemühen, werden sich dabei wohl kaum von einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag oder dem Report der Canberra-Kommission abhalten lassen. Der Fall Irak hat sehr deutlich gezeigt, daß ein Staat trotz völkerrechtlicher Verpflichtungen und internationaler Kontrollen - der Irak hatte den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ratifiziert - ein umfassendes Programm zur Entwicklung von Atomwaffen betreiben kann. Als Saddam Hussein nach dem Golfkrieg gezwungen wurde, Stück für Stück seine Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, atomare, biologische und chemische, offenzulegen, waren wir doch alle überrascht, wie weit der Irak in seiner Waffenentwicklung schon fortgeschritten war. Noch ein oder zwei Jahre mehr Zeit, und ein unberechenbarer Diktator, der schon Chemiewaffen gegen die Bevölkerung seines eigenen Landes eingesetzt hatte, wäre im Besitz von Atomwaffen gewesen! Und Sie wissen doch so gut wie ich, daß wir noch immer nicht alles über die irakischen Programme wissen, daß die Forscherteams immer noch intakt sind, daß es vielleicht sogar noch geheime Entwicklungszentren gibt oder daß der Irak eventuell immer noch über B- und C-Waffenbestände verfügt, die UNSCOM bislang verborgen geblieben sind. Dabei ist der Irak nur einer von mehreren Staaten, bei denen wir davon ausgehen können, daß sie nach Massenvernichtungswaffen streben. Sie selbst, Frau Beer, sprechen in Ihrem Antrag davon, daß es „reale Proliferationsgefahren im Nahen Osten" gebe. Können Sie mir nun erklären, wie Sie zugleich dazu kommen zu behaupten, daß sich die Anzeichen auf ein Ende der Atomwaffen mehren würden? Dieser Widerspruch ist wirklich unauflöslich. Verträge allein - das zeigen die Erfahrungen mit dem Biologischen Waffenübereinkommen und dem NVV, der sogar ein Überwachungssystem etabliert hat - reichen nicht, um Proliferation zu verhindern. Auch der Report der Canberra-Kommission gesteht dies ein. In der Zusammenfassung des Reports heißt es: „Effective verification is critical to the achievement and maintenance of a nuclear weapon free world." Aber dann folgt das Eingeständnis: „... no verification system provides absolute certainty. " Das kann für uns doch nur bedeuten: Abrüstung, Rüstungskontrolle und Verifikation sind und bleiben wichtig, aber eine vollkommene Sicherheit vor den Bemühungen zahlreicher Staaten, ABC-Waffen zu erwerben, geben sie nicht. Daher ist die völlige Ächtung der Atomwaffen angesichts der Proliferationsgefahren ein gefährliches Hirngespinst. Es ist bedauerlich, aber Atomwaffen müssen auf absehbare Zeit ein wichtiger Bestandteil des Sicherheitssystems der NATO bleiben, um Diktatoren wie Saddam Hussein abschrecken zu können. Während des Golfkriegs war es wahrscheinlich die Warnung des US-Präsidenten George Bush, bei einem Chemiewaffenangriff durch den Irak Atombomben einzusetzen, die Hussein von diesem Schritt abgehalten hat. Wollen wir uns, wenn unsere Partner auf ihre Atomwaffen verzichteten, etwa hilflos solchen wahnsinnigen Diktatoren ausliefern? Auch der Internationale Gerichtshof gesteht in seinem Gutachten den Atomwaffenstaaten zu, daß sie ihr Potential dann einsetzen dürfen, wenn sie sich „in extremen Bedingungen der Selbstverteidigung" befinden. Da aber wohl niemand ernsthaft behaupten möchte, daß in der NATO die Atomwaffen der USA, Großbritanniens oder auch Frankreichs als Offensivmittel eingesetzt werden sollen, ist es mir unerklärlich, wie man aus dem Gutachten den totalen Einsatzverzicht herauslesen möchte. Dies ändert nichts - das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen - an der Verpflichtung, weitere Abrüstungsschritte zu ergreifen. Aber auch der Abrüstungsprozeß - so paradox es klingen mag - bringt wenigstens mittelfristig neue Gefahren mit sich: Schon heute schreiten die Vereinbarungen zum Abbau der Sprengköpfe schneller voran, als der technisch umgesetzt werden kann. Gerade von den in Einzelteilen zerlegten Sprengköpfen geht in Rußland eine viel größere Proliferationsgefahr aus als von den gut bewachten Atomwaffen. Dies ist kein Plädoyer, den Abrüstungsprozeß zu verzögern, doch ist es nur seriös, wenn man seine Forderungen auch an den technischen und finanziellen Möglichkeiten orientiert. Ein letztes Wort zum Antrag der Grünen: Die Behauptung, die Bundesrepublik sei ein „atomarer Schwellenstaat" und gehöre zu den „Atomwaffenstaaten im Wartestand", ist schlicht eine Unverschämtheit. Deutschland hat schon zu Zeiten Konrad Adenauers unmißverständlich auf ABC-Waffen verzichtet und diese Entscheidung nochmals eindeutig im Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990 bekräftigt, ja, verstärkt. Die Unterstellungen der Grünen sind eine plumpe Polemik, die ich entschieden zurückweise. Abrüstung hat immer dann Erfolg gehabt, wenn sie sich den Sicherheits- und Stabilitätserfordernissen unterordnete, wenn sie nicht zum Selbstzweck erklärt, sondern als eine Funktion einer realistischen Friedenspolitik betrachtet wurde. Nicht eine Welt ohne Waffen ist machbar, wohl aber eine