Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Finanzminister Waigel Bundeshaushalte aufstellt, ist bekannt. Waigel verfährt mit den Haushalten nach der Vier-Jahreszeiten-Methode: Im Sommer wird geschönt, im Herbst wird vernebelt und notdürftig geflickt, im Winter bricht der Frost die Haushaltslöcher dann doch auf, und im Frühjahr bringt die Schneeschmelze die ganze Misere ans Licht.
Während es aber im Kreislauf der Natur vom Frühjahr bis zum Sommer wieder bergauf geht, geht es bei Herrn Waigels Haushalten auch dann weiter bergab. Sein Haushaltskreislauf endet nämlich mit viel zu hohen neuen Staatsschulden, einer Zinsfalle, einer Rekordarbeitslosigkeit und einer noch nie dagewesenen Steuer- und Abgabenbelastung. Wir haben es satt, daß dieser Finanzminister dieses Land so schlecht behandelt, wie er es tut.
Nach dieser Vier-Jahreszeiten-Methode ist Waigel bereits mit dem Haushalt 1996 verfahren. Im Sommer 1995 legte er einen Schönwetterhaushalt für 1996 vor: Die Daten waren geschönt, die Arbeitslosigkeit zu gering angesetzt, der Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit war auf Null gesetzt. Kritik der SPD wurde als Horrorszenarium abgetan.
Obwohl der Haushalt die Herbststürme nicht überstand, weigerte sich Waigel, wirklich nachzubessern. Zwar legte er 4,3 Milliarden DM beim Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit drauf. Mit dem WaigelWisch - wir erinnern uns - wurden dann aber Nebelkerzen geworfen und mit angeblichen Privatisierungserlösen von 9 Milliarden DM die Löcher gestopft. Gleichzeitig verstieg sich Waigel zu der abenteuerlichen Behauptung, die SPD würde Haushaltslöcher beschwören und dann selbst hineinfallen.
Herr Waigel, wie war es dann? Schon im Januar brach der Frost die Haushaltslöcher auf. Monat für Monat wurden sie größer. Über 12 Milliarden DM mußten Sie schließlich wegen der Arbeitslosigkeit der Bundesanstalt für Arbeit nachbewilligen. Und die geplanten Privatisierungen lösten sich in Luft auf. Das angebliche Horrorszenarium der Opposition wurde zum Alptraum für Waigel.
59 Milliarden DM neue Schulden wollten Sie machen. Sie sind jetzt schon bei 73 Milliarden DM angelangt und das nur durch einen Trick: Weil Sie die Privatisierung der Lufthansa im Jahre 1996 nicht mehr hinkriegen, machen Sie ein Platzhaltermodell: Sie parken die Anteile bei einer öffentlichen Bank, damit es nicht auffällt, und können nur auf diese Weise die
Ingrid Matthäus-Maier
Verschuldung im neuen Jahr auf etwa 73 Milliarden DM halten.
Ich sage Ihnen: Wir sind ja in Sachen Tricks bei Waigel schon allerhand gewohnt. Aber dieses Platzhaltermodell schlägt dem Faß nun wirklich den Boden aus.
Nach Art. 115 des Grundgesetzes dürfen in einem Jahr die neuen Schulden die Investitionen nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist nur dann erlaubt, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes vorhanden ist. Das haben Sie aber in der Sondersitzung des Bundestages strikt verneint. Die Folge ist, daß Ihr laufender Haushalt schlicht und einfach verfassungswidrig ist, weil die neuen Schulden die Investitionen dramatisch übersteigen.
Nun sagen Sie, es komme für die Verfassungsgemäßheit nicht auf den Verlauf des Haushaltsjahres an, sondern auf den Zeitpunkt der Verabschiedung, also auf den November 1995. Sie wissen, daß das in der Wissenschaft umstritten ist. Es gibt einige, die das behaupten, aber viele andere, die das Gegenteil sagen. Eines ist doch aber klar: Wer den Haushalt am Tag der Verabschiedung mit zweistelligen Milliardenbeträgen schönt und das Plenum betrügt, kann sich nicht auf diese Meinung versteifen. Er handelt verfassungswidrig.