Welt mit weniger Waffen. Dies bleibt die Politik der CDU/ CSU. Gemot Erler (SPD): Die beiden hier zur Debatte stehenden Anträge haben folgende Überschriften: „Eine Welt ohne Atomwaffen" und „Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen". In beiden Titeln kommt ein politischer Wunsch für die Zukunft zum Ausdruck. Ich denke, daß die meisten Mitglieder dieses Hauses über die genannte Zielvorstellung einig sind. Das gilt auch für die Bundesregierung, die in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum IGH-Urteil vom 8. Juli 1996 wörtlich schreibt: „Eine nuklearwaffenfreie Welt gehört zu den Fernzielen des Vertrages über Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), zu denen sich die Bundesregierung nachdrücklich bekennt. " Wir Sozialdemokraten haben uns schon vor Jahren sehr deutlich zu dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Im Beschluß des Wiesbadener Parteitags vom November 1993, der von dem Mannheimer Parteitag vom Jahre 1995 bestätigt wurde, heißt es z. B.: „Wir treten ein für eine Abrüstungskonferenz aller Atomwaffenstaaten mit dem Ziel der generellen, kontrollierten Abrüstung. " „Die SPD wird den Abzug aller Atomwaffen aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland, nicht nur aus Ostdeutschland, durchsetzen. " In dem gleichen Beschluß fordert die SPD auch den Verzicht auf den atomaren Ersteinsatz und die Strategie der atomaren Abschreckung. Darüber hinaus heißt es dort: „Alle Massenvernichtungsmittel müssen international geächtet und verboten werden. " Der Unterschied zwischen uns beginnt bei der Frage, ob mit einer Beschlußfassung des Deutschen Bundestages zum jetzigen Zeitpunkt irgendein sinnvoller Schritt nach vorne auf das genannte Ziel hin erreicht werden kann. Wir sind hier eher skeptisch. Es besteht nämlich die Gefahr, daß sich eine solche Beschlußfassung einreiht in eine politische Tendenz, die wir gegenwärtig auf der internationalen Bühne beobachten können und die sich als „Übersprungshandlung" beschreiben läßt. Zum Beispiel wird gegenwärtig über eine dritte Runde zur Reduzierung der strategischen Atomwaffenarsenale unter dem Stichwort „START 3" diskutiert. Dieser Begriff taucht auch in dem PDS-Antrag auf. Das Problem ist aber, daß der Vorläufer-Vertrag „START 2", der schon vor mehr als drei Jahren ausgehandelt wurde, noch immer der Russischen Föderation nicht ratifiziert ist und dadurch nicht in Kraft treten kann. Die Moskauer Pläne, jetzt über „START 3" zu reden, bedeuten nichts anderes, als daß man nicht bereit ist, die vor längerer Zeit gemachten Verpflichtungen verbindlich zu machen und zu erfüllen. „START 3" muß der Ratifizierung von „START 2" folgen - und nicht umgekehrt! Ähnlich verhält es sich mit der Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen. Wer sich bewußt macht, daß die fünf permanenten Besitzer von Atomwaffen zugleich die Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind, die über ein Vetorecht verfügen, muß einräumen, daß das Ziel der Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen erst am Ende eines längeren Abrüstungsprozesses stehen kann und nicht mal eben so zwischendurch zu erreichen ist. Manchmal ist es wesentlich seriöser, sich über den nächsten politischen Schritt zu verständigen, der notwendig ist und in die richtige Richtung auf das angepeilte Ziel weist, als einen deklaratorischen Beschluß radikalen Inhalts zu fällen. Welches wären die wichtigsten nächsten Schritte zu dem perspektivischen Ziel einer atomwaffenfreien Welt? Sie ist mit Sicherheit nicht erreichbar, wenn es nicht gelingt, den ausgehandelten Atomteststoppvertrag (CTBT) für alle Länder der Welt verbindlich zu machen. Noch ist es nicht gelungen, den anhaltenden Widerstand des atomaren Schwellenlandes Indien und anderer Länder gegen diesen Vertrag auszuräumen. Die Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen erscheint weit entfernt, wenn sich die technisch potentiell zur Herstellung dieser Massenvernichtungsmittel fähigen Länder nicht einmal definitiv dazu verpflichten, keine Atomtests mehr durchzuführen. Als weiteren Schritt habe ich bereits die nun wirklich überfällige Ratifizierung des „START 2"-Vertrages durch die Russische Föderation erwähnt. Mit der Ratifizierung und Umsetzung dieses wichtigen Abkommens steht und fällt ein anderes politisches Ziel, das weltweit auf viel Zustimmung stößt, aber sich trotzdem noch nicht in sicheren Bahnen bewegt. Ich meine die Nichtverbreitung von Atomwaffen, die Nonproliferation. Erst wenn die atomwaffenbesitzenden Staaten entschlossene Schritte zur Verringerung und schließlich völligen Beseitigung ihrer Atomwaffenbestände akzeptieren, wird der Drang bei anderen Ländern geringer werden, selber auch über Atomwaffen zu verfügen. Oder mit einer kurzen Formel ausgedrückt: Ohne eine Fortsetzung des START- Prozesses keine Nonproliferation! Eine Welt allerdings, in der die Nonproliferation von Massenvernichtungswaffen scheitert, wäre ein zunehmend unwirtlich werdender, ja unbewohnbarer Ort. Poliferation von Nuklearwaffen ist gleichbedeutend mit der Wiederaufnahme weltweiten Wettrüstens, begründet mit der Abwehr von Gefahren aus unzuverlässigen Ländern, die dann auch über diese Waffensysteme verfügen. Ein dritter wichtiger Schritt wäre die Vereinbarung eines Vertrages zur Beendigung der Herstellung von atomarem Spaltmaterial (Cut-off), das zur Herstellung von Waffen geeignet ist. Er müßte sich verbinden mit einer Verpflichtung der Atomstaaten, ihre Sprengköpfe nicht nur aus der operativen Stationierung zurückzuziehen, sondern sie auch auseinanderzunehmen und das Spaltmaterial einer endgültigen Kontrolle zu übergeben. Erst dann werden auch die jetzt schon vorhandenen Abrüstungsverträge irreversibel, erst dann wird der Weg zugestellt für eine immer noch wieder mögliche Wiederaufrüstung mit Atomwaffen. Ein vierter Schritt wäre ein Vertrag, der weltweit den Bau, den Besitz oder die Nutzung von Trägerraketen mit einer Reichweite von mehr als 150 km verbietet, wobei natürlich die Erforschung des Weltraums und das Ausbringen von Satelliten ausgenommen werden muß. Ein solcher Zwischenschritt zur endgültigen atomaren Abrüstung wird immer aktueller. Solange es bei den heutigen Atomwaffen-Staaten Mißtrauen gegenüber unzuverlässigen Staaten gibt, die potentiell die Fähigkeit zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen haben und auch über die notwendige Trägertechnologie verfügen, wird es zu keinen tiefen Einschnitten bei der Zahl der Atomwaffen kommen. Im Gegenteil, unter dem Stichwort „Counterproliferation" drohen neue Rüstungsrunden, um sich gegen eine eventuelle Attacke mit weitreichenden Raketen unverwundbar zu machen. Ein „Global Missile Ban" wäre das geeignete Mittel, um das zitierte Mißtrauen zu entschärfen und die Aufrüstungs-Antwort zu vermeiden. Auf den engen Zusammenhang von atomarer Abrüstung und Nonproliferation habe ich bereits verwiesen. Wir halten es deshalb für sinnvoll, diese genannten weiterführenden Schritte in eine atomwaffenfreie Welt dort zu verhandeln, wo die Nonproliferation zum Thema steht. Und das sind die Vorbereitungskonferenzen für die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages, die bereits im kommenden Jahr beginnen werden. In der Tat wäre es notwendig, im Rahmen des NPT-Prozesses für solche Initiativen zu werben und auf die Bundesregierung einzuwirken, daß sie entsprechende Vorschläge unterstützt. Das wäre wirksamer, als im Deutschen Bundestag deklaratorische Anträge einzubringen, die zwar ein konsensfähiges Ziel beschreiben, aber in den Einzelforderungen weder die richtigen Prioritäten setzen noch konsensfähige Vorschläge machen, noch auf der Basis international erreichbarer Zwischenziele bleiben. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Juli dieses Jahres hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Gutachten erklärt, daß die Androhung und der Gebrauch von Atomwaffen generell gegen das Völkerrecht verstoßen. Die von der australischen Regierung eingesetzte Canberra-Kommission hat zeitgleich einen Abrüstungsplan für Atomwaffen vorgestellt. Die malaysische Regierung hat eine Resolution zur Abschaffung der Atomwaffen in die Vereinten Nationen eingebracht, die im ersten Ausschuß mit Mehrheit angenommen wurde. Sechzig ehemalige Generäle haben sich gestern für die Abschaffung aller Atomwaffen ausgesprochen. Dies sind nur die jüngsten Zeichen, die zeigen: Die Zeit ist reif für die vollständige atomare Abrüstung! Was aber findet real statt? Die Atomwaffenbesitzer greifen diese Initiativen nicht auf, weil sie den status quo, die Spaltung in Atomwaffenbesitzer und Nichtbesitzer festschreiben wollen. Das kann man nicht zuletzt an den Verhandlungen zum Atomteststopp sehen. Es wurde kein Abkommen über ein allgemeines Verbot von Atomteststopps abgeschlossen, sondern es wurden die Arten von Tests verboten, die die führenden Atomwaffenbesitzer nicht mehr durchführen wollen. Es handelt sich dabei nicht um Abrüstung, sondern uni die Durchsetzung des Monopolanspruchs der atomwaffenbesitzenden Staaten. Die Atomwaffenbesitzer in der NATO, aber auch Rußland, wollen nicht vollständig abrüsten und verhalten sich so völkerrechtswidrig. Sie befolgen nicht die Abrüstungsverpflichtung in Artikel VI im auch von ihnen unterzeichneten, unbefristet verlängerten Atomwaffensperrvertrag. Insbesondere die NATO-Staaten sind derzeit verantwortlich für das Stocken des atomaren Abrü- stungsprozesses. Anstatt die günstige sicherheitspolitische Lage auszunützen, sucht die NATO neue Begründungen für ihre Atomwaffen. Counter-Proliferation heißt das Zauberwort, das die Legitimierungsprobleme der Nuklearstrategen lösen soll. In den Vereinigten Staaten werden „Schurkenstaaten" entdeckt und entlarvt, die für die Proliferation von Massenvernichtungswaffen verantwortlich gemacht werden. Gegen diese brauche man als Drohmittel auch Atomwaffen. Die NATO weigert sich darüber hinaus auch, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Dies wäre ein erster Schritt, der die Bereitschaft zur Abrüstung glaubhaft signalisieren würde und