Genauso schlampig geht das beim Haushalt 1997 weiter. Die Vier-Jahreszeiten-Methode feiert fröhliche Urständ. Im Sommer dieses Jahres haben Sie sich reichgerechnet: kein Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit. Jetzt, im Herbst, haben Sie nachgebessert: 4,1 Milliarden DM. Es bedarf aber keiner großen Vorstellungskraft, um zu erkennen, daß Ihr Zahlenwerk auch im nächsten Jahr keinen Bestand haben wird, weil Sie schlicht und einfach viel zuwenig tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Denn mit dem Haushalt 1997 wird keines der drängenden Probleme dieses Landes bewältigt. Statt Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, erhöhen Sie mit Ihrer Politik insbesondere zu Lasten der neuen Länder die Arbeitslosigkeit. Statt unser Land zukunftsfähig zu machen, streichen Sie die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Technologie zusammen. Statt Jugendlichen eine Perspektive zu geben, verweigern Sie sich einer sinnvollen Ausbildungsplatzinitiative und erhöhen sogar noch das Renteneintrittsalter für Frauen, wodurch die Jugendarbeitslosigkeit noch steigt.
Statt den Haushalt auf solide Füße zu stellen, operieren Sie mit globalen Minderausgaben und Lotterieansätzen. Statt beim Sparen alle Bürger in diesem
Lande nach ihrer Leistungsfähigkeit heranzuziehen, verteilen Sie durch die Abschaffung der Vermögensteuer Steuergeschenke an Reiche und Supervermögende.
Beispiel Arbeitslosigkeit. 1997 wird bereits das zweite Jahr, in dem 4 Millionen Menschen keine Arbeit haben - nicht zu vergessen diejenigen, die es längst aufgegeben haben, Arbeit zu suchen. Wenn Ihnen in dieser Situation nichts anderes einfällt, als die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik drastisch zu kürzen, dann führt das zu höherer Arbeitslosigkeit. Das schadet den Menschen, ihren Familien und erhöht die Staatsverschuldung weiter.
Beispiel Forschung. Den sogenannten Zukunftsetat kürzen Sie um sage und schreibe fast 900 Millionen DM. Davon sind leider alle Förderprogramme betroffen, die dazu dienen sollen, unser Land zukunftsfähig zu machen. Weil Sie die Details vor den Menschen und vor dem Plenum des Bundestages vertuschen wollen, kürzen Sie allein in Höhe von über 360 Millionen DM durch eine sogenannte globale Minderausgabe.
Meine Damen und Herren, was heißt das? Im Haushalt steht normalerweise in vielen einzelnen Titeln und Positionen, was bezahlt wird, was man ausgibt. Wenn man kürzt, steht sehr konkret dabei, was gekürzt wird. Manchmal zankt man sich im Haushaltsausschuß um 1 Million DM rauf oder runter. Dies alles ist jetzt gar nicht möglich. Denn die Öffentlichkeit weiß ja nicht, wo vom sogenannten Zukunftsminister diese über 360 Millionen DM herkommen sollen, wer da zum Opfer fällt und welches Programm gestrichen wird. Deshalb ist dieser Haushalt nicht mehr das Regierungsprogramm in Zahlen, sondern nur noch ein Waschzettel mit Zahlen ohne Wert. Dem werden wir nicht zustimmen.
Beispiel Solidität des Zahlenwerkes. Über Nacht zaubern Sie wieder Positionen in einer Größenordnung von Milliarden aus dem Hut. Da werden mal eben aus der Abwicklung von Treuhandunternehmen Mehreinnahmen in Höhe von 1,3 Milliarden DM angesetzt. Da werden mal eben über Nacht Einnahmen aus Grundstücksverkäufen mit zusätzlich 1 Milliarde DM angesetzt. Da werden mal eben über Nacht Lizenzgebühren aus der Telekommunikation in Höhe von 1,5 Milliarden DM angesetzt. Da werden mal eben über Nacht die Ausgaben für Gewährleistungen um 900 Millionen DM abgesenkt. Ich frage Sie: Wenn das alles so einfach über Nacht aus dem Hut zu zaubern ist, warum haben Sie das nicht im September getan?
Entweder hatten Sie im September unrecht, oder Sie
haben heute unrecht. Ich habe allerdings die Befürchtung, daß beide Zahlen falsch sind; denn daß
Ingrid Matthäus-Maier
Sie mit falschen Zahlen operieren, das haben Sie schon hundertmal gezeigt, Herr Waigel.