spätestens seit Beendigung des alten Ost-West-Konfliktes längst überfällig ist. Ich möchte jetzt ausführlicher auf die eingangs von mir erwähnten positiven Entwicklungen eingehen. Denn sie zeigen, daß es Wege aus der atomaren Rüstung gibt, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Die Atomwaffenstaaten und auch der atomare Schwellenstaat Bundesrepublik haben versucht, die Befassung des IGH mit der Atomwaffenthematik zu verhindern. Der IGH hat sich von diesem Einfluß freigehalten und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Androhung des und der Gebrauch von Atomwaffen generell völkerrechtswidrig sind. Im Zusammenhang mit den von der Canberra-Kommission vorgeschlagenen Schritten hin zu einer vollständigen atomaren Abrüstung ist zu fordern, daß die Atomwaffenstaaten sofort in Verhandlungen über die allgemeine atomare Abrüstung und den Abschluß einer Atomwaffenkonvention eintreten. Die Malaysische Regierung hat einen Resolutionsentwurf in die Vereinten Nationen eingebracht, der von einer Mehrheit dort angenommen wurde. Die Atomwaffenstaaten, aber auch die Bundesrepublik haben gegen die Annahme der Resolution gestimmt. Am 10. Dezember 1996 soll nach bisheriger Planung die Generalversammlung der Vereinten Nationen über diese Resolution befinden. Wir fordern die Bundesregierung auf, für diese Resolution zu stimmen. Vor dem Hintergrund dieser positiven Entwicklungen fordern wir von der Bundesregierung, diese Initiativen konstruktiv aufzugreifen und durch einseitige Schritte zu untermauern. Solche Schritte wären unter anderem: Die Bundesregierung muß alle Initiativen für eine Atomwaffenkonvention unterstützen und sich in der NATO insbesondere gegen die Ersteinsatzdoktrin und allgemein gegen das Beharren auf die Nuklearstrategie der NATO einsetzen. Es ist notwendig, daß die Bundesrepublik den Verzicht auf Forschung, Herstellung, Dislozierung, Besitz und Teilhabe an Atomwaffen im Grundgesetz verankert und völkerrechtlich verbindlich erklärt. Wir fordern von der Bundesregierung, sich eindeutig gegen eine europäische nukleare Option einzusetzen. In dem von uns gestellten Antrag fordern wir deshalb unter anderem auch den Verzicht auf den Forschungsreaktor Garching (FRM II). Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Angesichts des heute hier zu debattierenden Antrages und seiner Urheber muß man sich stark erinnert fühlen an den Menschen, der den Splitter im Auge seines Nachbarn bemerkt, aber natürlich nicht das Brett vor dem eigenen Kopf. Für die F.D.P. stelle ich fest, daß wir das Bestreben der Bundesregierung und besonders des Außenministers unterstützen, weitere Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung und der Verhinderung der Proliferation nuklearer und anderer Massenvernichtungsmittel zu erreichen, weil dies für globale Stabilität und Sicherheit unverzichtbar ist. Allerdings sind wir uns auch bewußt, daß wir aller Voraussicht nach auf absehbare Zeit mit der Gefahr der illegalen Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung nuklearer Waffen leben müssen. Es ist zunächst festzuhalten, daß es sich bei dem Bezugsdokument des Internationalen Gerichtshofes (IGH) um ein Rechtsgutachten handelt, also nicht um einen „Richterspruch" bzw. ein Gerichtsurteil. Die Kollegin Gysi als Juristin sollte dies eigentlich wissen. Der IGH hat festgestellt, daß es weder Völkervertragsrecht noch Völkergewohnheitsrecht gibt, das die Androhung oder den Einsatz von Nuklearwaffen gestattet. Desgleichen wurde aber ebenso festgestellt, daß es weder Völkervertragsrecht noch Völkergewohnheitsrecht gibt, das die Androhung oder den Einsatz von Nuklearwaffen ausdrücklich verbietet. In keiner seiner weiteren Aussagen geht der IGH so weit, den Einsatz bzw. die Androhung des Einsatzes von Nuklearwaffen unter allen Umständen für völkerrechtswidrig zu erklären. So bleibt es u. a. offen, ob ein Nuklearwaffeneinsatz in einem extremen Fall der Selbstverteidigung, in dem die Existenz eines Staates auf dem Spiel steht, mit dem Völkerrecht vereinbar wäre. Ich möchte daher festhalten, daß der in dem PDS- Antrag nahegelegte Rückschluß, daß das Gutachten des IGH den Einsatz von Atomwaffen oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen generell für völkerrechtswidrig erklärt, nicht zutrifft. Das hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN allerdings nicht davon abgehalten, am 3. Dezember 1996, also am Montag dieser Woche, ebenfalls einen Antrag mit der gleichen unrichtigen Behauptung vorzulegen. Es ist hier auch festzustellen, daß die geltende Verteidigungsstrategie der NATO einschließlich der nuklearen Komponente auch nach dem Gutachten des IGH weiterhin mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich in dem Verfahren des IGH mit zwei schriftlichen und einer mündlichen Stellungnahme beteiligt. Der Tendenz dieser Stellungnahmen ist der IGH dadurch gefolgt, daß er auf die in Art. VI des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 zum Ausdruck kommende Verpflichtung verwiesen hat, zielgerichtet über nukleare Abrüstung zu verhandeln. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion unterstützt ausdrücklich die Politik der Bundesregierung, die sich weiterhin nachdrücklich für eine Reduzierung der Nuklearwaffen in der Welt einsetzt. Wir anerkennen aber auch, daß insbesondere die politische Funktion der Nuklearwaffen und der Nuklearstrategie der Atlantischen Allianz erheblich dazu beigetragen hat, daß der Frieden in Europa über vier Jahrzehnte lang gesichert wurde und damit letztlich das Entfallen der Blockkonfrontation und die Einheit Deutschlands erst ermöglicht wurde. Manfred Müller (Berlin) (PDS): Wir haben mit gutem Grund darauf gedrängt, daß unser Antrag möglichst rasch behandelt wird. Am 14. November hat das Abrüstungskomitee der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit eine Resolution zur nuklearen Abrüstung angenommen. Nun ist die UNO-Generalversammlung am Zuge. Und dabei wird es von Bedeutung sein, wie sich die Bundesregierung zu dieser Resolution verhält. Im Abrüstungskomitee hat die Bundesregierung dagegen gestimmt. Wir hoffen, daß Sie sich jetzt eines Besseren besinnen. Das UN-Komitee hat wie der Internationale Gerichtshof dringlich Verhandlungen über die nukleare Abrüstung in allen ihren Aspekten gefordert und ist noch einen Schritt weitergegangen: Es sollen noch 1997 Verhandlungen begonnen werden, die zum Abschluß einer Nuklearwaffenkonvention führen sollen. Mit dieser Konvention sollen umfassend Entwicklung, Produktion, Erprobung, Stationierung, Lagerung, Transfer, Einsatzdrohung und der Einsatz von Kernwaffen verboten werden. Die Stimmen für die drastische Abrüstung der Atombomben mehren sich. Erst gestern haben über 60 führende Militärs aus aller Welt - darunter zwei prominente US-Generäle - erklärt, daß nach dem Ende des Kalten Krieges die atomare Abschreckung obsolet geworden sei. Da ein Einsatz von Kernwaffen gegen nicht atomar gerüstete Gegner undenkbar sei, hätten diese Waffen jeglichen Sinn verloren. Die Ächtung von Kernwaffen steht auf der weltpolitischen Tagesordnung. Was aber tut die Bundesregierung? Sie hält als einer der wenigen Staaten den Atommächten die Stange. Fast zwei Drittel der 145 Staaten des Abrüstungskomitees haben der erwähnten Resolution zugestimmt, 29 Staaten haben sich enthalten. Von Bedeutung ist, daß ein Atomwaffenstaat - China - und einige Staaten - wie Indien, Pakistan, Iran, Nordkorea, Libyen -, die an der Schwelle zur Atommacht sind bzw. denen man nukleare Ambitionen nachsagt, mit ja gestimmt haben. Die große Chance ist also jetzt da, daß über die vollständige Atomwaffenabrüstung verhandelt wird. Daß die großen Atommächte an ihrer exklusiven Macht festhalten wollen, kann man gerade noch verstehen. Aber warum ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland, die nach der Geschichte dieses Jahrhunderts eine besondere Verantwortung für den Frieden hat und die sich kategorisch verpflichtet hat, auf Atomwaffen zu verzichten, dieses Teufelszeug bewahren will, ist rational nicht mehr nachvollziehbar. Die Bundesregierung schreckt dabei nicht einmal vor einer Uminterpretation des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes vom Juli dieses Jahres zurück. Sie tun so, als ob sich nichts getan hätte: als ob die NATO mit ihrer Doktrin des Ersteinsatzes von Atomwaffen weitermachen könnte wie bisher und als ob wir die sogenannte nukleare Teilhabe der Bundesrepublik nicht in Frage zu stellen bräuchten. Business as usual also - wie zu Zeiten der nuklearen Konfrontation. Der IGH hat eindeutig gesagt, daß die Androhung und der Gebrauch von Atomwaffen generell („generally") gegen die Regeln des für bewaffnete Konflikte geltenden Völkerrechts verstoßen würden, im besonderen gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts. Dies sagt einem schon der gesunde Menschenverstand: Kernwaffen sind und bleiben Waffen, die unterschiedslos wirken, die nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheiden und die auch unbeteiligte Staaten in Mitleidenschaft ziehen können. Es ist geradezu bizarr, wenn die Bundesregierung auf unsere Anfrage erklärt, die NATO würde in ihrer Nuklearstrategie die Regeln des humanitären Völkerrechts sorgfältig beachten. Glauben Sie eigentlich selber an diesen Unsinn? Richtig ist, daß der IGH sich nicht in der Lage sah, den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen für völkerrechtswidrig zu halten. Erwähnt wird das Notwehrrecht eines Staates, der um seine Existenz kämpfen muß. Aber wenn die Bundesregierung jetzt in Abrede stellt, daß der IGH eine generelle Unvereinbarkeit von Kernwaffen und Völkerrecht sieht, so wird schlicht und einfach die Wahrheit verbogen. „Generally No" ist generell Nein und nicht generell Ja! Warum denn sonst besteht der IGH auf Verhandlungen zur allgemeinen nuklearen Abrüstung? Die Bundesregierung spielt in puncto Nuklearabrüstung eine durchweg unrühmliche Rolle. Da fragt sich schon: Welche nuklearen Ambitionen hat eigentlich diese Bundesregierung? Spekulieren Sie noch immer darauf, über eine „Europäisierung der Atomwaffen" eine Mitverfügung zu bekommen? Was wollen Sie damit erreichen? Ich wiederhole: Die Atomwaffen sind heute durch nichts mehr zu rechtfertigen - wenn sie je zu rechtfertigen waren. Die Existenz von einigen wenigen Kernwaffenstaaten schafft erst das riesige Problem der drohenden Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Denn auf Dauer werden sich die sogenannten Habenichtse nicht damit begnügen, auf den Hinterbänken der Weltgeschichte zu sitzen. Ihre Vorstellung, daß man diese Weiterverbreitung mit militärischer, auch nuklearer Abschreckung niederhalten müsse, ist abwegig, gefährlich und verdammt teuer. Sie führt nur dazu, daß sich die Rüstungs- und Gewaltspirale weiter dreht. Wir müssen das Steinzeitdenken der Nuklearära endlich überwinden. Jetzt besteht die große Chance, daß die Massenvernichtungswaffen weltweit geächtet werden. Mit einer Nuklearwaffenkonvention würde - nach den Abkommen zu den B- und C-Waffen - eine wichtige Lücke im Völkerrecht geschlossen. Daher bitte ich Sie nachdrücklich: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Die Menschheit muß von der Geißel der ABC-Waffen befreit werden! Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat in seinem Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996 einstimmig festgestellt, daß Androhung oder Einsatz von Nuklearwaffen, die nicht in Übereinstimmung mit Art. 2 Abs. 4 sowie Art. 51 der VN-Charta erfolgen, völkerrechtswidrig sind. Er hat ferner festgestellt - allerdings nur mit der Hälfte seiner Mitglieder -, daß Androhung und Einsatz von Nuklearwaffen im allgemeinen mit den Regeln des humanitären Völkerrechts unvereinbar sind. Der Internationale Gerichtshof hat ausdrücklich offen gelassen, ob im extremen Fall der Selbstverteidigung, in dem die Existenz des Staates auf dem Spiel steht, ein Einsatz von Nuklearwaffen zulässig sein kann. Die Bundesregierung sieht sich durch dieses Gutachten in ihrer Auffassung bestärkt, daß die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und die allgemeinen Regeln des humanitären Völkerrechts auch für den Einsatz von Nuklearwaffen gelten. Das Gutachten des Gerichtshofes bestätigt ferner die von der Bundesregierung stets vertretene Auffassung, daß es im Völkerrecht keine Norm gibt, die ein generelles Verbot von Nuklearwaffen beinhaltet. Das Gutachten bezeichnet folgerichtig weder den Besitz noch die den Kernwaffen zugrunde liegende Strategie politischer Abschreckung als völkerrechtswidrig. Was den malaysischen Resolutionsentwurf über das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag betrifft, so wird die Bundesregierung an ihrem Nein auch bei der Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen festhalten. Wie in einer Stimmerklärung im 1. Ausschuß der VN- Generalversammlung erläutert, hängt dies mit der unausgewogenen Art zusammen, in der der Resolutionsentwurf von dem Rechtsgutachten Gebrauch macht. Zugleich haben wir dort klargestellt, daß die Bundesregierung den gründlichen und ausgewogenen Inhalt des Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofes begrüßt. Das haben wir auch mit unserer Ja-Stimme zum operativen Paragraphen 3 der Resolution deutlich gemacht. Die geltende Verteidigungsstrategie des Nordatlantischen Bündnisses ist mit dem Völkerrecht vereinbar. Das hat das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes bestätigt. Dies gilt auch für die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland. Die Mitwirkung in der Nuklearen Planungsgruppe ist Voraussetzung dafür, daß die Bundesrepublik Deutschland die vitalen Interessen Deutschlands bei der Formulierung der nuklearen Verteidigungsstrategie im Bündnis in wirksamer Form zur Geltung bringt. Das Nordatlantische Bündnis hat bereits auf seinem Gipfeltreffen in Rom im November 1991 festgestellt: Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art, nämlich Wahrung des Friedens und Verhinderung von jeglicher Art von Zwang oder kriegerischen Gewaltmaßnahmen. Vor dem Hintergrund der gewandelten sicherheitspolitischen Lage hat das Bündnis seit 1991 die strategischen Nuklearwaffen auf europäischem Boden um 80 % reduziert. Alle land- und seegestützten taktischen Nuklearwaffen sind abgezogen worden. Das Bündnis hat wiederholt erklärt, daß auch nach einem Beitritt neuer Mitglieder das derzeitige Nukleardispositiv nicht geändert werden soll. Kein PfP- Partner-Land strebt im Falle eines Beitrittes zur NATO die Stationierung von Nuklearwaffen auf dem eigenen Territorium an. Kurz: Russische Besorgnisse über neue nukleare Bedrohungen entbehren jeder Grundlage. Eine nuklearwaffenfreie Welt gehört zu den politischen Zielen, die im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ausdrücklich genannt sind und zu denen sich die Bundesregierung nachdrücklich bekennt. Dieses Ziel kann nur langfristig und in mehreren Zwischenschritten erreicht werden. Die Bundesregierung hat konsequent auf den Abschluß eines Vertrages über das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen hingewirkt. Sie hat diesen Vertrag im September unterzeichnet und betrachtet ihn als eine entscheidende Etappe auf dem Weg nuklearer Nichtverbreitung und Abrüstung. Die Bundesregierung weiß sich mit ihren Partnern einig in dem Wunsch nach möglichst rascher Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Kernwaffen und andere Kernsprengkörper. Die Bundesregierung unterstützt den laufenden nuklearen Abrüstungsprozeß gemäß START I-Vertrag und appelliert weiterhin an die russische Duma, den START II-Vertrag endlich zu ratifizieren. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn es bald zu einer grundsätzlichen Verständigung über Prinzipien eines weiterführenden nuklearen Abrüstungs- und Rüstungskontrollvertrages käme. Präsident Clinton und Präsident Jelzin haben schon im Oktober 1994 von der Perspektive eines START III-Vertrages gesprochen. Eine militärische deutsch-französische Atomkooperation gibt es nicht. Wohl aber arbeiten Frankreich und Deutschland derzeit gemeinsam mit Rußland daran, einen ökologisch und ökonomisch gangbaren Weg zur Beseitigung russischen Waffenplutoniums aufzuzeigen. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU berührt nicht die Formulierung gemeinsamer Verteidigungsplanung. Insofern ist die Tatsache, daß zwei Mitglieder der EU Kernwaffenstaaten sind, für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ohne Konsequenz. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Zwei-plus vier-Vertrag ausdrücklich, völkerrechtlich verbindlich und auf alle Zeiten auf Herstellung, Besitz und Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen verzichtet. Der gesamte Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie, also auch die Bearbeitung und der Einsatz von plutoniumhaltigen Brennelementen sowie der künftige Betrieb des neuen Forschungsreaktors in Garching, unterliegen den umfassenden Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM).
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wilhelm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was als großer Wurf angekündigt war, ging leider ein bißchen daneben. In altbewährter Ideologie hat sich die Bundesregierung wieder einmal darauf beschränkt, Umweltstandards und demokratische Rechte abzubauen.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!)

    Alle befristeten Regelungen, seinerzeit dem gläubigen Volk als vorübergehende Einschränkung verkauft, wurden als Dauerrecht verewigt. Damit wird ein stetig wachsender Flächenverbrauch mit irreversiblen ökologischen Schäden zementiert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Bürger, Natur und Landschaft werden dem freien Spiel der ökonomischen Kräfte überlassen. Sinnvolle Planung kann so nicht stattfinden.
    Wir kritisieren am Regierungsentwurf insbesondere: Die Politik resigniert vor wachsenden Flächenansprüchen, statt Instrumente zur Begrenzung des Flächenverbrauchs bereitzustellen. Nach wie vor setzt die Bundesregierung auf eine Politik der forcierten Baulandausweisung ohne Rücksicht auf eine ausgewogene, nachhaltige Raumnutzung. Sie tut dies in der Förderpolitik ebenso wie mit den Beschleunigungsgesetzen und jetzt mit dem eingebrachten Entwurf eines Bau- und Raumordnungsrechts.
    Unsere Gesellschaft nutzt den Boden, als wäre er unbegrenzt verfügbar. Dabei werden täglich in Deutschland 80 bis 100 Hektar Freifläche verbaut. Die theoretische Gleichberechtigung der räumlichen, ökologischen, sozialen und ökonomischen Leitvorstellungen schlägt sich nicht in der räumlichen Entwicklung nieder. Vielmehr dominieren die ökonomischen Ansprüche auf Kosten insbesondere der ökologischen Erfordernisse. Dieses Verständnis der Raumplanung führt zu einer massiven, einseitigen Raumbelastung auf Kosten von Natur und Landschaft, Boden, Wasser, Luft und Klima.
    Die zunehmende Zersiedelung unserer Landschaft soll noch durch weitere Privilegierungen von Außenbereichsvorhaben beschleunigt werden.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ich will einmal sehen, wo Sie wohnen!)

    Der umfangreiche Privilegierungskatalog des Baugesetzbuch-Maßnahmengesetzes soll ins Dauerrecht überführt werden, obwohl dies in den letzten Jahren bereits zu einem unkontrollierbaren Zersiedlungsprozeß geführt hat.
    Der Regierungsentwurf packt hingegen zahlreiche Problemfelder der Stadt-, Siedlungs- und Raumentwicklung überhaupt nicht an, so den Vorrang für die Nutzung von Brachen und den Vorrang für die Ausbildung von Siedlungsschwerpunkten an Haltestellen des Schienenverkehrs. Zur Förderung der Nutzungsmischung macht der Entwurf mit der Abschaffung der Kategorie des reinen Wohngebietes nur einen zaghaften Anfang. Der Regierungsentwurf packt das Problem der überhöhten Bodenpreise in den Ballungsräumen nicht an. Die Fehlsteuerungen der Raumnutzungen können nicht nur durch Planung bewältigt werden. Genauso wichtig ist es, die ökonomischen Impulse zu einer im volkswirtschaftlichen und ökologischen Sinne optimalen Bodennutzung zu lenken. Dazu wären Änderungen im Bewertungsrecht und die Einführung eines Planungswertausgleichs erforderlich.
    Der Regierungsentwurf nimmt solche Impulse der seit langem geführten Bodenrechtsdebatte leider nicht auf. Er baut die Verpflichtung zu einem naturschutzrechtlichen Ausgleich weiter ab, die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung wird komplett in die planerische Abwägung nach BauGB eingestellt. Auch Vorhaben im unbeplanten Innenbereich sind nicht mehr als Eingriff zu bewerten.
    Der Regierungsentwurf ist von einer konzeptionslosen Deregulierung gekennzeichnet, durch den Abbau von Bürgerbeteiligungen, durch die Einschränkung von Einspruchsrechten und -fristen zugunsten der Bürger gegen Bebauungspläne und den Abbau von Anzeigepflichten der Gemeinde gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde. Er setzt damit auf der Ebene des kommunalen Planungsrechts die Linie fort, die bereits in den früheren Gesetzen zur Verfahrensbeschleunigung und in den Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung zum Ausdruck kamen. Dabei werden wohl Beschleunigungen nicht eintreten.
    Eine in Auftrag des Bundesbauministeriums erstellte Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß

    Helmut Wilhelm (Amberg)

    sich für die Mehrzahl der Gemeinden keine nennenswerten Zeitgewinne ergeben haben. Die Gutachter empfehlen daher der Bundesregierung wegen der überragenden Bedeutung der Bürgerbeteiligung für die Qualität und Akzeptanz der Bauleitpläne einerseits und wegen der relativ bescheidenen Auswirkungen andererseits, an den derzeitigen Regelungen festzuhalten.
    Ebensowenig wird der vorliegende Gesetzentwurf zum Bundesraumordnungsgesetz dem Anspruch auf eine ausgewogene Raumentwicklung gerecht. Insbesondere fehlt in dem Entwurf weiterhin die effiziente Stärkung und Begünstigung ökologischer Belange. Entsprechende Ansätze sind zaghaft und halbherzig. § 15 ROG des jetzigen Entwurfs sieht noch nicht einmal mehr zwingend die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vor.
    Die Zukunftsaufgaben der Städtebau- und Raumordnungspolitik müssen daher heißen: Revitalisierung der Innenstädte, Flächenrecycling und Brachennutzung, vor allem zur Flächenbereitstellung für Wohnungsbau sowie für kleine und mittelständische Unternehmen, behutsame Weiterentwicklung und Verdichtung des Bestands in vertretbarem Ausmaß, Stärkung von Innenstädten und Stadtteilzentren und städtebauliche Nutzungsmischungen.
    Wir Grüne wollen ein soziales und ökologisches Bodennutzungs- und Raumordnungsrecht. Wir fordern daher: Umwelt- und Stadtplanung gehören zusammen, ökologische Belange sind auf allen Planungsebenen festzuschreiben. Die Priorität für die Bebauung von Lücken und Brachen ist sicherzustellen. Neues Bauland sollen Gemeinden in der Regel nur dann ausweisen, wenn sie den Nachweis erbracht haben, daß sie gleichzeitig Brachen und Lükken nutzen. Die Bildung von Siedlungsschwerpunkten ist notwendig, öffentliche Verkehrserschließung hat Vorrang. Auf allen Planungsebenen ist sicherzustellen, daß beplante Gebiete an den öffentlichen Verkehr, vornehmlich den Schienenverkehr, angeschlossen werden. Der Schutz des Außenbereichs muß wieder durchgesetzt werden. Die Übernahme weiterer Privilegierungen in das Dauerrecht ist daher strikt abzulehnen. Der naturschutzrechtliche Eingriff muß abschließend im Naturschutzgesetz geregelt werden. Dort sind die kompetenteren Behörden: die Naturschutzbehörden.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, na! Das geht zu weit!)

    Die Einführung eines Planungswertausgleichs ist durchzusetzen. Die Eigentümer realisieren einen Wertzuwachs, der nicht nur durch ihre Leistung, sondern auch durch öffentliche Leistungen zustande kommt. Dieses Rechtsinstrument ist nicht neu. Wir kennen es seit langem im Sanierungs- und Entwicklungsgebiet.
    Verfahrensbeschleunigungen lassen sich nicht nur durch den Abbau von Planungsqualität und die Preisgabe grundlegender Umweltziele erreichen. Die Verwaltung muß ressortübergreifende Teamarbeit lernen und flexible Planungselemente einsetzen. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die vor
    Ort wohnen und Planungen oft sehr konkret bewerten können, ist eine Unterstützung für den Planungsprozeß.


Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Achten Sie bitte auf die Zeit!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wilhelm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ja.
    Die Anzeigepflicht für Bebauungspläne ist beizubehalten. Die Mitwirkung der höheren Verwaltungsbehörde, die Gemeinden auch berät, war in der Vergangenheit von wesentlicher Bedeutung für die rechtliche Bestandskraft der Planungen.
    Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist im Raumordnungsverfahren -